TE Vfgh Erkenntnis 2002/6/26 B444/02

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Veröffentlicht am 26.06.2002
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Index

10 Verfassungsrecht
10/11 Vereins- und Versammlungsrecht

Norm

B-VG Art133 Z1
B-VG Art144 Abs3
StGG Art12 / Vereinsrecht
AVG §69 Abs1 Z2
AVG §69 Abs2
VereinsG 1951 §24

Leitsatz

Keine Verletzung des Rechts auf Vereinsfreiheit durch Zurückweisung eines Wiederaufnahmeantrags betreffend eine Vereinsauflösung wegen Versäumung der Frist; Abweisung des Antrags auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof aufgrund umfassender Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes sowohl hinsichtlich der materiellen als auch der formalen verfahrensrechtlichen Fragen bei behaupteter Verletzung des Vereinsrechts

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Der Antrag, die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten, wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 23. Dezember 1998 wurde der Verein "Dichterstein Offenhausen" gemäß §24 des Vereinsgesetzes 1951 aufgelöst. Die dagegen erhobene Berufung wurde mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 5. Juli 1999 abgewiesen.

2. Den vom nunmehrigen Beschwerdeführer - unter Hinweis auf seine ehemalige Vereinsmitgliedschaft - am 22. Dezember 2001 eingebrachten, auf §69 Abs1 Z2 AVG gestützten Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens wies der Bundesminister für Inneres mit Bescheid vom 29. Jänner 2002 ab.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Vereinsfreiheit behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheids, hilfsweise die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.

4. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber Abstand genommen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.1. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat, umfaßt die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofs nach Art144 B-VG bei behaupteter Verletzung des Vereinsrechts auch die verfahrensrechtlichen Fragen (vgl. VfSlg. 4816/1964 mwN). Es ist daher auf die Beschwerdeausführungen - die eine Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machen - einzugehen.

1.2. Der Beschwerdeführer stützte seinen Wiederaufnahmeantrag auf die schriftliche Beantwortung einer - den Verein "Dichterstein Offenhausen" betreffenden - parlamentarischen Anfrage durch den damaligen Bundesminister für Inneres, Dr. Franz Löschnak, vom 14. Dezember 1992. Von der Existenz dieser Anfragebeantwortung, deren Inhalt er nicht kenne, habe der Beschwerdeführer erst am 21. Dezember 2001 erfahren. Bei dieser Anfragebeantwortung handle es sich um eine neue Tatsache bzw. ein neues Beweismittel iSd §69 Abs1 Z2 AVG, "welches im Verfahren ohne mein Verschulden nicht geltend gemacht werden konnte und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruchs anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätte".

1.3. Nach den Feststellungen der belangten Behörde im bekämpften Bescheid geht aus der genannten Anfragebeantwortung hervor, daß in der Vergangenheit zwar wiederholt Ermittlungen durchgeführt worden seien, sich aber bis zum 14. Dezember 1992 keine rechtliche Handhabe für vereinsbehördliche Maßnahmen gegen den Verein "Dichterstein Offenhausen" ergeben hätten.

Nach Auffassung der Behörde wäre eine Berücksichtigung dieser Anfrage jedoch weder allein noch in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens geeignet, einen im Hauptinhalt des Spruchs anderslautenden Bescheid herbeizuführen, da - wie schon im Berufungsbescheid vom 5. Juli 1999 betreffend die Auflösung des Vereins dargelegt wurde - das Einschreiten der Vereinsbehörde zur Auflösung des Vereins durch aktuellere Ereignisse - nämlich einer für den 1. und 2. Mai 1998 vorgesehenen Ehrung von zwei namentlich bezeichneten Personen - veranlaßt gewesen sei. Dadurch hätten auch einzelne andere, früher bekannt gewordene Vorgänge ebenso wie die gesamte frühere Vereinstätigkeit eine "neue" Bedeutung erlangt. Der Wiederaufnahmeantrag sei daher infolge Fehlens der Voraussetzung der Entscheidungsrelevanz des Vorbringens des Antragstellers abzuweisen gewesen.

1.4. In seiner Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof bringt der Beschwerdeführer dazu vor, daß aus dem angefochtenen Bescheid nicht hervorgehe, inwieweit durch eine Ehrung zweier Schriftsteller die gesamte frühere Vereinstätigkeit neue Bedeutung gewinnen könne, daß allfällige strafrechtliche Verurteilungen der betreffenden Schriftsteller im Jahr 1998 bereits getilgt gewesen seien sowie daß sich die Ehrung ausschließlich auf literarische Leistungen bezogen habe und dem Verein "Dichterstein Offenhausen" die politische Orientierung der Betreffenden nicht bewußt gewesen sei. Die Feststellung im angefochtenen Bescheid, daß durch die beabsichtigten Ehrungen die frühere Vereinstätigkeit eine neue Bedeutung erhalten habe, sei "unverständlich und durch die Anfragebeantwortungen zweier Bundesminister aus den Jahren 1992 sowie 1995 ad absurdum geführt".

1.5. Die vom Beschwerdeführer als "unverständlich" gerügte "Feststellung" des angefochtenen Bescheids ist jedoch nur eine wörtliche Wiedergabe der Begründung des Berufungsbescheids vom 5. Juli 1999 betreffend die Auflösung des Vereins. Die Ausführungen des Beschwerdeführers richten sich somit offenkundig gegen die im Bescheid vom 5. Juli 1999 vorgenommene Beweiswürdigung. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens bietet jedoch keine Handhabe dafür, eine in dem abgeschlossenen Verfahren von der belangten Behörde ihrer Entscheidung zugrundegelegte Beweiswürdigung oder Sachverhaltsannahme zu bekämpfen (vgl. VwGH 7.11.1995, 95/20/0223).

Durch die Abweisung des Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens ist daher keine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Vereinsrechts erfolgt.

Die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts kommt angesichts der festgestellten Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids nicht in Betracht (vgl. zB VfSlg. 9246/1981, 9879/1983, 11.735/1988).

Der Beschwerdeführer ist auch nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde ist daher abzuweisen.

2. Dem Antrag, die Beschwerde gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten, ist keine Folge zu geben:

Bei behaupteter Verletzung des Vereinsrechts umfaßt die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofs sowohl die materiellen als auch die formalen verfahrensrechtlichen Fragen. Jeder Verwaltungsbescheid, der die Behinderung des Rechts auf freie Bildung oder Umbildung von Vereinen bewirkt und den in Betracht kommenden gesetzlichen Bestimmungen nicht entspricht, ist nicht nur gesetzwidrig, sondern verletzt auch das durch Art12 StGG gewährleistete Recht. Es tritt in jedem solchen Fall die im Art144 Abs1 B-VG festgelegte Sonderverwaltungsgerichtsbarkeit des Verfassungsgerichtshofs ein, die nach Art133 Z1 B-VG die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofs ausschließt (vgl. zB VfSlg. 9879/1983, 11.735/1988).

3. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Vereinsrecht, Vereinsauflösung, Verwaltungsgerichtshof Zuständigkeit, Verwaltungsverfahren, Wiederaufnahme, VfGH / Abtretung, VfGH / Zuständigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2002:B444.2002

Dokumentnummer

JFT_09979374_02B00444_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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