TE Vwgh Erkenntnis 2006/6/27 2004/05/0099

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Veröffentlicht am 27.06.2006
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Index

L37151 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Burgenland;
L82001 Bauordnung Burgenland;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

ABGB §1294;
AVG §39 Abs2;
AVG §76 Abs2;
BauG Bgld 1997 §25 Abs1;
BauG Bgld 1997 §25;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Kail, Dr. Pallitsch, Dr. Hinterwirth und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gubesch, über die Beschwerde der Marktgemeinde Großpetersdorf, vertreten durch Rechtsanwälte Steflitsch OEG in 7400 Oberwart, Hauptplatz 14, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Oberwart vom 17. März 2004, Zl. 02/04- 73, betreffend Barauslagen in einem Bauverfahren (mitbeteiligte Parteien: 1. Erwin Wallner, 2. Emilie Wallner, beide in Großpetersdorf, beide vertreten durch Dr. Günther Bernhart und Dr. Gerhard Pail, Rechtsanwälte in 7400 Oberwart, Evangelische Kirchengasse 2), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Burgenland hat der beschwerdeführenden Gemeinde Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Bürgermeister der beschwerdeführenden Gemeinde erteilte mit Bescheid vom 16. Jänner 2002 den Bauwerbern Ing. R.H. und Mag. A.H. die Bewilligung zur Errichtung eines Einfamilienhauses auf dem Grundstück Großpetersdorf, Siebensterngasse 10a. Die Mitbeteiligten, denen das seitlich benachbarte Grundstück Siebensterngasse 12a gehört, hatten Einwendungen erhoben; im Baubescheid wurde festgelegt, dass der Abstand zur linken Grundgrenze (zu den Mitbeteiligten) nicht weniger als 1,50 m betragen dürfe. Berufung und Vorstellung der Mitbeteiligten gegen die Baubewilligung blieben erfolglos.

Mit Schreiben vom 1. Juli 2003 zeigten die Mitbeteiligten der Baubehörde an, dass die Abstände vom Bauwerk zu ihrer gemeinsamen Grundstücksgrenze offensichtlich nicht eingehalten werden können, weil demnächst eine Vollwärmeschutzfassade zur Ausführung komme. Nach Fertigstellung dieser Arbeiten werde das Gebäude ca. 15 cm über die von der Baubehörde festgelegte Baulinie hinausragen. Es werde um entsprechende Veranlassung ersucht, dass die Baulinie strikt eingehalten werde. Darauf teilte die Baubehörde den Mitbeteiligten mit Schreiben vom 29. Juli 2003 mit, dass die Bauträger (gemäß § 2 Abs 6 Bgld BauG ist Bauträger, in wessen Auftrag und auf wessen Kosten Bauvorhaben ausgeführt werden) erklärt hätten, sie würden den Seitenabstand exakt einhalten.

In einem Schreiben vom 12. August 2003, gerichtet an die Bauträger (welches der Baubehörde erst anlässlich der späteren Berufung vorgelegt worden war), rügten die Mitbeteiligten ausdrücklich, dass der Abstand zwischen der Grundstücksgrenze und dem nicht verputzten Neubau derzeit 1,50 m betrage.

Mit Schreiben an die Baubehörde vom 15. Oktober 2003 wiederholten die Mitbeteiligten, nunmehr rechtsfreundlich vertreten, ihren Standpunkt, dass der festgelegte Abstand nicht eingehalten werde. Wörtlich wurde ausgeführt:

"Namens und Auftrags meiner Mandanten habe ich Sie daher als Baubehörde erster Instanz von der Verletzung des Baubescheides durch die Anrainer Ing. R. und Mag. A.H. in Kenntnis zu setzen und darf davon ausgegangen werden, dass sie als Baubehörde erster Instanz Veranlassung treffen, damit der gesetzmäßige Zustand wiederhergestellt werde."

In der Ladung zur Verhandlung vom 6. November 2003, gerichtet an die Bauträger und an die Mitbeteiligten, nahm die Baubehörde Bezug auf das Schreiben vom 15. Oktober 2003 und gab bekannt, dass zwecks Abklärung dieses Umstandes im Zuge eines Auftragsverfahrens der genaue Grenzverlauf und der Abstand des Neubaues von Dipl. Ing. E. festgestellt werde. Über die Tragung der Kosten des Verfahrens, die sich auf voraussichtlich EUR 1.000,-- belaufen würden, werde gemäß § 76 AVG nach Abschluss der mündlichen Verhandlung und Vorliegen eines entsprechenden vermessungstechnischen Gutachtens entschieden werden.

