TE Vwgh Erkenntnis 2006/6/8 2004/01/0323

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Veröffentlicht am 08.06.2006
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/01 Sicherheitsrecht;

Norm

SPG 1991 §89 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Pelant, Dr. Kleiser und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des FH in S, vertreten durch Dr. Wolfgang Rainer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schwedenplatz 2/74, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 12. Mai 2004, Zl. Senat-B-03-2003 und Senat-VB-03-2000, betreffend Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und Verletzung von Richtlinien (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres),

Spruch

I. den Beschluss gefasst:

Die Behandlung der Beschwerde wird, soweit sie sich auf die Spruchpunkte I. bis IV. des angefochtenen Bescheides bezieht, abgelehnt.

II. zu Recht erkannt:

Der angefochtene Bescheid wird in seinem Spruchpunkt V. wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde und in seinem Spruchpunkt VI. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

In dem vom Beschwerdeführer (gemeinsam mit den Beschwerdeführern zu den hg. Zlen. 2004/01/0322 und 2004/01/0324) beim Unabhängigen Verwaltungssenat im Land Niederösterreich am 17. September 2003 eingebrachten Schriftsatz - bezeichnet als "Beschwerde wegen § 67a Abs. 1 Z. 2 AVG, §§ 88 f. SPG" - beantragte der Beschwerdeführer, seine im Zuge einer Amtshandlung am 8. August 2003 in St. Pölten (im "Cafe Roma" und anschließend im Wachzimmer Rathaus) in der Zeit von 3.30 bis 5.30 Uhr erfolgte Festnahme (Punkt 1.) sowie die gegen ihn ausgeübte Gewaltanwendung (Punkt 2.) für rechtswidrig zu erklären und festzustellen, dass er durch näher bezeichnete Äußerungen eines Beamten sowie das "Augenverdrehen" und das "widerwillige Auf-den-Tisch-Knallen einer mit Wasser gefüllten Kaffeetasse" (Punkt 4.) sowie durch die Verwendung des Du-Wortes während der gesamten Amtshandlung (Punkt 5.) "in seinen Rechten verletzt" und letztlich "in seinem Recht auf Belehrung über seine Möglichkeit zur Verständigung bzw. Beiziehung eines Rechtsbeistandes verletzt" (Punkt 9.) worden sei.

Die belangte Behörde übermittelte eine Ablichtung dieses Schriftsatzes der Bundespolizeidirektion St. Pölten "hinsichtlich der Beschwerdepunkte 4 bis 9 zur weiteren Veranlassung gemäß § 89 SPG". Die Bundespolizeidirektion St. Pölten teilte dem Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 12. Dezember 2003 - zugestellt am 16. Dezember 2003 - mit, die Prüfung seines Beschwerdevorbringens habe ergeben, dass die Amtshandlung durch die einschreitenden Beamten insgesamt korrekt geführt worden und eine Verletzung von Richtlinien im Sinne der Richtlinien-Verordnung (RLV) nicht festzustellen sei.

Mit Schriftsatz vom 30. Dezember 2003 - eingelangt am selben Tage bei der belangten Behörde - beantragte der Beschwerdeführer (wiederum gemeinsam mit den Beschwerdeführern zu den hg. Zlen. 2004/01/0322 und 2004/01/0324) gemäß § 89 Abs. 4 SPG festzustellen, dass er im Hinblick auf näher bezeichnete Äußerungen eines Beamten sowie das "Augenverdrehen" und das "widerwillige Auf-den-Tisch-Knallen einer mit Wasser gefüllten Kaffeetasse" (Punkt 1.) sowie durch die Verwendung des Du-Wortes während der gesamten Amtshandlung (Punkt 2.) "in seinen Rechten verletzt" worden sei. Ein Antrag dahingehend eine Verletzung der RLV festzustellen, dass er nicht über die Möglichkeit zur Verständigung bzw. Beiziehung eines Rechtsbeistandes belehrt worden sei, war in diesem Schriftsatz jedoch nicht enthalten.

