TE Vwgh Erkenntnis 2007/2/21 2005/08/0040

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Veröffentlicht am 21.02.2007
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
60/01 Arbeitsvertragsrecht;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AVG §37;
AVG §39 Abs2;
BSVG §2 Abs1 Z1;
BSVG §20;
BSVG §3 Abs1 Z1;
BSVG §3 Abs2;
BSVG §30 Abs1;
BSVG §30 Abs2;
LAG §5;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Köller, Dr. Moritz und Dr. Lehofer, als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der Sozialversicherungsanstalt der Bauern in Wien, vertreten durch Mag. Daniel Kornfeind, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Lugeck 7, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 8. Februar 2005, Zl. SV(SanR)-411232/1-2005-Bit/May, betreffend Beitragspflicht in der Unfallversicherung nach dem BSVG (mitbeteiligte Parteien: 1. Dr. Walter H, 2. Hedwig H, beide in L), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz) hat der beschwerdeführenden Sozialversicherungsanstalt Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Im Beschwerdefall ist unbestritten, dass die Mitbeteiligten je zur Hälfte Eigentümer einer Liegenschaft mit Obstbaumbestand sind, die bis 31. Dezember 2002 verpachtet gewesen ist.

Mit Bescheid vom 11. August 2004 hat die beschwerdeführende Sozialversicherungsanstalt festgestellt, dass für die Mitbeteiligten im Jahr 2003 eine monatliche Beitragspflicht in der Unfallversicherung nach dem BSVG in der Höhe von 10,85 EUR und ab dem 1. Jänner 2004 in der Höhe von 11,09 EUR bestehe.

Dem von den Mitbeteiligten gegen diesen Bescheid erhobenen Einspruch hat die belangte Behörde Folge gegeben und festgestellt, dass die Mitbeteiligten "auch nach dem 31.12.2002 nicht in der Unfallversicherung beitragspflichtig sind."

In der Begründung fasste die belangte Behörde das Einspruchsvorbringen zusammen, wonach die Mitbeteiligten die Liegenschaft weder bewohnten noch bewirtschafteten. Die Liegenschaft würde nur gelegentlich besucht, um nach dem Rechten zu sehen und die Fütterung der Kleintiere vorzunehmen. Die Tiere würden nicht verwertet, Maschinen zur Betriebsführung seien nicht vorhanden. Seit dem Ende des Pachtverhältnisses sei die Wiese von einem Nachbarn gefälligkeitshalber abgemäht worden, damit das Grundstück in einem halbwegs gepflegten Zustand erhalten bleibe.

Nach der Wiedergabe der von ihr angewendeten Bestimmungen des BSVG stellte die belangte Behörde folgenden Sachverhalt fest:

"(Die Mitbeteiligten) sind Eigentümer der Liegenschaft EZ ...  Die Liegenschaft weist landwirtschaftlich genutzte Flächen von 1,3466 ha auf und wurde gemäß § 25 Bewertungsgesetz zum 1.1.2001 mit einem Einheitswert von 872,07 Euro bewertet.

Auf dem Grundstück ... stehen rund um das Haus ungefähr 35 bis 40 Obstbäume, die fast alle alt und ungepflegt sind. Es werden keine Arbeiten an den Obstbäumen verrichtet, das anfallende Obst bleibt liegen. Die Fläche um das Haus ist eingezäunt und leben dort einige Hühner und Gänse. Die Tiere werden gelegentlich gefüttert. Es wird kein Tier geschlachtet. Die Liegenschaft war bis 31.12.2002 verpachtet. Nach Beendigung des Pachtverhältnisses konnte kein neuer Pächter gefunden werden, die Wiese wird von einem Nachbarn gefälligkeitshalber abgemäht. (Die Mitbeteiligten) besitzen keine Gerätschaften und Maschinen."

Dieser Sachverhalt ergebe sich unter anderem aus Feststellungen, die anlässlich eines von einem Mitarbeiter der beschwerdeführenden Sozialversicherungsanstalt durchgeführten Lokalaugenscheines getroffen worden seien, und deckten sich im Wesentlichen mit dem Vorbringen der Mitbeteiligten im Einspruch.

