TE Vwgh Erkenntnis 2006/11/22 2004/08/0065

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Veröffentlicht am 22.11.2006
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Index

20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
60/03 Kollektives Arbeitsrecht;
60/04 Arbeitsrecht allgemein;

Norm

ABGB §879;
ArbVG §11 Abs1;
ArbVG §2 Abs2 Z2;
ArbVG §2 Abs2 Z7;
ArbVG §2 Abs2;
ArbVG §2;
AZG §10 Abs1;
AZG §19e;
KollV Arbeiter Hotelgewerbe Gastgewerbe Pkt4 litc ;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Köller, Dr. Moritz und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der R Gesellschaft m.b.H. & Co KG in R, vertreten durch Dr. Josef Pfurtscheller, Dr. Markus Orgler und Mag. Norbert Huber, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Adolf Pichler Platz 4/II, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 18. Februar 2004, Zl. Vd-SV-1001-1-418/11/Au, betreffend Beitragsnachverrechnung (mitbeteiligte Partei: Tiroler Gebietskrankenkasse, Klara-Pölt-Weg 2, 6020 Innsbruck), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerin für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz) hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

I.

1. Die beschwerdeführende Partei betreibt ein Hotel und ein Restaurant. Mit Bescheid vom 14. Jänner 2003 verpflichtete die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse die beschwerdeführende Partei als Dienstgeber zur Bezahlung eines Betrages in der Höhe von EUR 373,39.

Begründend führte sie aus, im Zuge einer (den Zeitraum vom 1. Oktober 2001 bis 31. März 2002 betreffenden) Beitragsprüfung sei festgestellt worden, dass die Bestimmungen des Zusatzkollektivvertrages bezüglich "Saisonarbeitsverhältnisse" im Tiroler Hotel- und Gastgewerbe nicht vollständig angewendet worden seien. In diesem Zusatzkollektivvertrag sei im Punkt 1 geregelt, dass für Zwecke der Ausweitung der Saisonarbeitsverhältnisse ein Drittel der am Ende des Durchrechnungszeitraumes bestehenden Überstunden, höchstens jedoch 40 Stunden, das Arbeitsverhältnis um maximal eine Woche verlängere (Ausgleich im Verhältnis 1:1). Konform mit dieser Bestimmung sei im Zuge der Beitragsprüfung bei neun im Betrieb des Dienstgebers beschäftigten Personen eine Verlängerung der Arbeitsverhältnisse durchgeführt worden. Die Grundlage für die Berechnung der Verlängerung der Arbeitsverhältnisse würden die vom Dienstgeber in den Lohnkonten ausgewiesenen Überstunden im jeweiligen Austrittsmonat bilden. Art und Umfang der aus diesen Meldeverstößen resultierenden Differenzen seien in der Aufstellung über Entgeltdifferenzen, in der Beitragsnachverrechnung und im Prüfungsprotokoll vom 13. Juni 2002 nachvollziehbar dargestellt. Diese Schriftstücke seien Bestandteil des Bescheides.

2. Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Einspruch der beschwerdeführenden Partei als unbegründet ab. Nach Wiedergabe des Verwaltungsverfahrens sowie der wesentlichen Schriftsätze der Parteien führte sie zunächst aus, der dem konkreten Fall zu Grunde liegende Sachverhalt sei ihrer Ansicht nach unstrittig. Zu lösen sei vielmehr die Rechtsfrage, ob nach den geltenden (zusatz-)kollektivvertraglichen Bestimmungen die erbrachten bzw. "bestehenden" Überstunden zu einer entsprechenden Verlängerung der Dienstverhältnisse mit der Konsequenz führen würden, dass für die Zeit dieser Saisonverlängerung Sozialversicherungsbeiträge zu bezahlen seien. Nach Wiedergabe der nach Ansicht der belangten Behörde maßgeblichen Bestimmungen des ASVG, des zwischen dem Fachverband Gastronomie und dem Fachverband der Hotel- und Beherbergungsbetriebe einerseits und der Gewerkschaft Hotel, Gastgewerbe, Persönlicher Dienst andererseits abgeschlossenen Kollektivvertrages für Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe (im Folgenden "Kollektivvertrag"), des zwischen dem Fachverband Gastronomie und dem Fachverband Hotellerie einerseits und der Gewerkschaft Hotel, Gastgewerbe, Persönlicher Dienst andererseits vereinbarten Zusatzkollektivvertrages für Arbeiter im Gastgewerbe betreffend Saisonarbeitsverhältnisse (im Folgenden "Zusatzkollektivvertrag") sowie des ArbVG führte sie weiter aus, dass zwischen den beteiligten Parteien "außer Streit stehe", dass es sich bei dem von der beschwerdeführenden Partei geführten Betrieb um einen Saisonbetrieb im Sinne des angeführten Kollektivvertrages handle und die von der Nachverrechnung betroffenen neun Dienstverhältnisse, mit Ausnahme des mit dem Dienstnehmer Dietmar U. begründeten Dienstverhältnisses, welches bis 15. Oktober 2001 befristet abgeschlossen worden sei, am 20. Oktober 2001 durch Zeitablauf geendet hätten.

In der rechtlichen Beurteilung vertrat die belangte Behörde die Ansicht, dass die von ihr angeführten (zusatz-) kollektivvertraglichen Bestimmungen gemäß § 11 Abs. 1 ArbVG unmittelbar rechtsverbindlich seien. Die beschwerdeführende Partei habe entgegen der anzuwendenden zusatzkollektivvertraglichen Bestimmung die im Monat der Beendigung der Beschäftigungsverhältnisse geleisteten Überstunden der neun Dienstnehmer unter Hinzurechnung von Überstundenzuschlägen "im Voraus" bezahlt.

Die mit den Dienstnehmern der beschwerdeführenden Partei getroffene "Überstundenpauschalvereinbarung" habe aber vielmehr zur Folge, dass die im letzten Monat des Dienstverhältnisses geleisteten Überstunden sowohl auf Grund des aus dem Arbeitsvertrag sich ergebenden klagbaren Anspruches als auch durch die kollektivvertraglich normierte Ausweitung des Saisonarbeitsverhältnisses durch Zeitausgleich "im Verhältnis 1:1" hätte abgegolten werden müssen. Um diese Konsequenz zu vermeiden, wäre die beschwerdeführende Partei verhalten gewesen, das vereinbarte Überstundenpauschale im Einvernehmen mit dem jeweiligen Dienstnehmer vor dem Austrittsmonat abzuändern. Dadurch hätte sich die Möglichkeit ergeben, die individuell angeordneten, tatsächlich erbrachten Überstunden im Sinne (des ersten Punktes) des Zusatzkollektivvertrages abzugelten, nämlich durch Kürzung der im letzten Monat angeordneten Überstunden um den Überstundenanteil, der für die Verlängerung des Arbeitsverhältnisses heranzuziehen sei.

Nach Ansicht der belangten Behörde verstoße Punkt 1. des Zusatzkollektivvertrages jedoch insoweit gegen die relativ zwingende gesetzliche Regelung des § 10 Abs. 1 AZG, als diese eine Abgeltung von "Normal"-Überstunden jedenfalls im Ausmaß von "1:1,5" (in Geld und/oder durch bezahlten Zeitausgleich) vorsehe. Der mit § 10 Abs. 1 AZG in Widerspruch stehende Klammerausdruck "(Ausgleich im Verhältnis 1:1)" in Punkt 1. sei daher insoweit nicht rechtswirksam und die Bestimmung des Zusatzkollektivvertrages somit teilnichtig, als der gesetzlich normierte 50 %-ige Zuschlag durch einen Kollektivvertrag nicht zu Lasten, sondern nur zu Gunsten der Dienstnehmer verändert werden könne. Den Dienstnehmern stünden daher jedenfalls die Ansprüche auf (durch die beschwerdeführende Partei bereits erfolgte) Abgeltung der Überstundenzuschläge auf Grund der zwingenden Bestimmung des § 10 AZG zu.

Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse habe aber insgesamt zu Recht ein Drittel der am Ende der Saison bestehenden bzw. im letzten Monat des Beschäftigungsverhältnisses erbrachten Überstunden herangezogen, um die gegenständlichen Dienstverhältnisse im entsprechenden Ausmaß mit der Folge zu verlängern, dass die Dienstverhältnisse erst nach den entsprechenden Verlängerungszeiten enden. Sie habe die sich aus der Verlängerung der Dienstverhältnisse ergebenden Sozialversicherungsbeiträge zu Recht nachverrechnet. Gegen die Höhe des vorgeschriebenen Gesamtbetrages der Beitragsnachverrechnung habe die beschwerdeführende Partei keine konkreten Einwendungen erhoben. Die mit der Verlängerung der Dienstverhältnisse zusammenhängende Verpflichtung zur aliquoten Bezahlung von Jahresremuneration (sowie Urlaubsabfindung bzw. Ersatzleistung nach dem Urlaubsgesetz) und der darauf entfallenden Sozialversicherungsbeiträge sei nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens gewesen.

3. Gegen den Bescheid der belangten Behörde richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde hat von der Erstattung einer Gegenschrift ausdrücklich Abstand genommen. Sie beantragt - genauso wie die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse in ihrer Gegenschrift - die Abweisung der Beschwerde als unbegründet.

II.

Der Verwaltungsgerichthof hat erwogen:

1. Die belangte Behörde hat mit den Verwaltungsakten den angesprochenen Kollektivvertrag sowie Zusatzkollektivvertrag samt dazugehörigen "Erläuterungen" vorgelegt, wobei es sich offensichtlich um einen Ausdruck aus der von der HG-Datenbanken GmbH betriebenen "Österreichischen Kollektivvertragsdatenbank" handelt. Die von der belangten Behörde über den Inhalt der maßgeblichen Bestimmungen des Kollektivvertrages getroffenen Feststellungen wurden von keiner Partei des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens in Zweifel gezogen.

1.1. Punkt 1. des Zusatzkollektivvertrages lautet im hier maßgeblichen Zeitraum:

"1.) Zu Punkt 4 lit. c wird näher ausgeführt:

Zur Ausweitung von Saisonarbeitsverhältnissen wird ein Drittel der am Ende des Durchrechnungszeitraumes bestehenden Überstunden, höchstens jedoch 40, herangezogen, um das Arbeitsverhältnis um maximal eine Woche zu verlängern (Ausgleich im Verhältnis 1:1). Die darüber hinaus verbleibenden Überstunden sind im Sinne des Punktes 4 lit. e zu entlohnen."

1.2. Punkt 4 lit. c des Kollektivvertrages lautet im hier maßgeblichen Zeitraum:

"4. ÜBERSTUNDEN: (...)

c) In Saisonbetrieben (Punkt 2 lit. e 3. Absatz) sind nur solche Arbeitsstunden als Überstundenarbeit zu entlohnen, die nach der Zusammenzählung der während der Saison geleisteten Arbeitsstunden über die in Punkt 2 festgesetzte Normalarbeitszeit hinausgehen (Leistungsstunden abzüglich Wochenzahl x 40 ergibt Summe der Überstunden). (...)"

1.3. Die im Anschluss an den Zusatzkollektivvertrag angeführten "Erläuterungen" zum Zusatzkollektivvertrag (von denen aber weder festgestellt ist, dass sie als Teil des Kollektivvertrages mit diesem hinterlegt worden sind, noch, dass es sich zumindest um zwischen den Kollektivvertragsparteien einvernehmlich formulierte Erläuterungen handelt) lauten auszugsweise wie folgt:

"Diesem Zusatzkollektivvertrag unterliegen alle Saisonarbeitsverhältnisse, die am 1. Jänner 2001 und später abgeschlossen werden. (...)

Da der erste Teil des Zusatzkollektivvertrages auf Punkt 4 lit. c des Kollektivvertrages Bezug nimmt, gilt die dort angeführte Definition der Saisonbetriebe (...)

1. Durchrechnung der Arbeitszeit

Der Zusatzkollektivvertrag sieht vor, dass ein Drittel der am Ende des Durchrechnungszeitraumes (= Saison) bestehenden Mehrstunden herangezogen wird, um das Arbeitsverhältnis zu verlängern. Diese Stunden ergeben maximal eine zusätzliche Arbeitswoche, weil sie mit 40 begrenzt sind. Da es sich um eine Durchrechnung von Arbeitszeit handelt, werden die Stunden im Verhältnis 1:1 ausgeglichen. Sollten darüber hinaus noch weitere Mehrstunden bestehen, so sind dies echte Überstunden und mit dem dafür vorgesehenen Zuschlag von 50 % zu entlohnen.

Nach Punkt 4 lit. c des Kollektivvertrages stellt die gesamte Saison einen Durchrechnungszeitraum dar. Die Saisonverlängerung kommt daher nicht zur Anwendung, wenn

-

ein Dienstverhältnis frühzeitig, d.h. schon vor Ende der Saison beendet wird, oder

-

am Ende der Saison keine Überstunden bestehen. Dies wäre z. B. dann der Fall, wenn die Überstunden in den ersten Monaten der Saison immer ausbezahlt wurden und im letzten Monat der Saison keine mehr angefallen sind. In diesem Fall gibt es dann eben keine Überstunden, die zu einer Saisonverlängerung herangezogen werden könnten.

Da zumindest die im letzten Monat angefallenen Überstunden an das Dienstverhältnis angehängt werden müssen, sind Nettolohnvereinbarungen unter Umständen von Nachteil. Es könnte dazu kommen, dass die im letzten Monat geleisteten Überstunden sowohl finanziell durch die Nettolohnvereinbarung als auch durch die Verpflichtung zur Durchrechnung in Form eines Zeitausgleichs 1:1 abgegolten werden müssen. (...)

Bei Umsetzung der Saisonverlängerungsmaßnahmen ist Folgendes zu bedenken:

-

Das Dienstverhältnis endet erst nach den entsprechenden Verlängerungszeiten. Daher sollte bei der Festlegung des Endtermins des Dienstverhältnisses (entweder bei der Befristung oder bei der Kündigung des unbefristeten Dienstverhältnisses) die Zeit der Saisonverlängerung berücksichtigt werden.

-

Durch die Arbeitszeitdurchrechnung in der Verlängerungswoche fallen für diese Stunden keine Überstundenzuschläge an. Allerdings ergeben sich aus der Verlängerung des Arbeitsverhältnisses Verpflichtungen zur aliquoten Bezahlung von Jahresremuneration sowie von Urlaubsabfindung bzw. Ersatzleistung nach dem Urlaubsgesetz. Wenn die zweimonatige Wartefrist für die Jahresremuneration überschritten ist, gebührt für jede zusätzliche volle Beschäftigungswoche ein 1/52 der Jahresremuneration. (...)"

              2.              Soweit die beschwerdeführende Partei die Einbeziehung von Überstundenzuschlägen im Sinne des § 10 Abs. 1 AZG in die Beitragsnachverrechnung bekämpft, ist sie nicht im Recht:

Soweit nach Ausschöpfung von nach dem Arbeitszeitgesetz in Verbindung mit den einschlägigen Regelungen der kollektiven Rechtsgestaltung zulässigen Durchrechnungszeiträumen Überstundenguthaben verbleiben, sind diese nach dem Gesetz, d.h. einschließlich der gesetzlich vorgesehenen Zuschläge abzurechnen (vgl. in diesem Zusammenhang etwa OGH 16. November 1988, 9 ObA 283/88).

Der Einwand der beschwerdeführenden Partei könnte aber auch so verstanden werden, dass der Kollektivvertrag durch die angeordnete Verlängerung des Arbeitszeitverhältnisses um höchstens 40 nicht ausgeglichene Überstunden nicht etwa einen Freizeitausgleich anordnet (der nach der soeben zitierten Entscheidung des OGH an der Zuschlagspflicht nichts ändern würde), sondern durch die Verlängerung des Arbeitsverhältnisses eine Verlängerung des Durchrechnungszeitraums bewirkt, innerhalb dessen höchstens 40 Mehrstunden zulässigerweise 1:1 ausgeglichen werden können.

Diese Frage kann jedoch auf sich beruhen, weil aus den nachstehend angeführten Gründen die fragliche Bestimmung des Kollektivvertrages nichtig ist, wodurch sich aber die Beitragsverrechnung als im Ergebnis rechtswidrig und die Beschwerde aus einem vom Verwaltungsgerichtshof aus eigenem aufzugreifenden Grund als begründet erweist:

3.1. Gemäß § 11 Abs. 1 ASVG erlischt die Pflichtversicherung der im § 10 Abs. 1 bezeichneten Personen, soweit in den Abs. 2 bis 6 nichts anderes bestimmt wird, mit dem Ende des Beschäftigungs-, Lehr- oder Ausbildungsverhältnisses. Fällt jedoch der Zeitpunkt, an dem der Anspruch auf Entgelt endet, nicht mit dem Zeitpunkt des Endes des Beschäftigungsverhältnisses zusammen, so erlischt die Pflichtversicherung mit dem Ende des Entgeltanspruches.

