TE OGH 2005/10/6 8ObS15/05x

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Veröffentlicht am 06.10.2005
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Langer als Vorsitzende und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Glawischnig sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Kainz und Gerda Höhrhan-Weiguni als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Parteien 1. Philipp E*****, 2. Johann W*****, beide vertreten durch Urbanek-Lind-Schmied-Reische, Rechtsanwälte OEG in St. Pölten, 3. Christian M*****, vertreten durch Dr. Frank Riel, Dr. Wolfgang Grohmann, Dr. Josef Cudlin, Rechtsanwälte in Krems a. d. Donau, gegen die beklagte Partei IAF Service GmbH, *****, wegen Insolvenzausfallgeld (Streitwert in Ansehung des Drittklägers: EUR 8.376,69 sA), über die außerordentliche Revision des Drittklägers gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. April 2005, GZ 10 Rs 27/05x-19, mit dem das Urteil des Landesgerichtes Krems a. d. Donau als Arbeits- und Sozialgericht vom 15. Oktober 2004, GZ 7 Cgs 89/02z, 7 Cgs 90/02x und 7 Cg 126/02s-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass es zu lauten hat:

„Die beklagte Partei ist schuldig der drittklagenden Partei an Insolvenzausfallgeld EUR 8.376,69 zu bezahlen sowie die mit EUR 2.829,89 (darin EUR 471,65 USt) bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen."

Die beklagte Partei ist weiters schuldig der klagenden Partei die mit EUR 1.636,98 (darin EUR 272,78 USt) bestimmten Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Drittkläger war seit dem 1. 4. 1998 bei Franz R***** zu einem monatlichen Nettolohn von ATS 16.815 beschäftigt. Der Arbeitgeber zahlte bis September 1998 die Löhne, ab Oktober und bis Jahresende blieben die Löhne und die anteiligen Sonderzahlungen für 1998 offen und unbeglichen. Im Kalenderjahr 1999 erbrachte der Arbeitgeber insgesamt Zahlungen von ATS 223.500, wobei die monatlichen Auszahlungen fallweise über, häufig jedoch teilweise erheblich unter dem vereinbarten Lohn lagen. Zum Jahresende 1999 waren insgesamt ATS 21.709 an Lohn und Sonderzahlungen für das Jahr 1999 offen und unbeglichen. Im Kalenderjahr 2000 leistete der Arbeitgeber folgende Zahlungen: 3. Februar 2000 ATS 13.000 netto, 14. April 2000 ATS 20.000 netto und 10. Mai 2000 ATS 30.000 netto (insgesamt ATS 63.000). Im Zeitpunkt der Konkurseröffnung standen ATS 16.327 an Lohn und anteiligen Sonderzahlungen für das Kalenderjahr 2000 aus.

Das Betriebsklima im Unternehmen des späteren Gemeinschuldners war sehr gut. Es herrschte zwischen diesem und den Klägern sowie unter den Klägern ein familiäres und freundschaftliches Verhältnis. Die Kläger besprachen untereinander, dass die Lohnzahlungen durch den Arbeitgeber nur unregelmäßig und schleppend erfolgten. Keiner der Kläger unternahm Schritte gegen den Gemeinschuldner im Sinn der Erhebung eines Forderungsschreibens, einer Klage oder der Androhung des Austritts. Schon relativ bald nach dem Auftreten der ersten Lohnrückstände teilte der Gemeinschuldner den Klägern mit, dass er sich mit dem Kauf einer Vier-Farben-Druckmaschine übernommen und daher finanzielle Schwierigkeiten habe. Der Drittkläger lebte in der Zeit, als die Gehaltszahlungen nur schleppend erfolgten, teilweise von Ersparnissen.

Bereits am 10. 4. 1996 war der Konkurs über Franz R***** eröffnet worden, der mit einem Zwangsausgleich endete.

Mit Beschluss des Landesgerichtes Krems a. d. Donau vom 18. 5. 2000, GZ 9 S 24/00b-2, wurde über das Vermögen des Franz R***** der Konkurs eröffnet. Ab Mai 2000 wurden die Kläger bereits durch den Masseverwalter entlohnt. Der Masseverwalter kündigte das Dienstverhältnis des Drittklägers mit Schreiben vom 2. 2. 2001 zum 16. 2. 2001. Das Ende des Entgeltanspruches war der 18. 2. 2001.

Der Drittkläger meldet im Konkurs seines Arbeitgebers EUR 9.140,57 an rückständigem Entgelt an und beantragte am 26. 1. 2001 Insolvenzausfallgeld in dieser Höhe. Im Konkurs erhielt der Drittkläger eine Quote von EUR 763,88 ausgeschüttet.

Mit Bescheid vom 2. 4. 2002 lehnte die Beklagte den Antrag des Drittklägers auf Insolvenzausfallgeld ab.

