TE Vwgh Erkenntnis 2006/10/13 2006/01/0125

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Veröffentlicht am 13.10.2006
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AVG §58 Abs2;
AVG §59 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Pelant, Dr. Kleiser und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des BS in K, geboren 1982, vertreten durch Mag. Peterpaul Suntinger, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Pfarrplatz 17, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 17. März 2006, Zl. 263.453/0-V/13/05, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Serbien, stammt aus dem Kosovo und gehört der Volksgruppe der "Ägypter" an. Er reiste am 14. November 2004 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 15. November 2004 die Gewährung von Asyl. Diesen Antrag begründete er im Wesentlichen damit, von März bis Juni 1999 seien er und seine Familie in Montenegro gewesen und dann in ihren Heimatort Dobrushe im Kosovo zurückgekehrt. Von dort seien sie 1999 seitens der albanischen Bevölkerung mit Gewalt (er und seine Familie seien bedroht worden, es sei in die Luft geschossen worden, um sie einzuschüchtern, und sein Bruder sei zusammen geschlagen worden, als er versucht habe, zu verhindern, dass ihr Traktor weggenommen werde) wieder vertrieben worden, deshalb seien sie erneut nach Montenegro gezogen. 2001 seien er und seine Familie (im Rahmen eines Rückführungsprogrammes) wieder nach Dobrushe zurückgekehrt, wären aber, nachdem es wiederum Probleme mit der dort ansässigen albanischen Bevölkerung gegeben habe, nach Peje gezogen. In Peje habe der Beschwerdeführer in einem verlassenen Haus gewohnt und hätte weiterhin Angst gehabt, Bewohner aus Dobrushe zu treffen, welche wollten, dass er den Kosovo überhaupt verließe. Auch habe er dort "Probleme" in einem Tischler-Kurs bekommen, da er "Ägypter" sei. Peje habe er verlassen, da es ihm dort nicht möglich gewesen sei (als "Ägypter") Arbeit zu finden und er das Haus, in dem er mit seinem Bruder gelebt habe, verlassen habe müssen. Schließlich sei er nach Österreich geflohen, sein Bruder sei zurück nach Montenegro gegangen. Seine Mutter lebe weiter bei einer Tante in Peje.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 10. August 2005 wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.), weiters festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers "nach Serbien und Montenegro" gemäß § 8 Abs. 1 AsylG zulässig sei (Spruchpunkt II.) und der Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 AsylG "aus dem österreichischen Bundesgebiet" ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

Mit dem angefochtenen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 17. März 2006 wurde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bundesasylamtes gemäß den §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 AsylG abgewiesen. Begründend stellte die belangte Behörde fest, ausschlaggebend für die Flucht des Beschwerdeführers nach Österreich seien "letztlich wirtschaftliche Überlegungen und seine subjektive, nicht näher substantiierte, Angst vor albanisch-stämmigen Dorfbewohnern" gewesen. Sodann führte die belangte Behörde aus, im Hinblick auf die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Fluchtgründe könne "dahingestellt bleiben, ob selbige der Wahrheit entsprechen, da es de facto unmöglich ist, ein derartiges Vorbringen (....) auch nur ansatzweise einer Verifizierung zuzuführen". Ausgehend vom Vorbringen des Beschwerdeführers seien sämtliche ins Treffen geführten Fluchtgründe keine hinreichende Basis für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne der FlKonv. Das vom Beschwerdeführer als fluchtauslösend geschilderte Bedrohungsszenario gründe sich ausschließlich auf potenzielle Konflikte mit Privatpersonen, wobei diese von ihrer Art und ihrem Umfang her "als ausgesprochen moderat" zu bezeichnen seien. Ein derartiger Sachverhalt fände jedoch keinerlei Deckung in der FlKonv. Auch die vom Beschwerdeführer stets angeführten persönlichen wirtschaftlichen Probleme seien nicht geeignet, seine Flüchtlingseigenschaft im Sinne der FlKonv zu begründen.

