TE Vfgh Erkenntnis 2002/9/27 SV1/02

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Veröffentlicht am 27.09.2002
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsgegenstand
B-VG Art140a
FremdenG 1997 §28
Österreichisch-Kroatisches Abkommen über die Aufhebung der Sichtvermerkspflicht BGBl 487/1995 Art1
Österreichisch-Slowakisches Abkommen über die Aufhebung der Sichtvermerkspflicht idF BGBl III 102/1998 Art1
Österreichisch-Tschechisches Abkommen über die Aufhebung der Sichtvermerkspflicht idF BGBl III 159/1999 Art1
Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ), BGBl III 90/1997 Art20

Leitsatz

Keine Folge für Anträge des Unabhängigen Verwaltungssenates auf Aufhebung von Bestimmungen zwischenstaatlicher Abkommen über die Aufhebung der Sichtvermerkspflicht; kein Widerspruch zu den Bestimmungen des Fremdenrechts über die Erleichterung des Reiseverkehrs und den Ausnahmen von der Sichtvermerkspflicht; Ergänzung des Fremdengesetzes durch das Schengener Übereinkommen; keine Aufhebung allenfalls gemeinschaftsrechtswidriger österreichischer Rechtsvorschriften durch den Verfassungsgerichtshof

Spruch

Dem Antrag wird keine Folge gegeben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Unabhängigen Verwaltungssenat im Land Niederösterreich (im folgenden UVSNÖ oder bloß UVS) ist das Verfahren über eine Berufung des Beteiligten Mladen P. (eines 1980 geborenen kroatischen Staatsangehörigen) gegen ein Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Hollabrunn vom 2. Oktober 2000 anhängig. In diesem wurde dem Beteiligten zur Last gelegt, sich am 10. Juni 2000 nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten zu haben; er habe weder über einen Einreise- noch über einen Aufenthaltstitel verfügt. In der Begründung dieses Bescheides führte die Bezirkshauptmannschaft (unter Bezugnahme auf eine Niederschrift, welche mit dem Beteiligten anläßlich seiner Einreise nach Österreich am 10. Juni 2000 aufgenommen worden war) insbesondere aus, daß er sich - den eigenen Angaben zufolge - seit 1992 durchgehend (bei seinem Vater) im Bundesgebiet aufgehalten habe; beim (späteren) Vorbringen (im Einspruch gegen die dem Straferkenntnis vorangegangene Strafverfügung), er habe nur zu Besuchszwecken nach Österreich kommen wollen, handle es sich um eine Schutzbehauptung.

2. Aus Anlaß dieser Berufung stellt der UVSNÖ unter Bezugnahme auf Art129a Abs3 iVm Art89 Abs2 und 3 sowie Art140a Abs1 B-VG den Antrag zu erkennen, daß Art1, hilfsweise auch Art2, des Abkommens zwischen der Österreichischen Bundesregierung und der Regierung der Republik Kroatien über die Aufhebung der Sichtvermerkspflicht, BGBl. 487/1995, "als rechtswidrig aufgehoben werden".

Diese beiden Artikel haben folgenden Wortlaut:

"Artikel 1

Die Staatsbürger der Vertragsstaaten, die einen der im Artikel 3 angeführten Reiseausweise mit sich führen, können ohne Sichtvermerke des anderen Vertragsstaates die Grenzen der Vertragsstaaten überschreiten und sich drei Monate auf dem Hoheitsgebiet des anderen Vertragsstaates aufhalten.

Artikel 2

Artikel 1 findet keine Anwendung auf jene Personen, die sich länger als drei Monate auf dem Hoheitsgebiet des anderen Vertragsstaates aufhalten wollen oder dort die Ausübung einer Erwerbstätigkeit beabsichtigen. In diesen Fällen ist vor der Einreise die Erteilung eines Sichtvermerkes oder einer Aufenthaltsbewilligung erforderlich."

3. Der UVS nimmt die Präjudizialität des Art1 (hilfsweise auch des Art2 wegen des Zusammenhaltes mit dem vorhergehenden Artikel) unter dem Aspekt der von ihm zu treffenden Rechtsmittelentscheidung an. Beginne - wie vom Beteiligten implizit vorgebracht worden sei - die dreimonatige Frist des Art1 des Übereinkommens mit jeder neuerlichen Einreise in das Bundesgebiet von neuem zu laufen, so könne das Verhalten des Beteiligten nicht als tatbestandsmäßig angesehen werden; das Verwaltungsstrafverfahren wäre diesfalls einzustellen.

Die Bedenken hinsichtlich der Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Vertragsbestimmung legt der UVS in grundsätzlich gleicher Weise dar wie in seinen (mit dem am 26. September 2002 gefälltem Erk. SV 2, 3/02 erledigten) Anträgen bezüglich der Abkommen über die Aufhebung der Sichtvermerkspflicht mit der Slowakischen Republik sowie mit der Tschechischen Republik, ausgenommen jedoch einer Bezugnahme auf Art20 des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ), da es sich um ein Altabkommen iSd Art20 Abs2 SDÜ handelt. Er hält das Abkommen BGBl. 487/1995 als mit einer Durchführungsverordnung vergleichbar, die seit dem 1. Jänner 1998 (dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des FrG 1997) an §28 Abs1 FrG 1997 zu messen sei.

4. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie das Vorliegen der Prozeßvoraussetzungen des Prüfungsverfahrens (mit dem Hinweis, daß gemäß Art140a B-VG nur die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Staatsvertrages möglich sei) nicht in Zweifel zieht und ausführt, daß die Differenzierung zwischen den Visa A bis C einerseits und dem Visum D andererseits im Gesetz keine Deckung finde, da durch das FrG 1997 ein Regelungsregime geschaffen worden sei, das deutlich zwischen Reisebewegungen und der Einreise zum Aufenthalt oder zu einem bestimmten Zweck unterscheide, wobei die §§6 und 7 FrG 1997 eine klare Abgrenzung träfen. Die Bundesregierung begehrt (primär) den Ausspruch, daß die angefochtenen Bestimmungen nicht rechtswidrig sind.

Der UVSNÖ replizierte auf diese Äußerung der Bundesregierung und blieb auf seinem Standpunkt.

II. Der Antrag (dessen Begehren dahin zu werten ist, daß es sich auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der angefochtenen Vertragsbestimmungen richtet) erweist sich aus den gleichen Gründen als (im Umfang des Eventualbegehrens) zulässig, wie dies in den Entscheidungsgründen des bezogenen hg. Erkenntnisses hinsichtlich der erwähnten Abkommen mit der Slowakei und mit Tschechien dargetan wurde.

III. Der Verfassungsgerichtshof hält auch den vorliegenden Antrag für nicht gerechtfertigt und kann sich wegen der inhalt-lichen Vergleichbarkeit der jeweils angefochtenen Vertragsbestimmungen ebenfalls auf die Entscheidungsgründe seines Erk. SV 2, 3/02 beziehen, die hier entsprechend mit der Maßgabe zutreffen, daß eine Auseinandersetzung mit der Frage der Relevanz des Art20 SDÜ entbehrlich ist. Beizufügen bleibt lediglich, daß im Hinblick auf den im Spruch des Straferkenntnisses angenommenen Tatzeitpunkt eine Beurteilung der angefochtenen Vertragsvorschrift ausschließlich unter dem Aspekt des §28 Abs1 FrG 1997 geboten ist, nicht jedoch unter dem des vom antragstellenden UVS ebenfalls ins Treffen geführten, dem §28 Abs1 inhaltlich vergleichbaren §14 FrG 1992 (BGBl. 838/1992).

IV. Dem Antrag des UVSNÖ konnte sohin keine Folge gegeben werden.

V. Diese Entscheidung wurde gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung getroffen.

Schlagworte

EU-Recht, Fremdenrecht, VfGH / Antrag, VfGH / Staatsvertragsprüfung, VfGH / Prüfungsumfang

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2002:SV1.2002

Dokumentnummer

JFT_09979073_02SV0001_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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