TE Vwgh Erkenntnis 2007/11/21 2006/08/0240

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Veröffentlicht am 21.11.2007
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Index

E3R E05204020;
E6J;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

31971R1408 WanderarbeitnehmerV Art2;
31971R1408 WanderarbeitnehmerV Art4;
61998CJ0411 Ferlini VORAB;
62003CJ0293 Gregorio My VORAB;
AlVG 1977 §14 Abs5;
AlVG 1977 §15 Abs1 Z1;
AlVG 1977 §15 Abs5;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Köller, Dr. Moritz und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Marzi, über die Beschwerde der Mag. P W in S, vertreten durch Mag. Hartmut Gräf, Rechtsanwalt in 4560 Kirchdorf an der Krems, Krankenhausstraße 1, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Oberösterreich vom 16. Mai 2006, Zl. LGSOÖ/Abt.4/05660377/2006-11, betreffend Anspruch auf Weiterbildungsgeld, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde der Berufung der Beschwerdeführerin gegen den ihren Antrag auf Weiterbildungsgeld abweisenden erstinstanzlichen Bescheid mangels Erfüllung der Anwartschaft nicht stattgegeben.

In der Begründung stellte die belangte Behörde folgenden Sachverhalt fest:

"Sie haben am 8. 8. 2005 beim Arbeitsmarktservice Kirchdorf/Krems einen Antrag auf Zuerkennung von Weiterbildungsgeld gestellt.

Sie legten die Bescheinigung ihres Dienstgebers zum Nachweis einer vereinbarten Bildungskarenz nach § 11 AVRAG für die Dauer vom 1. 8. 2005 bis 31. 5. 2006 und vom 1. 9. 2006 bis 31. 5. 2007 vor.

Sie legten eine Bestätigung des Generalsekretariats des Europarats vom 18. 7. 2005 vor, in der ausdrücklich festgehalten wird, dass der Europarat nicht dem französischen Sozialversicherungssystem unterliegt und während ihrer Beschäftigungszeit auch keine andere Versicherung der selben Art bestanden hat.

Innerhalb der letzten 24 Monate vor Antragstellung liegen keine auf die Anwartschaft anrechenbare Zeiten bzw. 'gleichgestellte Zeiten' im Sinne des § 14 Abs 4 AlVG:

Sie haben aber folgende rahmenfristerstreckende Zeiten gemäß § 15 AlVG nachgewiesen:

1. 3. 2001 - 31. 7. 2005 arbeitslosenversicherungsfreies Dienstverhältnis zum Europarat".

In der Folge gab die belangte Behörde einen gemeinsam mit der Berufung eingebrachten - hier nicht mehr interessierenden - Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wieder sowie den Inhalt der Berufung der Beschwerdeführerin; danach seien die Beschäftigungszeiten beim Europarat (1. März 2001 bis 31. Juli 2005) als ausländische Beschäftigungszeiten auf die Anwartschaft anzurechnen; andernfalls würde ein bei einer überstaatlichen Organisation Beschäftigter, der nicht arbeitslosenversichert sei, gegenüber jemandem, der sonst in einem arbeitslosenversicherungsfreien ausländischen Beschäftigungsverhältnis nach § 14 Abs. 5 AlVG stehe, benachteiligt sein.

In rechtlicher Hinsicht ging die belangte Behörde - in Ergänzung des Sachverhaltes - von einem Dienstverhältnis der Beschwerdeführerin bei der International Helsinki Federation vom 1. Februar 1998 bis zum 28. Februar 2001 aus; das Dienstverhältnis sei seit 1. März 2001 karenziert. Bei der Beschwerdeführerin ergebe sich eine gesetzliche Rahmenfrist vom 8. August 2003 bis zum 7. August 2005. Die Rahmenfrist verlängere sich um höchstens drei Jahre und Zeiträume, in denen der Arbeitslose im Inland in einem arbeitslosenversicherungsfreien Dienstverhältnis gestanden sei; diese Bestimmung gelte auch innerhalb der Europäischen Gemeinschaft. Der Europarat sei nicht Mitglied der Europäischen Gemeinschaft. Die in der Europäischen Gemeinschaft geltenden Regelungen der Verordnung 1408/71 könnten daher im Falle der Beschwerdeführerin nicht angewendet werden. Ein Abkommen zwischen der Republik Österreich und dem Europarat, in dem für den vorliegenden Fall maßgebliche Regelungen vereinbart würden, gebe es nicht. Die Beschäftigungszeiten der Beschwerdeführerin beim Europarat gälten daher nicht als Zeiten, die sie innerhalb der Europäischen Gemeinschaft erworben habe, sondern könnten nur als arbeitslosenversicherungsfreie Zeiten im Inland im Sinne des § 15 Abs. 1 AlVG gewertet werden; deswegen verlängere sich der Zeitraum für die Berechnung der Anwartschaft um drei Jahre. Hätte es sich um arbeitslosenversicherungspflichtige Zeiten gehandelt, die innerhalb der Europäischen Gemeinschaft erworben worden seien, ohne bei einer supranationalen Organisation beschäftigt zu sein, und wären diese Zeiten daher gemäß der Verordnung 1408/71 zu beurteilen, könnten diese Zeiten ebenfalls nur für die Rahmenfristerstreckung verwendet werden. Auch inländische arbeitslosenversicherungsfreie Beschäftigungszeiten könnten nur für die Erstreckung der Rahmenfrist herangezogen werden. Auf Grund der Beschäftigung der Beschwerdeführerin beim Europarat vom 1. März 2001 bis zum 31. Juli 2005 könne daher die Rahmenfrist um den maximal vorgesehenen Zeitraum auf den Zeitraum vom 8. August 2000 bis zum 7. August 2005 erstreckt werden. Innerhalb der erstreckten Rahmenfrist (8. August 2000 bis 28. Februar 2001) lägen daher nur 205 Tage bzw. 29 Wochen und 2 Tage, die für die Ermittlung der Anwartschaftsvoraussetzung verwendet werden könnten. Die Mindestvoraussetzung von 52 Wochen arbeitslosenversicherungspflichtiger Beschäftigung für die Erfüllung der Anwartschaft gemäß § 14 AlVG sei damit nicht erfüllt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 14 Abs. 1 AlVG ist bei der erstmaligen Inanspruchnahme des Arbeitslosengeldes die Anwartschaft erfüllt, wenn der Arbeitslose in den letzten 24 Monaten vor Geltendmachung des Anspruches (Rahmenfrist) insgesamt 52 Wochen im Inland arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt war.

