TE Vwgh Erkenntnis 2006/6/28 2006/08/0106

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Veröffentlicht am 28.06.2006
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Index

E000 EU- Recht allgemein;
E6J;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;
70/06 Schulunterricht;

Norm

61978CJ0266 Brunori VORAB;
61979CJ0110 Coonan / Insurance Officer VORAB;
ASVG §224;
ASVG §227 Abs1 Z1 idF 2004/I/142;
B-VG Art140;
B-VG Art7 Abs1;
EURallg;
SchUG 1986 §1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Köller, Dr. Moritz und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Eisner, über die Beschwerde des H in W, vertreten durch Dr. Michael Celar, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Alser Straße 21, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 17. Oktober 2005, Zl. MA 15-II-2-12180/2005, betreffend Beitragsentrichtung für Schul-, Studien- und Ausbildungszeiten gemäß § 227 ASVG (mitbeteiligte Partei:

Pensionsversicherungsanstalt in 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Aus der Beschwerde und dem ihr angeschlossenen angefochtenen Bescheid ergibt sich folgender Sachverhalt:

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Bewilligung der leistungswirksamen Beitragsentrichtung für Schul-, Studien- und Ausbildungszeiten gemäß § 227 ASVG abgewiesen.

Der Beschwerdeführer habe im Schuljahr 1959/60 an der Höheren Technischen Bundeslehranstalt Wien X bis 10. Februar 1960 den ersten Jahrgang der Fachschule für Elektrotechnik und anschließend vom 7. März 1960 bis 28. Februar 1961 die Maturaschule Dr. Roland besucht. Das Schuljahr 1959/60 könne nicht als Ersatzzeit anerkannt werden, weil der ordentliche Schulbesuch mit 10. Februar 1960 abgebrochen worden sei. Auch eine Anerkennung der Zeit des Schulbesuches an der Maturaschule Dr. Roland als Ersatzzeit in der Pensionsversicherung sei nicht möglich, da die Maturaschule Dr. Roland im verfahrensgegenständlichen Zeitraum weder eine öffentliche Schule noch mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestattet gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 18. März 2006, B 3592/05, ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG zur Entscheidung ab.

In der auftragsgemäß ergänzten Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt der Beschwerdeführer die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. § 227 ASVG hat in der im vorliegenden Fall maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 142/2004 auszugsweise folgenden Wortlaut:

"Ersatzzeiten aus der Zeit nach dem 31. Dezember 1955 und vor dem

1. Jänner 2005

§ 227. (1) Als Ersatzzeiten aus der Zeit nach dem 31. Dezember 1955 und vor dem 1. Jänner 2005 gelten

1. in dem Zweig der Pensionsversicherung, in dem die erste nachfolgende Beitragszeit vorliegt, die Zeiten, in denen nach Vollendung des 15. Lebensjahres eine inländische öffentliche oder mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestattete mittlere Schule mit mindestens zweijährigem Bildungsgang, eine höhere Schule (das Lycee Francais in Wien), Akademie oder verwandte Lehranstalt oder eine inländische Hochschule bzw. Kunstakademie oder Kunsthochschule in dem für die betreffende Schul(Studien)art vorgeschriebenen normalen Ausbildungs(Studien)gang besucht wurde, oder eine Ausbildung am Lehrinstitut für Dentisten in Wien oder nach dem Hochschulstudium eine vorgeschriebene Ausbildung für den künftigen, abgeschlossene Hochschulbildung erfordernden Beruf erfolgt ist; hiebei werden höchstens ein Jahr des Besuches des Lehrinstitutes für Dentisten in Wien, höchstens zwei Jahre des Besuches einer mittleren Schule, höchstens drei Jahre des Besuches einer höheren Schule (des Lycee Francais in Wien), Akademie oder verwandten Lehranstalt, höchstens zwölf Semester des Besuches einer Hochschule, einer Kunstakademie oder Kunsthochschule und höchstens sechs Jahre der vorgeschriebenen Ausbildung für den künftigen, abgeschlossene Hochschulbildung erfordernden Beruf berücksichtigt, und zwar jedes volle Schuljahr, angefangen von demjenigen, das im Kalenderjahr der Vollendung des 15. Lebensjahres begonnen hat, mit zwölf Monaten, jedes Studiensemester mit sechs Monaten, und die Ausbildungszeit, zurückgerechnet vom letzten Ausbildungsmonat.

