TE Vwgh Erkenntnis 2006/9/4 2005/09/0067

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Veröffentlicht am 04.09.2006
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
60/04 Arbeitsrecht allgemein;
62 Arbeitsmarktverwaltung;

Norm

AuslBG §28 Abs1 lita;
AuslBG §3 Abs1;
AVG §63 Abs1;
AVG §63 Abs5;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Händschke und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lier, über die Beschwerde des C in W, vertreten durch Dr. Walter Panzer, Rechtsanwalt in 1020 Wien, Praterstraße 9/6, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 1. April 2005, Zl. UVS-07/A/8/5119/2003/22, betreffend Bestrafung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz (weitere Parteien: Bundesminister für Finanzen und Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.088,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Straferkenntnis des Magistrats der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 9. Bezirk, vom 21. März 2003 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe es als persönlich haftender Gesellschafter und somit als zur Vertretung nach außen berufenes Organ der D GmbH Nfg. KEG zu verantworten, dass diese Gesellschaft als Arbeitgeberin mit Sitz in W am 15. Mai 2002 in ihrem Gastgewerbebetrieb in der Betriebsart einer Bar in W acht namentlich genannte, vorwiegend slowakische Staatsangehörige als Animierdamen beschäftigt habe, obwohl für diese weder eine gültige Beschäftigungsbewilligung erteilt, noch eine Anzeigebestätigung oder eine gültige Arbeitserlaubnis oder ein gültiger Befreiungsschein ausgestellt worden sei. Wegen Übertretung des § 28 Abs. 1 lit. a in Verbindung mit § 3 Abs. 1 AuslBG wurden über den Beschwerdeführer acht Geldstrafen in der Höhe von jeweils EUR 2.100,-- (Ersatzfreiheitsstrafen jeweils zwei Wochen) verhängt.

Gegen dieses Straferkenntnis erhob der Beschwerdeführer eine (am 10. Juni 2003 beim magistratischen Bezirksamt eingelangte) Berufung folgenden Wortlauts:

"Da ich leider im Zeitraum vom 25.03. - 15.04.2003 wegen eines familiären Krankheitsfalles meines Vaters in Jugoslawien beschäftigt war (als Beweis lege ich Ihnen meine Flugtickets vor), konnte ich auch leider von den mir von Ihnen zugesandten Schreiben nichts wissen. So erhebe ich hiermit Einspruch und finde die Strafe unangemessen.

Ich bitte Sie um einen Aufschub für die von Ihnen verlangte Summe, denn so kurzfristig ist es für mich in der momentanen Situation nicht leicht, die von Ihnen verlangten Zahlen einzubringen. Ich bitte Sie weiters um eine Strafminderung, sodass ich die Angelegenheit regeln kann"