Der Drittkläger begehrt von der Beklagten Insolvenzausfallgeld von (restlich) EUR 8.376,69 sA.

Das Erstgericht wies das Klagebehren ab.

Zwar könne dem Drittkläger eine Versäumung der Antragsfrist nach § 6 Abs 1 IESG in Hinblick auf die Regelung des § 6 Abs 1 Z 3 IESG nicht vorgeworfen werden, da sein Dienstverhältnis sechs Monate nach Konkurseröffnung noch angedauert habe; ebensowenig könne die „verfrühte" Antragstellung bei der Beklagten dem Kläger zum Nachteil gereichen. Allerdings halte das Verhalten des Drittklägers einem Fremdvergleich im Sinn der herrschenden Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht Stand.Zwar könne dem Drittkläger eine Versäumung der Antragsfrist nach Paragraph 6, Absatz eins, IESG in Hinblick auf die Regelung des Paragraph 6, Absatz eins, Ziffer 3, IESG nicht vorgeworfen werden, da sein Dienstverhältnis sechs Monate nach Konkurseröffnung noch angedauert habe; ebensowenig könne die „verfrühte" Antragstellung bei der Beklagten dem Kläger zum Nachteil gereichen. Allerdings halte das Verhalten des Drittklägers einem Fremdvergleich im Sinn der herrschenden Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht Stand.

Das Berufungsgericht gab der (ausschließlich vom Drittkläger erhobenen) Berufung nicht Folge und ließ die ordentliche Revision nicht zu. Beim sogenannten Fremdvergleich sei insbesondere zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß und wann Entgeltrückstände entstanden seien und in welchem Ausmaß in diesem Zeitpunkt vom Arbeitgeber Nachzahlungen auf den Rückstand geleistet wurden; je länger überdies ein Arbeitnehmer im Betrieb tätig gewesen sei und zumindest im Wesentlichen regelmäßig sein Entgelt erhalten habe, desto weniger schnell verliere er seinen Anspruch auf Insolvenzausfallgeld (SSV-NF 16/49).

Vorliegend seien schon nach kurzer Dauer des Dienstverhältnisses, nämlich ab Oktober 1998 erstmals Entgeltrückstände in einem erheblichen Ausmaß aufgetreten, die im Folgejahr um weitere ATS 21.709 angewachsen seien. Bis zur Beendigung des Dienstverhältnisses infolge Kündigung durch den Masseverwalter zum 16. 2. 2001 sei der Entgeltrückstand noch um weitere ATS 16.327 angewachsen. Angesichts der dem Drittkläger bekannten finanziellen Lage des Arbeitgebers habe er nicht mehr damit rechnen können, dass er seinen Entgeltrückstand vom Arbeitgeber erhalten werde. Daraus ergebe sich, dass zumindest der bedingte Vorsatz einer Überwälzung des Finanzierungsrisikos auf den Fonds anzunehmen sei.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision des Klägers ist zulässig, da das Berufungsgericht von der neueren, jedoch als ständig anzusehenden Rechtsprechung des erkennenden Senats zum „Stehenlassen von Entgelt" erheblich abgewichen ist. Sie ist im Ergebnis auch berechtigt.

Zusammenfassend macht der Revisionswerber geltend, dass im gegenständlichen Fall von Vorliegen eines bedingten Vorsatzes auf Überwälzung des Finanzierungsrisikos auf den Fonds nicht gesprochen werden könne.