Diese Ladung stammt vom 23. Oktober 2003; mit Schreiben vom selben Tag beauftragte die Baubehörde den Ingenieurkonsulenten für Vermessungswesen, Dipl. Ing. E., den genauen Grenzverlauf zwischen den Grundstücken der Bauträger und der Mitbeteiligten sowie den Abstand des Neubaues vermessungstechnisch festzustellen und darüber eine schriftliche Stellungnahme mit Plandarstellung anzufertigen.

Anlässlich der Verhandlung vom 6. November 2003 wurde das Gutachten des Dipl. Ing. E. vom selben Tag erörtert. Nach diesem Gutachten beträgt der Abstand des Neubaues zur Grundgrenze 1,61 m (Nordwest-Ecke) bis 1,64 m (Nordost-Ecke). Der bei der Verhandlung anwesende Bausachverständige erklärte, dass das Aufbringen mit einer Wärmedämmung von 10 cm plus 0,5 cm Abrieb entsprechend dem rechtskräftigen Baubewilligungsbescheid möglich sei.

Der anwesende Vertreter der Bauträger erklärte, dass die Mitbeteiligten unbegründet die heutige Amtshandlung bzw. das Auftragsverfahren verschuldet hätten, weshalb ausdrücklich gemäß § 76 AVG der Antrag gestellt werde, ihnen sämtliche Kosten der Amtshandlung, insbesondere die Kosten der beigezogenen Sachverständigen, aufzuerlegen. Die Mitbeteiligten erwiderten, die von der Baubehörde veranlasste Festlegung des Grenzverlaufes zum jetzigen Zeitpunkt, in welchem die Vollwärmeschutzfassade noch nicht aufgetragen sei, diene offensichtlich der Baubehörde und den Bauträgern zur Abklärung, ob und in welcher Stärke eine Vollwärmeschutzfassade aufgebracht werden könne.

Mit Bescheid vom 18. November 2003 stellte der Bürgermeister der beschwerdeführenden Gemeinde fest (Spruchpunkt I), dass der Abstand des mit Bescheid vom 16. Jänner 2002 bewilligten Neubaues im Ausmaß von 1,50 m eingehalten werde. Mit Spruchpunkt II wurden die Mitbeteiligten zur Tragung der im Einzelnen angeführten Kosten, und zwar für die Ausstellung des Bescheides in Höhe von EUR 7,30, für Kommissionsgebühren in Höhe von EUR 43,60, für die Tätigkeit des vermessungstechnischen Sachverständigen in Höhe von EUR 1.128,-- und für die Tätigkeit des Bausachverständigen in Höhe von EUR 144,--, insgesamt daher in Höhe von EUR 1.322,90 verpflichtet.

Begründet wurde dieser Spruchteil damit, dass die Mitbeteiligten den verfahrenseinleitenden Antrag gestellt hätten und darüber hinaus auch dann zur Kostentragung verpflichtet wären, wenn die Amtshandlung von Amts wegen angeordnet worden wäre, da die Auslagen durch das Verschulden der Mitbeteiligten herbei geführt worden seien.

Gegen den Spruchpunkt II. dieses Bescheides richtete sich die Berufung der Mitbeteiligten. Darin wird ein Verschulden der Mitbeteiligten an der Durchführung der Amtshandlung in Abrede gestellt und wiederholt, dass durch die Vornahme dieser Amtshandlung erhoben werden sollte, ob und in welcher Stärke eine Vollwärmeschutzfassade aufgebracht werden könne, ohne dass gegen den Baugenehmigungsbescheid verstoßen werde. Es sei von den Mitbeteiligten auch eine einvernehmliche Lösung mit den Bauträgern angestrebt worden. Es wird die ersatzlose Aufhebung der Kostenersatzpflicht begehrt.

