TE Vwgh Erkenntnis 2006/4/25 2002/06/0131

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Veröffentlicht am 25.04.2006
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Index

L37158 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Vorarlberg;
L80008 Raumordnung Raumplanung Flächenwidmung Bebauungsplan
Vorarlberg;
L81708 Baulärm Vorarlberg;
L82000 Bauordnung;
L82008 Bauordnung Vorarlberg;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §39 Abs2;
AVG §8;
BauG Vlbg 1972 §30 Abs1 litb;
BauG Vlbg 1972 §30 Abs1;
BauG Vlbg 1972 §31;
BauG Vlbg 1972 §6 Abs10;
BauG Vlbg 1972 §6 Abs9;
BauG Vlbg 1972 §6;
BauRallg;
B-VG Art130 Abs2;
RPG Vlbg 1996 §14 Abs4 idF 1999/043;
RPG Vlbg 1996 §14 Abs8 idF 1999/043;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten, Dr. Rosenmayr und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Fritz, über die Beschwerde 1. des HH und 2. der GA, beide in A und beide vertreten durch Mag. Heinz Koller, Rechtsanwalt in 6900 Bregenz, Anton Schneider Straße 3, gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 24. Juni 2002, Zl. VIIa-410.553, betreffend Einwendungen gegen eine Baubewilligung (mitbeteiligte Partei:

G GmbH in A, vertreten durch Fischer, Walla & Matt Rechtsanwälte OEG in 6850 Dornbirn, Marktstraße 12), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Vorarlberg hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bauansuchen vom 10. Oktober 2001 begehrten HG und WG als Eigentümer eines in der Katastralgemeinde A gelegenen und als Baufläche-Mischgebiet gewidmeten Grundstücks die Erteilung der Baubewilligung für "Zubau Lagerhalle, Rampenanlage und Büro der Betriebsanlage Fa. G GmbH, A". Die Fa. G. handle mit Lebensmitteln, d.h. die Waren würden per Lkw von den Herstellern angeliefert, von der Fa. G. kommissioniert und zwischengelagert, dann regional bzw. international per Lkw weiterversandt. Zudem finde ein Kleinverkauf (Bestand) der Lebensmittel im Erdgeschoß des Bürogebäudes-Bestand in der L. Straße statt. An der Nordostseite der neu zu errichtenden Lagerhalle ist die Errichtung von vier Verladerampen mit Sektionaltoren mit Sichtfenstern im Ausmaß von 2,75 x 2,65 cm geplant, an der Nordwestseite des Gebäudes 14 Pkw-Abstellplätze.

Als Betriebszeiten für das projektierte Vorhaben wurden Montag bis Freitag von 6.00 Uhr bis 22.00 Uhr für Warenumschlag, Anlieferung, Freitag von 14.00 Uhr bis 17.00 Uhr für den Kleinverkauf und Montag bis Freitag von 6.00 Uhr bis 18.00 Uhr als Bürozeiten angegeben. Nach dem Zubau würden etwa 4.300 Paletten gelagert und es kämen insgesamt 15 Geräte (Ameisen, Stapler, Wickelmaschine) und 60 Mitarbeiter zum Einsatz, vier Rampen würden neu errichtet. Etwa 30 Lkw-Bewegungen seien pro Tag im Bereich Unterhub zu erwarten. Die Lkw-Bewegungen fänden während der Betriebszeiten statt.

Die Beschwerdeführer erhoben als Eigentümer eines nordwestlich gegenüber dem Vorhaben auf der anderen Seite der U-Straße gelegenen Grundstücks mit Stellungnahme vom 6. November 2001 Einwendungen, in denen sie sich insbesondere gegen die durch den Zu- und Abfahrtsverkehr entstehenden Lärmemissionen und einen bei Verwirklichung des Vorhabens durch dieses verursachten unzulässigen Lärmpegel wandten und die während der Betriebszeiten durch die Warntöne beim Rückwärtsfahren der Lkw und den Beladelärm entstehenden Belästigungen als unzumutbar bezeichneten.

