TE Vfgh Erkenntnis 2002/9/24 B922/02

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.09.2002
beobachten
merken

Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
EMRK Art7
RAO §9
DSt 1990 §38 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch willkürliche Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt wegen Umgehung der richterlichen Aufsichtspflicht bei Informationsgesprächen mit Mandanten

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Die Rechtsanwaltskammer Steiermark ist schuldig, dem Beschwerdeführer die mit € 2.142,- bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Der Beschwerdeführer wurde mit Bescheid des Disziplinarrates der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer (in der Folge: Disziplinarrat) bestraft. Über ihn wurde die Disziplinarstrafe einer Geldbuße von S 10.000,- sowie die Verpflichtung zum Ersatz der Verfahrenskosten verhängt. Der Disziplinarrat sprach den Beschwerdeführer schuldig, weil er:

"a.) gegen Franz S., den er nicht vertreten hat, mit Honorarnote vom 19.10.1999 und Klage vom 08.03.2000 eine Honorarforderung von S 47.857,96 geltend gemacht und in weiterer Folge in einem Schreiben an Rechtsanwalt Dr. Harald C. vom 01.09.1999 die Behauptung aufgestellt [habe], dass er Franz S. nach wie vor vertrete

und [weil er]

b.) seinem Honoraranspruch eine Bemessungsgrundlage von S l0,000.000,- statt maximal S 5,000.000,- zugrunde gelegt und damit eine zu hohe Honorarforderung geltend gemacht [habe]."

Von weiteren Fakten wurde der Beschwerdeführer freigesprochen.

1.2. Der Bescheid des Disziplinarrates enthält zunächst eine ausführliche Darstellung des Sachverhaltes. Unter dem Titel "Rechtliche Begründung" wird darin folgendes ausgeführt:

"Zu a.) des Schuldspruches:

Der [Beschwerdeführer] hat gegenüber Franz S., den er nach seinen Angaben nicht vertreten hat, eine Honorarforderung von S 57.857,96 geltend gemacht und diese auch gerichtlich eingeklagt. Die Klage ist vom [Beschwerdeführer] zwar nach 8 Monaten wieder zurückgezogen worden, doch stellte die mangels Vorliegens eines Vertretungsauftrages unberechtigte Geltendmachung eines Honoraranspruches zweifellos einen Verstoß gegen die Berufspflichten des [Beschwerdeführers] dar, durch welche auch Ehre und Ansehen des Standes verletzt wurden. Gleiches gilt für die unrichtige Behauptung des [Beschwerdeführers] im Schreiben an RA Dr. Harald C. vom 01.09.1999, wonach sein Vollmachtsverhältnis mit Franz S. nach wie vor aufrecht sei und er daher Unterlagen an RA Dr. C. nicht ausfolgen könne.

Zu b.) des Schuldspruches:

Gemäß §3 RATG ist als Bemessungsgrundlage für die Anwendung eines bestimmten Tarifsatzes einer Honorarnote eines Rechtsanwaltes im außerstreitigen Verfahren der Wert des Gegenstandes heranzuziehen, auf den sich die Leistung bezieht. In der Honorarnote des [Beschwerdeführers] an Franz S. vom 19.10.1999, die zur Honorarklage zu 41C 464/00v des Bezirksgerichtes für ZRS Graz führte, hat der [Beschwerdeführer] diese Bemessungsgrundlage mit S 10,000.000,-

angesetzt (Kostenberechnung Beilage./H), obwohl ihm bekannt war, dass die Liegenschaft des Franz S., EZ xxx GB xxxxx S., die Frau Barbara S. kaufen wollte, einen Schätzwert von S 4,500.000,- bis S 5,000.000,- hatte (Beilage./C) und dass Frau S. bereit gewesen wäre, bei einem freihändigen Verkauf für diese Liegenschaft S 3,300.000,- plus S 500.000,- = S 3,800.000,- zu bezahlen. Die vom [Beschwerdeführer] herangezogene Bemessungsgrundlage von S 10,000.000,- war damit überhöht und führte zu einer teilweise überhöhten Kostenforderung gegenüber Franz S., wenn sich auch die erhöhte Bemessungsgrundlage auf die Tarifansätze nach TP5, 6 und 8 RATG nicht auswirkte. Der [Beschwerdeführer] hat mit dieser überhöhten Bemessungsgrundlage seine Berufspflichten zumindest insoferne verletzt, als er seine Kanzleileiterin, die die Honorarforderung berechnete, nicht entsprechend kontrolliert hat."