Nach Abs. 5 leg. cit. sind ausländische Beschäftigungs- oder Versicherungszeiten auf die Anwartschaft anzurechnen, soweit dies durch zwischenstaatliche Abkommen oder internationale Verträge geregelt ist.

Gemäß § 26 Abs. 1 AlVG gebührt Personen, die unter anderem eine Bildungskarenz gemäß § 11 in Anspruch nehmen und die Anwartschaft erfüllen, bei Erfüllung weiterer - hier nicht interessierender - Voraussetzungen für diese Zeit ein Weiterbildungsgeld in der Höhe des Kinderbetreuungsgeldes.

Nach Abs. 7 leg. cit. sind § 16 (Ruhen des Anspruches) mit Ausnahme des Abs. 1 lit. g (Auslandsaufenthalt), § 17 (Beginn des Anspruches), § 19 Abs. 1 erster Satz (Fortbezug), § 22 (Ausschluss bei Anspruch auf Alterspension), § 24 (Berichtigung), § 25 Abs. 1 erster Satz, Abs. 3 mit der Maßgabe, dass die Ersatzpflicht auch bei leichter Fahrlässigkeit eintritt, und Abs. 4 bis 8 (Rückforderung) sowie Artikel III (Verfahren) mit Ausnahme des § 49 (Kontrollmeldungen) mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Arbeitslosengeldes das Weiterbildungsgeld tritt, anzuwenden.

Voraussetzung für die - erstmalige - Gewährung von Weiterbildungsgeld, das eine Geldleistung aus der Arbeitslosenversicherung darstellt (§ 6 Abs. 1 Z. 4 AlVG), ist unter anderem die Erfüllung der Anwartschaft von insgesamt 52 Wochen arbeitslosenversicherungspflichtiger Beschäftigung im Inland bzw. von anrechenbaren ausländischen Zeiten in den letzten 24 Monaten vor Geltendmachung des Anspruches (Rahmenfrist).

Zunächst vertritt die Beschwerdeführerin in der Beschwerde die Ansicht, auf ihre Beschäftigung beim Europarat vom 1. März 2001 bis zum 31. Juli 2005 sei hinsichtlich der Anrechnung von ausländischen Versicherungszeiten die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (in der Folge kurz: Verordnung) anzuwenden. Das befristete Dienstverhältnis - heißt es in der Beschwerde - sei auf Grund des Status des Europarats nicht der Pflicht zur Eingliederung in die französische Arbeitslosenversicherung oder in ein anderes vergleichbares System unterlegen.

Der Europarat ist eine Organisation mit dem Sitz in Straßburg, der neben anderen europäischen Ländern Österreich und Frankreich angehören (vgl. die Präambel und die Artikel 1 f und 11 der Satzung des Europarates). Neben den Organen des Europarates ist ein Sekretariat eingerichtet, das aus einem Generalsekretär, dem Stellvertreter sowie dem erforderlichen Personal (Beamte des Europarates) besteht (Artikel 36 der Satzung).

Gemäß Artikel 1 des Allgemeinen Abkommens über die Vorrechte und Befreiungen des Europarates (von Österreich ratifiziert am 9. Mai 1957) besitzt der Europarat Rechtspersönlichkeit und kann Verträge abschließen.