In rechtlicher Hinsicht ging die belangte Behörde unter anderem davon aus, dass dann eine landwirtschaftliche Tätigkeit vorliege, wenn mit dem gemähten Gras in einer Art verfahren werde, die an sich auf der Linie einer landwirtschaftlichen Bewirtschaftung liege; bei der bloßen Vernichtung des gemähten Grases liege keine landwirtschaftliche Bewirtschaftung vor. Indem die Mitbeteiligten nur ab und zu auf dem Grundstück nach dem Rechten gesehen und das Federvieh gefüttert hätten, jedoch keine landwirtschaftlichen Produkte aus der Liegenschaft erzielt hätten, sei ihr Handeln nicht als landwirtschaftliche Tätigkeit zu beurteilen. Ohne Vorliegen eines landwirtschaftlichen Betriebes könne es auch keine Unfallversicherungspflicht für die Mitbeteiligten, somit auch keine Beitragspflicht, geben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt. Die Mitbeteiligten haben sich am Beschwerdeverfahren nicht beteiligt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die beschwerdeführende Sozialversicherungsanstalt behauptet in der Beschwerde, das Abmähen des Grases durch einen Nachbarn begründe einen land(forst)wirtschaftlichen Betrieb, der die Versicherungspflicht der Mitbeteiligten in der Unfallversicherung und damit ihre Beitragspflicht zur Folge habe. Die auf der Liegenschaft befindlichen Obstbäume hat weder die beschwerdeführende Sozialversicherungsanstalt noch die belangte Behörde in ihre Überlegungen einbezogen.

Gemäß § 3 Abs. 1 Z. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z. 1 und § 3 Abs. 2 BSVG sind in der Unfallversicherung aufgrund dieses Bundesgesetzes natürliche Personen, die auf ihre Rechnung und Gefahr einen land(forst)wirtschaftlichen Betrieb im Sinne der Bestimmungen des Landarbeitsgesetzes führen oder auf deren Rechnung und Gefahr ein solcher Betrieb geführt wird, pflichtversichert, sofern es sich um einen land(forst)wirtschaftlichen Betrieb handelt, dessen zuletzt im Sinne des § 25 des Bewertungsgesetzes festgestellter Einheitswert den Betrag von 150,-- EUR erreicht oder übersteigt.

Die Mittel der Unfallversicherung sind gemäß § 22 Abs. 2 lit. a BSVG unter anderem durch Betriebsbeiträge gemäß § 30 Abs. 1 und 2 aufzubringen.

Gemäß § 30 Abs. 1 BSVG ist die Beitragsgrundlage für den Betriebsbeitrag gemäß § 22 Abs. 2 lit. a in entsprechender Anwendung der für die Pensionsversicherung geltenden Bestimmungen des § 23 festzustellen.

Nach § 30 Abs. 2 BSVG schuldet den gemäß Abs. 1 ermittelten Betriebsbeitrag der Betriebsführer. Hiebei ist anzunehmen, dass der Eigentümer des land(forst)wirtschaftlichen Betriebes (der land(forst)wirtschaftlichen Fläche) diesen Betrieb (diese Fläche) auf seine Rechnung und Gefahr führt (bewirtschaftet). Diese Vermutung gilt bis zu dem Ersten des Kalendermonates, in dem der Eigentümer nachweist, dass der ihm gehörige Betrieb (die ihm gehörige Fläche) durch eine andere Person (andere Personen) bewirtschaftet wird (werden).

Für die unwiderlegliche Vermutung des § 30 Abs. 2 zweiter Satz BSVG genügt nicht das bloße Eigentum (Miteigentum) an der bezüglichen landwirtschaftlichen Fläche; sie setzt vielmehr die Führung eines land(forst)wirtschaftlichen Betriebes im Sinne des § 5 LAG in diesem Zeitraum voraus. Dafür reicht es allerdings aus, dass eine land(forst)wirtschaftliche Tätigkeit im technischen Sinn entfaltet wird (vgl. das Erkenntnis vom 21. März 1995, Zl. 93/08/0098).

Wurde in einem bestimmten Zeitraum ein land(forst)wirtschaftlicher Betrieb geführt bzw. eine land(forst)wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet, so ist diese auf Grund der Vermutung des § 30 Abs. 2 zweiter Satz BSVG dem Eigentümer (den Miteigentümern) im Zeitraum bis zum Nachweis, dass der ihm gehörige Betrieb (die ihm gehörige Fläche) durch eine andere Person (andere Personen) bewirtschaftet wird (werden), zuzurechnen.

Erst im Einspruch haben die Mitbeteiligten vorgebracht, die Wiese werde "gefälligkeitshalber" von einem nicht näher genannten Nachbarn abgemäht. Unter der Voraussetzung, dass ein land(forst)wirtschaftlicher Betrieb vorliegt und dass den Mitbeteiligten mit dem eben wiedergegebenen Vorbringen der Nachweis der Übertragung der Betriebsführerschaft gelungen ist, gilt somit im Beschwerdefall die Vermutung des § 30 Abs. 2 zweiter Satz BSVG, dass der Eigentümer diese Tätigkeit auf eigene Rechnung und Gefahr entfaltet, bis zum Nachweis des Einspruchsvorbringens. Voraussetzung für diese Vermutung ist jedenfalls die Führung eines land(forst)wirtschaftlichen Betriebes bzw. die Bewirtschaftung einer land(forst)wirtschaftlichen Fläche.