Im Hinblick auf § 8 Abs.1 AsylG führt die belangte Behörde im Wesentlichen aus, "in Serbien und Montenegro, Provinz Kosovo" bestehe keine "dergestalt exzeptionelle Situation (Bürgerkrieg, Seuchenkatastrophe bzw. Hungersnot)", wodurch eine Gefährdung im Sinne der Art. 2 und 3 EMRK indiziert wäre. Auch könne als notorisch vorausgesetzt werden, dass "in Serbien und Montenegro, Provinz Kosovo" keine Situation bestehe, dass jede zurückzuführende Person mangels Deckung existenzieller Grundbedürfnisse einer lebensbedrohlichen Situation ausgesetzt wäre. Zur Ausweisung nach § 8 Abs. 2 AsylG enthält der angefochtene Bescheid keine Begründung.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Mit ihren textbausteinartigen Ausführungen, es könne hinsichtlich der vom Beschwerdeführer vorgebrachten Fluchtgründe "dahingestellt bleiben, ob selbige der Wahrheit entsprechen, da es de facto unmöglich ist, ein derartiges Vorbringen (....) auch nur ansatzweise einer Verifizierung zuzuführen" (vgl. zur mangelnden Nachvollziehbarkeit dieser Argumentation im Allgemeinen auch das hg. Erkenntnis vom heutigen Tage, Zl. 2006/01/0383), hat sich die belangte Behörde einer Beweiswürdigung im gegenständlichen Fall entledigt. Angesichts dessen ist davon auszugehen, dass die Behörde ihrer Entscheidung das als wahr unterstellte Vorbringen des Asylwerbers zugrundegelegt hat.

Soweit die belangte Behörde meint, die vom Beschwerdeführer geschilderten Konflikte mit Privatpersonen seien "als ausgesprochen moderat zu bezeichnen" und fänden daher "keinerlei Deckung" in der FlKonv, hat sie verkannt, dass der Beschwerdeführer (und seine Familie) - seinem Vorbringen folgend - 1999 von Angehörigen der albanischen Volksgruppe wegen seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit mit Gewalt aus seinem Heimatort Dobrushe vertrieben worden ist, in Peje Zuflucht gesucht hat und bis dato nicht in den Heimatort zurückkehren konnte. Demnach handelte es sich beim Aufenthalt des Beschwerdeführers in Peje um den Zustand interner Vertreibung. Davon ausgehend ist für die Beurteilung seiner Flüchtlingseigenschaft nicht ausschlaggebend, ob ihm in Peje selbst keine asylrelevante Verfolgung droht, sondern müsste - bei weiterhin aufrechter Verfolgungsgefahr in seinem Heimatort Dobrushe - insbesondere unter Berücksichtigung des Kriteriums der Zumutbarkeit geprüft werden, ob ihm in Peje (oder einem anderen konkret in Betracht kommenden Zufluchtsort innerhalb des Herkunftsstaates) auch noch nach dem Verlust der bisher genützten Wohnmöglichkeit eine inländische Schutzalternative zur Verfügung stand (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 2006, Zl. 2005/01/0057, mwN).

2. Der angefochtene Bescheid erweist sich unabhängig davon aber auch insoweit, als er Spruchpunkt II. des erstinstanzlichen Bescheides (betreffend das Refoulement "nach Serbien und Montenegro" gemäß § 8 Abs. 1 AsylG) bestätigt, als rechtswidrig. Ein Bescheid, mit dem die Abschiebung eines Asylwerbers in diesen Staat für zulässig erklärt wurde, erlaubt grundsätzlich die Abschiebung in das gesamte Staatsgebiet (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 2006, Zl. 2002/01/0327 zum Refoulement in die "BR Jugoslawien", mwN). Die belangte Behörde hat in der Begründung ihres Bescheides die Zulässigkeit einer Abschiebung des Beschwerdeführers nach Serbien und Montenegro (ohne Kosovo) offen gelassen. Auf Grund des Spruches des angefochtenen Bescheides muss jedoch davon ausgegangen werden, dass eine Abschiebung des - aus dem Kosovo stammenden - Beschwerdeführers in das gesamte Staatsgebiet von Serbien und Montenegro zulässig wäre. Die im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen bieten hiefür keine Grundlage, weshalb der angefochtene Bescheid hinsichtlich seines Ausspruches nach § 8 Abs. 1 AsylG mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet ist.

3. Letztlich erweist sich der angefochtene Bescheid auch insoweit, als er Spruchpunkt III. des erstinstanzlichen Bescheides (betreffend die Ausweisung des Beschwerdeführers "aus dem österreichischen Bundesgebiet") nach § 8 Abs. 2 AsylG bestätigt, als rechtswidrig. Insoweit hat die belangte Behörde verkannt, dass die Asylbehörden in einem Fall wie dem vorliegenden nicht berechtigt sind, die Ausweisung eines Asylwerbers ohne Einschränkung auf den Herkunftsstaat auszusprechen. Hiezu kann gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das hg. Erkenntnis vom 13. November 2005, Zl. 2005/01/0625, und die dort angeführte Vorjudikatur verwiesen werden.

4. Der angefochtene Bescheid war daher insgesamt gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

5. Der Spruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 13. Oktober 2006

Schlagworte

Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1 Spruch und Begründung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2006010125.X00

Im RIS seit

20.12.2006
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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