TE Vwgh Erkenntnis 2006/5/23 2003/11/0054

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Veröffentlicht am 23.05.2006
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Index

90/02 Führerscheingesetz;

Norm

FSG 1997 §36 Abs2 Z2;
FSG 1997 §8 Abs6 Z3;
FSG-GV 1997 §19;
FSG-GV 1997 §20;
FSG-GV 1997 §21;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Gall, Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des W in I, vertreten durch Dr. Michael Battlogg, Rechtsanwalt in 6780 Schruns, Gerichtsweg 2, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 22. Jänner 2003, Zl. Ib-277- 162/2002, betreffend Erteilung einer Lenkberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 332,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer beantragte am 9. Juli 2002 die Erteilung der Lenkberechtigung für die Klasse B. Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers gemäß § 3 Abs. 1 und § 5 Abs. 4 iVm § 8 des Führerscheingesetzes (FSG) abgewiesen. Begründend verwies die belangte Behörde auf die verkehrspsychologische Untersuchung vom 26. August 2002 und auf das darauf aufbauende amtsärztliche Gutachten vom 27. August 2002, wonach der Beschwerdeführer gesundheitlich nicht geeignet sei, Kraftfahrzeuge der Klasse B zu lenken. Das Kuratorium für Verkehrssicherheit sei nämlich auf Grund der genannten Untersuchung in der verkehrspsychologischen Stellungnahme zum Ergebnis gelangt, dass die kraftfahrspezifischen Leistungsfunktionen des Beschwerdeführers unzureichend ausgeprägt seien, dies auf Grund der "zumeist massiven Beeinträchtigungen im Bereich der visuellen Auffassung, der Reaktionsgeschwindigkeit, der reaktiven Dauerbelastbarkeit, des Konzentrationsvermögens, der Sensomotorik sowie der intellektuellen Fähigkeit". Nach den Untersuchungsergebnissen betrage etwa die mittlere Reaktionszeit des Beschwerdeführers 1,02 Sekunden. Einen derart "geringen" (gemeint: hohen) Wert, so die belangte Behörde weiter, wiesen nach der genannten Stellungnahme nur 2 % der Untersuchten auf. Außerdem neige der Beschwerdeführer nach der verkehrspsychologischen Stellungnahme zur Selbstüberschätzung und zeige eine deutlich herabgesetzte Anpassungsbereitschaft und eine Tendenz zu aggressiven Interaktionen. Dies sei im Hinblick auf die gerichtlichen Vorstrafen des Beschwerdeführers nachvollziehbar. Daher sei das auf der genannten verkehrspsychologischen Stellungnahme aufbauende amtsärztliche Gutachten vom 27. August 2002, dem zufolge der Beschwerdeführer gemäß § 8 FSG zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 nicht geeignet sei, schlüssig. Der beantragten Erteilung der Lenkberechtigung stehe somit das Fehlen der gesundheitlichen Eignung des Beschwerdeführers entgegen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage des Verwaltungsaktes und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Zunächst ist zur sachlichen Zuständigkeit der belangten Behörde festzuhalten, dass das gegenständliche Verfahren zum gemäß § 43 Abs. 11 letzter Satz FSG maßgebenden Zeitpunkt, nämlich am 1. August 2002 (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Februar 2006, Zl. 2003/11/0025, mwN), bereits anhängig war.

Die für den vorliegenden Fall maßgebenden Bestimmungen des Führerscheingesetzes lauten:

"§ 3. (1) Eine Lenkberechtigung darf nur Personen erteilt werden, die:

...

3. gesundheitlich geeignet sind, ein Kraftfahrzeug zu lenken (§§ 8 und 9),

...

Verfahren bei der Erteilung einer Lenkberechtigung

§ 5. ...

(4) Die Lenkberechtigung ist zu erteilen, wenn das in den §§ 6 bis 11 angeführte Verfahren ergibt, dass die Voraussetzungen für die Erteilung vorliegen. ...

Gesundheitliche Eignung

§ 8. (1) Vor der Erteilung einer Lenkberechtigung hat der Antragsteller der Behörde ein ärztliches Gutachten vorzulegen, dass er zum Lenken von Kraftfahrzeugen gesundheitlich geeignet ist. ...

(2) Sind zur Erstattung des ärztlichen Gutachtens besondere Befunde oder im Hinblick auf ein verkehrspsychologisch auffälliges Verhalten eine Stellungnahme einer verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle erforderlich, so ist das ärztliche Gutachten von einem Amtsarzt zu erstellen; der Antragsteller hat diese Befunde oder Stellungnahmen zu erbringen. Wenn im Rahmen der amtsärztlichen Untersuchung eine sichere Entscheidung im Hinblick auf die gesundheitliche Eignung nicht getroffen werden kann, so ist erforderlichenfalls eine Beobachtungsfahrt anzuordnen.

...

(6) Der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie hat nach den Erfordernissen der Verkehrs- und Betriebssicherheit, dem jeweiligen Stand der medizinischen und psychologischen Wissenschaft und der Technik entsprechend, durch Verordnung die näheren Bestimmungen festzusetzen über:

...

3. die personellen und sachlichen Voraussetzungen für die Ermächtigung als verkehrspsychologische Untersuchungsstelle sowie die Voraussetzungen betreffend Zeugnisse und berufliche Erfahrung für die Tätigkeit als Verkehrspsychologe im Rahmen einer verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle;

...

Sonstige Zuständigkeiten

§ 36. (1) ...

(2) Der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie ist zuständig für die Erteilung von Ermächtigungen

1.

...

2.

an geeignete Einrichtungen zur Durchführung verkehrspsychologischer Untersuchungen gemäß §§ 8 und 28 (verkehrspsychologische Untersuchungsstellen),

              3.              ..."

Die im vorliegenden Fall maßgebenden Bestimmungen der Führerscheingesetz-Gesundheitsverordnung (FSG-GV), BGBl. II Nr. 322/1997 idF BGBl. II Nr. 427/2002, lauten auszugsweise:

"Allgemeine Bestimmungen über die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen

§ 3. (1) Als zum Lenken von Kraftfahrzeugen einer bestimmten Fahrzeugklasse im Sinne des § 8 FSG gesundheitlich geeignet gilt, wer für das sichere Beherrschen dieser Kraftfahrzeuge und das Einhalten der für das Lenken dieser Kraftfahrzeuge geltenden Vorschriften

1. die nötige körperliche und psychische Gesundheit besitzt,

...

4. aus ärztlicher Sicht über die nötige kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit verfügt.

Verkehrspsychologische Stellungnahme

§ 17. ...

(2) Die Vorlage einer verkehrspsychologischen Stellungnahme ist im Hinblick auf das Lebensalter jedenfalls zu verlangen, wenn auf Grund der ärztlichen Untersuchung geistige Reifungsmängel oder ein Leistungsabbau im Vergleich zur Altersnorm zu vermuten sind; hierbei ist auch die Gruppe der Lenkberechtigung zu berücksichtigen.

...

Verkehrspsychologische Untersuchung

§ 18. (1) ...

(2) Für die Überprüfung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit sind insbesondere folgende Fähigkeiten zu überprüfen:

1.

Beobachtungsfähigkeit sowie Überblicksgewinnung,

2.

Reaktionsverhalten, insbesondere die Geschwindigkeit und Sicherheit der Entscheidung und Reaktion sowie die Belastbarkeit des Reaktionsverhaltens,

3.

Konzentrationsvermögen,

4.

Sensomotorik und

5.

Intelligenz und Erinnerungsvermögen.

...

Verkehrspsychologische Untersuchungsstellen

§ 19. (1) Eine verkehrspsychologische Stellungnahme darf nur von einer vom Bundesminister für Wissenschaft und Verkehr ermächtigten verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle abgegeben werden.

(2) Als verkehrspsychologische Untersuchungsstelle ist gemäß § 36 FSG eine Einrichtung oder eine Vereinigung von selbständigen Psychologen zu ermächtigen,

1. in der mindestens sechs Verkehrspsychologen (§ 20) tätig sind, die im Besitz einer gültigen Lenkberechtigung für die Klasse B sind, und

2. die in der Lage ist, verkehrspsychologische Untersuchungen in mehr als einem Bundesland gleichzeitig durchzuführen.

(3) ...

Ausbildung zum Verkehrspsychologen

§ 20. (1) Als Verkehrspsychologen tätig werden dürfen Personen, die

1. gemäß § 1 Psychologengesetz, BGBl. Nr. 360/1990, zur Führung der Berufsbezeichnung 'Psychologin' oder 'Psychologe' berechtigt sind und

2. besondere Kenntnisse und Erfahrungen in Verkehrspsychologie und dem Bereich der Unfallforschung durch eine mindestens 1600 Stunden umfassende Tätigkeit im Rahmen der Ausbildung in einer verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle, insbesondere in einer solchen, die gleichzeitig als Einrichtung gemäß § 6 Abs. 1 Psychologengesetz vom Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales in der Liste gemäß § 8 Abs. 4 leg. cit. geführt wird, nachweisen.

(2) Die Ausbildung zum Verkehrspsychologen hat mindestens 160 Stunden Theorie der Verkehrspsychologie (wie insbesondere Gefahrenlehre, Verkehrserziehung, Verkehrsrecht, Verkehrskonflikttechnik und Interaktion im Straßenverkehr, Diagnostik) zu enthalten sowie die Durchführung von mindestens 100 Explorationsgesprächen im Beisein eines Verkehrspsychologen. ...

Verfahren zur Genehmigung von Testverfahren und zur Ermächtigung von verkehrspsychologischen Untersuchungsstellen

§ 21. (1) Bei einem Antrag auf Genehmigung von Testverfahren für die verkehrspsychologische Untersuchung oder auf Ermächtigung als verkehrspsychologische Untersuchungsstelle hat sich der Bundesminister für Wissenschaft und Verkehr der sachverständigen Beratung einer Expertenkommission zu bedienen. ..."

Unter dem Gesichtspunkt der Verletzung von Verfahrensvorschriften macht der Beschwerdeführer zunächst geltend, er sei in seinem Recht auf Parteiengehör verletzt, weil ihm die verkehrspsychologische Stellungnahme nicht zur Kenntnisnahme übermittelt worden sei. Es sei ihm daher nicht möglich gewesen, ein verkehrspsychologisches Gegengutachten beizubringen. Dieses Vorbringen verhilft der Beschwerde schon deshalb nicht zum Erfolg, weil dem Beschwerdeführer nach der Aktenlage (Akt Seite 17) mit Schreiben der Erstbehörde vom 17. September 2002 das amtsärztliche Gutachten vom 27. August 2002 - das seinerseits ausdrücklich auf die verkehrspsychologische Stellungnahme vom 26. August 2002 verweist - übermittelt wurde und weil die Behörde in diesem Schreiben ausdrücklich darauf hinwies, dass der Beschwerdeführer innerhalb gesetzter Frist in den Akt bzw. das Gutachten Einsicht nehmen und sich dazu schriftlich äußern könne. Durch diese Aufforderung zur Akteneinsicht wurde das Parteiengehör des Beschwerdeführers gewahrt (vgl. die in Walter/Thienel, Verwaltungsvorschriften I2 unter E 457 f. zu § 45 AVG referierte hg. Judikatur).

Der Beschwerdeführer bringt gegen den angefochtenen Bescheid weiters vor, die belangte Behörde hätte ein fachärztliches Gutachten aus dem Bereich der Neurologie und Psychiatrie einholen müssen, aus dem sich ergeben hätte, dass er an keiner psychiatrischen oder neurologischen Erkrankung leide. Dabei übersieht der Beschwerdeführer, dass die belangte Behörde die Versagung der Lenkberechtigung gar nicht mit dem Vorliegen einer psychiatrischen bzw. neurologischen Erkrankung begründet hat.

Der Beschwerdeführer macht schließlich geltend, es sei der Rechtsordnung nicht zu entnehmen, unter welchen Voraussetzungen jemand geeignet sei, verkehrspsychologische Untersuchungen durchzuführen. Im Zeitpunkt der Bescheiderlassung sei nämlich "zu § 36 Abs. 2 Z. 2 FSG ... noch keine entsprechende Verordnung" des zuständigen Bundesministers erlassen gewesen, sodass die verkehrspsychologische Untersuchung im "rechtsfreien Raum" erfolgt sei.

Diesem Vorbringen ist zunächst zu entgegnen, dass § 36 Abs. 2 Z. 2 FSG (bloß) die sachliche Zuständigkeit des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie normiert, Ermächtigungen zur Durchführung verkehrspsychologischer Untersuchungen zu erteilen, aber keine Verordnungsermächtigung enthält. Soweit das genannte Beschwerdevorbringen auf die Verordnungsermächtigung des § 8 Abs. 6 Z. 3 FSG zur näheren Ausgestaltung der personellen und sachlichen Voraussetzungen für die Ermächtigung als verkehrspsychologische Untersuchungsstelle abzielt, übersieht der Beschwerdeführer, dass diese Voraussetzungen in den auszugsweise wiedergegebenen Verordnungsbestimmungen der §§ 19 bis 21 FSG-GV festgelegt wurden, sodass von einer verkehrspsychologischen Untersuchung im rechtsfreien Raum keine Rede sein kann.

Da dem angefochtenen Bescheid nach dem Gesagten die behauptete Rechtswidrigkeit nicht anhaftet, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht im Rahmen des gestellten Begehrens auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 23. Mai 2006

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2003110054.X00

Im RIS seit

22.06.2006
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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