Hinsichtlich des Grases liegt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dann eine landwirtschaftliche Tätigkeit vor, wenn mit dem gemähten Gras in einer Art verfahren wird, die an sich auf der Linie einer landwirtschaftlichen Bewirtschaftung liegt. Bei einer bloßen Vernichtung des gemähten Grases (zum Beispiel um der Gefahr eines Grasbrandes vorzubeugen) läge keine landwirtschaftliche Bewirtschaftung vor (vgl. das Erkenntnis vom 27. Juni 1980, Zlen. 2869, 2870/78). Ebenso wenig liegt die Kompostierung des Aufwuchses einer ehemals als Weingarten bewirtschafteten, nicht weiter landwirtschaftlich genutzten Fläche, auf der nach Gewährung einer Stilllegeprämie Begrünungs- und Pflegemaßnahmen durchzuführen waren, auf der Linie einer landwirtschaftlichen Bewirtschaftung (vgl. das Erkenntnis vom 30. Jänner 2002, Zl. 96/08/0289); auch die Verwendung von Sumpfgras als Einstreu als kostengünstige und umweltschonende Entsorgungsmöglichkeit wurde als nicht auf der Linie einer Bewirtschaftung im Sinne des Landarbeitsgesetzes gewertet (vgl. dazu auch das Erkenntnis vom 4. Oktober 2001, Zl. 97/08/0643).

Wird ein im Miteigentum stehendes landwirtschaftliches Grundstück in der Weise landwirtschaftlich genutzt, dass das Gras abgemäht und in ihrer Landwirtschaft verwertet wird, so ist bis dahin von einer Grasnutzung als einer landwirtschaftlichen Tätigkeit im technischen Sinne auszugehen und die Betriebsführereigenschaft der Eigentümer nach § 30 Abs. 2 iVm § 30 Abs. 1 BSVG zu vermuten (vgl. das Erkenntnis vom 21. März 1995, Zl. 93/08/0098).

Für die Annahme der landwirtschaftlichen Nutzung einer Wiese ist demnach wesentlich, dass das gemähte Gras auf der Linie einer landwirtschaftlichen Bewirtschaftung verwertet wird.

Im Beschwerdefall hat die belangte Behörde nicht festgestellt, ob die Verwertung des Grases auf der Linie einer landwirtschaftlichen Bewirtschaftung lag.

Die belangte Behörde hat nicht verkannt, dass dann eine landwirtschaftliche Tätigkeit vorliegt, wenn mit dem gemähten Gras in einer Art verfahren wird, die auf der Linie einer landwirtschaftlichen Bewirtschaftung liegt; sie hat jedoch in diese Richtung keinerlei Ermittlungen geführt und keine Feststellungen getroffen. Erst wenn feststeht, wie damit verfahren wurde, kann die Frage nach dem Vorliegen eines landwirtschaftlichen Betriebes der Mitbeteiligten abschließend beantwortet werden.

Die Beantwortung der Frage, ob eine landwirtschaftliche Tätigkeit entfaltet wurde, hat die Behörde - innerhalb der Grenzen ihrer Möglichkeiten und des vom Verfahrenszweck her gebotenen und zumutbaren Aufwandes, freilich unter der nach § 20 BSVG gebotenen Mitwirkung des Eigentümers - von Amts wegen zu klären. Diesbezüglich trifft den Eigentümer (Miteigentümer) keine Nachweispflicht negativer Art, nämlich im Sinne des Nichtentfaltens einer Tätigkeit (vgl. das eben zitierte Erkenntnis vom 21. März 1995).

Kommt der Eigentümer eines landwirtschaftlichen Grundstückes seiner Mitwirkungspflicht allerdings nicht nach, indem er etwa nicht bekannt gibt, wer das Gras auf dieser Liegenschaft mäht und wie damit verfahren wird, und kann die Behörde solche Feststellungen auch nach dem gebotenem Verfahrensaufwand nicht treffen, wäre es nicht rechtswidrig, wenn die Behörde - bei einer grundsätzlichen Eignung des Grases zu einer landwirtschaftliche Bewirtschaftung - vom Vorliegen eines landwirtschaftlichen Betriebes des Eigentümers der Liegenschaft ausginge.

Im Beschwerdefall kann erst entweder nach Vorliegen der genannten Feststellungen das Bestehen oder Nichtbestehen eines landwirtschaftlichen Betriebes beurteilt werden, oder die belangte Behörde kann im Falle des Beweisnotstandes - ohne die sonst erforderlichen Feststellungen - unter den eben genannten Voraussetzungen von einer Grasnutzung als einer landwirtschaftlichen Tätigkeit im technischen Sinne ausgehen.

Der angefochtene Bescheid leidet wegen des Fehlens wesentlicher Feststellungen an einem Verfahrensmangel und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 21. Februar 2007

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Mitwirkungspflicht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2005080040.X00

Im RIS seit

03.05.2007
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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