TE Vwgh Erkenntnis 2007/7/4 2005/08/0219

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Veröffentlicht am 04.07.2007
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Index

20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

ABGB §1297;
AlVG 1977 §21;
AlVG 1977 §25 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Köller, Dr. Lehofer und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der S in R, vertreten durch die Rechtsanwälte Pieler & Pieler und Partner KEG, 1010 Wien, Lichtenfelsgasse 5, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Tirol vom 22. November 2005, Zl. LGSTi/V/0652/3648. 19. 0381-702/2005, betreffend Berichtigung und Rückforderung von Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 19. September 2005 hat das Arbeitsmarktservice Innsbruck das von der Beschwerdeführerin im Zeitraum vom 6. September bis zum 18. Dezember 2004 und vom 9. April bis zum 22. Mai 2005 bezogene Arbeitslosengeld widerrufen bzw. die Bemessung rückwirkend berichtigt und die Beschwerdeführerin zur Rückzahlung des unberechtigt empfangenen Arbeitslosengeldes in der Höhe von EUR 1.824,30 verpflichtet. Nach der Begründung habe die Beschwerdeführerin das Arbeitslosengeld in den genannten Zeiträumen teilweise zu Unrecht bezogen, weil die von der Tiroler Gebietskrankenkasse übermittelte Bemessungsgrundlage zu hoch bzw. falsch eingespeichert gewesen sei.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte die Beschwerdeführerin vor, die Höhe des Rückzahlungsbetrages sei nicht nachvollziehbar. Es sei bereits willkürlich ein Betrag von EUR 200,34 ohne Rechtsgrund einbehalten worden. Die Beschwerdeführerin habe weder unwahre Angaben gemacht noch maßgebende Tatsachen verschwiegen. Es sei ihr auch nicht erkennbar gewesen, dass die Bemessungsgrundlage falsch gewesen und der Arbeitslosengeldbezug deshalb zu hoch gewesen sei. Ausgehend von einem teils stark schwankenden Einkommen aus unselbständiger Tätigkeit sei in keiner Weise erkennbar gewesen, dass der Bezug zu hoch gewesen sei. Der Bezug sei jedenfalls immer niedriger gewesen, als ihr Einkommen aus unselbständiger Tätigkeit. Es seien für sie keine Verdachtsmomente vorgelegen, an der Richtigkeit der zugesprochenen Leistung zu zweifeln.

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin abgewiesen.

In der Begründung stellte sie die Rechtslage dar und ging von folgendem Sachverhalt aus:

"Sie standen unter anderem während oa Rückforderungszeiträume beim Arbeitsmarktservice Innsbruck mit einem Tagsatz von ursprünglich EUR 35,94 (Bemessungsgrundlage: EUR 3.049,84) im Bezug von Arbeitslosengeld. Der Tagsatz von EUR 35,94 basierte auf einer beim Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger ursprünglich falsch gespeicherten Bemessungsgrundlage. Laut neuerlicher richtig gestellter Bemessungsgrundlage auf Basis eines monatlichen Bruttoeinkommens (2003) von durchschnittlich EUR 1.655,95 war Ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld mit einem Tagsatz von EUR 22,26 zu bemessen. Daraus resultierte ein zu Unrecht bezogenes Arbeitslosengeld in Gesamthöhe von EUR 2.024,64 (Tagsatzdifferenz von EUR 13,68 mal 148 Tage = EUR 2.024,64). EUR 200,34 wurden Ihnen zum 02.09.2005 von Ihrem Leistungsbezug abgezogen (EUR 2.024,64 abzüglich EUR 200,43 = EUR 1.824,30).

Nach dem Versicherungsverlauf des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger standen Sie im Jahre 2001 erstmals im Bezug von Arbeitslosengeld und seither zumindest fünfmal - bis zum Beginn des Rückforderungszeitraumes - im Bezug dieser Leistung. Die aus den jeweiligen Beschäftigungsverhältnissen in dieser Zeit resultierenden Arbeitslosengeldbezüge haben in den Jahren 2001 bis 2004 jeweils ATS 307,00 (= EUR 22,31) und ab 2002 jeweils EUR 21,45 bzw. 21,77 betragen; die Bemessungsgrundlage des strittigen Bezuges jedoch EUR 35,94. Dies entspricht einer Steigerung von zumindest ca. 65 Prozent (EUR 21,77 : EUR 35,94)! Das Ermittlungsverfahren hat weiters ergeben, dass der Berechnung des strittigen Arbeitslosengeldbezuges eine Bemessungsgrundlage aus dem Jahre 2003 zugrunde liegt, welche einem durchschnittlichen Entgelt von EUR 1.097,76 entspricht (Jahreseinkommen 2003: EUR 1.655,95 brutto bzw. EUR 1.072,60 netto durchschnittlich). Sie waren 2003 immer wieder bei der Österreichischen Post AG in den Jahren 2002 bis zuletzt 2005 in einem Beschäftigungsverhältnis."

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführerin auf Grund ihrer oftmaligen Leistungsbezüge hätte auffallen müssen, dass die Zuerkennung des Arbeitslosengeldes in der Höhe von EUR 35,94 täglich nicht rechtmäßig habe sein können. Der Beschwerdeführerin habe auch bekannt sein müssen, dass ein Anspruch auf Arbeitslosengeld ca. 60 % des der Berechnung zu Grunde liegenden Nettoentgeltes keinesfalls übersteigen könne. Sie habe jedoch Arbeitslosengeld etwa in der Höhe ihres durchschnittlichen monatlichen Entgeltbezuges aus dem Jahre 2003 bezogen (Tagsatz EUR 35,94 mal 144 Tage = EUR 5.319,12). Die Berechtigung zur Rückforderung ergebe sich aus dem Umstand, dass die Beschwerdeführerin bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen können, dass ihr das Arbeitslosengeld in der besagten Höhe nicht habe zustehen können. Sie hätte jederzeit die Möglichkeit gehabt, sich beim Arbeitsmarktservice zu erkundigen, in welchem Ausmaß die Beschwerdeführerin mit einer Berichtigung ihrer Leistung zu rechnen hätte bzw. inwieweit sie das für sie erkennbar zu hohe Arbeitslosengeld tatsächlich habe verbrauchen dürfen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt. Die Beschwerdeführerin hat darauf repliziert.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerde wendet sich nicht gegen die Berichtigung des Leistungsbezuges der Beschwerdeführerin, sondern ausschließlich gegen die Rückforderung des Überbezuges in der Höhe von EUR 1.824,30.

Gemäß § 25 Abs. 1 AlVG ist der Empfänger des Arbeitslosengeldes bei Einstellung, Herabsetzung, Widerruf oder Berichtigung der Leistung zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen unter anderem dann zu verpflichten, wenn er erkennen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte.

Dieser (dritte) Rückforderungstatbestand des § 25 Abs. 1 erster Satz AlVG ist nicht erst dann erfüllt, wenn der Leistungsempfänger die Ungebührlichkeit der Leistung an sich oder ihrer Höhe erkannt hat; das Gesetz stellt vielmehr auf das bloße Erkennenmüssen ab und statuiert dadurch eine (freilich zunächst nicht näher bestimmte) Diligenzpflicht. Für die Anwendung des dritten Tatbestandes genügt, dass Fahrlässigkeit gegeben war. Fahrlässige Unkenntnis davon, dass die Geldleistung nicht gebührte, setzt voraus, dass die Ungebühr bei Gebrauch der (iS des § 1297 ABGB zu vermutenden) gewöhnlichen Fähigkeiten erkennbar gewesen ist. Ob dies zutrifft, ist im Einzelfall zu beurteilen, wobei jedoch der Grad der pflichtgemäßen Aufmerksamkeit weder überspannt, noch überdurchschnittliche geistige Fähigkeiten verlangt werden dürfen (vgl. das Erkenntnis vom 14. September 2005, Zl. 2005/08/0155, mwN).

Unter Bedachtnahme auf diese Grundsätze hängt die Rechtmäßigkeit der Bejahung des dritten Rückforderungstatbestandes des § 25 Abs. 1 erster Satz AlVG davon ab, ob die Beschwerdeführerin bei Gebrauch ihrer zu vermutenden gewöhnlichen Fähigkeiten - sachverhaltsbezogen - aus dem Bezug des Arbeitslosengeldes in der Höhe von täglich EUR 35,94 erkennen musste, dass ihr Arbeitslosengeld in dieser Höhe nicht gebührte.

Dies verneint die Beschwerdeführerin in der Beschwerde zunächst mit der Begründung, es sei ihr wegen ihres stark schwankenden Einkommens in keiner Weise erkennbar gewesen, dass der Arbeitslosengeldbezug zu hoch gewesen sei. Dieser sei immer noch wesentlich niedriger als das Einkommen aus unselbständiger Tätigkeit gewesen.

Ein "stark schwankendes Einkommen" der Beschwerdeführerin bzw. ein "wesentlich niedrigerer Arbeitslosengeldbezug" lassen sich jedoch weder den von der belangten Behörde getroffenen Feststellungen entnehmen noch konkretisiert die Beschwerdeführerin dieses Vorbringen in der Beschwerde. Zu den in ihrer Replik dargestellten monatlichen Einkommensunterschieden - im Übrigen ein dem Neuerungsverbot unterliegendes Vorbringen - ist die Beschwerdeführerin auf den Umstand zu verweisen, dass der Berechnung des Arbeitslosengeldes das Entgelt eines Kalenderjahres, das grundsätzlich durch zwölf geteilt wird, zu Grunde liegt (vgl. § 21 AlVG), demnach - wie von der belangten Behörde zutreffend ausgeführt - ein Durchschnittseinkommen gebildet wird. Dass dieses während der in Rede stehenden Zeiträume "stark geschwankt" hätte, hat die Beschwerdeführerin nicht behauptet.

Auch sei der Differenzbetrag - heißt es in der Beschwerde weiter - zwischen dem ausbezahlten und dem zustehenden Arbeitslosengeld so gering gewesen, dass die Beschwerdeführerin den Überbezug nicht habe erkennen müssen.

Die Beschwerdeführerin geht bei dieser Argumentation allerdings - anders als die belangte Behörde von EUR 13,68 - von einem täglichen Differenzbetrag von EUR 7,45 aus. Dieser geringere Wert ergäbe sich auf Grund der von der Beschwerdeführerin errechneten Dauer des Überbezuges im Jahre 2005 bis zum 22. Juni (179 Tage), während die belangte Behörde von einem Überbezug bis zum 22. Mai (148 Tage) ausgegangen ist.

Zwar trifft es zu, dass im Spruch des angefochtenen Bescheides als Ende des Bezugszeitraumes im Jahr 2005 der "22.06.2005" angeführt ist, dies allerdings im Zusammenhang mit der (in diesem Punkt unrichtigen) Wiedergabe des Spruches des erstinstanzlichen Bescheides, in dem als Ende des Bezugszeitraumes im Jahr 2005 der "22.05.2005" genannt wurde. Das zuletzt genannte Datum hat die belangte Behörde - in Übereinstimmung mit der Aktenlage - der Berechnung der Dauer des Überbezuges von - richtig - 148 Tagen zu Grunde gelegt. Ein geringerer täglicher Differenzbetrag wegen einer längeren Bezugsdauer als von der belangten Behörde festgestellt kann daher von der Beschwerdeführerin für ihren Standpunkt nicht ins Treffen geführt werden.

Unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften rügt die Beschwerdeführerin das Fehlen von Erhebungen "hinsichtlich des tatsächlichen Arbeitslosengeldes sowie der Bemessungsgrundlage". Bei vollständiger Ermittlung hätte die belangte Behörde zu dem Ergebnis kommen müssen, dass die Berechnung für die Rückforderung auf Grund tatsächlich niedrigerer Auszahlungsbeträge des Arbeitslosengeldes falsch sei. Grundlage für die Rückforderung könne nur der tatsächlich ausbezahlte Betrag für den gesamten Zeitraum sein, nicht aber ein fiktiv angenommener Auszahlungsbetrag und Zeitraum. Dieser Verfahrensfehler sei wesentlich, weil die belangte Behörde zu dem Ergebnis hätte kommen müssen, dass ein allfälliger Überbezug so niedrig sei, dass eine Erkennbarkeit des Überbezuges überhaupt nicht vorgelegen sei.

Bei diesen Ausführungen in der Beschwerde bleibt im Dunkeln, zu welchem konkreten Vorbringen die belangte Behörde Erhebungen durchführen und Feststellungen hätte treffen sollen; ebenso lässt die Beschwerdeführerin offen, zu welchem Ergebnis die belangte Behörde dann hätte kommen können.

Soweit die Beschwerdeführerin behauptet, ihr Nettogehalt inklusive Zulagen habe EUR 1.200,-- bis EUR 1.500,-- monatlich betragen, handelt es sich um eine Neuerung, die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht zu berücksichtigen ist. Diese Behauptung deckt sich auch nicht mit einer im Verwaltungsakt einliegenden Übersicht über den Bezugsverlauf der Beschwerdeführerin von Mai 2001 bis Juni 2004.

Auf der Grundlage eines mängelfreien Verfahrens hat die belangte Behörde in Anbetracht der im Wesentlichen gleich gebliebenen Höhe des von der Beschwerdeführerin auf der Grundlage ihres über die Jahre etwa gleich hohen durchschnittlichen Einkommens von etwa EUR 1.100,-- zuvor bezogenen Arbeitslosengeldes zu Recht angenommen, dass die Beschwerdeführerin hätte erkennen müssen, dass ihr ein um mehr als die Hälfte höheres Arbeitslosengeld von monatlich rund EUR 1.080,--

auf der Bemessungsgrundlage des - wieder etwa gleich hohen - Einkommens des Jahres 2003 (EUR 1.072,60), nicht zusteht. Die Beschwerdeführerin hätte den Überbezug daher erkennen müssen.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 4. Juni 2007

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2005080219.X00

Im RIS seit

15.08.2007
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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