TE Vwgh Erkenntnis 2006/11/14 2005/01/0577

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Veröffentlicht am 14.11.2006
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Index

25/01 Strafprozess;
41/01 Sicherheitsrecht;

Norm

StPO 1975 §180;
WaffGG 1969 §7 Z3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Pelant, Dr. Kleiser und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des M D in W, vertreten durch Dr. Georg Zwolanek, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Georg-Coch-Platz 3/6, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 21. Juli 2005, Zl. UVS- 02/43/1849/2004/41, betreffend § 67a Abs. 1 Z 2 AVG (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Am 23. Jänner 2004 kam es in 1170 Wien zu einem Polizeieinsatz, in dessen Zuge der Beschwerdeführer durch den Gebrauch der Schusswaffe durch einen Sicherheitswachebeamten (SWB) im Beckenbereich verletzt wurde.

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 21. Juli 2005 wies der Unabhängige Verwaltungssenat Wien die dagegen gerichtete Beschwerde gemäß § 67a Abs. 1 Z 2 iVm § 67c Abs. 3 AVG als unbegründet ab und verpflichtete den Beschwerdeführer gemäß § 79a AVG iVm der UVS-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 334/2003, zum Aufwandersatz an den Bund in der Höhe von insgesamt EUR 547,10 (EUR 51,50 Vorlageaufwand, EUR 220,30 Schriftsatzaufwand und EUR 275,30 Verhandlungsaufwand).

Dieser Entscheidung legte die belangte Behörde nachfolgenden Sachverhalt zu Grunde:

"Am 23.1.2004 befanden sich die Sicherheitswachebeamten Rvl. K und Insp. A auf motorisiertem Streifendienst im 16. Wiener Gemeindebezirk und konnten wahrnehmen, wie die Insassen eines Opel Kadett in der Julius-Meinl-Gasse an einem dort abgestellten Fahrzeug an der an diesem angebrachten Nummerntafel hantierten. Die beobachteten Personen unterbrachen angesichts des sich nähernden Streifenkraftwagens ihre Tätigkeit, bestiegen ihr Fahrzeug und setzten ihre offensichtlich kurz zuvor unterbrochene Fahrt fort. Da die Beamten aufgrund ihrer Wahrnehmungen vom Verdacht ausgingen, die beobachteten Personen hätten eine Straftat zu verantworten, folgten sie dem sich entfernenden Fahrzeug mit eingeschaltenem Blaulicht. Die durch die Beamten unmittelbar darauffolgend durchgeführte Funkanfrage ergab, dass hinsichtlich des von ihnen verfolgten Fahrzeuges der Verdacht der Kennzeichenentwendung vorliegt.

Als der Fahrer des Opel Kadett bemerkte, dass ihm der Streifenkraftwagen folgte, versuchte er, diesem durch überhöhte Geschwindigkeit zu entkommen. Die Beamten folgten dem flüchtenden Fahrzeug, dessen Lenker im Zuge der Verfolgungsjagd durch seine Fahrmanöver und die von ihm gefahrene Geschwindigkeit von 120 km/h ein besonders rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr setzte, quer durch den 18. und 17. Bezirk.

In der Amundsenstraße gelang es dem Fahrer des Streifenkraftwagens, Insp. A, das verfolgte Fahrzeug zu überholen und dem Lenker desselben durch Abschneiden der Fahrbahn durch leichtes Querstellen zum Anhalten zu bewegen. Als der Streifenkraftwagen schräg vor dem Opel Kadett zum Stillstand kam, sprang Rvl. K von der Beifahrerseite aus dem Streifenkraftwagen und forderte die Fahrzeuginsassen auf, ihr Fahrzeug zu verlassen. Zugleich reversierte der Lenker des Opel Kadett sein Fahrzeug und war aufgrund dieses Verhaltens für den Sicherheitswachebeamten Rvl. K klar ersichtlich, dass die Fahrzeuginsassen des Opel Kadett nicht beabsichtigten, seiner Anordnung Folge zu leisten.