2.1. In seiner gegen diesen Bescheid gerichteten Berufung an die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (in der Folge: OBDK) machte der Beschwerdeführer unter Hinweis auf Standesjudikatur geltend, daß das festgestellte Verhalten rechtlich nicht als Berufspflichtenverletzung oder Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes zu qualifizieren sei und daß eine rechtliche Begründung dafür fehle, warum das ihm zur Last gelegte Verhalten ein Disziplinarvergehen darstelle.

2.2. Die OBDK gab seiner Berufung mit Erkenntnis vom 22. Oktober 2001 keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid.

In ihrem Berufungserkenntnis führte die OBDK zum festgestellten Verhalten des Beschwerdeführers folgendes aus:

"Sowohl zur Frage der Überhöhung als auch insbesondere zur Frage, inwieweit es disziplinär ist[,] wenn gegen einen Nichtklienten eine Honorarforderung geltend gemacht und eingeklagt wird, ist folgendes festzuhalten:

Der [Beschwerdeführer] hat ursprünglich bei der mündlichen Verhandlung am 9. Oktober 2000 angegeben, dass er die Honorarnoten absende, egal ob seine Kanzleileiterin zuviel oder zuwenig an Bemessungsgrundlage festhält. Bei der Disziplinarverhandlung am 22. November 2000 hat er dies korrigiert und angegeben, dass er, wenn er daraufkomme, dass die Honorarnote falsch ist, sie selbstverständlich berichtige. Die Honorarnoten überprüfe er fallweise (Seite 2 des Protokolles der Disziplinarverhandlung vom 22. November 2000).

Es kann dahingestellt bleiben, ob der [Beschwerdeführer] 'fallweise' Kontrollen durchführt oder ob er sich überhaupt auf seine Kanzleileiterinnen 'hundertprozentig' verlässt, weiters, ob er, wie er in der Berufung ausführt, 'natürlich nicht mehr die Mahnklage kontrolliert', da bei der elektronisch gesendeten Mahnklage die Unterschrift eines Rechtsanwaltes nicht mehr erforderlich ist.

Auszugehen ist davon, dass es, wie der [Beschwerdeführer] bei der Disziplinarverhandlung am 20. Dezember 2000 (Seite 5 des Protokolles) selbst zugegeben hat, eine Schlamperei seiner Kanzleimitarbeiterinnen und seiner selbst war, Herrn Franz S. zu klagen.

Damit erübrigt es sich auf das Schreiben Beilage./12 vom 1. September 1999, welches kurz vor der am 19. Oktober 1999 erfolgten Honorarbekanntgabe an Herrn S. gerichtet wurde, zu beurteilen. Aus diesem Schreiben geht hervor, dass kurz vor der Honorarbekanntgabe bzw. dem diesbezüglichen Auftrag an die Kanzleileiterinnen der Sachverhalt dem Disziplinarbeschuldigten noch gut in Erinnerung war. Der Auftrag zur Bekanntgabe des Honorars auch an Franz S. und die nachfolgende Einklagung war daher grob fahrlässig und [...] der [Beschwerdeführer] [hat] dies jedenfalls zu vertreten."

3. Gegen dieses als Bescheid zu wertende Erkenntnis richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der der Beschwerdeführer behauptet, in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 B-VG), seinem Recht gemäß Art7 EMRK, sowie in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen, weil gegen Art7 EMRK verstoßenden Gesetzes (§1 DSt 1990), verletzt zu sein und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides.

4. Die OBDK hat die Verwaltungsakten vorgelegt und keine Gegenschrift erstattet.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. §38 Abs2 DSt 1990 lautet:

"(2) Wird der Beschuldigte eines Disziplinarvergehens schuldig erkannt, so ist im Erkenntnis ausdrücklich auszusprechen, welche Pflichten seines Berufes er verletzt oder welche Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes er durch sein Verhalten begangen hat. (...)"

