TE OGH 2005/9/7 8Rs71/05b

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Veröffentlicht am 07.09.2005
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Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichtes Dr.Manica als Vorsitzenden, die Richter des Oberlandesgerichtes DDr.Schwarz und Mag.Atria sowie die fachkundigen Laienrichter Mag.Herbert Bardach (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Brigitte Mannsberger (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei *****, vertreten durch Mag.Josef Schmall und Mag.Josef Wurditsch, Kammer für Arbeiter und Angestellte für das Burgenland, 7000 Eisenstadt, Wienerstraße 7, wider die beklagte Partei *****, wegen Pflegegeld, infolge Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Arbeits- und Sozialgericht vom 7.3.2005, 30 Cgs 88/04d-24, gemäß §§ 2 ASGG, 492 Abs. 1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichtes Dr.Manica als Vorsitzenden, die Richter des Oberlandesgerichtes DDr.Schwarz und Mag.Atria sowie die fachkundigen Laienrichter Mag.Herbert Bardach (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Brigitte Mannsberger (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei *****, vertreten durch Mag.Josef Schmall und Mag.Josef Wurditsch, Kammer für Arbeiter und Angestellte für das Burgenland, 7000 Eisenstadt, Wienerstraße 7, wider die beklagte Partei *****, wegen Pflegegeld, infolge Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Arbeits- und Sozialgericht vom 7.3.2005, 30 Cgs 88/04d-24, gemäß Paragraphen 2, ASGG, 492 Absatz eins, ZPO in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 27.4.2004 hat die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom 20.1.2004 auf Gewährung von Pflegegeld abgelehnt. In der fristgerecht dagegen erhobenen Klage begehrte der Kläger die Zuerkennung von Pflegegeld ab dem 1.2.2004 und brachte er dazu vor, dass er an einem Zustand nach jahrelangem Alkoholmissbrauch, Leberzirrhose und ständiger Verwirrtheit leide und dadurch auf die ständige Hilfe durch Dritte angewiesen sei.

Die beklagte Partei bestritt das Klagebegehren, beantragte Klageabweisung und brachte dazu vor, dass die durchgeführte ärztliche Begutachtung ergeben habe, dass kein Pflegeaufwand bestehe. Mit dem nun angefochtenen Urteil hat das Erstgericht das Klagebegehren auf Zuerkennung von Pflegegeld im gesetzlichen Ausmaß ab dem 1.2.2004 abgewiesen. Dabei legte es seiner Entscheidung folgenden Sachverhalt zugrunde:

"Der am 7.10.1953 geborene Kläger wohnt im gemeinsamen Haushalt mit seiner Gattin und der Tochter in einem modern adaptierten ebenerdigen Haus. Das Haus ist normal ausgestattet und wird zentral mittels Festbrennstoffofen beheizt. Der nächste praktische Arzt hat seine Ordination in etwa 1 km Entfernung, ebenso das nächste Lebensmittelgeschäft. Die nächste Autobushaltestelle ist in etwa 500 m bis 600 m Entfernung.

Der Kläger leidet seit Antragstellung an einer Leberzirrhose nutritiv toxischer Genese. Am 17.5.2004 erfolgte eine Lebertransplantation im Allgemeinen Krankenhaus Wien. Aufgrund der Leberzirrhose, Hepatitis B und der Alkoholkrankheit kam es seit dem Sommer 2003 zu Verwirrtheitszuständen. Dabei wurde der Kläger wiederholt im Krankenhaus Hainburg in verwirrten und auch stuporösem Zustand aufgenommen und nach entsprechender Infusionstherapie gebessert in häusliche Pflege entlassen. Die Zustände völliger Verwirrtheit oder komatöse Zustände sind in immer kürzeren Abständen aufgetreten, sodass ab Herbst 2003 davon auszugehen ist, dass der Kläger häufiger verwirrt als nicht verwirrt gewesen ist.