Gemäß Artikel 2 der Verordnung Nr. 1408/71 (EWG) gilt diese für Arbeitnehmer, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind. Rechtsvorschriften sind in jedem Mitgliedstaat die bestehenden und künftigen Gesetze, Verordnungen, Satzungen und alle anderen Durchführungsvorschriften in Bezug auf die in Art. 4 Abs. 1 und 2 der Verordnung genannten Zweige und Systeme der sozialen Sicherheit. Nach der zuletzt genannten Bestimmung gilt die Verordnung für alle Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit, die unter anderem Leistungen bei Arbeitslosigkeit betreffen, sowie für die allgemeinen und die besonderen, die auf Beiträgen beruhenden und die beitragsfreien Systeme der sozialen Sicherheit sowie für Systeme, nach denen die Arbeitgeber einschließlich der Reeder zu Leistungen gemäß Abs. 1 leg. cit. verpflichtet sind.

Gemäß Artikel 67 der Verordnung berücksichtigt der zuständige Träger eines Mitgliedstaats, nach dessen Rechtsvorschriften der Erwerb, die Aufrechterhaltung oder das Wiederaufleben des Leistungsanspruchs von der Zurücklegung von Versicherungszeiten abhängig ist, soweit erforderlich, die Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten, die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats zurückgelegt wurden, als handelte es sich um Versicherungszeiten, die nach eigenen Rechtsvorschriften zurückgelegt worden sind, die Beschäftigungszeiten jedoch unter der weiteren Voraussetzung, dass sie als Versicherungszeiten gegolten hätten, wenn sie nach den eigenen Rechtsvorschriften zurückgelegt worden wären.

Anknüpfungspunkte für die Anwendung der Verordnung sind die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates, sei es dass sie für den Arbeitnehmer gelten (Artikel 2), sei es dass sie in einem Mitgliedstaat gelten (Artikel 4). Mitgliedstaaten sind die Mitglieder der Europäischen Union.

Die Beschwerdeführerin unterlag hinsichtlich ihrer Beschäftigung beim Europarat nicht den Rechtsvorschriften von Frankreich als jenem Staat, in dem der Europarat seinen Sitz hat, sondern den Rechtsvorschriften des Europarates hinsichtlich dessen sozialen Systems. Der Europarat ist kein Staat und auch nicht Mitglied der Europäischen Union. Die Beschwerdeführerin ist dabei nicht Arbeitnehmerin im Sinne des Artikels 2 der Verordnung (vgl. das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 16. Dezember 2004, Rechtssache "Gregorio My", C-293/03, mit Hinweis auf das Urteil vom 3. Oktober 2000, Rechtssache "Ferlini", C-411/98, wo ausgesprochen wurde, dass die Beamten der Europäischen Gemeinschaften keine Arbeitnehmer im Sinne des Artikel 2 der Verordnung sind, weshalb diese nicht auf sie anwendbar ist.). Die Verordnung ist daher im vorliegenden Fall nicht anzuwenden. Auch gibt es keine zwischenstaatlichen Abkommen oder internationale Verträge, die eine Anrechnung der in Rede stehenden Beschäftigung auf die Anwartschaft vorsähen.

Die Beschwerdeführerin sieht eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auch darin, dass die belangte Behörde die Rahmenfrist gemäß § 15 Abs. 1 Z. 1 AlVG erstreckt hat, obwohl das zum Europarat bestehende Dienstverhältnis nach österreichischem Recht unrechtmäßig gewesen wäre, weil es sich um unzulässige Kettenverträge gehandelt habe.

Die von der Beschwerdeführerin angestellte Betrachtungsweise kann auf sich beruhen, weil es nicht darauf ankommt, wie das vorliegende Dienstverhältnis nach österreichischen Rechtsvorschriften zu beurteilen wäre, sondern ob es einem bzw. welchem Sozialversicherungssystem es unterlegen ist.

Auch ist für die Verlängerung der Rahmenfrist nicht - wie von der Beschwerdeführerin gefordert - § 15 Abs. 5 AlVG anzuwenden, weil dies eine krankenversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit nach dem GSVG oder BSVG erfordert hätte. Eine lediglich vergleichbare Beschäftigung erfüllt diesen Tatbestand nicht.

Soweit die Beschwerdeführerin erkennbar eine Abtretung der Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof zur "Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 15 (Abs. 1 und 2) AlVG" beantragt, ist sie darauf hinzuweisen, dass eine solche Abtretung (anders als die Abtretung gemäß Art 144 Abs. 2 B-VG vom Verfassungs- an den Verwaltungsgerichtshof) nicht vorgesehen ist.

Die belangte Behörde ist nach dem Gesagten zutreffend vom Fehlen entsprechender Anwartschaftszeiten für die Gewährung von Weiterbildungsgeld ausgegangen, weshalb die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl II Nr. 333.

Wien, am 21. November 2007

Gerichtsentscheidung

EuGH 61998J0411 Ferlini VORAB
EuGH 62003J0293 Gregorio My VORAB

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2006080240.X00

Im RIS seit

27.12.2007

Zuletzt aktualisiert am

04.11.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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