...

(2) Die in Abs. 1 Z 1 angeführten Zeiten sind nicht zu berücksichtigen:

1. für die Anspruchsvoraussetzungen und für die Bemessung der Leistungen aus den Versicherungsfällen des Alters und der geminderten Arbeitsfähigkeit;

2. für die Bemessung der Leistungen aus dem Versicherungsfall des Todes.

Sie können jedoch nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen durch Beitragsentrichtung ganz oder teilweise anspruchs- bzw. leistungswirksam werden.

(3) Für jeden Ersatzmonat nach Abs. 1 Z 1, der anspruchs- bzw. leistungswirksam werden soll, ist ein Beitrag in der Höhe von 22,8 vH zu entrichten. Als Beitragsgrundlage gilt

1. für die im Abs. 1 Z 1 genannten Zeiten, ausgenommen die Zeiten des Besuches einer Hochschule, einer Kunstakademie oder Kunsthochschule und der vorgeschriebenen Ausbildung für den künftigen, abgeschlossene Hochschulbildung erfordernden Beruf, das 10fache,

2. für die im Abs. 1 Z 1 genannten Zeiten des Besuches einer Hochschule, einer Kunstakademie oder Kunsthochschule und der vorgeschriebenen Ausbildung für den künftigen, abgeschlossene Hochschulbildung erfordernden Beruf, das 20fache

der im Zeitpunkt der Feststellung der Berechtigung zur Beitragsentrichtung geltenden Höchstbeitragsgrundlage in der Pensionsversicherung (§ 45 Abs. 1). Die Beitragsgrundlage ist im Falle der Entrichtung des Beitrages nach Vollendung des 40. Lebensjahres des (der) Versicherten mit einem Faktor zu vervielfachen, der durch Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales nach versicherungsmathematischen Grundsätzen festzusetzen ist.

(4) Die Beitragsentrichtung nach Abs. 3 kann bei jedem Versicherungsträger, bei dem mindestens ein Versicherungsmonat erworben wurde, für alle oder einzelne dieser Ersatzmonate jederzeit bis zum Stichtag beantragt werden. Wenn die Berechtigung zur Beitragsentrichtung erst nach dem Stichtag in einem vor dem Stichtag eingeleiteten Verfahren festgestellt wird, können die Beiträge auch nach dem Stichtag entrichtet werden. Die Entrichtung der Beiträge in Teilbeträgen ist zulässig; hiebei darf die Gesamtzahl der Teilbeträge - unter Berücksichtigung der Einkommens- und Familienverhältnisse des (der) Versicherten - das Dreifache der Anzahl der Ersatzmonate, deren Erwerb beantragt wurde, nicht überschreiten. Die Beitragshöhe ist neu festzusetzen, wenn

1. die Zahlung der Teilbeträge ohne triftigen Grund unterbrochen wird oder

2. der Gesamtbetrag - soweit keine Teilbeträge vereinbart wurden - nicht innerhalb von drei Monaten ab der schriftlichen Verständigung durch den Versicherungsträger über die Berechtigung zur Beitragsentrichtung entrichtet wird.

Die dem eingezahlten Betrag entsprechenden Versicherungszeiten werden mit seinem Einlangen beim Versicherungsträger anspruchs- bzw. leistungswirksam."

2. Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in seinem

"subjektiven öffentlichen Recht auf Anerkennung der Schul- und Ausbildungszeiten für die Zeiten des Besuchs der Maturaschule Dr. Roland vom 7.3.1960 bis 28.2.1961 als Ersatzzeiten für die Pensionsversicherung gemäß § 227 Abs. 1 Zif. 1 und Abs. 2 ASVG sowie in seinem Recht auf Beitragsentrichtung für den gegenständlichen Zeitraum gemäß § 227 Abs 3 und 4 ASVG zur Erlangung der Anspruchs- und Leistungswirksamkeit jener Zeiten für den Pensionsanspruch bzw. in seinem Recht auf Erlangung von Versicherungs- bzw Ersatzzeiten für die Pension verletzt."