2.1. Im Erkenntnis VfSlg. 11776/1988 hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, einer Verurteilung nach §2 DSt 1872 (der Vorgängerbestimmung des geltenden §1 DSt 1990) müsse verfassungskonform im Sinne des Art7 EMRK zugrunde liegen, daß sie wegen einer Verletzung von Berufspflichten oder wegen eines Verstoßes gegen Ehre und Ansehen des Standes erfolgt, die sich aus gesetzlichen Regelungen oder aus verfestigten Standesauffassungen - wozu allenfalls Richtlinien oder die bisherige (Standes-)Judikatur Bedeutung besitzen - ergeben, die in einer dem Klarheitsgebot entsprechenden Bestimmtheit feststehen. Eine Verurteilung unter bloßem Hinweis auf §1 DSt 1990 (ohne zusätzliche Bezugnahme auf Richtlinien oder bestehende Standesjudikatur) wäre mit Rücksicht auf das Bestimmtheitserfordernis des Art7 EMRK willkürlich.

Im Sinn dieser Rechtsprechung hat der Verfassungsgerichtshof zuletzt etwa im Erkenntnis vom 27.11.2001, B142/01, das (dort) bekämpfte Berufungserkenntnis der OBDK mit Rücksicht auf Art7 EMRK aufgehoben, weil die Disziplinarbehörden "... lediglich Erwägungen darüber [angestellt hatten], warum dem Beschwerdeführer sein Verhalten subjektiv als Berufspflichtenverletzung vorwerfbar sei, ohne diesen Vorwurf an einer gesetzlichen Bestimmung festzumachen, welche Regelungen für das Verhalten eines Rechtsanwaltes bei übernommenen Vertretungen trifft ...".

2.2. Den gleichen Begründungsmangel weist aber die vorliegende Verurteilung jedenfalls hinsichtlich Spruchpunkt a) auf. Der Verfassungsgerichtshof zieht nicht in Zweifel, daß der im Bescheid festgestellte Sachverhalt - rechtlich gewürdigt - möglicherweise als Disziplinarvergehen zu ahnden ist. Eine solche rechtliche Würdigung fehlt im Bescheid jedoch: Es ist aus dem Bescheid nicht ersichtlich, aufgrund welcher Rechtsvorschriften oder Standesauffassungen der vom Beschwerdeführer zu verantwortende Sachverhalt als Verletzung von Berufspflichten bzw. von Ehre und Ansehen des Standes angesehen wird.

Auch wenn man davon ausgehen wollte, daß der Disziplinarrat im Spruchpunkt b) des Bescheides zumindest bemüht war, die Verurteilung - mit einem Hinweis auf die Vorschriften des Rechtsanwaltstarifgesetzes - nicht völlig frei von rechtlichen Grundlagen zu fällen, so fehlt doch im Spruchpunkt a) jegliche Bezugnahme auf eine Standesauffassung oder auf Rechtsvorschriften (wie etwa die RL-BA 1977). Auch die OBDK hat dem Beschwerdeführer gegenüber eine solche Begründung nicht nachgeholt.

2.3. Bei einem derartigen Mangel handelt es sich nicht mehr um eine bloße Verletzung von Verfahrensvorschriften oder um eine unrichtige Anwendung einer vorhandenen Strafnorm (vgl. VfSlg. 6762/1972, 7814/1976, 9957/1984, 10032/1984, 10237/1984). In einem solchen Fall des Fehlens einer rechtlichen Begründung mangelt es der Verurteilung vielmehr am entsprechend konkretisierten Vorwurf der Verletzung von Berufspflichten und es liegt sohin mit Rücksicht auf die Bedeutung des Art7 EMRK ein willkürliches Verhalten der Behörde vor (VfSlg. 11776/1988; VfGH 27.11.2001, B142/01).

Von dieser bestehenden Rechtsprechung sieht sich der Verfassungsgerichtshof nicht veranlaßt abzugehen.

3. Der Beschwerdeführer ist durch den erwähnten - in die Verfassungssphäre reichenden - Begründungsmangel in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

4. Der angefochtene Bescheid war demnach aufzuheben.

5. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

6. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG; in den zuerkannten Kosten ist eine Eingabegebühr gem. §17a VfGG in Höhe von € 180,- sowie Umsatzsteuer in der Höhe von € 327,- enthalten.

Schlagworte

Rechtsanwälte, Disziplinarrecht Rechtsanwälte

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2002:B922.2002

Dokumentnummer

JFT_09979076_02B00922_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten