TE Vfgh Beschluss 2003/3/12 V5/02

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Veröffentlicht am 12.03.2003
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Index

10 Verfassungsrecht
10/07 Verfassungsgerichtshof, Verwaltungsgerichtshof

Norm

VfGG §20 Abs3
ZPO §219 Abs2

Leitsatz

Abweisung eines Antrags auf Gewährung von Akteneinsicht eines nicht beteiligten Arzneimittelherstellers in einem das Heilmittelverzeichnis betreffenden Verfahren mangels Vorliegen eines relevanten rechtlichen Interesses

Spruch

Der Antrag auf Gewährung der Akteneinsicht wird abgewiesen.

Begründung

Begründung:

1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu V5/02 ein (Individual-)Antrag eines Arzneimittelherstellers auf Aufhebung eines Beschlusses des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger anhängig, mit dem drei - von diesem Antragsteller vertriebene - Arzneispezialitäten aus dem Heilmittelverzeichnis (§31 Abs3 Z12 ASVG) gestrichen worden sind. Mit Beschluß vom 7. Dezember 2002, V5/02-13, hat der Verfassungsgerichtshof aus Anlaß dieses Verordnungsprüfungsverfahrens von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit jener Bestimmungen des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955 idF der 58. Novelle, BGBl. I Nr. 99/2001, eingeleitet, welche die Bestellung und die Aufgaben der Geschäftsführung des Hauptverbandes regeln. Dieses Gesetzesprüfungsverfahren ist hg. zu G1/03 protokolliert.

2. Mit Schriftsatz vom 24. Februar 2003 begehrt die - am Verfahren V5/02 nicht beteiligte - M S & D Gesellschaft mbH, in den Verfahrensakt V5/02, in eventu in die vom Hauptverband in diesem Verfahren erstattete Gegenschrift, Einsicht zu nehmen. Mit einem weiteren Schriftsatz vom 5. März 2003 teilte sie mit, daß der Antragsteller des Verfahrens V5/02 dem Einsichtsbegehren nicht zugestimmt habe.

Begründend wird zu diesem Antrag auf Akteneinsicht ausgeführt, die antragstellende Gesellschaft habe gegen den Hauptverband wegen des Vorwurfs des Mißbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung ein Verfahren vor den Kartellgerichten eingeleitet. In diesem Verfahren habe der Hauptverband - Bezug nehmend auf den hg. Beschluß vom 7. Dezember 2002, V5/02 - den Standpunkt eingenommen, sein Handeln bei der Aufnahme von Arzneimitteln in das Heilmittelverzeichnis sei als öffentlich-rechtliches, hoheitliches Handeln zu qualifizieren und daher dem Anwendungsbereich des Kartellrechts entzogen. Nun habe aber der Verfassungsgerichtshof in seinem Beschluß vom 7. Dezember 2002 ausgeführt, daß der Hauptverband - in diesem Verordnungsprüfungsverfahren - eine als Gegenschrift bezeichnete Äußerung zum Gegenstand erstattet habe, in der beantragt worden sei, den Individualantrag zu V5/02 als unzulässig zurück-, in eventu abzuweisen. Sodann heißt es wörtlich:

"Der Inhalt dieser Gegenschrift ist der Antragstellerin nicht bekannt. Beantragt jedoch der Hauptverband eine Zurückweisung [des Antrages] als unzulässig, so ist davon auszugehen, dass der Hauptverband hier - entgegen seinem Vorbringen im Kartellverfahren - argumentiert, dass er rein privatwirtschaftlich tätig ist.

Im Kartellverfahren wäre es für die Antragstellerin wichtig, nachweisen zu können, dass der Hauptverband selbst davon ausgeht, dass er privatwirtschaftlich tätig ist, um so seine Verteidigung zunichte machen zu können.

... Die Antragstellerin ist auf die Akteneinsicht in den Akt V5/02 des Verfassungsgerichtshofes angewiesen, um im Kartellverfahren der Argumentation des Hauptverbandes entgegentreten zu können, insbesondere, um zu zeigen, dass der Hauptverband gegen seine eigene Überzeugung argumentiert."

3. Nach §219 Abs2 ZPO können mit Zustimmung beider Parteien auch dritte Personen von den Prozeßakten Einsicht nehmen und Abschriften erheben. Fehlt diese Zustimmung, so kann einem Dritten eine solche Einsicht- und Abschriftnahme gestattet werden, wenn er ein rechtliches Interesse glaubhaft macht.

Der Verfassungsgerichtshof braucht nicht zu prüfen, ob §219 Abs2 ZPO insbesondere im Hinblick auf §20 Abs3 VfGG in vollem Umfang auch im verfassungsgerichtlichen Verfahren - sinngemäß (§35 Abs1 VfGG) - anzuwenden ist. Der Antrag erweist sich nämlich schon aus folgenden Erwägungen als unbegründet:

Nach der ständigen Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte muß das nach §219 Abs2 ZPO gebotene "rechtliche Interesse" ein in der Rechtsordnung gegründetes und von ihr gebilligtes Interesse sein, das über das bloß wirtschaftliche Interesse oder über Interessen der Information, der Pietät, des Anstands oder der Ethik hinausreicht. Die Einsicht- und Abschriftnahme muß also Bedeutung für die rechtlichen Verhältnisse des Dritten haben, die Kenntnis des betreffenden Akteninhaltes muß sich auf die privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Verhältnisse des Dritten günstig auswirken; ein bloß wirtschaftliches Interesse reicht nicht aus (zB OGH 19. September 1995, Z4 Ob 553/95; 2. September 1998, Z9 Ob 237/98p).

Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben:

Wie der Begründung des vorliegenden Antrags entnommen werden kann, dürfte der antragstellenden Gesellschaft vorschweben, sie könne bei Kenntnis des Akteninhalts dem Standpunkt des Hauptverbandes, das von diesem herausgegebene Heilmittelverzeichnis sei als Hoheitsakt zu qualifizieren, entgegentreten bzw. diesen Standpunkt als unglaubwürdig darstellen. Die Frage, welche Rechtsnatur dem Heilmittelverzeichnis zukommt, ist aber vom Kartellgericht als Rechtsfrage zu beantworten, wobei es nicht darauf ankommen kann, welchen Rechtsstandpunkt der Hauptverband in welchem Verfahren eingenommen hat. Mit ihrem Vorbringen hat die antragstellende Gesellschaft nicht einmal ein relevantes Interesse glaubhaft gemacht, sodaß ebenso offenbleiben kann, ob das Bestreben, die Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Prozeßgegners zu erschüttern, überhaupt ein "rechtliches Interesse" iS des §219 Abs2 ZPO vermitteln würde.

Der Antrag war daher abzuweisen, was in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden konnte (vgl. §426 Abs1 erster Satz ZPO, §35 Abs1 VfGG).

Schlagworte

VfGH / Akteneinsicht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2003:V5.2002

Dokumentnummer

JFT_09969688_02V00005_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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