TE Vfgh Erkenntnis 2002/2/26 B1719/99

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Veröffentlicht am 26.02.2002
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Index

L6 Land- und Forstwirtschaft
L6800 Ausländergrunderwerb, Grundverkehr

Norm

AVG §69 Abs1

Leitsatz

Abweisung der Beschwerde hinsichtlich der Wiederaufnahme des Verfahrens wegen Erschleichung eines Bescheides; Stattgabe der Beschwerde hinsichtlich der Versagung der grundverkehrsbehördlichen Genehmigung unter Verweis auf die Vorjudikatur zur Verletzung des Grundsatzes der Volksöffentlichkeit durch Unterlassung der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung

Spruch

Die Beschwerde wird, soweit sie sich gegen die Wiederaufnahme des Verfahrens richtet, abgewiesen.

Der Beschwerdeführer ist im übrigen durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf eine mündliche Verhandlung vor einem unparteiischen Tribunal im Sinne des Art6 EMRK verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Das Land Tirol ist schuldig, dem Beschwerdeführer die mit € 2143,68 bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Kaufvertrag vom 29. Oktober 1997 erwarb der Beschwerdeführer das Grundstück 1050 aus der Liegenschaft EZ 90034 GB Mayrhofen. Die Bezirks-Grundverkehrskommission Schwaz erteilte diesem Rechtsgeschäft mit Bescheid vom 6. April 1998 die grundverkehrsbehördliche Genehmigung. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

2. Mit Bescheid vom 9. Oktober 1998 verfügte die Bezirks-Grundverkehrskommission Schwaz gemäß §69 Abs3 iVm Abs1 AVG von Amts wegen die Wiederaufnahme dieses Verfahrens und versagte dem Kaufvertrag vom 29. Oktober 1997 gemäß §4 Abs1 lita iVm §7 Abs1 litg Tiroler Grundverkehrsgesetz 1996 LGBl. 61 idF LG LGBl. 59/1997 (im folgenden: Tir. GVG 1996) die grundverkehrsbehördliche Genehmigung.

Dies mit folgender Begründung: Im Kaufvertrag vom 29. Oktober 1997, der der Bezirkshauptmannschaft Schwaz am 13. November 1997 angezeigt wurde, scheine ein Kaufpreis von ATS 300,-/m2 auf. Erst mit Schriftsatz vom 30. Juni 1998 habe der Verkäufer bekanntgegeben, daß der tatsächliche Kaufpreis ATS 1.044,-/m2 betrage, und einen Nachtrag zum Kaufvertrag, ebenfalls mit 29. Oktober 1997 datiert, vorgelegt. Wäre der Bezirks-Grundverkehrskommission Schwaz dieser tatsächliche Kaufpreis im Zeitpunkt ihrer Entscheidung bekannt gewesen, so hätte dies im Hinblick auf §7 Abs1 litg Tir. GVG 1996 zur Versagung der grundverkehrsbehördlichen Genehmigung geführt. Daher lägen die Voraussetzungen einer amtswegigen Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß §69 Abs3 iVm Abs1 AVG vor. Da der (nunmehr bekannte) Kaufpreis ein Vielfaches über dem Verkehrswert liege, sei die grundverkehrsbehördliche Genehmigung zu versagen.

3. Die gegen diesen Bescheid gerichtete Berufung des Beschwerdeführers wurde mit Bescheid der Landes-Grundverkehrskommission vom 6. September 1999 abgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, nach Ansicht der Landes-Grundverkehrskommission sei der Erschleichungstatbestand des §69 Abs1 Z1 AVG erfüllt, ohne daß die Behörde in der Lage gewesen wäre, die falschen Angaben bezüglich der Kaufpreishöhe als solche zu erkennen. Der Nachtrag zum Kaufvertrag, ebenfalls mit 29. Oktober 1997 datiert, sei nur den Vertragsparteien bekannt gewesen und der Grundverkehrsbehörde ganz bewußt nicht vorgelegt worden. Daher habe die erstinstanzliche Behörde zu Recht die amtswegige Wiederaufnahme des grundverkehrsbehördlichen Verfahrens verfügt. In der Sache selbst sei dem Kaufvertrag vom 29. Oktober 1997 unter dem Blickwinkel des §7 Abs1 litg Tir. GVG 1996 die Zustimmung zu versagen.

4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides begehrt wird.

5. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Gemäß §69 Abs1 Z1 AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist. Gemäß Abs3 kann unter den Voraussetzungen des Abs1 die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden.

Ein "Erschleichen" eines Bescheides liegt dann vor, wenn dieser in der Art zustandegekommen ist, daß bei der Behörde von der Partei objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung mit Irreführungsabsicht gemacht wurden und diese Angaben dann dem Bescheid zugrundegelegt worden sind, wobei Verschweigung wesentlicher Umstände dem Vorbringen unrichtiger Angaben gleichzusetzen ist. Dabei muß die Behörde auf die Angaben der Partei angewiesen sein und eine solche Lage bestehen, daß ihr nicht zugemutet werden kann, von Amts wegen noch weitere, der Feststellung der Richtigkeit der Angaben dienliche Erhebungen zu pflegen. Wenn es die Behörde verabsäumt, von den ihr im Rahmen der Sachverhaltsermittlung ohne besondere Schwierigkeiten offenstehenden Möglichkeiten Gebrauch zu machen, schließt dieser Mangel es aus, auch objektiv unrichtige Angaben als ein "Erschleichen" des Bescheides im Sinne des §69 Abs1 Z1 AVG zu werten (vgl. VwGH 25.4.1995, Z94/20/0779).

Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers liegt ein solches Verschulden der belangten Behörde nicht vor. Entscheidend ist, ob der Behörde bei Anwendung der zumutbaren Sorgfalt im Zeitpunkt der Bescheiderlassung erkennbar war, daß der Beschwerdeführer und der Verkäufer des Grundstückes einen Nachtrag zum Kaufvertrag, mit dem der Preis von ATS 300,-/m² auf ATS 1.044,-/m² erhöht wurde, abgeschlossen hatten. Ein derartiger Vorwurf kann der Behörde nicht gemacht werden. Sohin wurde die amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens zu Recht verfügt. Die Beschwerde war insoweit abzuweisen.

2. Im Fall Eisenstecken gegen Österreich (Urteil vom 3.10.2000, ÖJZ 2001/7) hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte - von seiner früheren Rechtsprechung abgehend - den österreichischen Vorbehalt zu Art6 EMRK ausdrücklich als ungültig angesehen.

Der Verfassungsgerichtshof sieht sich gehalten, dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in dessen neuer Bewertung des österreichischen Vorbehalts zu Art6 Abs1 EMRK zu folgen (siehe VfGH 13.12.2001, B227/99).

Die Ungültigkeit des österreichischen Vorbehalts zu Art6 Abs1 EMRK hat zur Folge, daß in Verwaltungsverfahren, in welchen über den "Kernbereich" von civil rights abgesprochen wird, eine volksöffentliche Verhandlung vor einem Tribunal durchzuführen ist. Einschränkungen der Öffentlichkeit dürfen hier nur vorgesehen werden, soweit Art6 EMRK dies zuläßt.

Bei Verfahren betreffend die grundverkehrsbehördliche Genehmigung von Rechtsgeschäften steht außer Zweifel, daß es sich um Verfahren handelt, die civil rights in ihrem Kernbereich berühren (VfGH 13.12.2001, B227/99; zur Feststellung, daß grundverkehrsbehördliche Verfahren civil rights berühren, vgl. auch VfSlg. 11131/1986, 11211/1987, 12074/1989, 13209/1992 und 14109/1995).

Angesichts dessen war die belangte Behörde daher verpflichtet, gemäß Art6 Abs1 EMRK eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Für diese hat - abgesehen von den nach Art6 Abs1 EMRK zulässigen Ausnahmen, welche in diesem Fall nicht vorliegen - der Grundsatz der Volksöffentlichkeit zu gelten.

Da es die Landes-Grundverkehrskommission unterlassen hat, eine volksöffentliche Verhandlung durchzuführen, liegt eine Verletzung des Art6 Abs1 EMRK vor. Der angefochtene Bescheid war daher allein schon aus diesem Grund wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf eine mündliche Verhandlung vor einem unparteiischen Tribunal aufzuheben, ohne daß auf das Beschwerdevorbringen einzugehen war.

3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Verfahrenskosten sind € 327,- an Umsatzsteuer sowie der Ersatz der gemäß §17a VfGG zu entrichtenden Gebühr von € 181,68 enthalten.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Bescheid Trennbarkeit, Grundverkehrsrecht, Verwaltungsverfahren, Wiederaufnahme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2002:B1719.1999

Dokumentnummer

JFT_09979774_99B01719_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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