Nach § 44 Abs. 2 ASVG ist Beitragszeitraum der Kalendermonat, der einheitlich mit 30 Tagen anzunehmen ist.

Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse hat ihrer Beitragsnachverrechnung die Bestimmung des ersten Punktes des Zusatzkollektivvertrages zu Grunde gelegt. Sie hat die im letzten Monat der neun (kalendermäßig befristet abgeschlossenen) Dienstverhältnisse bestehenden Überstunden jeweils in Tage umgerechnet und eine entsprechende "Verlängerung der Arbeitsverhältnisse" vorgenommen. Die belangte Behörde vertritt im angefochtenen Bescheid die Ansicht, dass der Klammerausdruck im ersten Punkt des Zusatzkollektivvertrages "(Ausgleich im Verhältnis 1:1)" der Bestimmung des § 10 Abs. 1 AZG widerspreche und daher unangewendet bleiben müsse. Sie hat aber (wie die Abweisung des Einspruches der beschwerdeführenden Partei und die dadurch erfolgte Bestätigung des erstinstanzlichen Bescheides zeigt) im Ergebnis nicht etwa die von der Behörde erster Instanz vorgenommene Verlängerung der Dienstverhältnisse beseitigt, sondern die Zuschläge gleich dem Überstundenentgelt auf die "Verlängerungstage" verteilt.

3.2. Die Bestimmung des ersten Punktes des Zusatzkollektivertrages knüpft zunächst an die Bestimmung von Punkt 4 lit. c. des Kollektivvertrages an, der die Überstunden in Saisonbetrieben regelt. Aus dieser Bestimmung ergibt sich, dass der Durchrechnungszeitraum für die Überstundenberechnung im Saisonbetrieb "die Saison" ist. (Laut Punkt 17 lit. b des Kollektivvertrages gelten befristete Arbeitsverhältnisse nur dann als solche, wenn der Tag des Beginns und der Tag der Beendigung kalendermäßig festgelegt sind. Die Bezeichnung "Schluss der Saison" (Ende der Saison) gilt nicht als kalendermäßig festgelegt.)

Die Bestimmung des ersten Punktes des Zusatzkollektivvertrages ist so zu verstehen, dass ein Drittel der am Ende des Durchrechnungszeitraumes (also "der Saison") bestehenden Überstunden (die vor Inkrafttreten des Zusatzkollektivvertrages nach Punkt 4 lit. e des Kollektivvertrages mit dem Normalstundenlohn und einem Überstundenzuschlag zu entlohnen gewesen wären), höchstens jedoch 40 Stunden, im Verhältnis "1:1" in Tage umzurechnen sind, die das Arbeitsverhältnis über das mit dem Dienstnehmer vereinbarte Ende hinaus "automatisch" verlängern (und zwar in einem Höchstausmaß von maximal einer Woche). In sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht wird demgemäß das nicht durch Zeitausgleich abgegoltene Überstundenentgelt nicht zum Arbeitsverdienst des letzten Beschäftigungsmonats hinzugerechnet (zur beitragsrechtlichen Behandlung des Guthabens aus einem "Arbeitszeitkontokorrent" vgl. das Erkenntnis vom 21. April 2004, Zl. 2001/08/0048) und gemeinsam mit diesem der Beitragsbemessung unterzogen, sondern in einen eigenen Beitragszeitraum übertragen. Eine Überstundenentlohnung nach den kollektivvertraglichen Bestimmungen ist nur mehr für jene Überstunden vorgesehen, die nach der erfolgten Verlängerung des Arbeitsverhältnisses "übrig bleiben".