In der mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde am 8. März 2004 wurde (der im Akt aufliegenden Verhandlungsschrift zufolge) "mit den Parteien erörtert, dass hinsichtlich des

Beschwerdeführers ... die Beschwerdepunkte ... der Unterlassung

der Belehrung, einen Rechtsbeistand zuzuziehen, zu behandeln sind".

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 12. Mai 2004 erkannte die belangte Behörde wie folgt:

"I. Die Beschwerde, der Beschwerdeführer sei dadurch in seinem Recht auf persönliche Freiheit und Sicherheit verletzt worden, dass er zwischen 3.30 Uhr und 5.30 Uhr festgenommen worden sei, wird gemäß § 88 Abs. 1 SPG i.V.m. § 67c Abs. 3 AVG abgewiesen.

II. Die Beschwerde, der Beschwerdeführer sei dadurch in seinem Recht, keiner unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden, verletzt worden, dass ihm Schläge bzw. Tritte in die Genitalien und Schläge gegen den Oberkörper versetzt worden seien, wird gemäß § 88 Abs. 1 SPG i.V.m. § 67c Abs. 3 AVG abgewiesen.

III. Die Beschwerde, der Beschwerdeführer sei dadurch in seinem Recht auf Wahrung des Anscheins der Unvoreingenommenheit der einschreitenden Sicherheitswachebeamten verletzt worden, dass diese sein Lokal für andere Gäste wahrnehmbar als '(...)' bezeichnet hätten, im Wachzimmer für die anwesenden Personen wahrnehmbar gemeint hätten '(...)' sowie durch das Verabreichen von Wasser, welches ihm unter 'Augenverdrehen' in einer Kaffeetasse auf den Tisch 'geknallt' worden sei, wird gemäß § 89 Abs. 4 und 5 SPG i.V.m. § 67c Abs. 3 AVG als unzulässig zurückgewiesen.

IV. Die Beschwerde, der Beschwerdeführer sei durch die wiederholte Verwendung des Du-Wortes in seinem Recht, mit 'Sie' angesprochen zu werden, verletzt worden, wird gemäß § 89 Abs. 4 und 5 SPG i.V.m. § 67c Abs. 3 AVG abgewiesen.

V. Die Beschwerde, der Beschwerdeführer sei dadurch in seinem Recht auf Belehrung über die Möglichkeit auf Beiziehung eines Rechtsbeistandes verletzt worden, dass eine solche Belehrung trotz Festnahme bzw. trotz Dauer der Amtshandlung über eine Stunde nicht erfolgt sei, wird gemäß § 89 Abs. 4 und 5 SPG i.V.m. § 67c Abs. 3 AVG abgewiesen.

VI. Der Beschwerdeführer hat je zur Hälfte dem Bund und dem Land Niederösterreich gemäß § 79a AVG i.V.m. der UVS-Aufwandersatzverordnung 2003 binnen zwei Wochen ab Zustellung EUR 1.868,60 als Ersatz für den Vorlage-, Schriftsatz- und Verhandlungsaufwand bei sonstiger Exekution zu ersetzen."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Zu I.:

Gemäß Art. 131 Abs. 3 B-VG und § 33a VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung einer Beschwerde gegen einen Bescheid eines unabhängigen Verwaltungssenates durch Beschluss ablehnen, wenn die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wird, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Beschwerde wirft - soweit sie sich auf die Spruchpunkte I. bis IV. des angefochtenen Bescheides bezieht - keine für die Entscheidung dieses Falles maßgeblichen Rechtsfragen auf, denen im Sinne der zitierten Bestimmungen grundsätzliche Bedeutung zukäme. Gesichtspunkte, die dessen ungeachtet gegen eine Ablehnung der Beschwerdebehandlung in diesem Umfang sprechen würden, liegen nicht vor, zumal die im Einzelnen vorgenommene Prüfung des Beschwerdefalles - auch in beweismäßiger Hinsicht - keine vom Verwaltungsgerichtshof wahrzunehmende und für das Verfahrensergebnis entscheidende Fehlbeurteilung durch die belangte Behörde ergeben hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat daher beschlossen, die Behandlung der Beschwerde in dem im Spruch angeführten Umfang abzulehnen.

