TE Vwgh Erkenntnis 2006/10/17 2003/11/0116

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Veröffentlicht am 17.10.2006
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
68/01 Behinderteneinstellung;

Norm

AVG §37;
AVG §39 Abs2;
BEinstG §14 Abs2;
BEinstG §14 Abs5;
BEinstG §2 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Gall, Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des T in W, vertreten durch Dr.  Beatrice Strnad, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Spiegelgasse 4, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 2. Dezember 2002, Zl. MA 15-II-BEG 106/2002, betreffend Neufestsetzung des Grades der Behinderung nach dem Behinderteneinstellungsgesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des Bundessozialamtes für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 7. Oktober 1994 wurde gemäß § 14 Abs. 2 Behinderteneinstellungsgesetz - BEinstG festgestellt, dass der Beschwerdeführer dem Kreis der begünstigten Behinderten angehört und dass der Grad seiner Behinderung 50 v.H. beträgt.

Mit Antrag vom 10. Jänner 2002 beantragte der Beschwerdeführer die "Neufeststellung des Grades" seiner Behinderung und brachte vor, sein Befinden habe sich seit der Feststellung 1994 deutlich verbessert und er empfinde den Grad der Behinderung von 50 v.H. als zusätzliches Hindernis bei der Arbeitsuche.

Diesen Antrag wies das Bundessozialamt für Wien, Niederösterreich und Burgenland mit Bescheid vom 22. Juli 2002 ab. In ihrer Begründung gelangte die Erstbehörde zum Ergebnis, dass der Grad der Behinderung des Beschwerdeführers weiterhin 50 v.H. betrage.

Auf Grund der dagegen erhobenen Berufung, in der der Beschwerdeführer ausführte, er habe "um Senkung meines Behindertenprozentsatzes (45%) angesucht", sprach die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid aus, der Beschwerdeführer sei mit Ablauf des Monates der Zustellung dieses Bescheides auf Grund des Grades der Behinderung von 40 v.H. nicht mehr dem Kreis der begünstigten Behinderten im Sinne des § 2 Abs. 1 BEinstG zuzurechnen.

Begründend stützte die belangte Behörde den festgestellten Grad der Behinderung von 40 v.H. im Wesentlichen auf das amtsärztliche Gutachten vom 7. Oktober 2002, wonach sich der ursprüngliche Leidenszustand des Beschwerdeführers (Zwangsstörung sowie schizotype Störung) zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt gebessert und zu einer Reduktion der Symptome (Zwangshandlungen, insbesondere Kontroll- und Waschzwänge) geführt habe.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde erachtet sich der Beschwerdeführer nach dem gesamten Beschwerdevorbringen durch die Herabsetzung des Grades der Behinderung in seinen Rechten verletzt. Er wendet zusammengefasst ein, dass ihn die Behörde vor dem Hintergrund seines psychischen Leidens über die Konsequenzen seines Antrages hätte aufklären müssen. Gegen die Schlüssigkeit der im Verfahren eingeholten Gutachten führte der Beschwerdeführer u.a. einen (nach Erlassung des angefochtenen Bescheides erstatteten) fachärztlichen Befund ins Treffen.

Die im Beschwerdefall maßgebenden Bestimmungen des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970 in der Fassung BGBl. I Nr. 150/2002, lauten (auszugsweise):

"Personenkreis

§ 2 (1) Begünstigte Behinderte im Sinne dieses Bundesgesetzes

sind österreichische Staatsbürger mit einem Grad der Behinderung

von mindestens 50 vH. ...

Feststellung der Begünstigung

§ 14. (1) Als Nachweis für die Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten gilt der letzte rechtskräftige Bescheid über die Einschätzung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit mit mindestens 50 vH

a) ...

(2) Liegt ein Nachweis im Sinne des Abs. 1 nicht vor, hat auf Antrag des Behinderten das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen den Grad der Behinderung einzuschätzen und bei Zutreffen der im § 2 Abs. 1 angeführten sonstigen Voraussetzungen die Zugehörigkeit zum Kreis der nach diesem Bundesgesetz begünstigten Behinderten (§ 2) sowie den Grad der Behinderung (Abs. 3) festzustellen. ... Die Begünstigungen erlöschen mit Ablauf des Monates, der auf die Zustellung des Bescheides folgt, mit dem der Wegfall der Voraussetzungen für die Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten rechtskräftig ausgesprochen wird.

...

(5) Anträge von begünstigten Behinderten (§ 2) auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung wegen Änderung des Leidenszustandes sind ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Feststellung noch kein Jahr verstrichen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung des Leidenszustandes glaubhaft geltend gemacht wird.

