TE Vwgh Beschluss 2006/6/27 2006/05/0045

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Veröffentlicht am 27.06.2006
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

VwGG §26 Abs1 Z1;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §46 Abs1;
ZustG §4;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Pallitsch und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gubesch, über den Antrag der Josefine Hofbauer in Wien, vertreten durch Dr. Susanne Tichy-Scherlacher, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Wipplingerstraße 3, 1. auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Verwaltungsgerichtshofsbeschwerde gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 17. August 2005, Zl. RU1-BR-240/001-2004, betreffend Baubewilligung und Bauauftrag, und 2. über die Beschwerde gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 17. August 2005, Zl. RU1-BR-240/001-2004, betreffend Baubewilligung und Bauauftrag, den Beschluss gefasst:

Spruch

1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.

2. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde Gerasdorf bei Wien vom 15. März 1989 wurde die Baubewilligung zur Aufstellung eines Würstelstandes auf dem Grundstück Nr. 3000/3 der KG Gerasdorf erteilt. Mit Bescheid desselben Bürgermeisters vom 17. Dezember 1997 wurde der Beschwerdeführerin die baubehördliche Bewilligung für den Neubau eines Würstelstandes auf diesem Grundstück erteilt. Hierbei handelt es sich auf Grund der einen integrierenden Bestandteil dieses Bescheides bildenden Antragsbeilagen um einen Zubau (Windfang) zu dem mit Bescheid vom 15. März 1989 behördlich bewilligten Würstelstand.

Mit Eingabe vom 3. Februar 2004 ersuchte die Beschwerdeführerin um die "nachträgliche Genehmigung für die Errichtung eines (weiteren) Zubaues an meinem bereits bestehenden Imbissstand am Grundstück 2254/272 und 3000/3, EZ 3769, KG Gerasdorf, an der Leopoldauerstraße, 2201 Gerasdorf bei Wien".

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom 3. Februar 2004 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 35 Abs. 2 Z. 3 und § 23 Abs. 1 NÖ Bauordnung 1996 angeordnet, dass der "an den bestehenden Würstelstand ... angebaute Zubau ... abzubrechen" ist (Spruchpunkt II.).

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde die dagegen erhobene Berufung der Beschwerdeführerin als unbegründet abgewiesen und der erstinstanzliche Bescheid insofern abgeändert, als für den Spruchpunkt II. (Abbruch) die Erfüllungsfrist mit drei Monaten ab Rechtskraft dieses Bescheides neu festgesetzt worden ist.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin am 15. November 2005 Beschwerde; diese Beschwerde ist beim Verwaltungsgerichtshof zur Zahl 2005/05/0321 protokolliert. Nach den Angaben in der Beschwerde wurde der angefochtene Bescheid am 5. Oktober 2005 zugestellt.

In ihrer Gegenschrift führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführerin der angefochtene Bescheid bereits im August 2005 und zwar durch Hinterlegung am 19. August 2005 zugestellt worden sei. Die Beschwerde sei daher verspätet.

Die Gegenschrift wurde der Vertreterin der Beschwerdeführerin am 8. Februar 2006 zugestellt.

Mit dem am 22. Februar 2006 beim Verwaltungsgerichtshof überreichten Schriftsatz vom 21. Februar 2006 beantragte die Beschwerdeführerin die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Verwaltungsgerichtshofsbeschwerde. Sie begründete diesen Antrag wie folgt:

Die Beschwerdeführerin habe erstmals mit der Zustellung der Gegenschrift davon Kenntnis erhalten, dass der angefochtene Bescheid durch Hinterlegung an ihrer Wohnadresse in Wien, Doderergasse 2-4/3/1, erfolgt sein soll. Sie habe vor der "hier als fristauslösend bezeichneten" Zustellung an ihrer Geschäftsadresse in Gerasdorf bei Wien keine Kenntnis vom angefochtenen Bescheid erlangt; auch sei ihr kein Umstand bekannt geworden, wonach eine diesbezügliche Zustellung erfolgt sein sollte. Weder habe sie im Zeitpunkt der behaupteten Hinterlegung (August 2005) noch davor noch danach in dem Postkasten an ihrer Wohnadresse eine nach dem Zustellgesetz gebotene Benachrichtigung vorgefunden; von den angeblichen Zustellversuchen oder einer erfolgten Hinterlegung habe sie keine Kenntnis erlangt. Wenn die Zustellung per 5. Oktober 2005 an der Geschäftsadresse nur deklarative Wirkung gehabt haben sollte, sei es für sie nicht nachvollziehbar, weshalb eine weitere Zustellung (angeblich nochmals mit RSb) erfolgt sei. Zudem sei es notorisch, dass in der Urlaubszeit die Zustellung oft durch Urlaubsvertretungsorgane der Post erfolge, sodass mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen sei, dass das Zustellorgan durch einen Irrtum und mangelnde Ortskenntnis die Benachrichtigung über einen Zustellversuch bzw. eine Hinterlegungsanzeige nicht oder jedenfalls nicht in dem richtigen Brieffach deponiert habe. Sollte sich jedoch herausstellen, was die Beschwerdeführerin aus ihrer Sicht nahezu ausschließe, dass die genannten Benachrichtigungen in ihrem Postbrieffach ordnungsgemäß deponiert worden seien, so könnten diese nur unter die Flut von Reklamematerial geraten sein, sodass sie versehentlich entsorgt worden seien. Der Beschwerdeführerin sei ein solches Versehen bisher noch nie unterlaufen; sie gehe mit ihrer Post außerordentlich sorgsam um. Sie habe den gegenständlichen Bescheid nach Erhalt auch umgehend, nämlich bereits am darauf folgenden Tag, an ihre hier einschreitende Anwältin zur weiteren Bearbeitung übermittelt, sodass davon auszugehen sei, dass sie ihre Unterlagen mit extremer Sorgfalt behandle. Soweit eine wirksame Zustellung durch Hinterlegung per 19. August 2005 an der Wohnadresse Doderergasse 2-4/3/1 in Wien tatsächlich erweislich sein sollte, sei die Beschwerdeführerin daher durch ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis, nämlich offensichtlich durch ein Versehen des Zustellorgans, an der Behebung und Kenntnisnahme des angefochtenen Bescheides und damit an der rechtzeitigen Einbringung einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof gehindert gewesen. Selbst wenn ein Versehen im Bereich der Beschwerdeführerin liegen sollte, was aus derzeitiger Sicht auszuschließen sei, sei dieses jedenfalls als geringfügig zu qualifizieren.

Mit gleichem Schriftsatz erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde gegen den schon zur hg. Zl. 2005/05/0321 angefochtenen Bescheid.

Über Aufforderung durch den Verwaltungsgerichtshof gab die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 20. März 2006 bekannt, dass der Briefkasten an der Wohnadresse Doderergasse 2-4/3/1 in Wien im August 2005 täglich entleert worden sei. Die Entleerung des Briefkastens sei entweder durch sie selbst oder ihren im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegatten erfolgt. Im Laufe der letzten zwei bis drei Jahre seien mehrere Zustellorgane mit der Zustellung befasst gewesen. Ihr Ehemann sei im Wohnhaus als Hausbesorger tätig. Es sei bereits mehrmals - auch bei anderen Hausparteien - vorgekommen, dass in das Postfach falsche Briefe eingeordnet worden seien.

Die belangte Behörde führte in ihrer Stellungnahme vom 5. Mai 2006 aus, dass von ihr "als eine Art Bürgerservice" ein Dokument so lange zugestellt werde bis die Partei das Dokument tatsächlich in den Händen halte. Dies werde insbesondere in einem Abbruchverfahren praktiziert, zumal die jetzt aufgetretenen Probleme der Zustellung spätestens im Vollstreckungsverfahren zu klären wären. Im gegenständlichen Fall sei daher der angefochtene Bescheid zuerst an die von der Beschwerdeführerin in ihrer Berufung angegebene Adresse nachweislich zugestellt worden und, nachdem dieser als nicht behoben retour gekommen sei, sodann "als Service" nochmals an die der belangten Behörde bekannte Geschäftsadresse der Beschwerdeführerin nachweislich zugestellt worden, damit die Beschwerdeführerin vom Vollstreckungsverfahren nicht überrascht werden könne.

