TE Vwgh Erkenntnis 2007/4/26 2003/03/0014

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Veröffentlicht am 26.04.2007
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
19/05 Menschenrechte;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

MRK Art6;
VStG §51e Abs3;
VStG §51e;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Riedinger und Dr. Handstanger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Beschwerde des AB in W, Deutschland, vertreten durch MMag. Dr. Stefan Hornung, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Hellbrunnerstraße 11, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Burgenland vom 4. Dezember 2002, Zl. E 038/02/2002.060/002, betreffend Übertretung des Güterbeförderungsgesetzes 1995, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer zur Last gelegt, er habe als Einzelunternehmer (A. B., Internationale Spedition in D....) die Durchführung der nachstehend bezeichneten ökopunktpflichtigen Transitfahrt durch Österreich veranlasst und sich vor Fahrtantritt nicht davon überzeugt, dass ausreichend Ökopunkte zur Verfügung gestanden seien: Einfahrt des LKWs mit einem näher bezeichneten deutschen Zulassungskennzeichen, über 7,5 to höchstzulässigem Gesamtgewicht und installiertem Ecotag nach Österreich in Nickelsdorf am 8. April 2002 um 00.10 Uhr, Ausfahrt aus Österreich in Suben am selben Tag um 05.08 Uhr, wobei für diese Fahrt wegen einer Frächtersperre vom 5. April bis 9. April 2002 aus Anlass des überzogenen Ökopunktekontos keine Ökopunkte vom Ökopunktekonto abgebucht worden seien.

Der Beschwerdeführer habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 23 Abs. 1 Z. 6 iVm § 23 Abs. 4 iVm § 9 Abs. 3 des Güterbeförderungsgesetzes 1995 (GütbefG) idF BGBl. I Nr. 32/2002 begangen; über ihn wurde eine Geldstrafe von EUR 1.460,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 3 Tage) verhängt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Akten des Verwaltungsstrafverfahrens und der Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Der Beschwerdeführer rügt u.a. die Nichtdurchführung einer Berufungsverhandlung durch die belangte Behörde. Dies führt zum Erfolg der Beschwerde:

§ 51e Abs. 1 bis 5 VStG in der Fassung BGBl. I Nr. 65/2002 lautet (auszugsweise):

"§ 51e. (1) Der unabhängige Verwaltungssenat hat eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

(2) Die Verhandlung entfällt, wenn

1. der Antrag der Partei oder Berufung zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Berufung angefochtene Bescheid aufzuheben ist;

2. ...

(3) Der unabhängige Verwaltungssenat kann von einer Berufungsverhandlung absehen, wenn

1. in der Berufung nur eine unrichtige rechtliche Beurteilung behauptet wird oder

2.

sich die Berufung nur gegen die Höhe der Strafe richtet oder

3.

im angefochtenen Bescheid eine EUR 500,-- nicht übersteigende Geldstrafe verhängt wurde oder

              4.              sich die Berufung gegen einen verfahrensrechtlichen Bescheid richtet

und keine Partei die Durchführung einer Verhandlung beantragt hat. Der Berufungswerber hat die Durchführung einer Verhandlung in der Berufung zu beantragen. ...

(4) Der unabhängige Verwaltungssenat kann ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn er einen verfahrensrechtlichen Bescheid zu erlassen hat, die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Sache nicht erwarten lässt, und dem nicht Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, entgegensteht.

(5) Der unabhängige Verwaltungssenat kann von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

..."

Es trifft zwar zu, dass - so die belangte Behörde in der Gegenschrift - der Beschwerdeführer in der Berufung gegen das erstinstanzliche Straferkenntnis die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht beantragt hat.

Allerdings hat der Verfassungsgerichtshof zu einem Fall wie dem vorliegenden (vgl. das Erkenntnis vom 30. November 2004, Slg. Nr. 17375) unter Hinweis auf seine und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte im Hinblick auf die verfassungskonforme Anwendung des § 51e Abs. 3 VStG ausgesprochen, dass der unabhängige Verwaltungssenat - soweit es Art. 6 MRK gebiete - jedenfalls eine mündliche Verhandlung durchführen müsse, sofern die Parteien nicht darauf verzichtet hätten.

Selbst wenn der damalige Beschwerdeführer - so der Verfassungsgerichtshof in diesem Erkenntnis vom 30. November 2004 weiter - zwar die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht beantragt habe, habe er aber auch nicht ausdrücklich darauf verzichtet. Das Verhalten des nicht rechtsfreundlich vertretenen Beschwerdeführers könne aber auch nicht als konkludenter Verzicht gedeutet werden, weil dies die Kenntnis des Rechts vorausgesetzt hätte; der (damalige) Beschwerdeführer habe aber zum Zeitpunkt der Erhebung seiner Berufung nicht von der Möglichkeit der Antragstellung (auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung) wissen müssen.

Der Verwaltungsgerichtshof schließt sich dieser verfassungskonformen Interpretation des § 51e VStG durch den Verfassungsgerichtshof an (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 2007, Zl. 2006/02/0264).

Da sich kein Anhaltspunkt dafür bietet, dass der nicht rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführer in Kenntnis seines Rechts auf Antragstellung zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch die belangte Behörde war, hätte sie - mangels entsprechenden Verzichts durch den Beschwerdeführer - eine solche durchführen müssen.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 26. April 2007

Schlagworte

Auslegung Gesetzeskonforme Auslegung von Verordnungen Verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen VwRallg3/3 Verfahrensbestimmungen Berufungsbehörde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2003030014.X00

Im RIS seit

23.05.2007
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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