Als nach Beendigung des Reversierens der Lenker des verfolgten Fahrzeuges nunmehr vorwärtsfahrend Anzeichen setzte, in Gegenrichtung davonfahren zu wollen, gab Rvl. K mit seiner Dienstwaffe einen Warnschuss ab, um dem Fahrzeuglenker zu verdeutlichen, dass er im Falle eines weiteren Fluchtversuches beabsichtigte, von der Dienstwaffe Gebrauch zu machen. Inzwischen war das Fahrzeug des Beschwerdeführers gewendet und versuchte der Lenker, mit weiterhin überhöhter Geschwindigkeit der Anhaltung zu entkommen. Rvl. K gab daraufhin zumindest drei Schüsse in Richtung des flüchtenden Fahrzeuges ab, wobei einer der Schüsse die Seitenscheibe des Opel Kadett durchschlug, ein weiteres Projektil die Rückenlehne des Fahrersitzes durchschlug und den Beschwerdeführer im Beckenbereich verletzte.

Trotz dieser Verletzung gelang es dem Beschwerdeführer vorerst erfolgreich, seinen Fluchtversuch fortzusetzen. Erst in weiterer Folge bemerkte der Beschwerdeführer selbst seine Verletzung und lenkte das von ihm benützte Fahrzeug in Richtung Allgemeines Krankenhaus. Dort stellte er den Opel in der Martinstraße ab, die beiden zusätzlichen Insassen des Fahrzeuges begaben sich nach Hause, während der Beschwerdeführer, der nunmehr aufgrund seiner Verletzung nicht mehr ordentlich gehen konnte, mit dem Taxi ins AKH fuhr.

Die Ärzte des Allgemeinen Krankenhauses erstatteten auf Grund der Verletzung des Beschwerdeführers Anzeige."

Beweiswürdigend führte die belangte Behörde (auszugsweise) aus:

"Die Aussagen und Schilderungen der an der Amtshandlung beteiligten Sicherheitswachebeamten, Insp. A und Rvl. K waren in sich geschlossen und widerspruchsfrei und entsprachen auch dem Akteninhalt sowie den als bekannt vorauszusetzenden Dienstgepflogenheiten. Die Beamten konnten nachvollziehbar schildern, dass sie die Insassen des Opel Kadett dabei beobachtet hatten, wie sie an einem im 16. Bezirk abgestellten Fahrzeug hantierten und lag für die Beamten bereits aufgrund dieses Umstandes der Verdacht nahe, es könne sich bei dem beobachteten Vorkommnis um die Verwirklichung einer Straftat handelt.

...

Die Beamten schilderten auch in plakativen Worten, mit welcher Rücksichtslosigkeit die verfolgten Fahrzeuginsassen ihr Fluchtverhalten über eine doch recht beachtliche Strecke, sei es auch in der Nacht, wenn das Verkehrsaufkommen gering ist, fortsetzten. Die Schilderungen über den Ablauf des Anhaltevorgangs, insbesondere die Abstellpositionen der beiden Fahrzeuge zueinander nach dem Überholmanöver waren übereinstimmend und widerspruchsfrei, letztlich auch schlüssig und nachvollziehbar und erscheint für den Unabhängigen Verwaltungssenat Wien das geschilderte Fahrmanöver durchführbar und realistisch.

Anders verhält es sich mit den Schilderungen des Beschwerdeführers und seiner beiden Freunde, welche mit ihm im Fahrzeug mitfuhren. Abgesehen davon, dass dem Grundverhalten der drei Personen ein strafrechtlich relevanter Tatbestand zu Grunde lag und die drei versuchten, ihre Handlungen zu beschönigen, erscheint es unrealistisch, dass ausschließlich der Beschwerdeführer das Fluchtverhalten in der sachverhaltsmäßigen Form begründete, vielmehr erscheint es nachvollziehbar, dass der Lenker des Fluchtfahrzeuges in seinem Verhalten durch die beiden zusätzlichen Fahrzeuginsassen bestärkt wurde.

...

Wesentliche Diskrepanzen ergeben sich hinsichtlich des Anhaltemanövers des Fluchtfahrzeuges. Der Beschwerdeführer versuchte sein Fahrverhalten derart darzustellen, als habe er nach dem Überholvorgang durch das Streifenkraftfahrzeug im Ralley-Fahrer-Stil mit der Handbremse sein Fahrzeug gewendet und praktisch ohne wesentliches Anhalten dadurch die Fahrt sofort in Gegenrichtung fortsetzen können. Die zeugenschaftlich einvernommenen Fahrzeuginsassen des Fluchtfahrzeuges schilderten das Fahrmanöver zwar in ähnlicher Form, jedoch machten alle drei Personen, nachdem sie im Zuge der mündlichen Verhandlung zur Anfertigung einer Skizze aufgefordert worden waren, unterschiedliche Angaben über die jeweiligen Abstellpositionen der beteiligten Fahrzeuge.

Hinsichtlich der Frage, ob seitens des Beamten Rvl. K ein Warnschuss in die Luft abgegeben worden ist, ist ebenso der Schilderung des Beamten der Vorzug zu geben. Abgesehen davon, dass auch Insp. A im Zuge seiner zeugenschaftlichen Einvernahme angab, in Kenntnis davon zu sein, dass Rvl. K einen Warnschuss in die Luft abgegeben hat, werden Beamte der Sicherheitswache im Dienstbetrieb derart geschult, dass entsprechende Vorgänge nahezu automatisiert ablaufen, und ist nicht nachvollziehbar, warum es gegenständlich nicht in der geschulten Art und Weise erfolgt sein soll. Auch der Umstand, dass Insp. A mit Sicherheit davon ausgeht, dass sein Kollege einen Warnschuss abgegeben hat, stützt die Tatsache, dass ein solcher Warnschuss tatsächlich erfolgte, hat doch Insp. A mit dem Abstellen des Fahrzeuges Wesentliches zu tun und erscheint die Tatsache, dass sich der Beamte definitiv an die Abgabe des Warnschusses zu erinnern vermochte, ein besonderes Indiz dafür zu sein, dass es tatsächlich zur Abgabe des Warnschusses kam.

Die drei im Fluchtfahrzeug befindlichen Personen hingegen vermochten nicht einmal mehr mit Sicherheit anzugeben, wie viele Schüsse durch den Beamten abgegeben worden sind. Der Zeuge P gab zeugenschaftlich einvernommen an, dass drei bis vier Schüsse abgegeben worden sind und dass die Abgabe der Schüsse in schneller Reihenfolge erfolgte.

Geht man davon aus, dass die gesamte Flucht sowohl für den Lenker des Opel Kadett als auch für die übrigen Fahrzeuginsassen eine äußerst stressgeladene Situation darstellte, dass einige der Aktionen sicherlich aus der Panik heraus entstanden und die betroffenen Personen auch an derartige Vorkommnisse nicht gewohnt sind, erscheint es nachvollziehbar, dass die tatsächlichen Erinnerungen an die Gegebenheiten rudimentär sind und im Nachhinein durch die Betroffenen ungenau und verklärt wiedergegeben werden. Im Gegensatz dazu sind Sicherheitswachebeamte im Umgang mit derartigen Situationen geschult und ist ihnen eine bewusstere Umgangsweise damit jedenfalls zuzumuten.

So ist es auch - im Zusammenhalt mit dem oben Gesagten - wahrscheinlich, dass der Berufungswerber im Zuge seines Wendemanövers sehr wohl ein Verhalten setzte, welches den Sicherheitswachebeamten Rvl. K massiv gefährdete, indem er das Fahrzeug auf ihn zusteuerte und sich der Sicherheitswachebeamte nur durch einen raschen Sprung auf die Seite aus dem Gefahrenbereich zu bringen vermochte."

Weiters führte die belangte Behörde aus, das Vorbringen des Beschwerdeführervertreters hinsichtlich der "auffälligen Augenbewegungen" des SWB K. ("Zwinkern") sei unerheblich, da die von diesem gewählte Vorgangsweise (Abgabe eines oder mehrerer Schüsse aus der Dienstwaffe auf das Fluchtfahrzeug) mit diesem "Zwinkern" nicht in Zusammenhang gestanden sei. Der Beweisantrag auf Einholung eines - zusätzlichen - Sachverständigengutachtens über die Dienstfähigkeit ("Schusstauglichkeit") des SWB K. sei abzuweisen gewesen, da bereits der Amtssachverständige (Amtsarzt) sowie der Schießsachverständige der Bundespolizeidirektion Wien (BPD) diesem bescheinigt hätten, über "ausreichende Schussleistungen" zu verfügen.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde nach Wiedergabe u.a. der §§ 2, 4, 7 und 8 Waffengebrauchsgesetz (WaffGG) im Wesentlichen aus, der SWB K. habe - wie dem Sachverhalt zu entnehmen sei - "sehr wohl" einen Warnschuss in die Luft abgegeben, bevor er einen gezielten Schuss auf das Fluchtfahrzeug abgegeben habe. Damit habe er § 8 Abs. 1 WaffGG Genüge getan und sei die Schussabgabe auf das Fahrzeug aus diesem Grunde rechtmäßig gewesen.

Der Gebrauch der Dienstwaffe und die damit verbundene gezielte Abgabe von Schüssen auf das Fahrzeug des Beschwerdeführers habe der Überwindung eines auf die Vereitelung einer rechtmäßigen Amtshandlung gerichteten Widerstandes (Flucht nach Anhaltung) gedient, wobei seitens der SWB die Annahme, es läge ein strafbares Verhalten der Fahrzeuginsassen vor (Entwendung einer Kennzeichentafel, Einbruchsdiebstahl in Fahrzeuge), auf Grund der Wahrnehmungen der SWB schlüssig und gerechtfertigt gewesen sei. Außerdem sei auf Grund des Verhaltens des Beschwerdeführers durch die rücksichtslose und gefahrengeneigte Flucht über eine beträchtliche Strecke die Annahme gerechtfertigt gewesen, es lägen auch weitere, möglicherweise gravierende Verdachtsmomente vor.

Daher habe die Abgabe von gezielten Schüssen auf das Fahrzeug des Beschwerdeführers diesen weder im Grundrecht auf Unversehrtheit des Lebens noch im Grundrecht, keiner Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, verletzt. Da auch eine Verletzung in sonstigen Rechten nicht hervorgekommen sei, sei die Beschwerde in allen Punkten abzuweisen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen des Waffengebrauchsgesetzes 1969, BGBl. 149 in der Fassung BGBl. I Nr. 146/1999 (im Folgenden: WaffGG) lauten:

"§ 2. Organe der Bundespolizei, der Bundesgendarmerie und der Gemeindewachkörper dürfen in Ausübung des Dienstes nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes von Dienstwaffen Gebrauch machen:

1.

im Falle gerechter Notwehr;

2.

zur Überwindung eines auf die Vereitlung einer rechtmäßigen Amtshandlung gerichteten Widerstandes;

3.

zur Erzwingung einer rechtmäßigen Festnahme;

4.

zur Verhinderung des Entkommens einer rechtmäßig festgehaltenen Person;

              5.              zur Abwehr einer von einer Sache drohenden Gefahr.

...

§ 4. Der Waffengebrauch ist nur zulässig, wenn ungefährliche oder weniger gefährliche Maßnahmen, wie insbesondere die Aufforderung zur Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes, die Androhung des Waffengebrauches, die Verfolgung eines Flüchtenden, die Anwendung von Körperkraft oder verfügbare gelindere Mittel, wie insbesondere Handfesseln oder technische Sperren, ungeeignet scheinen oder sich als wirkungslos erwiesen haben.

...