Der Beschwerdeführer sei im gegenständlichen Zeitraum in einer Vormittagsklasse der Maturaschule eingeschrieben gewesen, sei monatlich beurteilt worden und habe sich während der Unterrichtszeiten in den Räumlichkeiten der Maturaschule einzufinden gehabt. Seinen Eltern sei weiterhin die Familienbeihilfe gewährt worden und der Besuch der Maturaschule sei daher nicht berufsbegleitend, sondern als eigenständiger Schulbesuch ausgeprägt gewesen. Die Maturaschule sei eine private Lehranstalt, welche inhaltlich Schulbildung vermittle, welche einer höheren Schule im Sinne des § 227 ASVG entspreche.

3. Unstrittig ist, dass im Zeitraum, für den der Beschwerdeführer die Anerkennung des Schulbesuchs als Ersatzzeiten für die Pensionsversicherung beantragt, die von ihm besuchte Maturaschule weder eine öffentliche, noch eine mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestattete Schule war. Nach § 227 Abs. 1 Z. 1 ASVG kommt daher die Anerkennung dieses Besuchs einer Maturaschule als Ersatzzeit in der Pensionsversicherung nicht in Betracht (zum Erfordernis des Öffentlichkeitsrechts auch für höhere Schulen vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. Jänner 1980, Slg. Nr. 10.024/A).

Der Beschwerdeführer führt dagegen ins Treffen, dass die Bestimmung des § 227 Abs. 1 Z. 1 ASVG in der im vorliegenden Fall anzuwendenden Fassung als "europarechtswidrig" zu erachten und daher im Sinne des Anwendungsvorranges des Gemeinschaftsrechts von der belangten Behörde "korrigierend anzuwenden" gewesen sei. Er verweist darauf, dass mit der ASVG-Novelle, BGBl. I Nr. 132/2005, § 227 Abs. 1 ASVG geändert worden sei, sodass nunmehr vom Erfordernis einer mit Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Schule sowie von der Voraussetzung des zweijährigen Bildungsganges Abstand genommen worden sei. Nach den Materialien zu dieser ASVG-Novelle seien infolge des unmittelbaren Anwendungsvorranges des EG-Rechts die Zeiten des Besuches von ausländischen, den nationalen Bildungseinrichtungen entsprechenden Einrichtungen unter denselben Voraussetzungen wie in Österreich pensionsrechtlich zu berücksichtigen; in der Praxis ergebe sich dadurch eine Benachteiligung von inländischen nichtöffentlichen mittleren Schulen, da gegenüber Inländern das Öffentlichkeitsrecht verlangt werden könne, während dies bei Besuchern ausländischer Bildungseinrichtungen typologisch nicht möglich sei. Nach richtiger Auslegung der Bestimmung des § 227 Abs. 1 Z. 1 ASVG hätte das Erfordernis des Öffentlichkeitsrechtes auf Grund des unmittelbaren Anwendungsvorranges des EG-Rechts vor dem nationalen Recht entfallen müssen. Die von der Behörde vorgenommene Auslegung widerspreche den "europarechtlich festgeschriebenen Grundfreiheiten", insbesondere der Freiheit des Personenverkehrs sowie der Niederlassungsfreiheit. Die Auslegung widerspreche dem Grundsatz der Freizügigkeit des Personenverkehrs,

"da der Beschwerdeführer nach der Argumentation der belangten Behörde gezwungen wäre, für die Anrechnung bei der Pensionsbemessung nach § 227 ASVG ausschließlich Schulen im Inland aufzusuchen, welche dem Gebot des Öffentlichkeitsrechts - welches rein auf Österreich bezogen ist - entsprechen."