Der Oberste Gerichtshof hat sich in seiner Entscheidung vom 23.10. 2000, 8 ObS 206/00b = Wbl 2001/91, ausführlich mit der Kritik von Ristic (ASok 2000, 118) und Anzenberger (RdW 2000, 161) auseinandergesetzt und seine Rechtsprechung in vergleichbaren Fällen ausdrücklich aufrecht erhalten, die von einer unzulässigen Überwälzung des Finanzierungsrisikos für die Arbeitslöhne auf den Insolvenzausfallgeldfonds ausgeht, wenn dem Arbeitnehmer bewusst sein muss, dass er die Gegenleistung für seine Arbeit nicht vom Arbeitgeber, sondern vom Fonds bekommen könnte. Aufbauend auf diesem Grundsatz hielt der Oberste Gerichtshof in der genannten Entscheidung fest, dass dann, wenn ein Arbeitnehmer trotz längerer Nichtzahlung des Lohnes im Unternehmen tätig bleibe und nicht versuche, sein Entgelt ernstlich einbringlich zu machen, dies in der Regel indiziere, dass er zumindest in Kauf nehme, in der Folge seine offenen Lohnansprüche gegen den Fonds geltend zu machen. Dieses Verhalten stelle eine unzulässige Verlagerung des Finanzierungsrisikos auf den Fonds dar. Bei durchschnittlichen Arbeitnehmern, die in keiner besonderen Nahebeziehung zum Arbeitgeber stehen, werde dieser Schluss üblicherweise nur aus deutlich über sechs Monaten liegenden Entgeltrückständen gezogen (8 ObS 206/00b = WBl 2001/91). Diesen Grundsatz hat der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 26. 4. 2001, 8 ObS 39/01w neuerlich betont und im Fall eines Arbeitnehmers, bei dem sich über die Jahre Gehaltrückstände in einer Höhe von zwölf Monatsentgelten angesammelt hatten, die Feststellungen für nicht ausreichend befunden. Aus der Höhe der Rückstände allein könne nicht auf eine zweckwidrige Verlagerung des Insolvenzrisikos geschlossen werden, weil für einen Entfall des Schutzes nach dem IESG bedingter Vorsatz hinsichtlich der Verlagerung des Finanzierungsrisikos erforderlich sei. Zur Beurteilung, ob durch das lange Stehenlassen der Entgelte der zumindest bedingte Vorsatz indiziert sei, ziehe der Oberste Gerichtshof einen „Fremdvergleich" heran und stelle darauf ab, bis zu welchem Zeitpunkt auch ein unbeteiligter Arbeitnehmer im Unternehmen verblieben wäre. Im Zusammenhang damit und in Fortführung dieser Rechtsprechung habe der Oberste Gerichtshof wiederholt ausgesprochen, dass „völlig atypisch gestaltete" Arbeitsverhältnisse, die nicht auf die Erzielung von Entgelt für die Bestreitung des Lebensunterhalts gerichtet seien, nicht nach den Bestimmungen des IESG gesichert seien.

Der Fremdvergleich habe sämtliche objektiven Anhaltspunkte heranzuziehen. Dabei sei insbesondere zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß Entgeltrückstände entstanden seien, aber auch, wann diese (in welcher Höhe) entstanden seien und in welchem Ausmaß in diesem Zeitraum vom Arbeitgeber Nachzahlungen auf den Rückstand geleistet worden seien. Werden laufend, wenn auch verspätet, Zahlungen geleistet, müsse beobachtet werden, wie sich das Aufbauen von Rückständen einerseits und Zahlungen auf Rückstände andererseits, im Verhältnis zueinander entwickelt haben.

Hier ist nach den Feststellungen im Zeitraum eines ca. zweijährigen Dienstverhältnisses ein Entgeltrückstand einschließlich aliquoter Sonderzahlungen von etwas mehr als sechs Nettomonatslöhnen entstanden. Hiebei kann von einem „deutlich über sechs Monate liegenden Entgeltrückstand" aufgrund dessen auf den bedingten Vorsatz zur Verlagerung des Finanzierungsrisikos auf den Fonds geschlossen werden könnte, nicht gesprochen werden. Im Übrigen wurden bis zur Konkurseröffnung laufend Zahlungen erbracht, die teilweise über dem (Netto)Lohnanspruch des Drittklägers lagen und somit der (teilweisen) Abdeckung von Rückständen dienten. Beachtlich ist in diesem Zusammenhang auch, dass noch im Monat der Konkurseröffnung eine Zahlung an den Drittkläger in Höhe von ATS 30.000 erfolgte.

Angesichts des vorliegenden Sachverhalts kann nicht davon ausgegangen werden, dass hier ein „völlig atypisch gestaltetes" Arbeitsverhältnis, das nicht auf die Erzielung von Entgelt für die Bestreitung des Lebensunterhalts gerichtet war, vorlag, vielmehr der Drittkläger bis zur Konkurseröffnung damit rechnen durfte, letztlich seine offenen Entgeltansprüche doch noch vom Arbeitgeber zu erhalten.

Entgegen der von der beklagten Partei in ihrer Revisionsrekursbeantwortung vertretenen Auffassung ist in diesem Zusammenhang nicht wesentlich, dass § 3a Abs 1 IESG hier noch in der Fassung vor der Novelle BGBl I 2000/142 anzuwenden ist.Entgegen der von der beklagten Partei in ihrer Revisionsrekursbeantwortung vertretenen Auffassung ist in diesem Zusammenhang nicht wesentlich, dass Paragraph 3 a, Absatz eins, IESG hier noch in der Fassung vor der Novelle BGBl römisch eins 2000/142 anzuwenden ist.

Das angefochtene Urteil war daher im Sinn einer Stattgebung des - der Höhe nach nicht strittigen - Klagebegehrens abzuändern.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.Die Kostenentscheidung gründet sich auf Paragraphen 41,, 50 ZPO.

Textnummer

E78700

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2005:008OBS00015.05X.1006.000

Im RIS seit

05.11.2005

Zuletzt aktualisiert am

22.12.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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