Mit Verfügung vom 16. Juni 2003 verfügte die Behörde erster Instanz die neuerliche Zustellung des Straferkenntnisses, welche am 20. Juni 2003 erfolgte. Mit Eingabe vom 26. Juni 2003 erhob der Beschwerdeführer gegen das Straferkenntnis vom 21. März 2003 (erneut) Berufung, in welcher er sowohl den Schuldspruch als auch die Strafe bekämpfte.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der lediglich als Strafberufung gewerteten Berufung teilweise Folge und setzte die verhängten Strafen auf je EUR 1.450,-- (Ersatzfreiheitsstrafen von je drei Tagen) herab. Begründend führte sie - soweit dies für das verwaltungsgerichtliche Verfahren noch von Bedeutung ist - aus, das erstinstanzliche Straferkenntnis sei nach einem erstmaligen Zustellversuch am 27. März 2003 an diesem Tage hinterlegt, in der Folge jedoch vom Beschwerdeführer nicht behoben worden. Der Amtspartei sei dieses Straferkenntnis am 28. März 2003 zugestellt worden. Erst am 10. Juni 2003 sei ein als "Einspruch" bezeichnetes Schreiben des Beschwerdeführers eingelangt, wonach er sich im Zeitraum vom 25. März bis 15. April 2003 im Ausland aufgehalten habe, und in welchem er hinsichtlich der Strafe um "Aufschub" sowie um "Strafminderung" ersucht habe. Nach den von der belangten Behörde durchgeführten Erhebungen sei der Beschwerdeführer bereits am 24. März 2003 nach Belgrad geflogen. Ein Rückkehrdatum an die Abgabeadresse habe sich trotz diesbezüglicher Ermittlungen nicht eruieren lassen; dennoch könne die belangte Behörde zu Lasten des Beschwerdeführers nicht davon ausgehen, dass dieser früher als von ihm genannt (15. April 2003) an die Abgabestelle zurückgekehrt sei. Aus diesem Grunde sei davon auszugehen gewesen, dass die am 10. Juni 2003 persönlich bei der Erstbehörde eingebrachte Berufung rechtzeitig erhoben worden sei. Sei ein Straferkenntnis bereits nach außen in Erscheinung getreten und die Bescheidzustellung zum Zeitpunkt der Entscheidung über die vor der Zustellung des Bescheides eingebrachte Berufung bereits rechtswirksam vollzogen, dann sei eine Zurückweisung der Berufung aus dem Grunde ihrer vorzeitigen Erhebung nicht mehr zulässig. Die Berufung einer Partei gegen den ihr zwar nicht zugestellten, jedoch dem Inhalt nach zur Kenntnis gelangten und durch Zustellung an eine andere Partei erlassenen Bescheid sei zulässig. Da es sich beim vorliegenden Verfahren um ein Mehrparteienverfahren handle, bei dem das Zollamt Wien Amtspartei sei, und dieser Amtspartei das erstinstanzliche Straferkenntnis nachweislich am 28. März 2003 zugestellt worden sei, sei die am 10. Juni 2003 erhobene Berufung infolge Kenntnisnahme vom Straferkenntnis im Zuge des gegen ihn eingeleiteten Vollstreckungsverfahrens auch vor ordnungsgemäßer Zustellung desselben zulässig. Eine Ausfertigung des gegenständlichen Straferkenntnisses sei nach einem erstmaligen Zustellversuch am 27. März 2003 am selben Tag hinterlegt und in der Folge nicht behoben worden. In weiterer Folge sei aber die neuerliche Zustellung des Straferkenntnisses veranlasst worden; dieses sei nach einem erstmaligen Zustellversuch am 18. Juni 2003 an diesem Tage beim zuständigen Postamt hinterlegt und ab dem 20. Juni 2003 zur Abholung bereit gehalten worden. Dieses Poststück sei in der Folge behoben worden. Gegenstand beider Zustellungen sei dasselbe Straferkenntnis, es handle sich jeweils nur um verschiedene Ausfertigungen desselben. Zum Umfang der von ihr zu behandelnden Berufung führte die belangte Behörde aus, aus der Diktion des Schreibens vom 10. Juni 2003 könne davon ausgegangen werden, dass mit dieser fälschlicherweise als "Einspruch" bezeichneten Berufung ausschließlich das Ausmaß der verhängten Strafe angefochten habe werden sollen. Demnach sei der Umfang der Berufung durch diesen Schriftsatz festgelegt worden, während die Eingabe vom 26. Juni 2003 lediglich als deren Ergänzung zu werten sei. Deshalb sei seitens des erkennenden Senates auf die in der Schuldfrage ergangene erstinstanzliche Entscheidung nicht mehr einzugehen, sondern ausschließlich die von der Erstbehörde vorgenommene Strafbemessung zu überprüfen gewesen. Hinsichtlich der Strafbarkeit des inkriminierten Verhaltens sei das erstinstanzliche Straferkenntnis in (Teil-)Rechtskraft erwachsen.

Im Übrigen legte die belangte Behörde ihre Strafbemessungsgründe dar.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde aus den Beschwerdegründen der inhaltlichen Rechtswidrigkeit sowie der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vor, nahm jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 17 Abs. 1 Zustellgesetz ist, wenn die Sendung an der Abgabestelle nicht zugestellt werden kann und der Zusteller Grund zur Annahme hat, dass sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, das Schriftstück im Falle der Zustellung durch die Post beim zuständigen Postamt, in allen anderen Fällen aber beim zuständigen Gemeindeamt oder bei der Behörde, wenn sie sich in derselben Gemeinde befindet, zu hinterlegen.

Nach Abs. 3 dieser Gesetzesbestimmung ist die hinterlegte Sendung mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem die Sendung erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Sendungen gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Sie gelten nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem die hinterlegte Sendung behoben werden könnte.

Nach § 7 Abs. 1 Zustellgesetz gilt, wenn im Verfahren der Zustellung Mängel unterlaufen, die Zustellung als in dem Zeitpunkt dennoch bewirkt, in dem das Dokument dem Empfänger tatsächlich zugekommen ist.