Die Bezirkshauptmannschaft Bregenz führte am 8. November 2001 u. a. als Baubehörde eine mündliche Verhandlung über das Vorhaben durch. Der gewerbetechnische Amtssachverständige Ing. EK erstattete dabei ein in der Verhandlungsniederschrift wie folgt wiedergegebenes Gutachten:

"a) Gutachten des gewerbetechnischen Amtssachverständigen:

Der gewerbetechnischer Sachverständige hat bei der kommissionellen Verhandlung am 12.7.2001 für den vorgesehenen Zubau einer Lagerhalle mit sechs Laderampen an der Nordwestseite ein negatives Gutachten in Aussicht gestellt, da das vorgesehene Projekt Grenzwertüberschreitungen im Sinne der ÖAL Richtlinie Nr 3 bis zu 2 dB erwarten ließ. Daraufhin wurde ein Umplanung vorgenommen. Das nun vorliegende Projekt weist vier Laderampen an der Nordostseite der neuen Halle auf. Die von der U-Straße anzufahrende Rampe des Bestandsbaues bleibt bestehen, ebenso die beiden Rampen im Bereich der L-Straße. Die Container für die anfallenden Abfälle werden südwestseitig der neuen Halle situiert.

Für die Berechnung des zu erwartenden Immissionspegels bei den Wohnnachbarn werden im nach der ÖAL Richtlinie Nr 3 maßgeblichen Beurteilungszeitraum von 8 Stunden 30 LKWs im Bereich der fünf Rampen an der U-Straße berücksichtigt, was 60 Fahrbewegungen entspricht. Zu den Containern wird täglich eine LKW-Fahrt erfolgen. Die bestehenden Rampen entlang der L-Straße werden täglich von ca 10 LKWs angefahren. Für den neuen Parkplatz mit 15 Stellplätzen an der Nordwestseite entlang der U-Straße wird angenommen, dass pro Stellplatz vier Fahrbewegungen im maßgeblichen 8 Stunden-Beurteilungszeitraum stattfinden werden. In der Berechnung wird für die LKW-Fahrten ein Schallleistungspegel von 102 dB für die Vorwärtsfahrten und 105 dB für die Rückwärtsfahrten berücksichtigt. Die PKW-Fahrten werden mit einem Schallleistungspegel pro PKW von 87 dB berücksichtigt.

Mit den getroffenen Annahmen berechnen sich bei den umliegenden Wohnnachbarn Immissionspegel von 3 bis 49 dB.

Die örtliche Lärmsituation wird im Wesentlichen durch das Verkehrsaufkommen der X-Autobahn, der U-Straße und der L-Straße bestimmt, der engerieäquivalente Dauerschallpegel liegt tagsüber erfahrungsgemäß bei 55 bis 60 dB, der Grundgeräuschpegel bei 35 bis 40 dB. Es erscheint daher gerechtfertigt, das betreffende Gebiet nach ÖAL Richtlinie Nr 3 in die Kategorie 3 einzustufen und den Grundgeräuschpegel am Tage mit 45 dB zu begrenzen. Die Grenze der zumutbaren Störung errechnet sich demnach mit 55 dB. Diese darf durch hinzukommende Betriebsgeräusche nicht mehr erhöht werden.

Der Vergleich des zu erwartenden Beurteilungspegels durch die vorgesehene Betriebserweiterung mit der Grenze der zumutbaren Störung gemäß ÖAL Richtlinie Nr 3 zeigt, dass bei den umliegenden Wohnnachbarn keine ganzzahligen Pegelerhöhungen zu erwarten sind. Durch die vorgesehene Betriebserweiterung ist somit nicht mit im Sinne der ÖAL Richtlinie Nr 3 unzumutbaren Lärmstörungen zu rechnen.

Vom gewerbetechnischen Sachverständigen besteht deshalb bei projektsgemäßer Ausführung bzw sachverhaltsgemäßen Betrieb kein Einwand gegen die Erteilung der gewerbebehördlichen Genehmigung. Abschließend wird noch bemerkt, dass die LKW-Waren An- und Ablieferungen ausschließlich mit Fremdfahrzeugen erfolgt. Der LKW-Verkehr auf den Gemeindestraßen wurde deshalb in der Lärmberechnung nicht berücksichtigt."

Weitere Gutachten wurden von einem brandschutztechnischen Sachverständigen, einem hochbautechnischen Amtssachverständigen und einem verkehrstechnischen Amtssachverständigen erstattet, die Beschwerdeführer hielten ihre Einwendungen aufrecht.

In den Akten des Verwaltungsverfahrens ist ein Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch an den gewerbetechnischen Amtssachverständigen vom 14. November 2001 enthalten, in welchem dieser ersucht wird, sein schalltechnisches Gutachten zu ergänzen, und zwar unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Witterungsverhältnisse und des zu erwartenden zusätzlichen Lkw-Verkehrs. Darin möge auch mitbeurteilt werden, ob es sich bei der gegenständlichen Betriebsanlage nach der vorgesehenen Betriebsanlagenerweiterung um eine Anlage handle, die das Wohnen im Sinne des § 14 des Vorarlberger Raumplanungsgesetzes (RPG) nicht wesentlich störe.

Zu einem von den Antragstellern eingereichten Deckplan für den Neubau Zubau Lagerhalle vom 1. März 2002 führten die Beschwerdeführer aus, gegen die daraus hervorgehenden baulichen Veränderungen keine Einwendungen zu erheben, die im Zuge der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Einwände blieben jedoch aufrecht.

Mit neuerlichem Schreiben vom 3. April 2002 erstatteten die Beschwerdeführer nochmalige Einwendungen gegen durch das Bauvorhaben bewirkte zusätzliche Lkw-Fahrbewegungen und den im Nahbereich der Betriebsanlage und auf dieser und damit vor ihrem Haus entstehenden Lärm. Ein Beginn der Rangier- und Ladetätigkeiten um 6.00 Uhr morgens bzw. nach 20.00 Uhr sei unzumutbar und werde abgelehnt. Das Vorhaben sei grundsätzlich bewilligungsunfähig. Eine im Projekt vorgesehene Schallschutzmauer in der Höhe von etwa 1,2 m sei zu niedrig und jedenfalls um 30 cm zu erhöhen. Es liege eine nicht widmungskonforme Betriebstype vor.

Mit Bescheid vom 28. Mai 2002 erteilte die Bezirkshauptmannschaft Feldkirch u.a. gemäß §§ 31 und 32 des Vorarlberger Baugesetzes, LGBl. Nr. 39/1972, unter gleichzeitiger Vorschreibung von Auflagen die baubehördliche Bewilligung für das Vorhaben. In diesem Bescheid wird ausgeführt, dass darin die Betriebszeiten von Montag bis Freitag von 6.00 Uhr bis 22.00 Uhr sowie an Samstagen von 7.00 Uhr bis 12.00 Uhr vorgesehen seien. Die Ladetätigkeiten bei sämtlichen Rampen fänden, solange der Zu- und Abfahrtsverkehr über die U-Straße in südlicher Richtung geführt werden müsse, ausschließlich in der Zeit von Montag bis Freitag von 7.00 Uhr bis 20.00 Uhr und am Samstag von 7.00 Uhr bis 12.00 Uhr statt. Die Behörde erster Instanz schrieb hochbautechnische und brandschutztechnische Auflagen vor und führte in der Begründung, soweit hier wesentlich, aus, dass der gewerbetechnische Amtssachverständige sein Gutachten in der Verhandlung am 8. November 2001 erstattet habe, in welchem er zum Ergebnis gelangt sei, dass durch die vorgesehene Betriebserweiterung nicht mit im Sinne der ÖAL-Richtlinie Nr. 3 unzumutbaren Lärmstörungen zu rechnen sei. Die von den Beschwerdeführern vorgebrachten Einwendungen seien teilweise durch die Gutachten der Sachverständigen entkräftet, teilweise sei ihren Anregungen Folge geleistet worden, indem Auflagen in den Bescheid aufgenommen bzw. der Sachverhalt entsprechend ausgeführt worden sei. Insbesondere habe die Antragstellerin mitgeteilt, dass sie den gewünschten Verladezeiten-Rampentätigkeiten (Nichtbetriebszeiten), solange der Verkehr über den südlichen Teil der U-Straße ablaufe, von 7.00 bis 20.00 Uhr wochentags und 7.00 bis 12.00 Uhr am Samstag zustimme. Weiters sei mitgeteilt worden, dass die Mauererhöhung zur Straße gegenüber dem ersten Plan um 50 cm erhöht worden sei. Daher seien auch diese Wünsche erfüllt.

