TE Vfgh Erkenntnis 2003/2/27 V54/02

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Veröffentlicht am 27.02.2003
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Index

91 Post-und Fernmeldewesen
91/01 Fernmeldewesen

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 / Prüfungsgegenstand
BGBlG 1996 §2 Abs2 Z2
NumerierungsV, BGBl II 416/1997
TelekommunikationsG §19 Z3
TelekommunikationsG §126a

Leitsatz

Feststellung der Gesetzwidrigkeit einer Bestimmung über die Qualifikation der Telefonseelsorge als verpflichtend einzurichtender Notrufdienst in einer Anlage zur Numerierungsverordnung wegen gesetzwidriger Kundmachung bis zum Inkraftttreten einer besonderen Kundmachungsvorschrift im Telekommunikationsgesetz; Verordnungsqualität auch der Anlagen zur Numerierungsverordnung

Spruch

Das Wort "Telefonseelsorge" in der Anlage 2 litE Z5 der Verordnung des Bundesministers für Wissenschaft und Verkehr über die Numerierung (Numerierungsverordnung - NVO), BGBl. II Nr. 416/1997, war bis 31. Mai 2000 gesetzwidrig.

Der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie ist zur Kundmachung dieses Ausspruchs im Bundesgesetzblatt II verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist eine zu B1472/00 protokollierte Beschwerde gegen einen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien anhängig, mit dem über den Beschwerdeführer im Instanzenzug eine Verwaltungsstrafe verhängt wird, weil er als gemäß §9 Abs1 VStG Verantwortlicher eines Telekommunikationsunternehmens entgegen §19 Z3 Telekommunikationsgesetz (TKG), BGBl. I 100/1997, iVm Anlage 2 litE Z5 der Numerierungsverordnung (NVO), BGBl. II 416/1997, die kostenlose Inanspruchnahme zum Notrufdienst mit der Rufnummer 142 (Telefonseelsorge) vom 2. Februar 1998 bis 29. Jänner 1999 nicht bereitgestellt habe.

2. Aus Anlass dieser Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof am 15. Juni 2002 beschlossen, gemäß Art139 B-VG die Gesetzmäßigkeit des Wortes "Telefonseelsorge" in der Anlage 2 litE Z5 der Verordnung des Bundesministers (damals) für Wissenschaft und Verkehr über die Numerierung (Numerierungsverordnung - NVO), BGBl. II 416/1997, von Amts wegen zu prüfen.

3. Der Verfassungsgerichtshof ist im Einleitungsbeschluss davon ausgegangen, dass die Beschwerde zulässig ist und dass er zur rechtlichen Beurteilung der Beschwerde das in Prüfung gezogene Wort anzuwenden hat. Der Verfassungsgerichtshof nahm vorläufig an, dass die in Prüfung gezogene Vorschrift eine Verordnung iSd Art139 Abs1 B-VG darstellt, weil sie von einer Verwaltungsbehörde, dem Bundesminister (damals) für Wissenschaft und Verkehr, für einen generellen Adressatenkreis erlassen wurde.

In der Sache hegte der Verfassungsgerichtshof das Bedenken, dass die Anlage 2 und damit auch deren litE Z5 zur NVO samt der dort aufgenommenen Bezeichnung des Notrufdienstes "Telefonseelsorge" in gesetzwidriger Weise kundgemacht wurde:

"Gemäß §2 Abs2 Z2 BGBlG sind die Verordnungen der Bundesminister im Bundesgesetzblatt II zu verlautbaren, sofern der Gesetzgeber nicht ausdrücklich eine davon abweichende Kundmachungsform zuläßt oder gebietet. Entgegen der vom Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie in seiner Stellungnahme vertretenen Auffassung dürfte weder der Umfang noch der auf die Betreiber von Telekommunikationsnetzen beschränkte Adressatenkreis der Anlage 2 zur NVO ein von Gesetzes wegen hinreichender Grund sein, von der gesetzlich gebotenen gehörigen Kundmachung dieser Anlage im Bundesgesetzblatt abzusehen. Auch die zur besseren Information an sich durchaus sinnvolle, in §17 Abs2 NVO vorgesehene Auflage der Anlagen zur NVO ('Die Anlagen liegen beim Bundesministerium für Wissenschaft und Verkehr, bei der Telekom Control GmbH sowie bei den Fernmeldebüros während der Amtsstunden zur Einsicht auf.'), dürfte die gehörige Kundmachung im Bundesgesetzblatt nicht ersetzen. ...

Auch der von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid angestellte Versuch, die Gesetzmäßigkeit der Kundmachung der Anlage 2 zur NVO mit einem Hinweis auf die Kundmachung von Straßenverkehrszeichen sowie von 'Bestandteile[n] von Verordnungen, etwa Pläne[n], die aus bestimmten Gründen nicht abgedruckt werden können', zu begründen, überzeugt den Verfassungsgerichtshof - jedenfalls vorläufig - nicht. Abgesehen davon, daß diese Verordnungen nur in seltenen Fällen von einem Bundesminister erlassen werden, kann sich ihre vom BGBlG abweichende Kundmachung üblicherweise auf besondere gesetzliche Vorschriften stützen (vgl. etwa §44 Abs1 StVO 1960)."

Weiters:

"Treffen die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes gegen die Kundmachung des Wortes 'Telefonseelsorge' in der Anlage 2 litE Z5 zur NVO zu, so wird im Verordnungsprüfungsverfahren zu klären sein, welche Bedeutung im Hinblick darauf der am 1. Juni 2000 in Kraft getretenen Vorschrift des §126a TKG in der Fassung des Art29 Z27 des Budgetbegleitgesetzes 2000, BGBl. I 26/2000, zukommt.

§126a TKG lautet:

'Verordnungen und Kundmachungen des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie können den Hinweis auf Unterlagen mit technischen Inhalten, insbesondere mit Meß- und Prüfmethoden, Pläne und grafische Darstellungen enthalten, welche bloß für einen beschränkten Kreis von Personen von Interesse sind und durch Auflage zur Einsicht während der Amtsstunden kundgemacht werden.'"

4. Der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie hat mit Schriftsatz vom 28. August 2002 die im Anlassverfahren B1472/00 abgegebene Stellungnahme zur Äußerung im vorliegenden Verfahren erhoben. Wie im Einleitungsbeschluss wiedergegeben, wurde Folgendes in der Stellungnahme zu B1472/00 ausgeführt:

" Die beiden Anlagen der NVO seien äußerst umfangreich und lediglich für einen beschränkten Adressatenkreis, nämlich für Betreiber von Telekommunikationsnetzen, von Interesse. Der Verordnungsgeber habe aus diesem Grund von einer Kundmachung dieser Anlagen im Bundesgesetzblatt Abstand genommen und in §17 Abs2 NVO bestimmt, daß "diese Teile der Verordnung durch Auflage zur Einsicht kundzumachen" seien. Der Bundesminister verweist auch auf die Bestimmung des §126a TKG, die mit der Novelle BGBl. I 26/2000 geschaffen wurde und mit 1. Juni 2000 in Kraft trat, wonach in solchen Fällen eine Kundmachung durch Auflage zur Einsicht möglich sein soll.

Weiters legt der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie seine Ansicht dar, daß die Verpflichtung zur Bereitstellung der kostenlosen Inanspruchnahme des Notrufdienstes Telefonseelsorge spätestens ab Inkrafttreten der Festlegungsverordnung mit 20. August 1998 bestanden habe.

Überdies hält der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie fest, daß die NVO seines Erachtens keine Bestimmungen umfaßt, die für das Vorliegen der in Rede stehenden Verpflichtung präjudiziell seien. Diese Verpflichtung ergebe sich vielmehr bereits aus §19 Z3 TKG, wonach Erbringer eines öffentlichen Sprachtelefondienstes die kostenlose Inanspruchnahme zu Notrufdiensten bereitzustellen haben. Diese aufgrund des TKG bestehende Verpflichtung werde hinsichtlich des Notrufdienstes Telefonseelsorge durch die Festlegungsverordnung konkretisiert."

Ergänzend dazu führt der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie im vorliegenden Verfahren aus, dass angesichts des Umstandes, dass der in der Anlage 2 zur NVO angeführte Notrufdienst "Telefonseelsorge" keine korrespondierende Zugangskennzahl enthält, den Betreibern die Bereitstellung des in Rede stehenden Notrufdienstes mangels Kenntnis der diesem Dienst zugeordneten Zugangskennzahl bis zum In-Kraft-Treten der Verordnung, BGBl. II 278/1998 (das ist die Festlegungsverordnung, die die Ziffernfolge "142" als Zugangskennzahl für die Telefonseelsorge festlegt), nicht zumutbar gewesen wäre. Der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie beantragt, das in Prüfung gezogene Wort "Telefonseelsorge" nicht als "verfassungswidrig" aufzuheben.

II. 1. Die maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

Gemäß §19 Z3 TKG haben Erbringer eines öffentlichen Sprachtelefondienstes "die kostenlose Inanspruchnahme zu Notrufdiensten bereitzustellen". §24 Abs2 Z2 TKG zählt "den kostenlosen und ungehinderten Zugang zu Notrufdiensten" zum Universaldienst, der als "ein Mindestangebot an öffentlichen Telekommunikationsdienstleistungen" in §24 Abs1 TKG definiert wird, "zu denen alle Nutzer unabhängig von ihrem Wohn- oder Geschäftsort ... Zugang haben müssen".

Gemäß §52 TKG gelten als

"4. 'Adressierungsplan' die Gesamtzahl aller möglichen Kombinationen der Adressierungselemente, die zur eindeutigen Identifikation von Personen, Computerprozessen, Maschinen, Geräten oder Telekommunikationseinrichtungen dienen und an einem fernmeldetechnischen Telekommunikationsvorgang beteiligt sind;

5. 'Numerierungsplan' die Gesamtheit aller möglichen Kombinationen der Adressierungselemente, die durch Ziffernfolgen eindeutig zur Identifikation von Personen, Computerprozessen, Maschinen, Geräten oder Telekommunikationseinrichtungen dienen und an einem fernmeldetechnischen Telekommunikationsvorgang beteiligt sind;".

Ziel der Adressierung ist gemäß §53 Abs1 TKG "die effiziente Strukturierung und Verwaltung des Adreßraumes", um den Anforderungen von Bereitstellern in fairer und nicht diskriminierender Weise zu entsprechen. Durch Verordnung sind §53 Abs2 TKG zufolge Adressierungspläne zu erstellen.

Unter Berufung auf §53 Abs2 TKG trat am 1. Jänner 1998 die Numerierungsverordnung des Bundesministers (damals) für Wissenschaft und Verkehr in Kraft. Nach §7 dieser Verordnung sind die Zusammensetzung und die Nutzung der Nummernbereiche sowie die Kriterien für die Zuteilung aus den Nummernbereichen in einer Anlage 2 festgesetzt, die (gemäß §17 Abs2 der Verordnung) beim Bundesministerium für Wissenschaft und Verkehr (nunmehr: für Verkehr, Innovation und Technologie), bei der Telekom Control GmbH sowie bei den Fernmeldebüros während der Amtsstunden zur Einsicht aufliegt. In der Anlage 2 sind unter litE ("Besondere Rufnummern im öffentlichen Interesse") als Z5 "Rufnummer für Notrufdienste" sieben Notrufdienste angeführt, darunter auch die "Telefonseelsorge", für die allerdings eine Zugangskennzahl fehlt. Erst mit der Verordnung des Bundesministers (damals) für Wissenschaft und Verkehr, BGBl. II 278/1998, über die Festlegung von Zugangskennzahlen für Notrufdienste (Festlegungsverordnung) wird "für den Notrufdienst 'Telefonseelsorge' ... die Ziffernfolge '142'" als Zugangskennzahl festgelegt.

Schließlich trat gemäß Art29 Z27 iVm Art33 Abs1 Z3 des Budgetbegleitgesetzes 2000, BGBl. I 26/2000, mit 1. Juni 2000 die bereits zitierte Bestimmung des §126a TKG in Kraft, wonach im Rahmen des TKG bestimmte Verordnungen durch Auflage zur Einsicht während der Amtsstunden kundgemacht werden können.

2. Zur Zulässigkeit:

In seinem Prüfungsbeschluss vom 15. Juni 2002 hielt der Verfassungsgerichtshof die Frage für relevant, ob dem in Prüfung gezogenen Wort "Telefonseelsorge" in der litE Z5 der Anlage 2 zur NVO überhaupt Verordnungsqualität zukommt, zumal dort keine Zugangsnummer für die Telefonseelsorge festgelegt wird, sondern diese erst mit der oben zitierten Festlegungsverordnung verordnet wurde.

