TE Vfgh Erkenntnis 2002/6/15 B1097/99

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.06.2002
beobachten
merken

Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8200 Bauordnung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art18 Abs2
AVG §45 Abs3
Plandokument Nr 3496. Beschluß des Wr Gemeinderates vom 17.07.59
Plandokument Nr 6998. Beschluß des Wr Gemeinderates vom 27.11.97
Wr BauO 1930 §1 Abs4
Wr BauO 1930 §5 Abs5
Wr BauO 1930 §6

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Abweisung von Berufungen der Nachbarn gegen die Erteilung der Baubewilligung für die Müllverbrennungsanlage am Flötzersteig; keine Gesetzwidrigkeit der Änderung der ursprünglichen Flächenwidmung in Sonderfläche zur Müllverbrennung und Fernwärme infolge Vorliegens wichtiger Rücksichten; Entscheidung für thermische Verwertung innerhalb des Entscheidungsspielraumes des Verordnungsgebers

Spruch

Die Beschwerdeführer sind durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit drei Bescheiden, und zwar vom 4. April 1990, 21. August 1990 und 19. August 1991 erteilte der Magistrat der Stadt Wien Baubewilligungen für bauliche Änderungen betreffend die Müllverbrennungsanlage in Wien 16, Flötzersteig 12. Die gegen diese Bescheide von den nunmehrigen Beschwerdeführern erhobenen Berufungen wurden mit dem angefochtenen Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 26. April 1999 als unbegründet abgewiesen. In der Begründung führte die belangte Behörde aus, die im vorliegenden Fall anzuwendende Bauordnung für Wien in der Fassung vor der Bauordnungsnovelle 1992 (d.h. in der Fassung LGBl. Nr. 31/1992), enthalte keine Bestimmung, die den Nachbarn allgemein das Recht auf Unterbleiben einer die Nachbarliegenschaften durch Immissionen nachteilig beeinträchtigenden Bauführung einräume. Ein Immissionsschutz komme den Nachbarn nur insoweit zu, als die gesetzlichen Bestimmungen über die betreffende Widmung dies vorsehen. Soweit ein derartiger Immissionsschutz durch die Widmungsart nicht gewährleistet sei, bestehe kein Nachbarrecht im subjektiv öffentlich-rechtlichen Sinn. Einen solchen Immissionsschutz würden die Bestimmungen des §6 Abs6 (für Wohngebiete) und Abs8 (für gemischte Baugebiete) der Bauordnung für Wien über die in den Widmungskategorien zulässigen Nutzungen gewährleisten. Weder nach dem für die Bewilligung der Errichtung eines Stahlschornsteines und eines Gebäudes für eine Kondensatreinigungsanlage (Bescheid vom 19. August 1991) maßgebenden Plandokument 3496 noch nach dem für die Beurteilung der Vorhaben, die zu den Baubewilligungsbescheiden vom 4. April 1990 und vom 21. August 1990 führten, zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung maßgebenden Plandokument 6998 liege für die Fläche, auf der die Müllverbrennungsanlage errichtet sei, eine Widmung vor, mit der ein Immissionsschutz verbunden sei. Diese Fläche sei nach dem Plandokument 3496 als Bauplatz für öffentliche Zwecke ausgezeichnet gewesen und nach dem Plandokument 6998 als "Sondergebiet - Anlage zur Müllverbrennung und Fernwärme" ausgewiesen. Der Betrieb der Müllverbrennungsanlage stehe mit der sich aus dem Flächenwidmungs- und Bebauungsplan ergebenden Widmung nicht im Widerspruch. Weiters ergebe sich aus dem im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten des umwelttechnischen Sachverständigen eine Immissionssituation, die mit jenen maximalen Immissionskonzentrationswerten übereinstimmten, die bereits im Jahr 1991 Gegenstand eines medizinisch-hygienischen Gutachtens gewesen seien. In diesem Gutachten seien die medizinischen Sachverständigen zu dem Ergebnis gekommen, dass durch die Müllverbrennungsanlage Flötzersteig keine für eine europäische Stadt unübliche Belastung verursacht werde und die Kombination der Schadstoffe, die von dieser Anlage ausgehen, wegen deren geringer Menge keine nachweisbare Relevanz für die Gesundheit der Anrainer erwarten lassen. Bezüglich der behaupteten Lärmimmissionen werde durch ein schalltechnisches Gutachten nachgewiesen, dass eine Verschlechterung der Immissionssituation in der Nachbarschaft nicht gegeben sei.