Der Gemeinderat der beschwerdeführenden Gemeinde wies mit Bescheid vom 2. Februar 2004 diese Berufung als unbegründet ab. In der Begründung wird auf § 76 Abs. 2 AVG und den dort verwendeten Begriff des "Verschuldens" verwiesen und ausgeführt, die Baubehörde habe die Kostentragungspflicht der Mitbeteiligten auf Grund der eindeutigen Aktenlage erkannt. Nachdem die Mitbeteiligten die Einhaltung des Abstandes immer wieder bestritten hätten, jedoch trotz mehrmaliger Vermittlungsversuche seitens der Baubehörde keinen nachvollziehbaren Nachweis für ihre Behauptung erbracht hätten, sei es der Baubehörde nicht anders möglich gewesen, die Situation eindeutig abzuklären, als durch die Anberaumung einer baukommissionellen Verhandlung unter Beiziehung eines vermessungstechnischen Amtssachverständigen. § 25 des Burgenländischen Baugesetzes erzwinge ein rasches Handeln. Da die Mitbeteiligten bis zum 23. Oktober 2003 keinen sachlichen Beweis ihrer Behauptungen hinsichtlich der Verletzung von Abstandsvorschriften erbracht hätten und eine eindeutige Aufforderung an die Baubehörde ergangen sei, sei kein anderes Vorgehen denkbar gewesen.

In ihrer dagegen erhobenen Vorstellung führten die Mitbeteiligten aus, es sei auch aus dem Berufungsbescheid nicht erkennbar, aus welchen Gründen sie die Amtshandlung verschuldet hätten. Es stelle sich die Frage, aus welchen Gründen und zu welcher Thematik auch ein Bausachverständiger beigezogen worden sei; es sei geradezu erwiesen, dass die von der Baubehörde vorgenommene Überprüfung der Grenzlinie nur der Klärung dienen sollte, ob und in welcher Stärke eine Vollwärmeschutzfassade aufgebracht werden kann.

Mit dem angefochtenen Bescheid hob die belangte Behörde den Berufungsbescheid auf und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Gemeinde. Das Begehren der Mitbeteiligten habe darauf abgezielt, die Einhaltung der festgestellten Abstandsvorschriften für den Seitenabstand auf ihrer Seite zu überprüfen. Eine solche Überprüfung sei sinnvoller Weise erst nach Fertigstellung des Baues vorzunehmen. Am 6. November 2003 sei das Einfamilienhaus noch nicht fertiggestellt gewesen, an der Außenmauer war die Fassade noch nicht angebracht und die Ziegelmauer noch nicht verputzt. Der endgültige Abstand war daher nicht feststellbar, feststellbar war lediglich der Abstand zwischen Grundgrenze und Ziegelkante. Eine solche Feststellung hätten die Mitbeteiligten aber nicht begehrt. Sie seien selbst davon ausgegangen, dass die Entfernung zwischen Grundgrenze und Ziegelkante in der Abstandsvorschrift Deckung finde. Für das durchgeführte Verfahren, in dem im Wesentlichen nur eine von den Mitbeteiligten nie begehrte und nie in Zweifel gezogene Tatsache festgestellt worden sei, nämlich dass die Abstandsvorschrift durch die Entfernung zwischen Grundgrenze und Ziegelkante nicht verletzt werde, hätten die Mitbeteiligten nicht den verfahrenseinleitenden Antrag gestellt. Ihr Begehren sei vielmehr offen und unerledigt. Daher komme eine Pflicht ihrerseits zur Tragung der Kosten des abgeführten Verfahrens nicht in Betracht.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde gemäß Art. 119a Abs. 9 B-VG. Die beschwerdeführende Gemeinde beantragt die Aufhebung des Vorstellungsbescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete, wie auch die Mitbeteiligten, eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 75 Abs. 1 AVG sind, sofern sich aus den folgenden Bestimmungen nicht anderes ergibt, die Kosten für die Tätigkeit der Behörden im Verwaltungsverfahren von Amts wegen zu tragen. Die Absätze (1) und (2) des § 76 AVG lauten:

"§ 76. (1) Erwachsen der Behörde bei einer Amtshandlung Barauslagen, so hat dafür, sofern nach den Verwaltungsvorschriften nicht auch diese Auslagen von Amts wegen zu tragen sind, die Partei aufzukommen, die den verfahrenseinleitenden Antrag gestellt hat. Als Barauslagen gelten auch die Gebühren, die den Sachverständigen und Dolmetschern zustehen. Kosten, die der Behörde aus ihrer Verpflichtung nach § 17a erwachsen, sowie die einem Gehörlosendolmetscher zustehenden Gebühren gelten nicht als Barauslagen. Im Falle des § 52 Abs. 3 hat die Partei für die Gebühren, die den nichtamtlichen Sachverständigen zustehen, nur soweit aufzukommen, als sie den von ihr bestimmten Betrag nicht überschreiten.

(2) Wurde jedoch die Amtshandlung durch das Verschulden eines anderen Beteiligten verursacht, so sind die Auslagen von diesem zu tragen. Wurde die Amtshandlung von Amts wegen angeordnet, so belasten die Auslagen den Beteiligten dann, wenn sie durch sein Verschulden herbeigeführt worden sind."

Rechtsgrundlage der hier kostenauslösenden Amtshandlung war § 25 Burgenländisches Baugesetz (BauG). Diese Bestimmung lautet:

"§ 25

Bauüberprüfung durch Organe der Baubehörde

(1) Die Baubehörde kann sich von der vorschrifts- und bewilligungsgemäßen Bauausführung jederzeit durch Besichtigungen überzeugen. Besteht der begründete Verdacht einer Übertretung, hat die Baubehörde eine Bauüberprüfung vorzunehmen.

(2) Den Organen der Baubehörde ist zur Vornahme der Überprüfungen jederzeit der Zutritt zum Bau zu gewähren. Auch sind auf Verlangen alle Auskünfte über die Bauausführung zu erteilen."

Diese Bestimmung hat, wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 19. März 2002, Zl. 2002/05/0004, ausgesprochen hat, vordringlich die Gewährleistung der Einhaltung der Bauvorschriften während der Bauausführung im Auge. § 25 Abs. 1 BauG richtet sich an die Behörde; wenn der begründete Verdacht einer Übertretung besteht, hat die Baubehörde eine Bauüberprüfung vorzunehmen. Eine diesbezügliche Antragslegitimation einer Partei, insbesondere eines Nachbarn, kann dieser Bestimmung nicht entnommen werden. Ein begründeter Verdacht einer Übertretung kann sich aber auf Grund einer Anzeige oder einer nicht von vornherein als mutwillig zu erkennenden Mitteilung eines Dritten (meist Nachbarn) ergeben (Pallitsch/Pallitsch, Burgenländisches Baurecht2, 352).

Die hier vorgenommene Amtshandlung wurde, wie sich auch aus der Ladung ergibt, in der der Charakter eines "Auftragsverfahrens" hervorgehoben wurde, nicht auf Grund eines Antrages, sondern von Amts wegen angeordnet. Damit kommt für die hier zu beurteilende Frage allein der zweite Satz des § 76 Abs. 2 AVG zur Anwendung. Auf Grund einer Anzeige bzw. Mitteilung, die nicht von vornherein als mutwillig zu erkennen war, hat die Baubehörde die im § 25 vorgesehene Überprüfung vorgenommen; wären bei dieser Überprüfung Mängel festgestellt worden, so hätte sie gemäß § 26 BauG deren Behebung innerhalb angemessener Frist anordnen, im Falle der Nichtbefolgung die Herstellung des vorschriftsmäßigen oder konsensmäßigen Zustandes oder die teilweise oder gänzliche Beseitigung des Baues verfügen müssen.

Wenn der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung ausgeführt hat, dass dann, wenn die Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht notwendig war, die Partei gemäß § 76 AVG für die Kosten des Gutachtens selbst dann nicht aufzukommen hat, wenn sie die Aufnahme des Sachverständigenbeweises beantragt hat (hg. Erkenntnis vom 28. Juni 1994, Zl. 94/05/0058 m.w.N.), dann muss dies umso mehr für den Fall gelten, dass es zur (nicht notwendigen) Amtshandlung bzw. Beweisaufnahme in einem amtswegigen Verfahren gekommen ist.

Dies trifft hier nicht zu:

Eine Notwendigkeit der hier erfolgten Beweisaufnahme und der durchgeführten Verhandlung ist auf Grund der sich aus § 25 Abs. 1 zweiter Satz BauG ergebenden Verpflichtung der Behörde jedenfalls zu bejahen. Auf Grund der Erklärung der Mitbeteiligten bestand der Verdacht, dass bereits der Rohbau an der festgelegten 1,50 m Grenze ausgeführt wird; da eine konsensgemäße Ausführung des am 16. Jänner 2002 bewilligten Vorhabens jedenfalls nicht unverputzte Außenmauern beinhaltete, war auch der weitere von den Mitbeteiligten in ihrem Schreiben vom 1. Juli 2003 aufgezeigte Verdacht begründet, dass das Gebäude nach Fertigstellung die von der Baubehörde festgelegte Baulinie um 15 cm überragen würde. Um dies im Rahmen einer Überprüfung nach § 25 BauG aufzuklären, war aber die Feststellung des exakten Grenzverlaufes ebenso notwendig, wie auch die Klärung der Frage, ob auf Grund des festgestellten Grenzverlaufes in Anbetracht des festgelegten Seitenabstandes eine konsensgemäße Ausführung möglich ist. Für die nach § 25 Abs. 1 zweiter Satz BauG verpflichtend vorgeschriebene Überprüfung war daher die erfolgte Beweisaufnahme notwendig.

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass bei Prüfung der Frage, ob ein Verschulden im Sinne des § 76 Abs. 2 AVG vorliegt, vom Verschuldensbegriff des § 1294 ABGB auszugehen ist, dass also ein Verschulden des Beteiligten nur dann anzunehmen ist, wenn ihn zumindest der Vorwurf trifft, dass er es an der gehörigen Aufmerksamkeit oder dem gehörigen Fleiß habe fehlen lassen (siehe die Nachweise bei Walter-Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, 1708; zuletzt hg. Erkenntnis vom 20. Dezember 2005, Zl. 2001/04/0100).

Bei Beurteilung der Frage, ob es die Mitbeteiligten bei ihrer Anzeige an der gehörigen Aufmerksamkeit haben fehlen lassen, spielt im Besonderen der Umstand eine Rolle, dass sie eine Abstandsverletzung von (bloß) 15 cm behauptet haben. Ein derartiger Vorwurf ist aber nur verifizierbar, wenn der Grenzverlauf eindeutig feststeht. Es hätten sich also die Mitbeteiligten selber zunächst Gewissheit über den Grenzverlauf verschaffen müssen, bevor sie ein Einschreiten der Baubehörde auf Grund ihrer Behauptung forderten, wozu erschwerend die Nachhaltigkeit ihres Begehrens, wie aus dem oben wiedergegebenen Anwaltsschreiben vom 15. Oktober 2003 ersichtlich, kommt. Hauer (Der Nachbar im Baurecht5, 225) verweist eindringlich auf strafrechtliche Sanktionen, denen ein Bürgermeister ausgesetzt ist, der seine Amtspflichten auf Grund von Anzeigen von Nachbarn nicht erfüllt. Dies bedeutet aber andererseits, dass vom Nachbarn, bevor er eine solche Anzeige erstattet, eine entsprechende Sorgfalt bei den von ihm aufgestellten Sachbehauptungen gefordert werden muss. Hätten sich die Mitbeteiligten über den wahren Grenzverlauf Gewissheit verschafft, dann wäre es zur Anzeige und damit zum Einschreiten der Behörde im Rahmen des § 25 BauG nicht gekommen. Die Gemeindebehörden haben daher zu Recht ein Verschulden der Mitbeteiligten und damit deren Kostentragungspflicht angenommen.

Der belangten Behörde lagen anlässlich ihrer Entscheidung nicht nur die Schreiben vom 1. Juli 2003 und vom 15. Oktober 2003, sondern auch das Schreiben vom 12. August 2003 vor. Daraus ergab sich eindeutig der Verdacht einer Übertretung; davon, wie im angefochtenen Bescheid angeführt, dass im Verfahren im Wesentlichen nur eine von den Vorstellungswerbern nie begehrte und nie in Zweifel gezogene Tatsache festgestellt worden wäre, kann somit keine Rede sein. Vielmehr war die Baubehörde verpflichtet, auf Grund dieses Verdachtes einzuschreiten; indem die belangte Behörde schon die Notwendigkeit der Amtshandlung in Abrede stellte und damit das Verschulden der Mitbeteiligten keiner Überprüfung unterzog, belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 27. Juni 2006

Schlagworte

Besondere RechtsgebieteIndividuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2004050099.X00

Im RIS seit

28.07.2006

Zuletzt aktualisiert am

10.08.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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