Der Kläger war ab Antragstellung bis 17.5.2004 nicht in der Lage, die tägliche Körperpflege durchzuführen, sich selbständig an- und auszukleiden, die Mahlzeiten zuzubereiten und einzunehmen und Medikamente einzunehmen. Weiters benötigte der Kläger fremde Hilfe bei der Reinigung der Stuhl- und Harninkontinenz und bei der Mobilitätshilfe im engeren und weiteren Sinne. Weiters musste die Verrichtung der Notdurft, das heißt der Gang zur Toilette und die Reinigung danach, beaufsichtigt werden. Zur Herbeischaffung von Nahrungsmitteln, Medikamenten, etc., Reinigung der Leib- und Bettwäsche, Reinigung der Wohnung und der persönlichen Gebrauchsgegenstände und für die Beheizung samt Herbeischaffung von Brennmaterial sowie Mobilitätshilfe im engeren und weiteren Sinn benötigte der Kläger fremde Hilfe. Eine Selbst- oder Fremdgefährdung bestand und war die dauernde Anwesenheit einer Pflegeperson notwendig.

Seit der Operation am 17.5.2004 benötigt der Kläger Hilfe nur mehr für die Herbeischaffung von Nahrungsmitteln, Medikamenten etc., Reinigung der Wohnung und Gebrauchsgegenstände, die Pflege der Leib- und Bettwäsche, sowie Beheizung samt Herbeischaffung von Brennmaterial. Eine dauernde Bereitschaft oder dauernde Anwesenheit einer Pflegeperson ist nicht mehr notwendig."

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt zusammengefasst dahin, dass der Pflegebedarf für den Zeitraum seit der Antragstellung bis 17.5.2004 193 Stunden monatlich betragen habe und die Notwendigkeit der dauernden Beaufsichtigung bestanden habe. Weil in diesem Zeitraum keine sechs Monate liegen, seien die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Pflegegeld gemäß § 4 Abs. 1 BPGG nicht gegeben. Seit der Operation am 17.5.2004 bestehe beim Kläger nur mehr ein Pflegebedarf im Ausmaß von insgesamt 40 Stunden monatlich, weshalb das Mindesterfordernis von mehr als 50 Stunden nicht erreicht werde.Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt zusammengefasst dahin, dass der Pflegebedarf für den Zeitraum seit der Antragstellung bis 17.5.2004 193 Stunden monatlich betragen habe und die Notwendigkeit der dauernden Beaufsichtigung bestanden habe. Weil in diesem Zeitraum keine sechs Monate liegen, seien die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Pflegegeld gemäß Paragraph 4, Absatz eins, BPGG nicht gegeben. Seit der Operation am 17.5.2004 bestehe beim Kläger nur mehr ein Pflegebedarf im Ausmaß von insgesamt 40 Stunden monatlich, weshalb das Mindesterfordernis von mehr als 50 Stunden nicht erreicht werde.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Klägers aus den Berufungsgründen der unrichtigen rechtlichen Beurteilung und "unvollständiger Sachverhaltsfeststellung" mit dem Antrag, das Urteil im Sinne der Zuerkennung von Pflegegeld ab dem 1.2.2004 in der für die Pflegestufe 6 vorgesehenen Höhe im gesetzlichen Ausmaß abzuändern.

Die beklagte Partei hat sich am Berufungsverfahren nicht beteiligt. Die Berufung ist nicht berechtigt.