Aus den vorgelegten Verwaltungsakten geht hervor, dass das erstinstanzliche Straferkenntnis zunächst am 27. März 2003 beim zuständigen Postamt hinterlegt und ab diesem Tage zur Abholung bereitgehalten wurde. Da der Beschwerdeführer zu diesem Zeitpunkt aber nachweislich ortsabwesend war, kam der postamtlichen Hinterlegung gemäß § 17 Abs. 3 Zustellgesetz nicht die Wirkung einer rechtswirksamen Zustellung zu.

Da der Beschwerdeführer erst anlässlich der Vollstreckungshandlung der im Straferkenntnis erster Instanz ausgesprochenen Geldstrafen am 9. Mai 2003 von dem gegen ihn anhängig gemachten Verwaltungsstrafverfahren erfuhr und auch nicht ersichtlich ist, dass ihm eine Ausfertigung des Straferkenntnisses im Sinne des § 7 ZustellG früher tatsächlich zugekommen wäre, gilt erst die neuerliche Zustellung einer Ausfertigung des erstinstanzlichen Straferkenntnisses vom 21. März 2003 am 20. Juni 2003 (als dem ersten Tag der Abholfrist) als rechtswirksam. Ausgehend davon erweist sich die Berufung vom 26. Juni 2003 als fristgerecht.

Es bleibt jedoch die Frage zu beantworten, ob diese nach rechtswirksamer Zustellung erhobene Berufung (vom 26. Juni 2003) angesichts der bereits vor Zustellung des Straferkenntnisses erhobenen Berufung (vom 10. Juni 2003) zulässig war, oder ob das Berufungsrecht durch Einbringung der vor Zustellung des Straferkenntnisses an den Beschuldigten (aber nach Zustellung an die Amtspartei) erhobenen Berufung bereits konsumiert worden war.

Die belangte Behörde hat in diesem Zusammenhang bereits zutreffend darauf verwiesen, dass in einem Mehrparteienverfahren eine Berufung einer Partei gegen einen Bescheid, der zwar nicht ihr, wohl aber anderen Parteien des Verfahrens zugestellt wurde, grundsätzlich zulässig ist, wenn ihr der Inhalt des Bescheides zur Gänze bekannt war (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 4. Mai 1970, Slg Nr. 7790 und das hg. Erkenntnis vom 12. Februar 1985, Zl. 84/05/0236). Diese Möglichkeit der Berufungserhebung setzt aber zunächst einmal voraus, dass der Partei der gesamte entscheidungswesentliche Inhalt des bekämpften Bescheides bekannt ist und macht insoweit eine erst nach erfolgter Zustellung des Bescheides innerhalb der Berufungsfrist eingebrachte Ergänzung dieser Berufung nicht unzulässig, weil ein seinem Zweck entsprechender Rechtsschutz häufig nur in Kenntnis des gesamten Bescheidinhaltes möglich ist. Im Beschwerdefall wurde dem Beschwerdeführer durch die Vollzugshandlungen am 9. Juni 2003 zwar das Vorhandensein eines gegen ihn gerichteten Straferkenntnisses bekannt, mangels Akteneinsicht nicht aber dessen entscheidungswesentliche Begründung. Diese konnte er erstmals der ihm am 20. Juni 2003 zugestellten Ausfertigung des Straferkenntnisses entnehmen. Erst zu diesem Zeitpunkt war es ihm daher möglich, auf die Schuldfrage inhaltlich einzugehen.

So erweist es sich auch als verfehlt, wenn die belangte Behörde zwar zutreffend beide Berufungen als Einheit erkennt, den Umfang der Anfechtung aber nur auf die durch die erste Berufung aufgeworfene Straffrage beschränken will. Sie hätte vielmehr unter Einbeziehung der den Schuldvorwurf bestreitenden inhaltlichen Ausführungen des zweiten Berufungsschriftsatzes auch über die Schuldfrage zu entscheiden gehabt.

In dem die belangte Behörde in diesem Sinne den Umfang der sich aus beiden Berufungsschriftsätzen ergebenden Anfechtung verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung, BGBl. II Nr. 333/2003. Wien, am 4. September 2006

Schlagworte

Verfahrensbestimmungen Voraussetzungen des Berufungsrechtes Berufungslegitimation Person des Berufungswerbers Voraussetzungen des Berufungsrechtes Diverses

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2005090067.X00

Im RIS seit

19.10.2006
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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