Gegen diesen Bescheid erhoben die Beschwerdeführer Berufung, in der sie im Wesentlichen neuerlich das durch das Vorhaben hervorgerufene vermehrte Verkehrsaufkommen und die dadurch bewirkte Beeinträchtigung durch Lärm geltend machten und sich gegen die Lade- und Lagertätigkeit auf dem projektierten Vorhaben wandten. Der Typ des Betriebes verdeutliche, dass sich die Immissionen nicht im Rahmen des nach der Widmungsart Zulässigen oder Ortsüblichen bewegten. Auch seien die Betriebszeiten widersprüchlich geregelt worden. Denn einerseits habe die Behörde jegliche Zuordnung der Erfüllungsgehilfen (Zulieferer) zur Betriebsanlage außer Acht gelassen, anderseits aber die Ladetätigkeiten bei sämtlichen Rampen auf 7.00 bis 20.00 Uhr reduziert, dies sei unschlüssig.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung der Beschwerdeführer gemäß § 66 Abs. 4 AVG i.V.m. § 30 BauG keine Folge und bestätigte die mit dem Bescheid der Behörde erster Instanz erteilte Baubewilligung. Der angefochtene Bescheid wurde nach Wiedergabe des Verfahrensganges und der Rechtsvorschriften im Wesentlichen damit begründet, dass das gesamte Berufungsvorbringen im taxativen Katalog der subjektiven Nachbarrechte des BauG keine Deckung finde. Die Frage der Flächenwidmung sei grundsätzlich jenem Bereich zuzuzählen, der von der Behörde objektiv wahrzunehmen sei. Diesbezüglich räume das Baugesetz den Nachbarn nur insoweit ein Mitspracherecht ein, als mit der Flächenwidmung ein Immissionsschutz verbunden sei. Dies treffe bei der Widmungskategorie "Baufläche/Mischgebiet" zwar zu. Ein Mitspracherecht diesbezüglich bestehe nach der hier maßgeblichen Rechtslage jedoch nur insoweit, als in diesem Zusammenhang die Verletzung von Abstandsvorschriften geltend gemacht werde. Diesbezüglich seien dem Akteninhalt keine Anhaltspunkte zu entnehmen. Diese Ausführungen gälten auch für die Festlegung der Betriebszeiten sowie die Höhe der Schallschutzmauer. Auch diesbezüglich stehe den Nachbarn kein Mitspracherecht zu. Die Schallschutzmauer sei nach der hier geltenden Rechtslage Bestandteil der gewerblichen Betriebsanlage und vom Anwendungsbereich des Baugesetzes ausgenommen. Auch hinsichtlich der Verkehrsverhältnisse auf öffentlichen Straßen bestehe kein Mitspracherecht der Nachbarn.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde. Eine Gegenschrift wurde auch von der Mitbeteiligten erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführer erachten sich durch den angefochtenen Bescheid in ihrem Recht auf ungestörte, gefahrlose und nicht gesundheitsgefährdende Nutzung ihrer Liegenschaft verletzt und machen insbesondere die Beeinträchtigung durch Lärm als Nachbarn im Sinne der §§ 30 und 6 BauG geltend.