Der Kläger führt in seiner Berufung aus, dass der vom Gericht festgestellte pflegegeldrelevante Zustand mit einem Pflegebedarf von 193 Stunden monatlich und der Notwendigkeit der dauernden Beaufsichtigung schon ab Sommer 2003, jedenfalls ab Herbst 2003 und somit bis zum 17.5.2004 über weit mehr als sechs Monate bestanden habe. Dies ergebe sich aus den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen zum Gesundheitszustand und Pflegebedarf bereits seit dem Sommer 2003 bzw. wären allenfalls erforderliche Ergänzungen dieser Feststellungen aufgrund des vollständigen und widerspruchsfrei gebliebenen Gutachtens des Sachverständigen Dr.Rudolf Golobich (aus dem Fachgebiet der Inneren Medizin) vorzunehmen. Die klageabweisende Begründung des Erstgerichts vermische die Bestimmungen des § 4 BPGG und § 9 BPGG und könne dem Gesetz jedenfalls nicht entnommen werden, dass ein pflegegeldrelevanter Zustand ab der Antragstellung über mehr als sechs Monate vorliegen müsse, auch wenn dieser bereits vor der Antragstellung bis zur Besserung sechs Monate bestanden habe. Dieser rechtlichen Beurteilung kann nicht gefolgt werden. Das Pflegegeld gebührt „bei Zutreffen der übrigen Anspruchsvoraussetzungen, wenn aufgrund einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung oder einer Sinnesbehinderung der ständige Betreuungs- und Hilfsbedarf (Pflegebedarf) voraussichtlich mindestens sechs Monate andauern wird oder würde" (§ 4 Abs. 1 BPGG). Der vom Gesetzgeber verwendete Wortlaut "... voraussichtlich mindestens sechs Monate andauern wird ..." schreibt ganz eindeutig vor, dass zur Beurteilung des Vorliegens eines anspruchsbegründenden Pflegebedarfs eine Prognose vom Gewährungszeitpunkt (so ausdrücklich Greifeneder/Liebhart, Pflegegeld [2004] Rz 121), allenfalls vom Zeitpunkt der Antragstellung vorzunehmen ist, keinesfalls jedoch ein allenfalls vor diesem Zeitpunkt liegender Pflegebedarf im Wege einer retrospektiven Berücksichtigung diese Anspruchsvoraussetzung erfüllt.Der Kläger führt in seiner Berufung aus, dass der vom Gericht festgestellte pflegegeldrelevante Zustand mit einem Pflegebedarf von 193 Stunden monatlich und der Notwendigkeit der dauernden Beaufsichtigung schon ab Sommer 2003, jedenfalls ab Herbst 2003 und somit bis zum 17.5.2004 über weit mehr als sechs Monate bestanden habe. Dies ergebe sich aus den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen zum Gesundheitszustand und Pflegebedarf bereits seit dem Sommer 2003 bzw. wären allenfalls erforderliche Ergänzungen dieser Feststellungen aufgrund des vollständigen und widerspruchsfrei gebliebenen Gutachtens des Sachverständigen Dr.Rudolf Golobich (aus dem Fachgebiet der Inneren Medizin) vorzunehmen. Die klageabweisende Begründung des Erstgerichts vermische die Bestimmungen des Paragraph 4, BPGG und Paragraph 9, BPGG und könne dem Gesetz jedenfalls nicht entnommen werden, dass ein pflegegeldrelevanter Zustand ab der Antragstellung über mehr als sechs Monate vorliegen müsse, auch wenn dieser bereits vor der Antragstellung bis zur Besserung sechs Monate bestanden habe. Dieser rechtlichen Beurteilung kann nicht gefolgt werden. Das Pflegegeld gebührt „bei Zutreffen der übrigen Anspruchsvoraussetzungen, wenn aufgrund einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung oder einer Sinnesbehinderung der ständige Betreuungs- und Hilfsbedarf (Pflegebedarf) voraussichtlich mindestens sechs Monate andauern wird oder würde" (Paragraph 4, Absatz eins, BPGG). Der vom Gesetzgeber verwendete Wortlaut "... voraussichtlich mindestens sechs Monate andauern wird ..." schreibt ganz eindeutig vor, dass zur Beurteilung des Vorliegens eines anspruchsbegründenden Pflegebedarfs eine Prognose vom Gewährungszeitpunkt (so ausdrücklich Greifeneder/Liebhart, Pflegegeld [2004] Rz 121), allenfalls vom Zeitpunkt der Antragstellung vorzunehmen ist, keinesfalls jedoch ein allenfalls vor diesem Zeitpunkt liegender Pflegebedarf im Wege einer retrospektiven Berücksichtigung diese Anspruchsvoraussetzung erfüllt.

Wenn der Berufungswerber vorbringt, dass diesfalls eine "aus welchen

Gründen auch immer erfolgte späte Antragstellung ... dem Pflegegeldwerber ... zur Last fallen würde", ist er darauf

hinzuweisen, dass dies gerade eine Konsequenz des auch im Pflegegeldrecht verwirklichten Antragsprinzips (§ 25 BPGG) ist. Auf Grundlage des auch vom Berufungswerber diesbezüglich unbekämpften Sachverhalts ist davon auszugehen, dass beim Kläger seit der Operation am 17.5.2004 nur mehr ein monatlicher Pflegebedarf von 40 Stunden besteht, sodass ab dem Zeitpunkt der Antragstellung (20.1.2004) bzw. dem Zeitpunkt der möglichen Leistungsgewährung (1.2.2004) ein Pflegebedarf in anspruchsbegründenden Ausmaß nicht über sechs Monate vorgelegen ist. Das Erstgericht hat daher zu Recht einen Pflegegeldanspruch des Klägers für den Zeitraum bis zum 17.5.2004 verneint.hinzuweisen, dass dies gerade eine Konsequenz des auch im Pflegegeldrecht verwirklichten Antragsprinzips (Paragraph 25, BPGG) ist. Auf Grundlage des auch vom Berufungswerber diesbezüglich unbekämpften Sachverhalts ist davon auszugehen, dass beim Kläger seit der Operation am 17.5.2004 nur mehr ein monatlicher Pflegebedarf von 40 Stunden besteht, sodass ab dem Zeitpunkt der Antragstellung (20.1.2004) bzw. dem Zeitpunkt der möglichen Leistungsgewährung (1.2.2004) ein Pflegebedarf in anspruchsbegründenden Ausmaß nicht über sechs Monate vorgelegen ist. Das Erstgericht hat daher zu Recht einen Pflegegeldanspruch des Klägers für den Zeitraum bis zum 17.5.2004 verneint.

Ebenso zutreffend ist die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts über das Vorliegen eines Pflegebedarfs im Ausmaß von insgesamt nur 40 Stunden monatlich seit der Operation am 17.5.2004 (§ 500a ZPO). Der unberechtigten Berufung war daher ein Erfolg zu versagen. Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen, da der Berufungswerber keine Kosten verzeichnet hat.Ebenso zutreffend ist die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts über das Vorliegen eines Pflegebedarfs im Ausmaß von insgesamt nur 40 Stunden monatlich seit der Operation am 17.5.2004 (Paragraph 500 a, ZPO). Der unberechtigten Berufung war daher ein Erfolg zu versagen. Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen, da der Berufungswerber keine Kosten verzeichnet hat.

Wenn auch eine ausdrückliche höchstgerichtliche Rechtsprechung zu dem Zeitpunkt der gemäß § 4 Abs. 1 BPGG vorzunehmenden Prognose bei einem vorübergehenden Pflegebedarf soweit überblickbar fehlt, liegt aufgrund des ganz eindeutigen Wortlautes des Gesetzes eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs. 1 ZPO nicht vor (Stohanzl, ZPO15 [2002] § 502 E 39).Wenn auch eine ausdrückliche höchstgerichtliche Rechtsprechung zu dem Zeitpunkt der gemäß Paragraph 4, Absatz eins, BPGG vorzunehmenden Prognose bei einem vorübergehenden Pflegebedarf soweit überblickbar fehlt, liegt aufgrund des ganz eindeutigen Wortlautes des Gesetzes eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des Paragraph 502, Absatz eins, ZPO nicht vor (Stohanzl, ZPO15 [2002] Paragraph 502, E 39).

Oberlandesgericht Wien

1016 Wien, Schmerlingplatz 11

Anmerkung

EW00554 8Rs71.05b

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0009:2005:0080RS00071.05B.0907.000

Dokumentnummer

JJT_20050907_OLG0009_0080RS00071_05B0000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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