TE Vwgh Erkenntnis 2006/12/21 2006/17/0136

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Veröffentlicht am 21.12.2006
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
14/03 Abgabenverwaltungsorganisation;

Norm

AVOG 1975 §17a;
AVOG 1975 §2;
B-VG Art5 Abs1;
B-VG Art77 Abs1;
B-VG Art77 Abs3;
B-VG Art83 Abs2;
Steuer- und Zollkoordination 2004;
VwGG §42 Abs2 Z2;

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn):2006/15/0281 E 21. Juni 2007

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Holeschofsky, Dr. Köhler, Dr. Zens und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Schiffkorn, über die Beschwerde der G GmbH in Wien, vertreten durch Dr. Bertram Broesigke und Dr. Wolfgang Broesigke, Rechtsanwälte in 1060 Wien, Gumpendorfer Straße 14, gegen den Bescheid des Bundesministers für Finanzen vom 23. Juni 2005, Zl. 010221/144-ISTR/05, betreffend Anerkennung und Vollstreckbarerklärung einer ausländischen Rückstandsanzeige, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde gemäß Art. 11 Abs. 2 des Vertrages zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Rechtsschutz und Rechtshilfe in Abgabensachen, BGBl. Nr. 249/1955, einem von der Oberfinanzdirektion Hannover vorgelegten (bei der "Steuer- und Zollkoordination Region Mitte" eingelaufenen) Ersuchen des Finanzamtes Hannover Nord vom 12. Mai 2005 stattgegeben, dessen Rückstandsanzeige betreffend einen Abgabenrückstand der beschwerdeführenden Partei von EUR 70.809,83 anzuerkennen und für vollstreckbar zu erklären. Begründend wurde nach Schilderung des diesbezüglichen Verfahrensganges ausgeführt, dem Ersuchen stünden keine begründeten Hindernisse entgegen. Es sei dem Antrag daher zu entsprechen gewesen.

Der angefochtene Bescheid weist im Kopf links oben ein stilisiertes Bundeswappen und darunter die Wortfolge "Bundesministerium für Finanzen" auf. Unterhalb der Geschäftszahl findet sich der Name des Sachbearbeiters sowie u.a. dessen in Salzburg-Aigen gelegene (dienstliche) Adresse. Die Erledigung wurde "Für den Bundesminister:" "iA" durch den genannten Sachbearbeiter approbiert.

Die beschwerdeführende Partei beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Mit Beschluss vom 12. Dezember 2005, Zl. A 2005/0019-1, stellte der Verwaltungsgerichtshof an den Verfassungsgerichtshof folgende Anträge:

"1. Gemäß Art. 140 Abs. 1 B-VG wird an den Verfassungsgerichtshof der Antrag gestellt, § 2 Abgabenverwaltungsorganisationsgesetz - AVOG, BGBl. Nr. 18/1975, in der Fassung BGBl. I Nr. 72/2004, als verfassungswidrig aufzuheben.

2. Gemäß Art. 139 Abs. 1 B-VG wird an den Verfassungsgerichtshof der Antrag gestellt, die Verordnung des Bundesministers für Finanzen zur Einrichtung der Steuer- und Zollkoordination, BGBl. II Nr. 168/2004, als gesetzwidrig aufzuheben."

In der Begründung dieses Beschlusses teilte der Verwaltungsgerichtshof die im Prüfungsbeschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 24. Juni 2005, B 218/05-8, geäußerten Bedenken, der in Prüfung gezogene § 2 AVOG widerspreche dem Art. 5 Abs. 1 B-VG; sollte das dargelegte Bedenken zutreffen, demzufolge § 2 AVOG verfassungswidrig sei, entbehre die Verordnung BGBl. II Nr. 168/2004 der notwendigen gesetzlichen Grundlage im Sinne des Art. 18 B-VG und wäre somit gesetzwidrig. Überdies bestünden gegen diese Verordnung dieselben Bedenken, die zur Antragstellung bezüglich des § 2 AVOG geführt hätten.

Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 3. März 2006, G 105/05-10 u.a., wurde (u.a. in Erledigung des eben geschilderten Antrages des Verwaltungsgerichtshofes) ausgesprochen, dass § 2 AVOG nicht als verfassungswidrig bzw. die vom Verwaltungsgerichtshof angefochtene Verordnung nicht als gesetzwidrig aufgehoben werde. Zum wesentlichen Inhalt der diesbezüglichen Begründung des verfassungsgerichtlichen Erkenntnisses wird auf die tieferstehenden Ausführungen verwiesen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Art. 11 des Vertrages zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Rechtsschutz und Rechtshilfe in Abgabensachen, BGBl. Nr. 249/1955, enthält Bestimmungen über die Rechtshilfe bei der Vollstreckung und lautet:

"(1) Dem Ersuchen um Vollstreckung von Verfügungen, die unanfechtbar und vollstreckbar sind, ist eine Erklärung der zuständigen Behörde des ersuchenden Staates beizufügen, in der die Unanfechtbarkeit bestätigt wird. Vorbehaltlich des Artikels 13 ist die Zuständigkeit dieser Behörde durch die jeweils zuständige Oberfinanzdirektion oder Finanzlandesdirektion des ersuchenden Staates zu bescheinigen. Als Grundlage der Vollstreckung können an die Stelle der im ersten Satz bezeichneten Verfügungen auch Rückstandsausweise treten.

(2) Verfügungen (Rückstandsausweise), die den Bestimmungen des Absatzes 1 entsprechen, sind vorbehaltlich des Artikels 13 von den jeweils zuständigen Oberfinanzdirektionen oder Finanzlandesdirektionen des ersuchten Staates anzuerkennen und für vollstreckbar zu erklären. Artikel 6 bleibt unberührt.

(3) Die in Absatz 2 bezeichneten Verfügungen werden durch die Finanzämter oder Gerichte gemäß der Gesetzgebung des ersuchten Staates vollstreckt."

Gemäß § 1 des Bundesgesetzes vom 13. Dezember 1974 über den Aufbau der Abgabenverwaltung des Bundes (Abgabenverwaltungsorganisationsgesetz - AVOG), BGBl. Nr. 18/1975 idF AbgÄG 2003, BGBl. I Nr. 124, obliegt dem Bundesministerium für Finanzen die Besorgung der Geschäfte der obersten Verwaltung des Bundes nach Maßgabe des Bundesministeriengesetzes in der jeweils geltenden Fassung. § 2 AVOG ermächtigt den Bundesminister für Finanzen zur Einrichtung besonderer Organisationseinheiten durch Verordnung.

Mit dem AbgÄG 2003 wurde weiters ein neuer § 17a AVOG eingefügt, der auszugsweise lautet (Hervorhebung nicht im Original):

"(1) Soweit Aufgaben von der Finanzlandesdirektion oder von Finanzlandesdirektionen (§ 2 in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 124/2003) wahrzunehmen waren, die nicht auf besondere Organisationseinheiten im Sinne des § 2 dieses Bundesgesetzes übertragen werden, sind diese von den in § 14 dieses Bundesgesetzes definierten Zollämtern für die ihnen übertragenen Aufgaben, in allen anderen Fällen von den in § 3 dieses Bundesgesetzes definierten Finanzämtern wahrzunehmen, soweit nicht Abs 2 anderes bestimmt.

(2) Die im Opferfürsorgegesetz 1947, BGBl. Nr. 183/1947 in der jeweils geltenden Fassung, in der Umlagenordnung, BGBl. Nr. 215/1947 in der jeweils geltenden Fassung, im Vertrag zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Rechtsschutz und Rechtshilfe in Abgabensachen, BGBl. Nr. 249/1955, und im Wirtschaftskammergesetz 1998, BGBl. I Nr. 103/1998, in der jeweils geltenden Fassung geregelten Zuständigkeiten der Finanzlandesdirektionen fallen in den Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Finanzen.

..."