Die belangte Behörde ging daher davon aus, dass eine "Verschlechterung der Immissionssituation (gegenüber dem seinerzeit genehmigten Zustand) durch die verfahrensgegenständlichen Baumaßnahmen auszuschließen" sei. Dies umsomehr, als nicht nur keine Schadstoffe angestiegen seien, sondern durch den Einbau der Denox-Anlage der Ausstoß von Stickoxiden und Furanen wesentlich verringert werde.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Beschwerdeführer die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG) sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm behaupten und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehren.

2.1. Die Beschwerdeführer behaupten die Gesetzwidrigkeit der Änderung des Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes durch Beschluss des Gemeinderates vom 28. Mai 1997 (Plandokument 6998), mit dem die Auszeichnung des Grundstückes, auf dem sich die Müllverbrennungsanlage Flötzersteig befindet, als Bauplatz für öffentliche Zwecke auf die Widmung "Sondergebiet - Anlage zur Müllverbrennung und Fernwärme" geändert wurde. Die Voraussetzung für die Änderung eines Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes gemäß §1 Abs4 der Bauordnung für Wien, nämlich "wichtige Rücksichten", seien nicht vorgelegen. Außerdem scheine die Widmungsänderung geradezu im Widerspruch zu den vom Gemeinderat beabsichtigten Zielen der Änderung des Flächenwidmungsplanes vorgenommen worden zu sein. Die Müllverbrennungsanlage liege "mitten im Wohngebiet, landwirtschaftlich genutztem Gebiet, ja sogar großteils im Erholungsgebiet". Eine Abwägung der Vor- und Nachteile einer derartigen Umwidmung sei "den Beschlussakten in keiner Weise" zu entnehmen. Aufgrund des jahrelangen Betriebes der Anlage sei bekannt, dass von ihr eine unzumutbare Belästigung bzw. Gesundheitsbeeinträchtigung, ja sogar eine Gesundheitsgefährdung ausgehe. Schließlich sei die Müllverbrennungsanlage auch keineswegs eine zeitgemäße Form der Reduzierung und Entsorgung des Mülls; vielmehr sei sie im Vergleich zu den so genannten "kalten Verfahren" untauglich. Die "kalten Verfahren" seien sowohl vom ökologischen als auch vom ökonomischen Standpunkt her der Müllverbrennung vorzuziehen. Auch mit diesen Fragen habe sich der Verordnungsgeber nicht auseinandergesetzt.

2.2. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG) sieht die Beschwerde darin, dass die Behörde durch "einseitige" Beweisaufnahme die Verfahrensvorschriften qualifiziert verletzt habe. Denn den Beschwerdeführern sei im Effekt keine Gelegenheit geboten worden, zum umwelttechnischen Gutachten Stellung zu nehmen, weil ihnen nur eine Frist von vierzehn Tagen zur Stellungnahme eingeräumt worden sei. Über einen von den Beschwerdeführern gestellten Fristerstreckungsantrag habe die belangte Behörde nicht entschieden.

3. Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie dem Vorbringen der Beschwerde entgegentritt und die Abweisung der Beschwerde beantragt. Zur behaupteten Gesetzwidrigkeit der Änderung des Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes, Plandokument 6998, verweist die belangte Behörde darauf, dass die Ausweisung des Standortes der Müllverbrennungsanlage als Sondergebiet im Einklang mit dem im §1 Abs2 Z9 der Bauordnung für Wien genannten Ziel der Vorsorge für zeitgemäße Einrichtungen zur Ver- und Entsorgung, insbesondere in Bezug auf Wasser, Energie und Abfall, stehe.

Was den Standort betreffe, sei das Gebiet nördlich der Flötzersteigbrücke als geeignet für die Müllverbrennungsanlage anzusehen, da sich im Westen von Wien kein Müllablagerungsplatz befinde und dieser Standort zur Vermeidung weiter Anfahrtswege aus dem westlichen Bereich von Wien auch transporttechnisch für die Mülleinsammlung günstig gelegen sei. Überdies seien in diesem Gebiet das Wilhelminenspital und die Heilanstalt Steinhof als konstante Wärmeabnehmer vorhanden. Da außerdem Müllverbrennungsanlagen nach den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen (insbesondere Luftreinhaltegesetz für Kesselanlagen - LRG-K) entsprechend dem Stand der technischen Wissenschaften so auszustatten seien, dass durch die Dampfkesselanlage keine Immissionen bewirkt werden, die zu einer unzumutbaren Belästigung der Nachbarn führen (vgl. §4 Abs7 LRG-K), erscheine die gegenständliche Festlegung des Standortes im Bereich des Planungsermessens des Gemeinderates gerechtfertigt.

Was den Vorwurf der Willkür betreffe, sei zu erwidern, dass die belangte Behörde im Berufungsverfahren ein Gutachten des umwelttechnischen Sachverständigen der MA 22 über die durch die Benützung der in erster Instanz bewilligten Bauten zu erwartenden Immissionen eingeholt und den Beschwerdeführern am 25. März 1999 Gelegenheit gegeben habe, hiezu Stellung zu nehmen. Von dieser Gelegenheit hätten die Beschwerdeführer Gebrauch gemacht und eine ausführliche, 48 Seiten umfassende schriftliche Gegenäußerung erstattet. Die Beschwerdeführer hätten jedenfalls bis zur Beschlussfassung in der Sitzung der Bauoberbehörde für Wien am 26. April 1999 Gelegenheit gehabt, zu den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens Stellung zu nehmen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Die Beschwerde macht zunächst die Gesetzwidrigkeit der Änderung des Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes vom 28. Mai 1997, Plandokument Nr. 6998, geltend und behauptet, die Voraussetzungen für die Änderung des Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes seien nicht vorgelegen.

Gemäß §1 Abs4 der Bauordnung für Wien (im Folgenden als WBO bezeichnet) idF. der Novelle LGBl. Nr. 10/1996 dürfen Abänderungen der Flächenwidmungs- und Bebauungspläne nur aus wichtigen Rücksichten vorgenommen werden. Diese liegen insbesondere vor, wenn bedeutende Gründe, vor allem auf Grund der Bevölkerungsentwicklung oder von Änderungen der natürlichen, ökologischen, wirtschaftlichen, infrastrukturellen, sozialen und kulturellen Gegebenheiten, für eine Abänderung sprechen, gegebenenfalls auch im Hinblick auf eine nunmehr andere Bewertung einzelner Ziele, auf die bei der Festsetzung und Abänderung der Flächenwidmungspläne und der Bebauungspläne Bedacht zu nehmen ist.

Der Verordnungsgeber ist aber unabhängig von den in der WBO demonstrativ aufgezählten Kriterien für die Änderung eines Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes auch berechtigt, ein seinerzeitiges rechtswidriges Vorgehen zu korrigieren und auf Grund eines gesetzmäßigen Planverfahrens eine andere Widmung zu verfügen (vgl. VfSlg. 12.555/1990, 13.354/1993, 15.056/1997, VfGH vom 11. Oktober 2001, B2396/1998).

Mit Beschluss des Gemeinderates vom 17. Juli 1959, Pr.Z. 1714/59, Plandokument 3496, wurde für das mit den roten Buchstaben a-d umschriebene Plangebiet zwischen dem Linienzug a-b, der Ameisbachzeile, dem Flötzersteig und der Schrekergasse die im Antragsplan mit dem roten Zeichen Ö.Z. bezeichnete Fläche im Bauland belassen und gemäß §5 Abs2 liti WBO idF der Bauordnungsnovelle 1956, LGBl. Nr. 28/1956, als Bauplatz für öffentliche Zwecke ausgezeichnet. Die bisher für diese Fläche geltenden Bestimmungen "Wohngebiet, Bauklasse I, offene oder gekuppelte Bauweise mit Beschränkung" verloren ihre weitere Anwendbarkeit. Zur Begründung dieser Widmungsänderung wurde ausgeführt:

"Der Gemeinderat hat in seiner Sitzung am 30.5.1958 die Errichtung einer Müllverbrennungsanlage im Plangebiet grundsätzlich beschlossen. [...] Entsprechend dem Auftrag des Amtsf. Stadtrates der Gesch. Gruppe VI vom 24.4.1959 [...] soll nun die benötigte Fläche als Bauplatz für öffentliche Zwecke ausgezeichnet werden."

Mit Beschluss des Gemeinderates vom 28. Mai 1997, Pr. Zl. 132 GPZ/97, Plandokument 6998, wurde der überwiegende Teil des seinerzeit für öffentliche Zwecke ausgezeichneten Grundstückes als "Sonderfläche Anlage zur Müllverbrennung und Fernwärme" gewidmet. Für einen Teil des Grundstückes wurde eine gärtnerische Ausgestaltung vorgeschrieben.

In dem gemäß §2 Abs7 WBO verfassten Bericht über die nach Planauflage eingelangten Stellungnahmen ist folgendes festgehalten:

"[...] Das vor der Bausperre gültige Plandokument (PD 3775) war Gegenstand eines Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes war, wenngleich auch die Errichtung der MVA mittels Aufbauplan vom damaligen Gemeinderat beschlossen wurde, die bloße Bezeichnung als 'Bauplatz für öffentliche Zwecke' ohne Festsetzung einer Widmung nicht ausreichend. Diese Entscheidung betrifft den Flächenwidmungs- und Bebauungsplan, nicht jedoch die Bewilligung der Anlage. Dem Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes soll im jetzigen Planentwurf Rechnung getragen werden [...]".

Diese Ausführungen nehmen Bezug auf ein beim Verwaltungsgerichtshof unter Z85/05/0133 anhängig gewesenes Beschwerdeverfahren. Aus Anlass einer von den Nachbarn der Müllverbrennungsanlage erhobenen Beschwerde gegen den Baubewilligungsbescheid zur Errichtung einer Rauchgasreinigungsanlage und gegen die Abweisung ihrer Einwendungen hatte der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 24. April 1990 beim Verfassungsgerichtshof gemäß Art139 Abs1 iVm Art89 Abs2 B-VG u.a. den Antrag gestellt, die genannten Festlegungen im Plandokument 3496 als gesetzwidrig aufzuheben. Zur Begründung hatte der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, die "Auszeichnung für öffentliche Zwecke" stelle keine Widmung als Inhalt eines Flächenwidmungsplanes dar, sondern Inhalt eines Bebauungsplanes, könne also eine im Gesetz vorgesehene Flächenwidmung keinesfalls ersetzen. Auch durch den Aufbauplan könnten nur Fragen der Bebauung, nicht aber der Flächenwidmung geregelt werden. Der Verwaltungsgerichtshof hatte dem Wiener Gemeinderat zugebilligt, dass dieser zweifellos eine Widmung für eine Müllverbrennungsanlage beabsichtigt hatte, und die hiefür vorgesehene Widmung nur rechtsirrtümlich, "offenbar in der durch das Gesetz nicht gedeckten Ansicht, eine Auszeichnung als Bauplatz für öffentliche Zwecke decke jegliche Verwendung", nicht festgelegt hatte.

Schließlich hatte der Verwaltungsgerichtshof auch Bedenken gegen das Zustandekommen einer derartigen Flächenwidmung gehegt. Der Wiener Gemeinderat habe nach den vorliegenden Unterlagen ausschließlich privatwirtschaftliche Interessen und nicht auch Rücksichten der Raumordnung, insbesondere die Vermeidung der Beeinträchtigung von Wohngebieten, bedacht, aber zur Frage, ob unzulässige Emissionen entstehen könnten, keine Ermittlungen angestellt, sondern sich ausschließlich auf Beobachtungen bei Besichtigungsreisen und die Angaben des Herstellers verlassen, die naturgemäß eine möglichst günstige Darstellung der Situation erwarten lassen.

Mit Beschluss vom 17. März 1992, Z85/05/0133, erklärte der Verwaltungsgerichtshof - nachdem die Bauwerberin die Nachbargrundstücke erworben hatte, als Rechtsnachfolgerin der seinerzeitigen Beschwerdeführer in das Verfahren eingetreten war und daraufhin die Beschwerde zurückgenommen hatte - die Beschwerde als gegenstandslos, stellte das Verfahren ein und zog den Verordnungsprüfungsantrag zurück.

Infolge der zutreffenden Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes gegen die Auszeichnung der Fläche, auf der die Müllverbrennungsanlage errichtet wurde, als Bauplatz für öffentliche Zwecke lagen schon aus diesem Grund wichtige, eine Änderung des Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes rechtfertigende Rücksichten im Sinne des §1 Abs4 WBO vor.

Dazu kommt noch folgendes: Mit der Stadtgestaltungsnovelle LGBl. Nr. 44/1996 wurde im §5 Abs5 WBO angeordnet, dass die Auszeichnung von Grundflächen für öffentliche Zwecke im Bebauungsplan nach Ablauf von zwölf Jahren unwirksam wird. Gemäß der Übergangsbestimmung des ArtIV Abs3 der Stadtgestaltungsnovelle wird die Auszeichnung von Grundflächen für öffentliche Zwecke, die beim Inkrafttreten dieses Gesetzes im Bebauungsplan festgelegt ist, nach Ablauf von zwölf Jahren ab Inkrafttreten dieses Gesetzes (am 19. September 1996) unwirksam. Die Auszeichnung für öffentliche Zwecke hätte aus diesem Grund überdies nur bis zum Jahre 2008 aufrecht erhalten werden dürfen. Auch durch diesen Umstand lagen wichtige, die Änderung der Flächenwidmung rechtfertigende, Rücksichten vor.

1.2. Die Beschwerdeführer behaupten weiters, vor der Umwidmung sei keine Interessenabwägung vorgenommen worden. Aus den Akten betreffend das Zustandekommen der Änderung des Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes, Plandokument 6998, ergibt sich jedoch das Gegenteil: In dem gemäß §2 Abs7 WBO verfassten Bericht ist zu den eingelangten Stellungnahmen festgehalten:

Durch die Zusatzbestimmung zur Sondergebietswidmung werde garantiert, dass keine nach der WBO zu genehmigende beliebige Anlage an dieser Stelle errichtet werden könne. Auf der als Sondergebiet vorgeschlagenen Fläche sei künftig somit nur die Errichtung einer Anlage, die ab 10.000 t Jahreskapazität den strengen Bestimmungen des Abfallwirtschaftsgesetzes (§29 Abs1 Z3 AWG) unterliege, das für die Bewilligung derartiger Anlagen die Einhaltung weiterer Rechtsvorschriften (u.a. Luftreinhalterecht, Forstrecht, Wasserrecht) vorschreibe, zulässig.

Behauptete Überschreitungen von Grenzwerten würden in den Stellungnahmen nicht belegt und wären (wie beispielsweise die Nichteinhaltung von Auflagen bei Baubewilligungen) auch nicht Gegenstand der Flächenwidmungs- und Bebauungsplanung, sondern in diesem Fall nach dem Abfallwirtschaftsgesetz zu beurteilen.

Es wird sodann auf den Umweltbericht der Stadt Wien 1995 verwiesen, in dem u.a. detaillierte Aussagen betreffend die Emissionen der MVA Flötzersteig getroffen worden seien. Weiters werde auf eine ausführliche Untersuchung des Forschungszentrums Seibersdorf hingewiesen:

"Mit Bioindikatoren wurden die Auswirkungen der MVA Flötzersteig überprüft. Der Abschlußbericht zeigt, daß der Einsatz modernster Technologien der Rauchgasreinigung schädliche Auswirkungen auf die Pflanzenwelt verhindert und die von den Gesetzgebern vorgegebenen Richtwerte bei weitem unterschritten werden."

Für die vorgeschlagene Widmung auf dieser bereits bebauten Grundfläche seien die langfristig beabsichtigte Nutzung unter Berücksichtigung des Bestandes sowie die für Neu-, Zu- und Umbauten anzuwendenden bestehenden Rechtsvorschriften (Abfallwirtschaftsgesetz und sich daraus ergebende zusätzliche Rechtsvorschriften) maßgeblich. Die behauptete Abweichung von raumplanerischen Zielsetzungen sei insofern unzutreffend, als bei einer Betrachtung des gesamten Plangebietes alle im Motivenbericht genannten Zielvorstellungen Beachtung fänden. Dass einzelnen Zielen, etwa der Vorsorge für zeitgemäße Einrichtungen zur Ver- und Entsorgung, insbesondere in Bezug auf Wasser, Energie und Abfall (§1 Abs1 Z9 WBO) und der Vorsorge für Flächen für den erforderlichen Wohnraum (§1 Abs1 Z1 WBO) auf ein und demselben Standort gleichzeitig entsprochen werde, werde weder vom Gesetzgeber gefordert noch im Motivenbericht behauptet.

1.3. Angesichts der Untersuchung und Bewertung der von der Müllverbrennungsanlage Flötzersteig bei konsensgemäßem Betrieb zu erwartenden Emissionen und deren Auswirkung auf das umliegende Wohngebiet hegt der Verfassungsgerichtshof auch keine Bedenken gegen die Sondergebietswidmung unter dem Gesichtspunkt konfligierender Widmungen. Die Entscheidung, ob der Abfall durch Müllverbrennung oder durch so genannte "kalte Verfahren" entsorgt wird, liegt im Entscheidungsspielraum des Verordnungsgebers. Auch die Entscheidung über die Frage, ob die Abfallentsorgung in einem so genannten "kalten Verfahren" die vom ökonomischen und ökologischen Standpunkt bessere Variante wäre, als Entscheidung über die Zweckmäßigkeit einer von mehreren zulässigen Varianten ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu überprüfen.

1.4. Die von den Beschwerdeführern behauptete Gesetzwidrigkeit der Änderung des Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes, Plandokument 6998, liegt daher nicht vor.

2. Die Beschwerdeführer machen schließlich die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz geltend.

Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen könnte eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. zB VfSlg. 10.413/1985, 11.682/1988) nur dann vorliegen, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

Die Beschwerdeführer bringen vor, die belangte Behörde habe Willkür geübt. Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt ua. in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (vgl. z.B. VfSlg. 8808/1980 und die dort angeführte Rechtsprechung; VfSlg. 10.338/1985, 11.213/1987).

Die Beschwerdeführer werfen der belangten Behörde vor, sie habe zwar aufgrund der von den Beschwerdeführern behaupteten Beeinträchtigungen, wie Schadstoffimmissionen, Belästigungen durch Lärm, Ruß, austretende Gase und üble Gerüche ein Gutachten des umwelttechnischen Sachverständigen der MA 22 über die durch die Benützung der in erster Instanz bewilligten Bauten zu erwartenden Immissionen eingeholt. Den Beschwerdeführern sei jedoch nur eine Frist von vierzehn Tagen eingeräumt worden, zu dem Gutachten Stellung zu nehmen. Über einen von den Beschwerdeführern gestellten Fristerstreckungsantrag habe die belangte Behörde nicht entschieden. Durch diese Vorgangsweise der belangten Behörde sei den Beschwerdeführern - in Missachtung der Bestimmung des §45 Abs3 AVG - keine Gelegenheit geboten worden, von dem Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen.

Bei der von den Beschwerdeführern behaupteten Rechtsverletzung, die ihnen eingeräumte Frist, zum umwelttechnischen Gutachten Stellung zu nehmen, sei nicht ausreichend gewesen, könnte es sich um die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Gesetzesanwendung handeln; dies würde jedoch selbst bei Zutreffen der Behauptung kein in die Verfassungssphäre eingreifendes willkürliches Verhalten bedeuten. Die Beschwerdeführer sind daher auch nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

3. Die Beschwerde war daher abzuweisen.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Baurecht, Raumordnung, Bebauungsplan, Flächenwidmungsplan, Verwaltungsverfahren, Ermittlungsverfahren, Parteiengehör

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2002:B1097.1999

Dokumentnummer

JFT_09979385_99B01097_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten