TE Vwgh Erkenntnis 2007/6/25 2005/14/0029

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Veröffentlicht am 25.06.2007
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Index

20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
23/01 Konkursordnung;
32/04 Steuern vom Umsatz;

Norm

ABGB §876;
ABGB §918;
KO §21 Abs1;
UStG 1972 §1;
UStG 1972 §19 Abs2 Z1 lita;
UStG 1972 §3 Abs1;
UStG 1972 §3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Mag. Heinzl, Dr. Fuchs, Dr. Zorn und Dr. Robl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pfau, über die Beschwerde des W K in I, vertreten durch Dr. Christian Fuchs, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Sillhöfe 7/II, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Klagenfurt, vom 30. Juni 2004, Zl. RV/0004-K/02, betreffend Haftung für Umsatzsteuer gemäß § 9 BAO, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtwidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von 1.171,20 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer war Geschäftsführer der R-GmbH. Über das Vermögen der R-GmbH wurde am 29. November 1989 das Konkursverfahren eröffnet und am 17. Jänner 1991 mangels Deckung der Kosten des Verfahrens wieder aufgehoben.

Mit Bescheid vom 2. März 1992 wurde der Beschwerdeführer gemäß § 9 BAO für aushaftende Umsatzsteuer 1989 der R-GmbH im Ausmaß von 1,080.000 S zur Haftung herangezogen.

In der Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, bis zur Konkurseröffnung am 29. November 1989 seien keine Abgabenverbindlichkeiten aus dem Titel Umsatzsteuer entstanden. Die R-GmbH habe für die - in Vorarlberg gelegenen - Gemeinden N und F Leistungen erbracht. Aus Verschulden dieser Gemeinden seien die vereinbarten Werkverträge nicht abgeschlossen und endverrechnet worden. In den Monaten vor der Konkurseröffnung habe ständig ein kleines Guthaben am Abgabenkonto der R-GmbH bestanden.

Das Finanzamt hielt dem Beschwerdeführer vor, die R-GmbH, deren Tätigkeit in der Projektierung und Errichtung von Wasserversorgungsanlagen bestanden habe, habe sich auf Werkvertragsbasis verpflichtet, die Wasserversorgungsanlagen der Gemeinden N und F zu erweitern. Diese Gemeinden hätten in den Jahren 1987 und 1988 neben Anzahlungen im Ausmaß von 30 % des jeweiligen Auftragswertes Teilzahlungen auf Grund der von der R-GmbH gelegten Teilrechnungen geleistet. Am 29. August 1989 sei der R-GmbH mit Gemeinderatsbeschluss der Gemeinde N der Auftrag entzogen worden. Bis dahin habe die R-GmbH Zahlungen in Höhe von 2,117.811 S erhalten. Im Zuge des Vertragsrücktrittes sei von der Gemeinde N die zur Verfügung stehende Bankhaftung im Ausmaß von 878.536,10 S, das entspreche einem Teil der geleisteten Anzahlungen, in Anspruch genommen worden, sodass der R-GmbH letztlich Zahlungen von 1,239.275 S verblieben seien.

Der Auftragsentzug durch die Gemeinde F sei per 29. September 1989 erfolgt. Inklusive der erhaltenen Anzahlung von 658.600 S seien von dieser Gemeinde Zahlungen in Höhe von 1.865.554 S an die R-GmbH geleistet worden.

Nach Ansicht des Finanzamtes sei eine Werklieferung dann bewirkt, wenn der Auftraggeber die Verfügungsmacht am fertigen Werk erhalte. Die Verschaffung der Verfügungsmacht setze nicht in jedem Fall eine förmliche Übergabe und Abnahme voraus. Sollte eine solche nicht stattfinden, sei die Verschaffung der Verfügungsmacht in dem Zeitpunkt gegeben, in dem der Auftraggeber über das Werk verfüge. Die Verschaffung der Verfügungsmacht sei im gegenständlichen Fall (spätestens) im Zeitpunkt der "Auftragsentziehung" infolge der Gemeinderatsbeschlüsse durch die Gemeinden erfolgt. Die Umsatzsteuerschuld sei daher im Fall der Gemeinde N mit Ablauf des Monates August (Fälligkeit somit 10. Oktober 1989) und aus dem Auftrag der Gemeinde F mit Ablauf des Monates September 1989 (Fälligkeit 10. November 1989) entstanden.

In seiner Stellungnahme vom 9. März 1992 führte der Beschwerdeführer aus, die Feststellungen, wonach der R-GmbH am 29. August 1989 durch die Gemeinde N und am 29. September 1989 durch die Gemeinde F der jeweilige Auftrag entzogen worden sei, seien falsch. Der R-GmbH sei keine rechtsverbindliche Mitteilung zugekommen, wonach die Aufträge entzogen worden wären. Die Ansicht des Finanzamtes, wonach nicht die Vollendung eines Werkes, sondern die Verfügungsmacht über dieses die Umsatzsteuerpflicht entstehen lasse, sei aus mehreren Gründen unrichtig. Zum Einen handle es sich im gegenständlichen Fall nicht um Leistungen der Bauwirtschaft. Die R-GmbH habe nicht die Wasserversorgungsanlagen der Gemeinden errichtet, sondern nur elektrische Steuerungseinrichtungen hiefür zu liefern und in Betrieb zu nehmen gehabt. Im Zeitpunkt der Konkurseröffnung habe die R-GmbH ca. 97 % des Auftragswertes geliefert und vollständig montiert gehabt.

Die Gemeinden N und F brachten auf Anfrage des Finanzamtes vor, dass die R-GmbH im August bzw. November 1987 von ihnen den Auftrag erhalten habe. Der Ausführungsfortschritt habe zu keinem Zeitpunkt der gewünschten bzw. vertraglich vereinbarten Terminisierung entsprochen. Nachdem die auftragsgegenständlichen Leistungen lediglich teilweise erbracht worden seien und die R-GmbH trotz Einräumung mehrerer Nachfristen nicht in der Lage gewesen sei, ihren vertraglichen Verpflichtungen in vollem Umfang gerecht zu werden, sei der Entzug des Auftrages erfolgt. Die entsprechende Beschlussfassung durch die Gemeindevertretungen seien am 29. August 1989 (Gemeinde N) sowie am 27. September 1989 (Gemeinde F) erfolgt. Hinsichtlich der Bekanntgabe des Auftragsentzuges an die R-GmbH teilte die Gemeinde N mit, dass mit Schreiben ihres Rechtsvertreters vom 5. April 1989 an die R-GmbH die Aufforderung ergangen sei, die auftragsgegenständlichen Leistungen bis längstens 19. Mai 1989 restlos fertig zu stellen. Gleichzeitig sei darauf hingewiesen worden, dass die Gemeinde N bei Nichterfüllung vom Vertrag zurücktreten werde. Die Gemeinde F teilte mit Schreiben vom 11. Jänner 1993 mit, dass der R-GmbH, nachdem die letztmalige Nachfrist ungenützt verstrichen sei, mit Schreiben des Rechtsanwaltes Dr. A vom 11. bzw. 23. August 1989 der Vertragsrücktritt mitgeteilt worden sei. Die Gemeinde N teilte weiter mit, dass im Zuge der Auftragsabwicklung mehrfach Rechtsstreitigkeiten aufgetreten seien, welche die R-GmbH veranlasst hätten, gegen die Gemeinde N Klage einzubringen.

Nachdem dem Beschwerdeführer die Auskünfte der Gemeinden zur Wahrung des Parteiengehörs mit Schreiben vom 15. März 1993 bekannt gegeben worden waren, teilte dieser mit Eingabe vom 20. April 1993 mit, dass die Gemeinden als Auftraggeber die erteilten Aufträge zu keiner Zeit widerrufen hätten; die ausweichenden Antworten der Gemeinden seien "auffällig".

In der abweisenden Berufungsvorentscheidung verwies das Finanzamt darauf, dass die Gemeinde F der R-GmbH den Auftrag per 27. September 1989 durch Schreiben ihres Rechtsanwaltes entzogen habe. Die Gemeinde N habe der R-GmbH den Auftrag durch Gemeinderatsbeschluss entzogen.

Im Vorlageantrag begehrte der Beschwerdeführer die Beischaffung von Bauakten der Gemeinden F und N zum Beweis dafür, dass die Aufträge an die R-GmbH nicht entzogen worden seien bzw bis zur Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der R-GmbH "aus Gründen des Zeitablaufes gar nicht entzogen werden konnten".

Mit dem angefochtenen Bescheid bestätigte die belangte Behörde die Haftung des Beschwerdeführers für Umsatzsteuer 1989 der R-GmbH, setzte aber das Ausmaß der Haftung auf 32.103,59 Euro (441.755 S) herab.

In der Bescheidbegründung verweist die belangte Behörde darauf, dass die Umsatzsteuer 1989 rechtskräftig festgesetzt sei, sodass hinsichtlich der Höhe der Abgabenforderung kein Streit (mehr) bestehen könne. Es sei aber strittig, ob die aus den vereinnahmten Zahlungen der Gemeinden F und N herrührende Umsatzsteuer in Höhe von 441.755 S vor der Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der R-GmbH am 29. November 1989 fällig gewesen sei. Das Finanzamt habe diese Fälligkeit als spätestens mit den auf Grund der Gemeinderatsbeschlüsse ("Auftragsentzüge") einzureichenden Umsatzsteuervoranmeldungen für August und September 1989, somit mit 15. Oktober 1989 und 15. November 1989, angenommen.

Bei der Errichtung von Bauwerken werde für das Entstehen der Umsatzsteuerpflicht nicht die Vollendung der Werklieferung gefordert. Bei Werklieferungen der Bauwirtschaft genüge die Verschaffung der Verfügungsmacht über das fertiggestellte Werk. Auf die Erteilung einer Benützungsbewilligung komme es nicht an; auch die Legung einer Schlussrechnung sei nicht maßgebend. Die Verschaffung der Verfügungsmacht sei bereits dann anzunehmen, wenn der Auftraggeber das Werk durch schlüssiges Verhalten, zB durch Benutzung, abgenommen habe und eine förmliche Abnahme entweder gar nicht oder erst später erfolgen solle.

Die von der R-GmbH getätigten Lieferungen an die auftraggebenden Gemeinden seien zweifelsohne als Werklieferungen der Bauwirtschaft anzusehen. Die unmittelbare Verbindung der gelieferten und montierten Gerätschaften mit der Errichtung der Wasserversorgungsanlagen der Gemeinden sei aus der Aktenlage ersichtlich.

Wenn die auftraggebenden Gemeinden - aus welchen rechtlichen Gründen auch immer - eine förmliche Übernahme der gelieferten Gerätschaften verneinten, so ändere dies nichts daran, dass die Gemeinden die Verfügungsmacht mit dem Zeitpunkt der Lieferungen tatsächlich erlangt hätten. Eine Rückgabe der Gerätschaften sei nicht erfolgt. Jener Umfang der Lieferungen bzw. jene Fertigstellung des Werkes, zu welchem die R-GmbH in der Lage gewesen sei, sei jedenfalls in die Verfügungsmacht der Gemeinden N und F übergegangen. Wenn aus der Aktenlage ersichtlich sei, dass seit Herbst 1988 keine Aktivitäten der R-GmbH zur weiteren Auftragserfüllung erfolgt seien, so müsse die Verfügungsmacht der Gemeinden N und F für die angenommenen und nicht zurückgestellten Gerätschaften als gegeben angesehen werden. Das Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend nicht gegebener Fertigstellung trotz Lieferung der "Messgeber, Funkgeräte, Computer und sonstiger Teile der Anlagen" gehe ins Leere.