Auf Grund § 2 iVm § 17a AVOG wurde mit der Verordnung des Bundesministers für Finanzen vom 21. April 2004, BGBl. II Nr. 168, eine Steuer- und Zollkoordination eingerichtet, die sich gemäß § 3 in Abteilungen gliedert. Die Aufteilung der Aufgaben auf die einzelnen Abteilungen ist in einer vom Bundesminister für Finanzen zu erlassenden Geschäftseinteilung festzusetzen.

In Ansehung einer - mit der hier angefochtenen vergleichbaren - Erledigung hat der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 6. Juni 2006, B 908/05, Folgendes ausgeführt:

"Der Verfassungsgerichtshof hat aus Anlass einer Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesministers für Finanzen, 'Steuer- und Zollkoordination Region West, Personalabteilung', per Adresse 6020 Innsbruck, ein Gesetzes- und Verordnungsprüfungsverfahren zur Prüfung des § 2 AVOG sowie der Verordnung des Bundesministers für Finanzen zur Einrichtung einer Steuer- und Zollkoordination, BGBl. II 168/2004, eingeleitet und in den verbundenen Verfahren G 105/05, V 79/05 u.a. in seinem Erkenntnis vom 3. März 2006 die Auffassung vertreten, dass diese Bestimmungen einer verfassungskonformen Interpretation zugänglich und im Hinblick auf Art 5 Abs 1 B-VG letztlich verfassungsrechtlich unbedenklich sind. Dies deshalb, weil § 2 AVOG nicht dazu ermächtige, die dort vorgesehenen Organisationseinheiten außerhalb des Territoriums von Wien einzurichten. Ebenso ließ sich der Wortlaut der genannten Verordnung verfassungskonform dahin interpretieren, dass damit nicht die Einrichtung von (besonderen) Organisationseinheiten des Bundesministeriums für Finanzen außerhalb von Wien normiert wurde. Indem der Bundesminister für Finanzen sich durch diese Bestimmung ermächtigt sah, den Bescheid durch eine außerhalb der Bundeshauptstadt Wien eingerichtete Organisationseinheit des Bundesministeriums für Finanzen zu erlassen, hatte er dieser Bestimmung einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt (VfGH vom 17. März 2006, B 218/05). Dies gilt ebenso für den vorliegenden Fall.

Der Verfassungsgerichtshof versteht in seiner ständigen Rechtsprechung das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter in einem umfassenden, auf den Schutz und die Wahrung der gesetzlich begründeten Behördenzuständigkeiten gerichteten Sinn (vgl. etwa VfSlg. 14.390/1995 mwH). In diesem umfassenden Sinn wird aber das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter auch durch den Bescheid eines Bundesministers verletzt, der sich bei der Erlassung dieses Bescheides als Geschäftsapparat einer Organisationseinheit des ihm gemäß Art 77 Abs 3 B-VG unterstellten Bundesministeriums bedient, die im Widerspruch zu Art 5 Abs 1 iVm Art 77 Abs 1 B-VG außerhalb der Bundeshauptstadt Wien eingerichtet ist (vgl. nochmals das Erkenntnis VfGH vom 17. März 2006, B 218/05).

Im Hinblick darauf wurde der Beschwerdeführer durch den bekämpften Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt. Der Bescheid war daher schon aus diesem Grund aufzuheben."

Die Erwägungen des Verfassungsgerichtshofes zur Frage einer Verletzung des dortigen Beschwerdeführers in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf den gesetzlichen Richter sind entsprechend auf die hier vom Verwaltungsgerichtshof von Amts wegen zu prüfende Frage zu übertragen, ob die belangte Behörde dadurch, dass sie sich eines in Salzburg gelegenen Geschäftsapparates bedient hat, ihren Bescheid mit einem der Unzuständigkeit gleichzuhaltenden Mangel belastet hat. Dies ist aus den vom Verfassungsgerichtshof in dem zitierten Erkenntnis dargelegten Erwägungen der Fall, weil sie hiezu weder durch § 2 AVOG noch durch die Verordnung BGBl. II Nr. 168/2004 ermächtigt war.

Aus diesen Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 21. Dezember 2006

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2006170136.X00

Im RIS seit

19.02.2007

Zuletzt aktualisiert am

19.04.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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