TE Vwgh Erkenntnis 2007/3/27 2005/21/0393

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Veröffentlicht am 27.03.2007
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §30 Abs1 idF 2003/I/101;
AsylG 1997 §30 Abs1 idF 2003/I/101;
AsylG 1997 §34b Abs1 idF 2003/I/101;
AsylG 1997 §34b Abs1 Z1 idF 2003/I/101;
FrG 1997 §66 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGG §42 Abs2 Z3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des A, vertreten durch Mag. Michael Schuszter, Rechtsanwalt in 7000 Eisenstadt, Robert Graf Platz 1, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 11. Oktober 2005, Zl. Senat-FR-05-1031, betreffend Schubhaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, ist, nachdem er davor bereits in der Slowakei einen Asylantrag gestellt hatte, am 8. September 2005 in das Bundesgebiet eingereist und hat am selben Tag in der Erstaufnahmestelle (kurz: EAST) West die Gewährung von Asyl beantragt. Das hierüber geführte Verfahren wurde am 15. September 2005 gemäß § 30 Abs. 1 AsylG eingestellt.

Am 16. September 2005 wurde der Beschwerdeführer in der EAST Ost aufgegriffen. Nach (neuerlicher) Einvernahme des Beschwerdeführers in der EAST Ost wurde sein Asylantrag mit Bescheid vom 3. Oktober 2005 gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen. Zugleich wurde gemäß § 5a Abs. 1 leg. cit. die Ausweisung des Beschwerdeführers in die Slowakei verfügt. Die aufschiebende Wirkung einer Berufung wurde gemäß § 64 Abs. 2 AVG ausgeschlossen. (Anm.: Eine am 6. Oktober 2005 erhobene Berufung führte zur Aufhebung des genannten Bescheides vom 3. Oktober 2005 mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 13. Oktober 2005.) Am 11. Oktober 2005 wurde der Beschwerdeführer in die Slowakei überstellt.

Bereits davor, mit Bescheid vom 17. September 2005, der am selben Tag in Vollzug gesetzt wurde, hatte die Bezirkshauptmannschaft Baden gegen den Beschwerdeführer gemäß "§ 34b AsylG und § 57 Abs. 1 AVG" die Schubhaft zur Sicherung seiner Ausweisung bzw. Abschiebung angeordnet.

In ihrer Begründung führte sie aus, dass das Asylverfahren des Beschwerdeführers seit dem 15. September 2005 gemäß § 30 AsylG eingestellt worden sei, weil er sich im Bereich der EAST West aufhalten sollte, jedoch in Traiskirchen angetroffen worden sei. Er gelte als mittellos, lebe aus den Einkünften von Schwarzarbeit und stelle insgesamt eine Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit dar. Es sei daher die Annahme gerechtfertigt, dass er sich dem behördlichen Zugriff entziehen werde, um die Vollstreckung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme, welche vom Bundesasylamt "gegen Sie erlassen wurde", zu verhindern oder zumindest erheblich zu erschweren. Die Schubhaft stehe "in einem angemessenen Verhältnis und (sei) im Interesse des öffentlichen Wohles dringend erforderlich".

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die dagegen erhobene Beschwerde gemäß § 67c "Abs. 4" AVG iVm § 73 des (bis zum 31. Dezember 2005 in Geltung gestandenen) Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ab. Gleichzeitig stellte sie gemäß § 73 Abs. 4 erster Satz FrG fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen.

Nach Darstellung des bisherigen Verwaltungsgeschehens führte sie in ihrer Begründung aus, der Beschwerdeführer sei mittellos, besitze kein gültiges Reisedokument und sei "nicht willens bzw. in der Lage, das Bundesgebiet zu verlassen". Darüber hinaus seien weder seine Identität noch sein Alter (Geburtstag am 1. Jänner 1987 oder am 24. Jänner 1989) geklärt, sodass nicht mit Sicherheit gesagt werden könne, ob er minderjährig sei. Somit sei auch "die Auseinandersetzung mit der Frage der Anwendung eines gelinderen Mittels entbehrlich". Die Rechtsansicht, dass die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft erforderlich sei, treffe jedoch insgesamt zu.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Die §§ 30 Abs. 1 und 34b AsylG idF der AsylG-Novelle 2003

lauteten:

"Einstellung

§ 30. (1) Asylverfahren, über deren Zulässigkeit noch nicht abgesprochen wurde (§ 24a) sind einzustellen, wenn eine Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes noch nicht erfolgen kann und sich der Asylwerber aus der Erstaufnahmestelle ungerechtfertigt entfernt hat. Ungerechtfertigt ist das Entfernen aus der Erstaufnahmestelle dann, wenn der Asylwerber trotz Aufforderung zu den ihm von Bundesasylamt gesetzten Terminen nicht kommt und er nicht in der Erstaufnahmestelle angetroffen werden kann. Ein Krankenhausaufenthalt ist jedenfalls kein ungerechtfertigtes Entfernen aus der Erstaufnahmestelle.

...

Schubhaft

§ 34b. (1) Die örtlich zuständige Fremdenpolizeibehörde kann Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Ausweisung oder Abschiebung mit Bescheid anordnen, wenn

1. der Asylwerber sich im Zulassungsverfahren ungerechtfertigt aus der Erstaufnahmestelle entfernt hat;

2. gegen den Asylwerber eine - wenn auch nicht rechtskräftige - Ausweisung gemäß der §§ 5a und 6 erlassen wurde;

3. (aufgehoben)

(2) Auf Asylwerber, über die Schubhaft verhängt worden ist, findet das Fremdengesetz insgesamt Anwendung."

Vorauszuschicken ist, dass die (belangte) Behörde nicht klargestellt hat, ob die über den Beschwerdeführer verhängte Schubhaft nach § 34b Abs. 1 Z. 1 oder Z. 2 AsylG ausgesprochen wurde.

Das Vorliegen der Voraussetzungen der Z. 1 leg. cit. (ungerechtfertigtes Entfernen aus der Erstaufnahmestelle im Sinn des § 30 Abs. 1 zweiter Satz AsylG, der § 34b Abs. 1 Z. 1 AsylG inhaltlich determiniert - vgl. dazu Feßl/Holzschuster, Asylgesetz 1997 idF der 3. Ergänzung, 358d, und Schmid/Frank/Anerinhof, Asylgesetz 1997 idF der Novelle 20032, 467 f; sowie das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 15. Oktober 2004, G 237/03 u.a. = VfSlg. 17.340 (Punkt III 9.7.1.), mwN) kann den behördlichen Feststellungen, die sich weder mit dem Fernbleiben des Beschwerdeführers von einem (allenfalls) konkret festgesetzten Termin (etwa am 15. September 2005, als - ohne dass dies in den Feststellungen näher dargestellt worden wäre - die Einstellung des Asylverfahrens erfolgte) noch mit seiner polizeilichen Anmeldung in Traiskirchen oder der späteren Fortsetzung des Asylverfahrens befassen, nicht entnommen werden.

Ein für die Anwendung der Z. 2 leg. cit. erforderlicher, eine Ausweisung des Beschwerdeführers aussprechender Bescheid war bei Erlassung des die Schubhaft anordnenden - und noch am selben Tag vollzogenen - Bescheides vom 17. September 2005 (unstrittig) noch nicht ergangen. Somit kann diese Norm weder die Anordnung der Schubhaft noch deren Aufrechterhaltung über den gesamten Zeitraum tragen.

Das Vorliegen der dargestellten grundlegenden Voraussetzungen für die Verhängung von Schubhaft und deren Fortdauern im gesamten Beurteilungszeitraum ist daher im Ergebnis nicht nachvollziehbar.

Dazu kommt, dass die (belangte) Behörde gemäß § 66 Abs. 1 Satz 2 FrG bei Minderjährigen (von der Schubhaft Abstand zu nehmen und) gelindere Mittel anzuwenden hat, es sei denn, sie hätte Grund zur Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden könnte. Letzteres hat die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides jedoch nicht unterstellt.

Wird die Möglichkeit der Anwendung gelinderer Mittel nicht - unabhängig vom Alter, also jedenfalls - bejaht, ist die - von der belangten Behörde unterlassene - Abklärung des Alters des Beschwerdeführers daher keinesfalls entbehrlich. Anderes könnte nur gelten, wenn das Geburtsdatum 24. Jänner 1989 - entgegen den Feststellungen der belangten Behörde - als zutreffend angesehen worden wäre, was aber wiederum eine Auseinandersetzung mit der vorgenannten Bestimmung des § 66 Abs. 1 Satz 2 FrG geboten hätte.

Nach dem Gesagten erweist sich der angefochtene Bescheid somit nicht nachvollziehbar begründet, sodass er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben werden musste.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 27. März 2007

Schlagworte

Begründung Begründungsmangel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2005210393.X00

Im RIS seit

03.05.2007
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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