3.3. Die auf diese Weise vom Zusatzkollektivvertrag angeordnete Verlängerung des Dienstverhältnisses überschreitet jedoch die Regelungsbefugnis der Parteien des Kollektivvertrages nach § 2 ArbVG und führt im Sinne des § 879 ABGB zu einer Nichtigkeit und damit Unanwendbarkeit der Bestimmung des Punkt 1 des Zusatzkollektivvertrages im vorliegenden Fall:

Die §§ 2 (Begriff und Inhalt) und 11 Abs. 1 (Normwirkung) ArbVG lauten:

"§ 2. (1) Kollektivverträge sind Vereinbarungen, die zwischen kollektivvertragsfähigen Körperschaften der Arbeitgeber einerseits und der Arbeitnehmer andererseits schriftlich abgeschlossen werden.

(2) Durch Kollektivverträge können geregelt werden:

1.

Die Rechtsbeziehungen zwischen den Kollektivvertragsparteien;

2.

die gegenseitigen aus dem Arbeitsverhältnis entspringenden Rechte und Pflichten der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer;

              3.              die Änderung kollektivvertraglicher Rechtsansprüche gemäß

Z. 2 der aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschiedenen Arbeitnehmer;

4.

Maßnahmen im Sinne des § 97 Abs. 1 Z. 4;

5.

Art und Umfang der Mitwirkungsbefugnisse der Arbeitnehmerschaft bei Durchführung von Maßnahmen gemäß Z. 4 und von Maßnahmen im Sinne des § 97 Abs. 1 Z. 9;

6.

gemeinsame Einrichtungen der Kollektivvertragsparteien;

7.

sonstige Angelegenheiten, deren Regelung durch Gesetz dem Kollektivvertrag übertragen wird.

§ 11. (1) Die Bestimmungen des Kollektivvertrages sind, soweit sie nicht die Rechtsbeziehungen zwischen den Kollektivvertragsparteien regeln, innerhalb seines fachlichen, räumlichen und persönlichen Geltungsbereiches unmittelbar rechtsverbindlich."

Die Angelegenheiten, die auf Grund der Bestimmungen des ArbVG durch Kollektivvertrag geregelt werden können, sind in § 2 Abs. 2 ArbVG taxativ aufgezählt. Regelungen in Angelegenheiten, die das Gesetz dem Kollektivvertrag nicht überträgt, haben nicht die Rechtswirkungen eines Kollektivvertrages (vgl. OGH 20. Mai 1998, 9 ObA 139/98a).

Im Hinblick darauf, dass sich die Befugnis der Kollektivvertragsparteien zur Regelung der Arbeitsbedingungen mit normativer Wirkung nicht auf die Parteiautonomie, sondern in erster Linie auf die durch den § 2 Abs. 2 ArbVG beschränkte gesetzliche Ermächtigung gründet, sind diese Befugnisse dahin auszulegen, dass nur der typische, wesentliche oder regelmäßig wiederkehrende Inhalt eines Arbeitsverhältnisses einer kollektivvertraglichen Regelung unterworfen werden kann (vgl. z.B. OGH 28. August 1991, 9 ObA 115/91).

Kollektivvertragliche Abschlussnormen sind Regelungen, mit denen der Abschluss des Einzelarbeitsvertrages näher geregelt werden soll bzw. die das Zustandekommen neuer Arbeitsverhältnisse oder neuer Vereinbarungen etwa durch Formvorschriften, Abschlussgebote oder Abschlussverbote regeln (vgl. z.B. OGH 16. November 1988, 9 ObA 515/88, sowie Strasser in Strasser, Jabornegg, Resch, ArbVG-Kommentar, 2006, § 2 Rz 28). Solche Abschlussnormen sind nicht dem im § 2 Abs. 2 Z. 2 bis 7 ArbVG umschriebenen normativen Teil des KollV zuzurechnen und wenden sich daher nicht an die Dienstnehmer, sondern binden lediglich die Kollektivvertragsparteien (vgl. OGH 22. März 1983, 4 Ob 27/83).

Eine Regelung wie Punkt 1. des Zusatzkollektivvertrages ist eine Abschlussnorm im eben genannten Sinne. Sie greift zwar nicht in die Abschlussmodalitäten des Einzelvertrages ein, sondern in die Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses; sie trifft damit aber eine nähere Gestaltung der Dauer des konkreten Arbeitsverhältnisses, die somit - ebenso wie ein kollektivvertraglich normierter Beginn des Arbeitsverhältnisses - nicht dessen Inhalt betrifft und daher vom Tatbestand des § 2 Abs. 2 Z. 2 ArbVG nicht umfasst ist. Eine solche Bestimmung erfüllt auch keinen anderen der in § 2 Abs. 2 ArbVG aufgezählten Tatbestände.

Kein anderes Ergebnis brächte eine Deutung der genannten Bestimmung des Kollektivvertrages dahin, dass diese nur das sozialversicherungsrechtliche Beschäftigungsverhältnis verlängern sollte, weil dem Kollektivvertrag auch insoweit nicht die Regelungsmacht zukäme, die vom Gesetz vorgesehene beitragsrechtliche Behandlung von Überstundenentgelt abzuändern.

§ 2 Abs. 2 Z. 7 ArbVG lässt noch die Möglichkeit einer kollektivvertraglichen Regelung "sonstiger Angelegenheiten, deren Regelung durch Gesetz dem Kollektivvertrag übertragen wird" zu. Eine solche Ermächtigung findet sich in der mit "Abgeltung von Zeitguthaben" überschriebenen Bestimmung des § 19e Arbeitszeitgesetz (AZG), die in der hier anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 46/1997 folgenden Wortlaut hat:

"§ 19e. (1) Besteht im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Guthaben des Arbeitnehmers an Normalarbeitszeit oder Überstunden, für die Zeitausgleich gebührt, ist das Guthaben abzugelten, soweit der Kollektivvertrag nicht die Verlängerung der Kündigungsfrist im Ausmaß des zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bestehenden Zeitguthabens vorsieht und der Zeitausgleich in diesem Zeitraum verbraucht wird. Der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses ist die Beendigung einer Arbeitskräfteüberlassung gleichzuhalten.

(2) Für Guthaben an Normalarbeitszeit gebührt ein Zuschlag von 50%. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitnehmer ohne wichtigen Grund vorzeitig austritt. Der Kollektivvertrag kann Abweichendes regeln."

Die durch diese Bestimmung ermöglichte kollektivvertragliche Regelung einer Verlängerung der Kündigungsfrist setzt unter anderem voraus, dass für das bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorhandene Zeitguthaben ein Zeitausgleich gebührt. Abgesehen davon, dass im Beschwerdefall nicht feststeht, ob diese Voraussetzung vorliegt, ermächtigt § 19e AZG zu einer Verlängerung der Kündigungsfrist, während Punkt 1. des Zusatzkollektivvertrages eine Verlängerung des Arbeitsverhältnisses vorsieht. Die Regelung von Letzterem lässt die genannte Bestimmung nicht zu. Zudem haben im Beschwerdefall sämtliche in Rede stehenden Dienstverhältnisse durch Zeitablauf geendet. Eine gesetzliche Ermächtigung, im Kollektivvertrag ein "Arbeitsverhältnis ... zu verlängern", sieht lediglich Art. IX Urlaubsgesetz in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 7/2001 vor. Von dieser wurde in Punkt 2. des Zusatzkollektivvertrages Gebrauch gemacht; diese Bestimmung ist aber nur auf im Zeitpunkt der Beendigung des Dienstverhältnisses noch offene Urlaubsansprüche anzuwenden, die aber hier nicht vorliegen.

Eine gesetzliche Ermächtigung für die Regelung im Punkt 1. des Zusatzkollektivvertrages, die eine Verlängerung des Arbeitsverhältnisses über die privatautonom verfügte Beendigung durch die Arbeitsvertragsparteien hinaus vorsieht, liegt nach dem Gesagten nicht vor, weshalb sie sich als nichtig erweist.

Der angefochtenen Bescheid war daher schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Das auf Ersatz der Beschwerdegebühr gerichtete Begehren war im Hinblick auf die auch vor dem Verwaltungsgerichtshof geltende sachliche Gebührenfreiheit gemäß § 110 ASVG abzuweisen. Der Pauschbetrag für den Schriftsatzaufwand beträgt nach der genannten Verordnung EUR 991,20 und beinhaltet bereits die Umsatzsteuer. Das den Pauschbetrag im Sinne der genannten Verordnung übersteigende, auf Ersatz der Umsatzsteuer und Ersatz für Bescheidkopien gerichtete Begehren, war daher ebenfalls abzuweisen.

Wien, am 22. November 2006

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2004080065.X00

Im RIS seit

20.02.2007

Zuletzt aktualisiert am

07.10.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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