Aus den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakten wird festgestellt, dass der erstinstanzliche Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung vom 31. August 2004 an die Beschwerdeführerin unter ihrer Wohnadresse in 1210 Wien, Doderergasse 2-4/3/1, gerichtet ist. Der angefochtene Bescheid hingegen wurde der Beschwerdeführerin durch Hinterlegung am 18. August 2005 an der Anschrift "1210 Wien, Doderergasse 11/1" (so die Bezeichnung der Anschrift der Beschwerdeführerin auf dem Zustellformular 4/2 zu § 22 des Zustellgesetzes) "zugestellt". Auf dem RSb-Zustellschein ist vom Zustellorgan vermerkt: "Zustellversuch am 18. August 2005; Verständigung über die Hinterlegung in den Briefkasten eingelegt. Hinterlegung beim Postamt 1217, Beginn der Abholfrist 19.8.2005".

Über Aufforderung mit hg. Verfügung vom 30. Mai 2006 gab die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 31. Mai 2006 bekannt, dass sie sich an der Anschrift 1210 Wien, Doderergasse 11/1, niemals aufgehalten habe, vielmehr immer an der Adresse Doderergasse 2- 4/3/1 wohnhaft gewesen sei. Diese Adresse habe sie auch regelmäßig angegeben; hierbei handle es sich auch um ihre Meldeadresse. Sollte sie in einem Schriftstück die Adresse Doderergasse 11 angegeben haben, so könne es sich nur um einen Schreibfehler handeln. Eine Hinterlegung an dieser Anschrift sei jedenfalls unzulässig gewesen.

Die belangte Behörde nahm hiezu mit Schriftsatz vom 20. Juni 2006 Stellung.

Eine telefonische informative Befragung des Zustellorganes ergab, dass der Zusteller im August 2005 als Ferialpraktikant und zwar als "Springer" tätig gewesen ist. Seine Tätigkeit erstreckte sich über zwei Monate. In diesem Zeitraum wurde er bei verschiedenen Postämtern als Zusteller eingesetzt. An den hier zu beurteilenden Zustellvorgang könne er sich nicht mehr erinnern.

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Auf Grund des vorliegenden Sachverhaltes steht fest, dass der angefochtene Bescheid nicht - wie von der belangten Behörde behauptet - am 18. August 2005 an der Wohnadresse der Beschwerdeführerin zugestellt worden ist. An der im Zustellschein angegebenen Adresse "Doderergasse 11/1" in 1210 Wien war die Beschwerdeführerin zum maßgeblichen Zeitpunkt - folgt man den glaubwürdigen Angaben im Schriftsatz vom 31. Mai 2006 - nicht wohnhaft.

Der vorliegende Sachverhalt bietet keinen stichhaltigen Anhaltspunkt dafür, dass die im Zustellschein angeführte Adresse im August 2005 eine Abgabestelle im Sinne des § 4 Zustellgesetz war, an der der angefochtene Bescheid der Beschwerdeführerin hätte zugestellt werden dürfen.

Am 18. August 2005 erfolgte sohin keine rechtswirksame Zustellung des angefochtenen Bescheides an die Beschwerdeführerin. Eine solche erfolgte vielmehr erst am 5. Oktober 2005. Die am 15. November 2005 persönlich überreichte und zur hg. Zahl 2005/05/0321 protokollierte Beschwerde ist daher innerhalb der sechswöchigen Beschwerdefrist gemäß § 26 Abs. 1 Z. 1 VwGG erhoben worden.

Da der von der Beschwerdeführerin behauptete Wiedereinsetzungsgrund nicht vorliegt, war der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abzuweisen.

Die neuerliche Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid (Zl. 2006/05/0046) war, da der Verwaltungsgerichtshof in der beschwerdegegenständlichen Angelegenheit mit der zur hg. Zl. 2005/05/0321 protokollierten Beschwerde angerufen worden ist, wegen Verbrauchs des Beschwerderechtes gemäß § 34 Abs. 1 VwGG mangels Berechtigung zur Erhebung ohne weiteres Verfahren als unzulässig zurückzuweisen.

Wien, am 27. Juni 2006

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2006050045.X00

Im RIS seit

10.08.2006
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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