§ 6. (1) Zweck des Waffengebrauches gegen Menschen darf nur sein, angriffs-, widerstands- oder fluchtunfähig zu machen. In den Fällen des § 2 Z. 2 bis 5 darf der durch den Waffengebrauch zu erwartende Schaden nicht offensichtlich außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg stehen.

(2) Jede Waffe ist mit möglichster Schonung von Menschen und Sachen zu gebrauchen. Gegen Menschen dürfen Waffen nur angewendet werden, wenn der Zweck ihrer Anwendung nicht durch Waffenwirkung gegen Sachen erreicht werden kann.

ABSCHNITT II

Lebensgefährdender Waffengebrauch

§ 7. Der mit Lebensgefährdung verbundene Gebrauch einer Waffe gegen Menschen ist nur zulässig:

1.

im Falle gerechter Notwehr zur Verteidigung eines Menschen;

2.

zur Unterdrückung eines Aufstandes oder Aufruhrs;

3.

zur Erzwingung der Festnahme oder Verhinderung des Entkommens einer Person, die einer gerichtlich strafbaren Handlung, die nur vorsätzlich begangen werden kann und mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist, überwiesen oder dringend verdächtig ist, das für sich allein oder in Verbindung mit ihrem Verhalten bei der Festnahme oder Entweichung sie als einen für die Sicherheit des Staates, der Person oder des Eigentums allgemein gefährlichen Menschen kennzeichnet;

              4.              zur Erzwingung der Festnahme oder Verhinderung des Entkommens eines Geisteskranken, der für die Sicherheit der Person oder des Eigentums allgemein gefährlich ist.

§ 8. (1) Der lebensgefährdende Waffengebrauch gegen Menschen ist ausdrücklich, zeitlich unmittelbar vorangehend und deutlich wahrnehmbar anzudrohen. Gegenüber einer Menschenmenge ist die Androhung zu wiederholen. Als Androhung des Schusswaffengebrauches gilt auch die Abgabe eines Warnschusses.

(2) Der lebensgefährdende Waffengebrauch ist nur dann zulässig, wenn dadurch Unbeteiligte voraussichtlich nicht gefährdet werden, es sei denn, dass er unvermeidbar scheint, um eine Menschenmenge von Gewalttaten abzuhalten, durch die die Sicherheit von Personen mittelbar oder unmittelbar gefährdet wird.

(3) Im Falle gerechter Notwehr finden die Bestimmungen der Abs. 1 und 2 keine Anwendung."

Die Beschwerde geht zunächst zu Recht davon aus, dass es sich bei der Schussabgabe im vorliegenden Fall um einen lebensgefährdenden Waffengebrauch iS des Abschnitt II des WaffGG gehandelt habe.

Die belangte Behörde lässt nicht erkennen, vom Vorliegen welcher der in § 7 WaffGG geregelten Voraussetzungen für einen zulässigen lebensgefährdenden Waffengebrauch sie ausgegangen ist. Nach den Umständen des Beschwerdefalles kommen lediglich § 7 Z 1 und Z 3 WaffGG in Betracht.

§ 7 Z 1 WaffGG (Notwehr) ist - ungeachtet des von der Behörde in der Beweiswürdigung angeführten "zur Seite Springen" des betroffenen SWB - nicht gegeben, da die Schussabgabe nach dem festgestellten Sachverhalt unstrittig nach Beendigung des Umkehrvorganges erfolgte und daher nicht zum Schutze des SWB erfolgte (vgl. im Gegensatz dazu - eine Notwehrsituation betreffend - das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 8. Juni 1985. VfSlg. 10.427).

Gemäß § 7 Z 3 WaffG setzt der lebensgefährdende Waffengebrauch (unter anderem) voraus, dass die betreffende Person einer gerichtlich strafbaren Handlung überwiesen oder dringend verdächtig ist, welche nur vorsätzlich begangen werden kann und mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist. Die Beschwerde wendet nun ein, der Beschwerdeführer habe sich lediglich der Urkundenunterdrückung gemäß § 229 Abs. 1 StGB schuldig gemacht, welche nicht mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht sei. Damit weist sie zu Recht darauf hin, dass die belangte Behörde übersehen hat, dass die von ihr (offenbar) angesprochene gerichtlich strafbare Handlung nach § 229 Abs.1 StGB ("Entwendung einer Kennzeichentafel") schon hinsichtlich ihres Strafrahmens die Voraussetzungen des § 7 Z 3 WaffGG nicht erfüllte.

