TE Vwgh Erkenntnis 2006/6/29 2004/01/0237

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Veröffentlicht am 29.06.2006
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §28;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §45 Abs2;
AVG §60;
AVG §67d;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Pelant, Dr. Kleiser und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des P O in L, geboren 1986, vertreten durch Dr. Alois M. Leeb, Rechtsanwalt in 2620 Neunkirchen, Triester Straße 8, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 2. März 2004, Zl. 243.915/0- VIII/23/03, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrenvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein der Volksgruppe der Ibo angehörender nigerianischer Staatsangehöriger, reiste am 3. März 2003 in das Bundesgebiet ein und beantragte Asyl. Zu seinen Fluchtgründen gab er - zusammengefasst - an, sein Vater sei Vorsitzender der NUOD (National Union of Okada-Drivers; Anmerkung: Okada ist ein zum Personentransport bestimmtes Motorrad) im Enugu State gewesen. Der Gouverneur von Enugu State habe (im Juni, Juli 2002) die Okadafahrer beschuldigt, Vermögensdelikte zu begehen. Diese Angelegenheit sei schließlich vor Gericht ausgetragen worden; der Gouverneur habe aber auch Scharfschützen und Killer angeheuert, um die Funktionäre der Okadafahrer zu beseitigen. Am 26. August 2002 seien drei schwarz gekleidete, maskierte und bewaffnete Männer gekommen und hätten den Vater (des Beschwerdeführers) als Unruhestifter bezeichnet; sie hätten den Vater und ihn (den Beschwerdeführer) gezwungen, mit dem Auto "in den Busch" zu fahren; dort hätten sie den Vater und ihn geschlagen (misshandelt); der Vater sei daraufhin gestorben, bzw. sei er erschossen worden. Er (der Beschwerdeführer) sei verfolgt worden, weil er der einzige (verbleibende) Sohn gewesen sei; die Verfolger hätten nämlich die ganze Familie töten wollen. Sein Überleben verdanke er nur dem Umstand, dass die Verfolger (Killer) ihn bereits für tot gehalten hätten. Nach einem insgesamt dreimonatigen Krankenhausaufenthalt (auch in Lagos) habe er im Jänner 2003 Nigeria verlassen.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag mit Bescheid vom 17. Oktober 2003 gemäß § 7 AsylG ab und stellte fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria gemäß § 8 AsylG zulässig sei.

"Sie stellten in den Raum, dass Sie von Handlangern des Gouverneurs Enugu State verfolgt werden. Sie konnten Ihre Behauptung nicht näher ausführen, oder substantiieren. Im Asylverfahren ist es nicht ausreichend, dass der Asylwerber Behauptungen aufstellt, sondern muss er diese glaubhaft machen. Dazu muss das Vorbringen in gewissem Maß konkret und nachvollziehbar sein. Keinesfalls kann die bloße Behauptung von Tatsachen als ausreichend angesehen werden. Würde es bereits genügen, wenn das Vorbringen von Tatsachen abstrakt ausreichend wäre, so könnte von Beweiswürdigung im eigentlichen Sinn wohl kaum gesprochen werden. Durch Ihre bloßen Behauptungen, konnten Sie die von Ihnen dargelegten Sachverhalte nicht glaubhaft machen.

Ihre Angaben sind bei einer Gesamtbetrachtung der Aussagen als äußerst rudimentär zu bezeichnen. So war Ihr Vortrag zu Ihrer 'Fluchtgeschichte' als blass, wenig detailreich sowie gänzlich oberflächlich und daher in der Folge nicht glaubhaft zu qualifizieren. Auch war die Einvernahme auch nur durch permanentes Nachfragen der einvernehmenden Referentin möglich, Sie selbst hatten offensichtlich von sich aus nicht viel zu erzählen.

Es entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass sich Menschen wie Sie, die für ihr Leben einschneidende Erlebnisse hinter sich haben, sehr wohl auch an Einzelheiten erinnern und diese lange Zeit nicht vergessen und verarbeiten können. Sie selbst schienen jedoch von den vergangenen Ereignissen wenig beeindruckt, Details konnten Sie nicht schildern.

So schilderten Sie völlig emotionslos die angebliche Entführung Ihres Vaters und Ihrer Person. Nach langjähriger Erfahrung der Asylbehörden in direktem Kontakt mit Asylwerbern stellt sich eine niederschriftliche Einvernahme derart dar, dass, wenn sie schreckliche, sie persönlich betreffende Ereignisse schildern, eine Fülle von Details unter gleichzeitiger Emotionalisierung bei der Erzählung bieten. Des Weiteren werden regelmäßig im Zuge der Schilderung der Erlebniswahrnehmung unwichtige Details oder Handlungsabläufe bzw. auch Gesprächswiedergaben etc. präsentiert, was Sie nicht bieten konnten, weswegen nicht glaubhaft ist, dass Sie das Erzählte tatsächlich selbst erlebt haben. Außerdem gaben Sie im Zuge Ihrer niederschriftlichen Einvernahme an, dass Sie im Zuge Ihrer Entführung mit Messern gefoltert und verletzt worden wären. Gegenüber dem Sachverständigen aber gaben Sie an, dass man auch mit Flaschen auf Sie eingeschlagen hätte. Auch konnte festgestellt werden, dass Ihre Narben am Kinn und im Bereich der behaarten Kopfhaut mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit älter sind als dem von Ihnen angegebenen Zeitpunkt. Sie schilderten in auffällig glatter Weise bloß einige Eckpunkte Ihrer Fluchtgründe, ohne jeweils sich einerseits bei der Erzählung auch nur in irgendeiner Weise emotionalisiert zu zeigen, noch andererseits auch nur irgendwelche, Sie persönlich betreffende Details in die Tiefe gehend zu schildern. So blieben Sie auch jegliche Erklärung schuldig, warum man Sie auch töten hätte wollen, denn waren Sie selbst kein Funktionär der Organisation der Okada-Fahrer oder selbst Fahrer. Wohl kaum wird es auch nicht den Tatsachen entsprechen, dass die State-Regierung alle Okada-Fahrer beschuldigt hätte, kriminell zu sein.