Es besteht kein Zweifel, dass die Numerierungsverordnung schon aufgrund ihrer Bezeichnung sowie der normativen Umschreibung ihres Anwendungsbereichs in §1 als Verordnung im Sinn des Art139 Abs1 B-VG der Prüfung durch den Verfassungsgerichtshof zugänglich ist. Diese Rechtsqualität kommt auch den Anlagen, darunter der Anlage 2 zur NVO zu, zumal §7 der NVO ausdrücklich davon ausgeht, dass die Anlage 2 Festsetzungen enthält. Eine derartige Festsetzung mit normativem Inhalt bedeutet es, wenn unter der Rubrik "Rufnummer für Notrufdienste" auch die Telefonseelsorge in der litE Z5 der Anlage 2 aufgezählt wird. Dadurch wird im Verein mit §19 Z3 TKG für alle Betreiber von Telekommunikationsdiensten die Verpflichtung begründet, eine Telefonseelsorge als Notruf- (und daher Universal-)dienst gemäß §24 Abs1 TKG bereitzustellen. Dass die Zugangskennzahl für den Notrufdienst "Telefonseelsorge" erst mit der Festlegungsverordnung, BGBl. II 278/1998, festgelegt wurde, ändert nichts daran, dass eine entsprechende Verpflichtung der Telekommunikationsbetreiber bereits vorher durch die in Prüfung gezogene Vorschrift der NVO angeordnet wurde. Nicht zuletzt deutet auch der im Anlassbeschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof angefochtene Bescheid, mit dem ausdrücklich die Übertretung des §19 Z3 TKG in Verbindung mit der Z5 der Anlage 2 litE zur NVO (also die fehlende Einrichtung der verbindlich vorgeschriebenen Telefonseelsorge als Notrufdienst) bestraft und damit die Bestimmung über die Qualifikation der Telefonseelsorge als verpflichtend einzurichtender Notrufdienst von der Behörde angewendet wurde.

Das Wort "Telefonseelsorge" in der Z5 der Anlage 2 litE zur NVO ist daher nicht nur selbst Bestandteil einer Verordnung, nämlich der NVO, sondern ist auch als Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides vom Verfassungsgerichtshof bei seiner Überprüfung dieses Bescheides anzuwenden.

Das Verordnungsprüfungsverfahren ist somit zulässig.

3. Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes, die oben unter

I. 3. wiedergegeben wurden, sind im Verordnungsprüfungsverfahren nicht entkräftet worden. Verordnungen der Bundesminister sind gemäß §2 Abs2 Z2 BGBlG im Bundesgesetzblatt II zu verlautbaren, sofern der Gesetzgeber nicht ausdrücklich für bestimmte Verordnungen eine davon abweichende Kundmachungsform zulässt (vgl. VfSlg. 8.807/1980, 9.416/1982, 14.154/1995, 15.061/1997, 15.189/1998). Eine derartige besondere Kundmachungsform hat der Gesetzgeber erst mit Wirkung vom 1. Juni 2000 in §126a TKG (idF BGBl. I 26/2000) vorgesehen. Dieser Vorschrift zufolge können Verordnungen des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie, insbesondere wenn sie Hinweise auf Unterlagen mit technischen Inhalten aufweisen und bloß für einen beschränkten Kreis von Personen von Interesse sind, durch Auflage zur Einsicht während der Amtsstunden kundgemacht werden. Diese gemäß Art33 Abs1 Z3 Budgetbegleitgesetz 2000 mit 1. Juni 2000 in Kraft getretene Kundmachungsvorschrift stellte die Kundmachung der Anlage 2 zur NVO einschließlich ihrer litE Z5 mit Wirkung vom 1. Juni 2000 auf eine neue, besondere, gesetzliche Grundlage.

Es war daher auszusprechen (Art139 Abs4 B-VG), dass das Wort "Telefonseelsorge" in der Anlage 2 litE Z5 der Numerierungsverordnung bis einschließlich 31. Mai 2000 gesetzwidrig war.

Die Verpflichtung zur Kundmachung dieses Ausspruchs durch den Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie stützt sich auf Art139 Abs5 B-VG.

Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Fernmelderecht, Verordnungsbegriff, Verordnung, Kundmachung, VfGH / Prüfungsgegenstand

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2003:V54.2002

Dokumentnummer

JFT_09969773_02V00054_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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