(6) Wenn ein begünstigter Behinderter oder ein Antragswerber ohne triftigen Grund einer schriftlichen Aufforderung zum Erscheinen zu einer zumutbaren ärztlichen Untersuchung nicht entspricht oder sich weigert, die zur Durchführung des Verfahrens unerlässlichen Angaben zu machen, ist das Verfahren einzustellen oder das Erlöschen der Zugehörigkeit zum Kreis der nach diesem Bundesgesetz begünstigten Behinderten (§ 2 Abs. 1 und 3) auszusprechen. Er ist nachweislich auf die Folgen seines Verhaltens hinzuweisen.

...

Rechtsmittel

§ 19a. (1) (Verfassungsbestimmung) Über Berufungen gegen Bescheide des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen in Durchführung dieses Bundesgesetzes entscheidet, soweit dieses Bundesgesetz nichts anderes bestimmt, die Bundesberufungskommission. ...

Inkrafttreten

§ 25. ...

(7) 1. (Verfassungsbestimmung) § 19a Abs. 1 tritt mit 1. Jänner 2003 in Kraft. ...

Übergangsbestimmungen

§ 27. ...

(6) Die Bestimmung des § 19a Abs. 1 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 150/2002 ist auf zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens dieses Bundesgesetzes anhängige Berufungsverfahren nicht anzuwenden. Diese Verfahren sind vom zuständigen Landeshauptmann unter Zugrundelegung der bis zum 31. Dezember 2002 geltenden Vorschriften zu Ende zu führen. ..."

Zunächst ist, was Zuständigkeit der belangten Behörde betrifft, festzuhalten, dass das Berufungsverfahren, das mit der Erlassung des angefochtenen Bescheides am 29. Jänner 2003 geendet hat, zu dem in § 27 Abs. 6 BEinstG genannten Zeitpunkt anhängig war.

Festzuhalten ist weiters, dass sich weder aus der Aktenlage noch aus dem Beschwerdevorbringen konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben, dass für den Beschwerdeführer ein Sachwalter bestellt worden oder seine Prozessfähigkeit beeinträchtigt gewesen wäre. Die belangte Behörde hatte ihrer Entscheidung daher den Antrag des Beschwerdeführers vom 10. Jänner 2002 zugrunde zu legen.

In diesem Antrag hat der Beschwerdeführer, wie erwähnt, die "Neufeststellung meines Grades der Behinderung" begehrt, weil er den bis dahin mit 50 v.H. festgestellten Grad der Behinderung als Erschwernis bei der Arbeitssuche empfunden hat.

Zwar sind Anträge von begünstigten Behinderten auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung unter den Voraussetzungen des § 14 Abs. 5 BEinstG zulässig. Die Behörde hat in einem solchen Fall in Anwendung des § 14 Abs. 2 erster Satz leg. cit. den Grad der Behinderung unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen (neu) einzuschätzen und bei Zutreffen der Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 leg. cit. den Grad der Behinderung (neu) festzustellen. Dem Gesetz kann aber nicht entnommen werden, dass der Grad der Behinderung auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 BEinstG, also wenn der Grad der Behinderung mit weniger als 50 v.H. eingeschätzt wird, bescheidmäßig festzustellen sei. Vielmehr ist nach dem letzten Satz des § 14 Abs. 2 BEinstG in einem solchen Fall lediglich der Wegfall der Voraussetzungen für die Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten auszusprechen.

Die belangte Behörde hat daher übersehen, dass der Antrag des Beschwerdeführers kein eindeutiges Begehren beinhaltet:

Das Ansuchen vom 10. Jänner 2002 auf "Neufeststellung" des Grades der Behinderung mit der Begründung, der bis dahin festgestellte Grad der Behinderung von 50 v.H. stelle ein Hindernis bei der Arbeitssuche dar, lässt sich einerseits dahin deuten, der Beschwerdeführer begehre - wie erwähnt unzulässigerweise - die bescheidmäßige Feststellung des Grades der Behinderung von weniger als 50 v.H. Bestärkt wird diese Annahme durch das genannte Vorbringen in der Berufung. Andererseits kann der Hinweis, der bislang festgestellte Grad der Behinderung sei ein Hindernis bei der Arbeitssuche, auch dahin verstanden werden, der Beschwerdeführer wolle auf die Begünstigungen nach dem BEinstG überhaupt verzichten und er begehre daher die Feststellung, dass er dem Kreis der begünstigten Behinderten nicht mehr angehöre. Vor diesem Hintergrund wäre es daher Aufgabe der belangten Behörde gewesen, zunächst das wahre Begehren des Beschwerdeführers zu ermitteln (vgl. dazu die in Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetz I, 2. Auflage, E. 12 und E. 23 zu § 39 AVG).

Der angefochtene Bescheid war nach dem Gesagten wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 17. Oktober 2006

Schlagworte

Besondere RechtsgebieteSachverhalt Sachverhaltsfeststellung Materielle WahrheitSachverhalt Sachverhaltsfeststellung Parteivorbringen Erforschung des Parteiwillens

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2003110116.X00

Im RIS seit

05.12.2006

Zuletzt aktualisiert am

06.06.2012
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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