Gemäß § 56 Abs. 2 des Vorarlberger Baugesetzes, LGBl. Nr. 52/2001, sind Baubewilligungsverfahren, die vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes bereits eingeleitet wurden, nach den bisher geltenden Vorschriften, hier also nach dem Vorarlberger Baugesetz 1972, zu beenden.

Die Rechte der Nachbarn im Baubewilligungsverfahren nach dem Vorarlberger Baugesetz, LGBl. Nr. 39/1972 (BauG), werden in § 30 Abs. 1 und Abs. 2 leg. cit. wie folgt umschrieben:

"(1) Über Einwendungen der Nachbarn, die sich auf Rechte stützen, die durch folgende Vorschriften begründet werden, ist in der Erledigung über den Bauantrag abzusprechen:

a) § 4, soweit mit Auswirkungen auf Nachbargrundstücke zu rechnen ist;

b) § 6, insoweit er den Schutz der Nachbarn aus Rücksichten des Brandschutzes und der Gesundheit, insbesondere Belichtung, Luft und Lärm, betrifft;

c) § 9 Abs. 1, hinsichtlich von Einfriedungen an der Grenze eines Nachbargrundstückes;

d) § 12 Abs. 1, insoweit er sich auf Einrichtungen auf Nachbargrundstücken bezieht, die eines besonderen Schutzes gegen Lärm und sonstige Belästigungen bedürfen;

e) § 17, soweit mit Auswirkungen auf Nachbargrundstücke zu rechnen ist;

f) § 37 Abs. 4, soweit er dem Schutz der Nachbarn dient.

(2) Einwendungen der Parteien, mit denen die Verletzung anderer als im Abs. 1 genannter öffentlich-rechtlicher Vorschriften behauptet wird, sind als unzulässig zurückzuweisen, Einwendungen, die sich auf das Privatrecht stützen, sind auf den Rechtsweg zu verweisen."

Die Aufzählung der Nachbarrechte im § 30 Abs. 1 BauG ist - wie sich aus Abs. 2 dieser Bestimmung zweifelsfrei ergibt - eine taxative (siehe dazu das Erkenntnis vom 25. Juni 1999, Zl. 98/06/0045, m.w.N.).

Soweit sich die Beschwerdeführer durch ein durch die Verwirklichung des gegenständlichen Bauvorhabens bewirktes vermehrtes Verkehrsaufkommen auf einer öffentlichen Straße und eine dadurch bewirkte Lärmbelästigung für beschwert erachten, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach Nachbarn im Bauverfahren nach dem Vorarlberger BauG - anders als bei Belästigungen, die vom Verkehr auf dem Baugrundstück selbst ausgehen - keinen Anspruch darauf haben, dass sich die Verkehrsverhältnisse auf der öffentlichen Straße nicht ändern bzw. dass die öffentliche Verkehrsfläche der beabsichtigten Verwendung des auf dem Baugrundstück zu errichtenden Gebäudes entspricht (vgl. u.a. die hg. Erkenntnisse vom 3. September 1998, Zl. 98/06/0009, und vom 27. November 2003, Zl. 2000/06/0193).

Aus der taxativen Aufzählung der Nachbarrechte in § 30 Abs. 1 BauG ergibt sich weiters, dass weder hinsichtlich der Einhaltung des Flächenwidmungsplanes noch hinsichtlich eines allgemeinen Schutzes vor Immissionen ein subjektiv-öffentliches Nachbarrecht besteht, wohl aber - fallbezogen - gemäß § 30 Abs. 1 lit. b BauG. hinsichtlich der Einhaltung der Vorschriften des § 6 leg. cit. über die Abstandsflächen. Nur soweit in den Vorschriften über die Abstandsflächen auch an jene über die Flächenwidmung bzw. an die in diesem Zusammenhang jeweils zulässigen Immissionen angeknüpft wird, sind diese auch im Zusammenhang mit der Geltendmachung von Nachbarrechten im Sinne des § 6 BauG von Bedeutung (vgl. dazu ebenfalls das Erkenntnis vom 27. November 2003, Zl. 2000/06/0193, m. w.N.).

§ 6 BauG lautet im hier interessierenden Zusammenhang auszugsweise:

"(7) Von der Nachbargrenze müssen oberirdische Gebäude mindestens drei Meter entfernt sein.

...

(9) Wegen der besonderen Form oder Lage des Baugrundstückes oder aus Gründen einer zweckmäßigeren Bebauung kann die Behörde mit Genehmigung des Gemeindevorstandes von den in Abs. 2 bis 8 vorgeschriebenen Abstandsflächen und Abständen Ausnahmen zulassen, wenn dadurch die Interessen des Brandschutzes, der Gesundheit sowie des Schutzes des Landschafts- und Ortsbildes nicht beeinträchtigt werden.

(10) Die Behörde kann auch größere als in den Abs. 2 bis 8 vorgeschriebene Abstandsflächen und Abstände festsetzen, wenn der Verwendungszweck eines Bauwerkes eine das ortsübliche Maß übersteigende Belästigung oder eine Gefährdung der Nachbarn erwarten lässt."

Die Abs. 4 und 8 des § 14 des Vorarlberger Raumplanungsgesetzes, LGBl. Nr. 39/1996, i.d.F. LGBl. Nr. 43/1999, lauten:

"(4) Mischgebiete sind Gebiete, in denen Wohngebäude und sonstige Gebäude und Anlagen zulässig sind, die das Wohnen nicht wesentlich stören. In Mischgebieten können Zonen festgelegt werden, in denen Gebäude und Anlagen für land- und forstwirtschaftliche Zwecke errichtet werden dürfen.

...

(8) Ob ein Gebäude oder eine Anlage mit einer Widmung nach den Abs. 2 bis 6 vereinbar ist, ist nicht nur nach der Art des Gebäudes oder der Anlage, sondern auch nach den Maßnahmen zur Verhinderung störender Auswirkungen, deren Durchführung technisch möglich ist und rechtlich festgelegt wird, zu beurteilen."

Wie der Verwaltungsgerichtshof schon mehrfach ausgesprochen hat, hat der einer Verkehrsfläche gegenüberliegende Nachbar ein Recht auf Einhaltung von Abstandsbestimmungen, damit auch des § 6 Abs. 10 BauG (siehe die hg. Erkenntnisse vom 23. November 1995, Zl. 94/06/0263, vom 23. September 1999, Zl. 99/06/0060, vom 5. Dezember 2000, Zl. 99/06/0127, und vom 27. November 2003, Zl. 2000/06/0193).

Wenn eine Gefährdung oder eine das ortsübliche Ausmaß übersteigende Belästigung durch eine Bauführung zu erwarten ist, ist der Baubehörde kein Ermessensspielraum dahingehend eingeräumt, ob ein größerer Abstand festgesetzt wird oder nicht. Den Nachbarn steht bei Vorliegen der Tatbestandsmerkmale des § 6 Abs. 10 BauG vielmehr ein Rechtsanspruch auf Festsetzung größerer Abstände zu. Ob diese Voraussetzungen vorliegen und bejahendenfalls, welche Abstände im Einzelfall festzulegen sind, hat die Verwaltungsbehörde im Ermittlungsverfahren von Amts wegen klarzustellen. Wenn die nach § 6 Abs. 10 BauG erforderlichen größeren Abstände nicht eingehalten werden können, ist letztlich das Bauvorhaben zu versagen (vgl. die von Feurstein, Das Vorarlberger Baugesetz, 3. Auflage 1997, S. 69 f, dargestellte hg. Rechtsprechung).

Dies hat die belangte Behörde verkannt, indem sie mit dem angefochtenen Bescheid der Berufung der Beschwerdeführer mit der bloßen Begründung keine Folge gab, dass das Berufungsvorbringen "im taxativen Katalog der subjektiv-öffentlichen Nachbarrechte keine Deckung" finde, und sich dem Akteninhalt keine Anhaltspunkte entnehmen ließen, dass die Beschwerdeführer die Verletzung von Abstandsvorschriften geltend gemacht hätten. Eine Immissionseinwendung nach dem Vbg. BauG, nach welchem dem Nachbarn ein Nachbarrecht auf Immissionsschutz nur im Rahmen der Abstandsregelung des § 6 Abs. 9 zukommt, ist immer als Einwendung auf Einhaltung eines größeren Abstandes gemäß dieser Bestimmung zu verstehen.

Bei der Beurteilung der Frage, ob durch das Bauvorhaben das in § 6 Abs. 10 Vbg. BauG genannte ortsübliche Ausmaß an Belästigung überschritten wird, ist insbesondere auch die bestehende Flächenwidmung maßgebend. Die belangte Behörde hätte daher ausgehend von § 14 Abs. 4 des Vorarlberger Raumplanungsgesetzes, worin als Mischgebiete solche Gebiete festgelegt sind, in denen Wohngebäude und sonstige Gebäude und Anlagen zulässig sind, die das Wohnen nicht wesentlich stören, prüfen müssen, ob dies im Fall des verfahrensgegenständlichen Vorhabens der Fall ist. Diese Frage hätte sie sowohl nach der Art des Gebäudes oder der Anlage, also nach der Betriebstype, als auch gemäß Abs. 8 leg. cit. nach den im Projekt allenfalls vorgesehenen Maßnahmen zur Verhinderung störender Auswirkungen, deren Durchführung technisch möglich ist und rechtlich festgelegt wird, beurteilen müssen (vgl. das o.a. hg. Erkenntnis vom 25. Juni 1999, Zl. 98/06/0045).

Für diese Beurteilung hätte die belangte Behörde - so wie dies von der Behörde erster Instanz nach der Aktanlage offensichtlich schon in Aussicht genommen war - ein ergänzendes Gutachten einholen müssen, weil das in der Verhandlung erstattete Gutachten keine ausreichenden Aussagen zur Widmungskonformität des Vorhabens und zur Frage des daraus abzuleitenden ortsüblichen Ausmaßes von Lärm gemäß § 6 Abs. 10 Vbg. BauG enthält.

Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG i.V.m. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333. Die Abweisung des Mehrbegehrens beruht darauf, dass die Umsatzsteuer in den in der angeführten Verordnung normierten Pauschbeträgen bereits enthalten ist.

Wien, am 25. April 2006

Schlagworte

Baubewilligung BauRallg6 Baurecht Nachbar Besondere Rechtsgebiete Ermessen VwRallg8 Ermessen besondere Rechtsgebiete Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1 Nachbarrecht Nachbar Anrainer Grundnachbar subjektiv öffentliche Rechte BauRallg5/1 Nachbarrecht Nachbar Anrainer Grundnachbar subjektiv-öffentliche Rechte, Abstandsvorschriften BauRallg5/1/1 Nachbarrecht Nachbar Anrainer Grundnachbar subjektiv-öffentliche Rechte, Schutz vor Immissionen BauRallg5/1/6 Nachbarrecht Nachbar Anrainer Grundnachbar subjektiv-öffentliche Rechte, Vorschriften, die keine subjektiv-öffentliche Rechte begründen BauRallg5/1/9

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2002060131.X00

Im RIS seit

08.06.2006
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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