Diesem Vorbringen ist entgegenzuhalten, dass im vorliegenden Fall ein reiner Inlandssachverhalt vorliegt; weder aus der Beschwerde noch aus dem angefochtenen Bescheid ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass der Sachverhalt einen Anknüpfungspunkt zum Gemeinschaftsrecht aufweisen würde. Zudem ist auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft zu verweisen, wonach die Mitgliedstaaten bei der Festlegung, unter welchen Voraussetzungen jemand einem nationalen System angehört und somit nach den nationalen Rechtsvorschriften Versicherungszeiten entstehen, autonom sind (vgl. etwa die Urteile vom 12. Juli 1979, Rs 266/78, Brunori, Slg. 1979, 2705, und vom 24. April 1980, Rs 110/79, Coonan, Slg. 1980, 1445).

Die vom Beschwerdeführer behauptete Inländerdiskriminierung ist aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht zulässig und kann allenfalls auf innerstaatliche verfassungsrechtliche Probleme stoßen (vgl. dazu auch die hg. Erkenntnisse vom 20. Jänner 2000, Zl. 99/06/0148, und vom 15. Oktober 2003, Zl. 2002/12/0064). Derartige verfassungsrechtliche Probleme hat der Verfassungsgerichtshof im Lichte des Vorbringens des Beschwerdeführers nicht gesehen. Auch der Verwaltungsgerichtshof hat keine derartigen Bedenken und schließt sich der Ansicht des Verfassungsgerichtshofes an, wonach vor dem Hintergrund des mit dieser Bestimmung verfolgten Zwecks im Hinblick auf die Differenzierung zwischen Privatschulen und Schulen mit Öffentlichkeitsrecht keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen. Auch ist es verfassungsrechtlich unbedenklich, die Anerkennung von Versicherungszeiten für Zeiten des Schulbesuchs davon abhängig zu machen, dass das Öffentlichkeitsrecht der Schule im Zeitraum des jeweiligen Schulbesuchs vorlag.

4. Im Hinblick darauf, dass ein Anknüpfungspunkt für einen grenzüberschreitenden Sachverhalt nicht vorliegt, besteht auch keine Veranlassung für die vom Beschwerdeführer angeregte Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaft.

5. Der Beschwerdeführer macht weiters geltend, dass der angefochtene Bescheid insofern gesetzwidrig sei, als der Besuch der Maturaschule als Besuch einer "verwandten Lehranstalt" hätte berücksichtigt werden müssen. Gemäß § 1 Schulunterrichtsgesetz (SchUG) würden Schulen für Berufstätige und Akademien gleich gestellt, sodass "private Abendschulen" - wie die gegenständliche Maturaschule - "somit jedenfalls als verwandte Lehranstalten zu werten und für die Anrechnung als Ersatzzeiten heranzuziehen wären".

Wie sich jedoch eindeutig aus dem oben wiedergegebenen Gesetzestext ergibt, bezieht sich die Wortfolge "oder verwandte Lehranstalt" ausschließlich auf den Begriff der "Akademie", nicht aber auf die inländische öffentliche oder mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestattete mittlere Schule mit mindestens zweijährigem Bildungsgang. Die vom Beschwerdeführer behauptete Gleichstellung von Akademien mit Schulen für Berufstätige in § 1 SchUG betrifft lediglich die Abgrenzung des Geltungsbereichs dieses Gesetzes, vermag jedoch nichts zur Auslegung des § 227 Abs. 1 Z. 1 ASVG beizutragen. Im Übrigen behauptet der Beschwerdeführer nicht, dass es sich bei der von ihm besuchten Schule um eine Abendschule - vergleichbar einer Schule für Berufstätige - gehandelt habe, sondern macht ausdrücklich geltend, dass er eine Vormittagsklasse besucht habe und der Besuch der Maturaschule nicht berufsbegleitend gewesen sei.

6. Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen ließ, dass die vom Beschwerdeführer behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 28. Juni 2006

Gerichtsentscheidung

EuGH 61978J0266 Brunori VORAB
EuGH 61979J0110 Coonan / Insurance Officer VORAB

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Anwendungsvorrang, partielle Nichtanwendung von innerstaatlichem Recht EURallg1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2006080106.X00

Im RIS seit

14.08.2006

Zuletzt aktualisiert am

01.12.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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