Auch ist Ihrer Schilderung kein Grund zu entnehmen, warum der Gouverneur von Enugu State überhaupt derartig drastische Schritte gegen Ihren Vater einleiten sollte.

Ihre Angaben musste daher die Glaubwürdigkeit versagt werden und es kann nicht davon ausgegangen werden, dass Sie begründete Furcht vor Verfolgung glaubhaft gemacht haben."

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 2. März 2004 wies die belangte Behörde die Berufung - ohne Durchführung einer Berufungsverhandlung - "gemäß §§ 7, 8 AsylG" ab. Sie führte dazu aus, der entscheidungswesentliche Sachverhalt und die Beweiswürdigung seien von der Erstbehörde zutreffend und richtig festgehalten worden; es werde auf die diesbezüglichen Ausführungen im erstinstanzlichen Bescheid verwiesen. Der Berufung seien Neuerungen, die geeignet wären, den bereits festgestellten Sachverhalt in Frage zu stellen, nicht zu entnehmen. Die Angaben des Beschwerdeführers seien hinsichtlich seiner Fluchtgründe vollständig unglaubwürdig. Der zutreffenden Beweiswürdigung der Erstbehörde sei nichts mehr hinzuzufügen.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die Beschwerde wendet sich gegen die Beweiswürdigung. Sie macht geltend, dass die von der belangten Behörde übernommene Beweiswürdigung des Bundesasylamtes unschlüssig sei.

Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.

Die belangte Behörde hat sich die im erstinstanzlichen Bescheid wiedergegebene Beweiswürdigung zu eigen gemacht. Diese Beweiswürdigung stützt sich darauf, dass die Angaben des Beschwerdeführers "äußerst rudimentär" seien, der Vortrag der Fluchtgeschichte sei "blass, wenig detailreich, gänzlich oberflächlich und daher nicht glaubhaft". Diese schlagwortartige Beurteilung des Vorbringens ist mangels Bezugnahme auf konkrete Angaben des Beschwerdeführers nicht nachvollziehbar (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 24. August 2004, Zl. 2003/01/0010, mwN).

Das Bundesasylamt geht (auch) davon aus, dass zwischen den niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers und seinen (am 10. April 2003) gegenüber dem Sachverständigen (der das unfallchirurgische Gutachten erstattete) gemachten Angaben ein Widerspruch bestehe. Dabei blieb unberücksichtigt, dass der Beschwerdeführer übereinstimmend angab, er sei mit einem Messer verletzt worden. Er gab gegenüber dem genannten Sachverständigen lediglich zusätzlich an, auch mit abgeschlagenen Flaschen verletzt worden zu sein. Der vom Bundesasylamt in den Vordergrund gestellte Umstand, dass der Beschwerdeführer "auch" ältere Narben (nämlich am Kinn und im Bereich der Kopfhaut) aufweise, ist nicht entscheidend und spricht nicht zwingend gegen die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers, zumal das (von der Erstbehörde) eingeholte unfallchirurgische Gutachten die Angaben des Beschwerdeführers dahingehend bestätigt hat, dass seine Narben (die er an anderen Teilen des Körpers aufweist) mit hoher Wahrscheinlichkeit zum angegebenen Zeitpunkt durch die von ihm angegebenen Misshandlungen entstanden sein können. Dieses durch das Gutachten belegte Ergebnis hat die Erstbehörde nicht hinreichend berücksichtigt. Die zu diesem Gutachten angestellte Überlegung, die Narben könnten auch im Zuge eines Raufhandels aus anderen Gründen entstanden sein, erweist sich als (spekulative) Mutmaßung. Insoweit die Erstbehörde annahm, der Beschwerdeführer habe keinen Grund angegeben, warum der Gouverneur von Enugu (State) den Vater und ihn (den Beschwerdeführer) verfolgt habe, ist diese Beweiswürdigung vor dem Hintergrund, dass die Aussage des Beschwerdeführers darüber sehr wohl Angaben enthält, nicht nachvollziehbar.

Die Beweiswürdigung des Bundesasylamtes erweist sich somit als unschlüssig und schlägt diese Mangelhaftigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung infolge der vorgenommenen Verweisung auf den bekämpften Bescheid durch. Sie führt auch dazu, dass die belangte Behörde nicht von der Durchführung einer Berufungsverhandlung hätte absehen dürfen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 2006, Zl. 2004/01/0556, und die darin angegebene Judikatur).

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 29. Juni 2006

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2004010237.X00

Im RIS seit

10.08.2006
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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