Wenn das Finanzamt den spätesten Zeitpunkt der Fälligkeit der aus den vereinnahmten Entgelten resultierenden Umsatzsteuer mit den auf Grund der Gemeinderatsbeschlüsse ("Auftragsentzüge") einzureichenden Umsatzsteuervoranmeldungen für August und September 1989, somit mit 15. Oktober 1989 und 15. November 1989, angenommen habe, so könne darin keine fehlerhafte rechtliche Folgerung erblickt werden.

Der Beschwerdeführer habe behauptet, dass ihm keine Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten zur Last zu legen sei. Er wende im Wesentlichen ein, er habe ohne sein Verschulden bis zur Konkurseröffnung keine Endabrechnung vornehmen können, wobei er in diesem Zusammenhang auf umfangreiche Streitigkeiten mit den Gemeinden F und N verwiesen habe.

Nach Ansicht der belangten Behörde ergebe sich aber gerade aus dem unterbliebenen Reagieren auf die Streitsituation ein klares Verschulden des Beschwerdeführers.

Die letzte Zahlung für erbrachte Lieferungen habe die Gemeinde N am 1. Dezember 1988, die Gemeinde F am 28. April 1989 geleistet. Die R-GmbH habe seit Herbst 1988 keine Handlungen zur weiteren Auftragserfüllung vorgenommen.

Der Beschwerdeführer selbst habe vorgebracht, dass ca. 97 % des Auftragswertes geliefert und montiert gewesen seien. Weiters seien Einzelteile, z.B. Messwertgeber, überwiegend eingeschaltet, geeicht und betriebstüchtig gewesen. Aus diesem Vorbringen ergebe sich aber in Verbindung mit der Aktenlage, insbesondere mit den Auskünften der Gemeinden N und F, dass offensichtlich jener Leistungsumfang, welchen zu erbringen die R-GmbH überhaupt im Stande gewesen sei, bereits im Jahr 1988 gänzlich erbracht worden sei.

Bei der einem Geschäftsführer zumutbaren Sorgfalt hätte der Beschwerdeführer erkennen müssen, dass bei der gegebenen Streitsituation mit den Auftraggebern der der R-GmbH mögliche Lieferumfang erfüllt sei und damit die erhaltenen Zahlungen der Umsatzsteuer zu unterziehen seien. Dem Beschwerdeführer müsse die Nichtentrichtung der Umsatzsteuer als schuldhaft angelastet werden.

Hinsichtlich der Uneinbringlichkeit der Abgabenforderung von 441.755 S verwies die belangte Behörde darauf, dass das Konkursverfahren über die R-GmbH mangels kostendeckenden Vermögens rechtskräftig aufgehoben worden sei, und dass auch danach keine Zahlung der Gesellschaft mehr erfolgt sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde erwogen:

Gemäß § 9 Abs 1 BAO haften die in den §§ 80 ff bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der dem Vertreter auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Gemäß § 80 Abs 1 BAO haben u.a. die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

Gemäß § 19 Abs 2 Z 1 lit a UStG 1972 entsteht die Steuerschuld für Lieferungen und sonstige Leistungen mit Ablauf des Kalendermonates, in dem die Lieferungen oder sonstigen Leistungen ausgeführt worden sind; dieser Zeitpunkt verschiebt sich um einen Kalendermonat, wenn die Rechnungsausstellung erst nach Ablauf des Kalendermonates erfolgt, in dem die Lieferung oder sonstige Leistung erbracht worden ist.

Zeitpunkt einer Lieferung ist jener Zeitpunkt, an dem der Abnehmer die Befähigung zur Verfügung über den Gegenstand erhalten hat (vgl das hg Erkenntnis vom 27. Februar 2002, 2000/13/0095). Bei Werklieferungen kommt es auf die Verschaffung der Verfügungsmacht am fertigen Werk an (vgl Kranich/Siegl/Waba, § 19 UStG 1972, Tz 47a zur Errichtung von Bauwerken). Allerdings ist bei Werklieferungen zu prüfen, ob nicht in wirtschaftlicher Sicht die Erbringung von Teilleistungen vereinbart ist (vgl Ruppe, UStG3, § 3 Tz 153).

Bei Montagelieferungen kommt es darauf an, ob sich durch die Montage die Marktgängigkeit des Gegenstandes ändert; ist dies der Fall, erfolgt die Lieferung erst mit der Montage (vgl Ruppe, UStG3, § 3 Tz 155).

Bei sonstigen Leistungen, die die Erbringung eines bestimmten Erfolges zum Gegenstand haben, ist die Leistung bewirkt, wenn der Erfolg erbracht ist (vgl das hg Erkenntnis vom 25. Februar 1976, 336/74, Slg 4948/F).

Der Rücktritt vom Vertrag nach § 918 Abs 1 ABGB führt grundsätzlich zur Rückstellung bereits erbrachter Leistungen.

§ 918 Abs 2 ABGB ordnet an, dass, falls die Leistung für beide Seiten teilbar ist, der Rücktritt nur hinsichtlich der einzelnen oder auch aller noch ausstehenden Leistungen erklärt werden kann.

Ist mit der Durchführung eines Werkvertrages bereits begonnen worden und kommt es dann zu Leistungsstörungen, ist in umsatzsteuerlicher Hinsicht zu prüfen, ob bei Eintritt der Leistungsstörung die umsatzsteuerliche Leistung bereits erbracht ist:

Liegt umsatzsteuerlich noch keine Leistung vor, weil das Vereinbarte noch nicht ausgeführt ist, wird der Vertragsrücktritt erklärt und vereinbaren die Parteien, dass keine Rückabwicklung eintreten soll, wird damit die Vereinbarung über den Inhalt der Leistung abgeändert: Die vereinbarte Leistung besteht dann in der Verschaffung der Verfügungsmacht am unfertigen Werk (vgl Ruppe, UStG3, Einf Tz 119). Da die Verschaffung der Verfügungsmacht an diesem Werk bereits erfolgt ist, ist auch umsatzsteuerlich die Leistung mit dem Zustandekommen der Vereinbarung erbracht (vgl das hg Erkenntnis vom 11. September 1989, 88/15/0075). Solches gilt sinngemäß für vereinbarte Teilleistungen.

Wird hingegen im Hinblick auf den Rücktritt vom Vertrag infolge Leistungsstörung die erst teilweise erbrachte Leistung zurückgestellt, kommt es zu keinem umsatzsteuerlich relevanten Vorgang. Ist beim Auftreten der Leistungsstörung umsatzsteuerlich die (Teil)Leistung bereits erbracht, und wird im Hinblick auf den Rücktritt vom Vertrag die erbrachte Leistung zurückgestellt, liegt umsatzsteuerlich eine (nicht steuerbare) Rückgängigmachung der erbrachten Leistung vor (vgl sinngemäß Ruppe, UStG3, § 1 Tz 218).

Ist ein Werkvertrag zur Zeit der Konkurseröffnung vom Gemeinschuldner und vom anderen Teil noch nicht oder nicht vollständig erfüllt, hat der Masseverwalter nach § 21 Abs 1 KO das Recht, den Vertrag an Stelle des Gemeinschuldners zu erfüllen oder vom Vertrag zurückzutreten. Tritt der Masseverwalter vom Vertrag zurück, unterbleibt eine weitere Erfüllung des Vertrages. Der Besteller erlangt das unfertige Werk. Aus umsatzsteuerlicher Sicht besteht dabei die Leistung des Werkunternehmers (also der Gemeinschuldners) in der Verschaffung der Verfügungsmacht am unfertigen Werk (vgl Ruppe, UStG3, Einf Tz 119).

Im gegenständlichen Fall ist von entscheidender Bedeutung, ob die Umsatzsteuer, für welche der Beschwerdeführer mit dem angefochtenen Bescheid zur Haftung herangezogen wird, noch vor Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der R-GmbH fällig geworden ist, weil nur in einem solchen Fall dem Beschwerdeführer iSd § 9 Abs 1 BAO vorgeworfen werden kann, die Umsatzsteuer nicht erklärt und nicht abgeführt zu haben.

Der angefochtene Bescheid enthält sich einer exakten Darstellung der Vereinbarung zwischen der R-GmbH und den Gemeinden N und F und damit auch der exakten Beschreibung der Leistung, welche die R-GmbH vereinbarungsgemäß den Gemeinden N und F zu erbringen gehabt hätte. Es ist ihm daher auch nicht zu entnehmen, ob Teilleistungen zu erbringen waren. Dass der vereinbarte Leistungsumfang nicht vollständig erbracht worden war, lässt sich aus dem angefochtenen Bescheid insofern entnehmen, als er sich auf das Vorbringen des Beschwerdeführers, es seien ca 97% des Auftragswertes geliefert worden, als auch das Vorbringen der Gemeinden, es wäre wegen des Unterbleibens der Vertragserfüllung zum Rücktritt vom Vertrag gekommen, stützt.

Beim Rücktritt vom Vertrag handelt es sich um eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung (vgl Rummel in Rummel ABGB3, Rz 1 zu § 876). Gemäß § 66 Abs 1 lit a des Vorarlberger Gemeindegesetzes, LGBl 40/1985, obliegt die Vertretung der Gemeinde nach außen dem Bürgermeister. Dass aber der Bürgermeister der Gemeinde N bzw eine von ihm bevollmächtige Person der R-GmbH gegenüber den Vertragsrücktritt erklärt oder mit der R-GmbH Änderungen des jeweiligen Vertrages vereinbart hätten, ist dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen. Auch in Bezug auf die Gemeinde F stützt sich der angefochtene Bescheid nur auf den Gemeinderatsbeschluss vom 29. September 1989 und geht nicht auf das - vom Beschwerdeführer in Streit gezogene - Vorbringen dieser Gemeinde, wonach ihr Rechtsvertreter den Rücktritt mit Schreiben vom 11. bzw 23. August 1989 erklärt habe, ein.

Die belangte Behörde ist offenkundig von der Rechtsauffassung ausgegangen, ein zu einem großen Teil erfüllter Vertrag führe umsatzsteuerlich zur Entstehung der Steuerschuld, wenn die Verfügungsmacht an einzelnen Elementen der vereinbarten Leistung übergegangen ist, Leistungsempfänger eine Gemeinde ist und der Gemeinderat beschließt, vom Vertrag zurückzutreten ("Auftragentzug").

Ausgehend von dieser unrichtigen Rechtsauffassung in Bezug auf den "Auftragsentzug" hat es die belangte Behörde unterlassen, jene Feststellungen zu treffen, die iSd oben angeführten Ausführungen erforderlich sind, um das Entstehen der Umsatzsteuerschuld und in Abhängigkeit davon das Eintreten der Fälligkeit der Umsatzsteuerschuld beurteilen zu können. Die belangte Behörde hat sich im Übrigen auch nicht damit auseinander gesetzt, dass sich nach § 19 Abs 2 Z 1 lit a UStG 1972 die Entstehung der Steuerschuld um einen Kalendermonat verschiebt, wenn die Rechnungsausstellung erst nach Ablauf des Kalendermonates erfolgt, in dem die Lieferung oder sonstige Leistung erbracht worden ist.

Der angefochtene Bescheid ist somit mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet und war daher gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 25. Juni 2007

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2005140029.X00

Im RIS seit

19.07.2007
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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