TE Vfgh Erkenntnis 2002/6/26 B1038/01

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Veröffentlicht am 26.06.2002
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Index

L3 Finanzrecht
L3400 Abgabenordnung

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
VfGG §88

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid, soweit damit ein Säumniszuschlag zur Entrichtung vorgeschrieben wird, wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Das Land Oberösterreich ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit € 1.162,68 bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

II. Im übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer ist Einzelunternehmer, der in der Landeshauptstadt Linz zwei Betriebsstätten (Würstelstände) unterhält. Mit Bescheid des Magistrats der Landeshauptstadt Linz wurde die vom Beschwerdeführer für einen bestimmten Zeitraum zu entrichtende Kommunalsteuer in bestimmter Höhe festgesetzt und für die nicht rechtzeitig entrichtete Kommunalsteuer ein Säumniszuschlag iHv 4 vH zur Entrichtung vorgeschrieben. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt Linz keine Folge gegeben.

2. Der dagegen erhobenen Vorstellung gab die Oberösterreichische Landesregierung im angefochtenen Bescheid keine Folge. Zur Begründung führt sie - im wesentlichen - aus, daß - da der Beschwerdeführer zwei Betriebsstätten unterhalte - die Befreiungsbestimmung des §9 Kommunalsteuergesetz 1993, BGBl. 819, im folgenden KommStG, nicht zur Anwendung gelangen könne und gemäß §166 der Oberösterreichischen Landesabgabenordnung 1996, LGBl. 107, im folgenden OÖ LAO, der Säumniszuschlag 4 vH des nicht zeitgerecht entrichteten Abgabenbetrages betrage, sodaß der Abgabenbehörde bei der Festsetzung der Höhe des Säumniszuschlages kein Ermessensspielraum zustehe.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in welcher die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung verfassungswidriger Gesetzesbestimmungen gerügt und der Antrag gestellt wird, den angefochtenen Bescheid kostenpflichtig aufzuheben.

4. Die belangte Behörde legte innerhalb der ihr gesetzten Frist die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie den angefochtenen Bescheid verteidigt und beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

5. Ebenso erstattete die Landeshauptstadt Linz als beteiligte Partei eine Äußerung, in der ebenfalls die Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

II. Die Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Vorschreibung eines Säumniszuschlages richtet, begründet:

1. Mit Erkenntnis vom 21. Juni 2002, G32, 33/02, sprach der Verfassungsgerichtshof einerseits aus, daß die Wortfolge ", das nur eine einzige Betriebsstätte unterhält," im zweiten Satz des §9 KommStG 1993, idF BGBl. 819, nicht verfassungswidrig war, und hob andererseits die §§164-169 der OÖ LAO 1996, LGBl. 107, als verfassungswidrig auf.

2. Gemäß Art140 Abs7 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlaßfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlaßfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrundegelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.

3. Dem in Art140 Abs7 B-VG genannten Anlaßfall (im engeren Sinn), anläßlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (VfSlg. 10.616/1985, 11.711/1988).

4. Die nichtöffentliche Beratung des Verfassungsgerichtshofes im Gesetzesprüfungsverfahren fand am 21. Juni 2002 statt. Die vorliegende Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof am 18. Juli 2001 eingelangt, war also zum Zeitpunkt der nichtöffentlichen Beratung schon anhängig; der ihr zugrundeliegende Fall ist somit einem Anlaßfall gleichzuhalten.

5. Die belangte Behörde hat bei Erlassung des angefochtenen Bescheides - soweit sie dem Beschwerdeführer einen Säumniszuschlag zur Entrichtung vorschrieb - §166 der OÖ LAO 1996 angewendet.

Es ist nach Lage des Falles offenkundig, daß diese Anwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war.

Insofern war der Bescheid aufzuheben.

6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. Da der Beschwerdeführer nur in einem Punkt (von den hier zwei behandelten Punkten) durchgedrungen ist, war nur die Hälfte der Kosten zuzusprechen; in den zugesprochenen Kosten ist eine Eingabegebühr iHv € 181,68 und Umsatzsteuer iHv € 163,5 enthalten.

III. 1. Die Behandlung der Beschwerde wird, soweit sie sich gegen die Vorschreibung von Kommunalsteuer richtet, abgelehnt.

1.1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde in einer nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossenen Angelegenheit ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

1.2. Nach den Beschwerdebehauptungen wären diese Rechtsverletzungen aber zum erheblichen Teil nur die Folge einer unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen insoweit nicht anzustellen.

1.3. Soweit die Beschwerde aber insofern verfassungsrechtliche Fragen berührt, als die Verfassungswidrigkeit der den angefochtenen Bescheid tragenden Gesetzesvorschrift behauptet wird, läßt ihr Vorbringen in Anbetracht des hg. Erkenntnisses vom 21. Juni 2002, G32, 33/02, die behauptete Rechtsverletzung, die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm als so wenig wahrscheinlich erkennen, daß sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.

2. Die Angelegenheit ist auch nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen.

Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde abzusehen.

IV. Diese Entscheidungen wurden gemäß §19 Abs4 Z3 sowie Abs3 Z1 VfGG in nichtöffentlicher Sitzung ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen.

Schlagworte

Bescheid / Trennbarkeit, VfGH / Anlaßfall, VfGH / Kosten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2002:B1038.2001

Dokumentnummer

JFT_09979374_01B01038_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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