Die belangte Behörde hat ihre Entscheidung aber auch darauf gestützt, dass seitens der einschreitenden SWB die Annahme einer weiteren gerichtlich strafbaren Handlung ("Einbruchdiebstahl in Fahrzeuge") gerechtfertigt gewesen sei. Dieses unter § 129 Z 1 StGB zu subsumierende Delikt erfüllt seinem Strafrahmen nach (Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren) die Voraussetzungen des § 7 Z 3 WaffGG.

Jedoch hat die belangte Behörde im Hinblick auf diese gerichtlich strafbare Handlung verkannt, dass es im Rahmen des § 7 Z 3 WaffGG auch darauf ankommt, ob die betreffende Person dieser strafbaren Handlung "überwiesen oder dringend verdächtig" ist. Ein dringender Tatverdacht setzt einen höheren Grad der Wahrscheinlichkeit voraus, dass eine Person die ihr angelastete Straftat begangen hat (vgl. Hauer/Keplinger, aaO, 67, und das Urteil des Obersten Gerichtshofes (OGH) vom 15. April 1997, 11 Os 54/97, zu § 180 StPO). Bloße Vermutungen reichen zur Annahme eines dringenden Tatverdachtes nicht hin (vgl. das Urteil des OGH vom 28. Juli 1999, 11 Os 87/99, zu § 180 StPO). Feststellungen, worauf sich der dringende Tatverdacht im Hinblick auf den "Einbruchsdiebstahl in Fahrzeuge" konkret gründe, finden sich im angefochtenen Bescheid aber nicht:

Die BPD hatte hiezu in ihrer Gegenschrift vor der belangten Behörde ausgeführt, die Beobachtungen der einschreitenden SWB beim Antreffen des Beschwerdeführers und dessen Bekannten sowie die näheren Umstände der Flucht, insbesondere die extrem rücksichtslose Fahrweise, legten es nahe, die Insassen des Fahrzeuges als "professionelle" KFZ-Diebe anzusehen. Dem ist schon der Beschwerdeführervertreter in einer Stellungnahme zur Gegenschrift entgegen getreten, in der er vorbrachte, die einschreitenden SWB würden doch "wohl nicht ernsthaft davon ausgegangen sein", der Beschwerdeführer und seine Mitfahrer hätten "als 'professionelle' Kfz-Diebe mittels Einbruch einen uralten Opel Kadett Caravan, den der Bf zwei Tage zuvor um EUR 50,00 gekauft hat" gestohlen. Der SWB K. hat bei seiner Einvernahme vor der belangten Behörde angegeben, einen konkreten Tatverdacht auf Einbruchsdiebstahl habe es vor Ort nicht gegeben, erst auf Grund der Kennzeichenentfremdung sei es "möglich" gewesen, dass (auch) "Fahrzeugdiebstahl oder ähnliches" vorliege. Die belangte Behörde hat daraufhin lediglich festgestellt, eine im Zuge des Polizeieinsatzes getätigte Funkanfrage habe ergeben, dass hinsichtlich des verfolgten Fahrzeuges der Verdacht der Kennzeichenentwendung vorliege. Die Annahme, es sei eine ausreichende Verdachtslage für die Annahme eines "dringenden Verdachtes" einer gerichtlich strafbaren Handlung nach § 129 Z 1 StGB gegeben, kann auf derartige Feststellungen nicht gestützt werden.

Daher erweist sich der angefochtene Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

6. Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 14. November 2006

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2005010577.X00

Im RIS seit

20.12.2006

Zuletzt aktualisiert am

17.03.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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