Zu II.:

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Der Beschwerdeführer bringt zu Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides vor, er habe zwar noch im Schriftsatz vom 16. September 2003 die Verletzung von § 8 Abs. 1 RLV behauptet, seine Richtlinienbeschwerde in diesem Punkt jedoch nach Einlangen der Stellungnahme der Dienstaufsichtsbehörde im Antrag vom 30. Dezember 2003 "abgezogen". Die belangte Behörde sei daher insofern mangels eines entsprechenden Antrages nicht zuständig gewesen.

Die belangte Behörde bringt hiezu in ihrer Gegenschrift vor, in der mündlichen Verhandlung am 8. März 2004 sei mit dem Beschwerdeführer erörtert worden, dass auch die Unterlassung der Belehrung über die Möglichkeit der Beiziehung eines Rechtsbeistandes Gegenstand der Prüfung sein solle. Auch habe der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers ausdrücklich entsprechende Fragen gestellt, sodass nicht daran zu zweifeln sei, dass nach dem Willen des Beschwerdeführers auch dieser Punkt Prozessgegenstand gewesen sei.

Dem entgegnet der Beschwerdeführer in einer Äußerung gemäß § 36 Abs. 8 VwGG, es sei tatsächlich eingangs der mündlichen Verhandlung der Prozessgegenstand erörtert worden, jedoch sei der in Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides entschiedene Beschwerdepunkt dabei unerwähnt geblieben. Die Fragestellung des Beschwerdeführer-Vertreters nach der Verständigung des Beschwerdeführers über seine Rechte sei im Hinblick auf die auch verfahrensgegenständliche Festnahme bedeutsam gewesen.

2. Bezüglich der im Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides getroffenen Entscheidung ist unstrittig, dass der Beschwerdeführer kein ausdrückliches Entscheidungsverlangen nach § 89 Abs. 4 SPG gestellt hat und insoweit von seiner Aufsichtsbeschwerde an die Dienstaufsichtsbehörde gemäß § 89 Abs. 1 SPG in diesem Punkt abgewichen ist.

Fehlt es an einem Entscheidungsverlangen nach § 89 Abs. 4 SPG, so kommt dem unabhängigen Verwaltungssenat überhaupt keine Entscheidungskompetenz zu. Insbesondere ist er nicht berufen, eine Zurückweisung auszusprechen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 7. Oktober 2003, Zl. 2002/01/0278, mwN).

Wenn sich die belangte Behörde im vorliegenden Fall auf die Erörterung des Prozessgegenstandes zu Beginn der in der mündlichen Verhandlung beruft, so ändert dies nichts daran, dass § 89 Abs. 4 SPG ein schriftliches Entscheidungsbegehren voraussetzt (vgl. auch hiezu das zitierte hg. Erkenntnis vom 7. Oktober 2002), welches nicht durch ein allfälliges mündliches Vorbringen oder - wie von der belangten Behörde behauptet - konkludent durch den "Willen des Beschwerdeführers" ersetzt werden kann.

Da somit der Ausspruch in Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides ohne entsprechenden Antrag erfolgte, war der angefochtene Bescheid in diesem Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben.

3. Davon ausgehend kann auch die Kostenentscheidung, welcher die belangte Behörde auch die oben angeführte Richtlinienverletzung als Gegenstand des Verfahrens zu Grunde gelegt hat, nicht Bestand haben.

Der angefochtene Bescheid war daher in seinem Spruchpunkt VI. gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

4. Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 8. Juni 2006

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2004010323.X00

Im RIS seit

26.07.2006

Zuletzt aktualisiert am

10.10.2013
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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