TE Vwgh Erkenntnis 2007/12/19 2006/08/0164

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Veröffentlicht am 19.12.2007
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ABGB §1497;
ASVG §51d;
ASVG §68 Abs1;
ASVG §68 Abs2;
ASVG §68;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Köller als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Marzi, über die Beschwerde des C L in I, vertreten durch Dr. Jörg Hobmeier, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Maximilianstraße 9/II gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 8. März 2006, Zl. Vd-SV-1001-9-8/6/Ko, betreffend Zusatzbeitrag gemäß § 51d ASVG (mitbeteiligte Partei: Tiroler Gebietskrankenkasse, 6020 Innsbruck, Klara-Pölt-Weg 2) zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Soziales und Konsumentenschutz) hat der Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 9. September 2005 verpflichtete die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse den Beschwerdeführer zur Zahlung eines Zusatzbeitrages für Angehörige in der Höhe von EUR 422,37.

Nach der Begründung sei die damalige Ehefrau des Beschwerdeführers "im verfahrensgegenständlichen Zeitraum von 1.1.2001 bis 05.07.2001" weder nach dem ASVG noch nach einem anderen Bundesgesetz krankenversichert gewesen und habe ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland gehabt. Der Beschwerdeführer habe die Vorschreibung des Zusatzbeitrages für diesen Zeitraum noch im Jahr 2001 zugestellt erhalten und den vorgeschriebenen Betrag auch beglichen. Am 10. Dezember 2002 sei die Vorschreibung für den gesamten Zeitraum irrtümlich storniert worden und der Beschwerdeführer habe am 2. Jänner 2003 den Betrag auf sein Bankkonto überwiesen bekommen. Bei einer routinemäßigen Überprüfung habe die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse diesen Irrtum festgestellt. Die Voraussetzungen für die Verpflichtung zur Zahlung des Zusatzbeitrages für Angehörige seien erfüllt, Ausnahmegründe lägen nicht vor. Am 11. Juli 2005 sei dem Beschwerdeführer der Zusatzbeitrag für den Zeitraum vom 1. Jänner 2001 bis zum 5. Juli 2001 in der Höhe von EUR 422,37 vorgeschrieben worden. Mit Schreiben vom 25. Juli 2005 habe der Beschwerdeführer die bescheidmäßige Feststellung darüber begehrt.

Dem gegen diesen Bescheid erhobenen Einspruch hat die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid keine Folge gegeben.

In der Begründung hat sie das Verwaltungsgeschehen wiedergegeben und die Rechtslage dargestellt. Soweit noch wesentlich für dieses Verfahren ist die belangte Behörde von den erstinstanzlichen Feststellungen ausgegangen. In rechtlicher Hinsicht kam die belangte Behörde - zusammengefasst - zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen für die Vorschreibung eines Zusatzbeitrages vorlägen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und beantragt, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse hat eine Gegenschrift erstattet.

Der Verwaltungsgerichthof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Der Beschwerdeführer wendet in der Beschwerde zu Recht ein, die Beitragsschulden seien verjährt:

Die hier anzuwendende Verjährungsbestimmung des § 68 ASVG lautet:

"§ 68. (1) Das Recht auf Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen verjährt bei Beitragsschuldnern und Beitragsmithaftenden binnen drei Jahren vom Tag der Fälligkeit der Beiträge. Hat der Dienstgeber Angaben über Versicherte bzw. über deren Entgelt nicht innerhalb der in Betracht kommenden Meldefristen gemacht, so beginnt die Verjährungsfrist erst mit dem Tage der Meldung zu laufen. Diese Verjährungsfrist der Feststellung verlängert sich jedoch auf fünf Jahre, wenn der Dienstgeber oder eine sonstige meldepflichtige Person (§ 36) keine oder unrichtige Angaben bzw. Änderungsmeldungen über die bei ihm beschäftigten Personen bzw. über deren jeweiliges Entgelt (auch Sonderzahlungen im Sinne des § 49 Abs. 2) gemacht hat, die er bei gehöriger Sorgfalt als notwendig oder unrichtig hätte erkennen müssen. Die Verjährung des Feststellungsrechtes wird durch jede zum Zwecke der Feststellung getroffene Maßnahme in dem Zeitpunkt unterbrochen, in dem der Zahlungspflichtige hievon in Kenntnis gesetzt wird. Die Verjährung ist gehemmt, solange ein Verfahren in Verwaltungssachen bzw. vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechtes über das Bestehen der Pflichtversicherung oder die Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen anhängig ist.

(2) Das Recht auf Einforderung festgestellter Beitragsschulden verjährt binnen zwei Jahren nach Verständigung des Zahlungspflichtigen vom Ergebnis der Feststellung. Die Verjährung wird durch jede zum Zwecke der Hereinbringung getroffene Maßnahme, wie zum Beispiel durch Zustellung einer an den Zahlungspflichtigen gerichteten Zahlungsaufforderung (Mahnung) unterbrochen; sie wird durch Bewilligung einer Zahlungserleichterung gehemmt. Bezüglich der Unterbrechung oder Hemmung der Verjährung im Falle des Konkurses oder Ausgleiches des Beitragsschuldners gelten die einschlägigen Vorschriften der Konkursordnung und der Ausgleichsordnung.

(3) Sind fällige Beiträge durch eine grundbücherliche Eintragung gesichert, so kann innerhalb von 30 Jahren nach erfolgter Eintragung gegen die Geltendmachung des dadurch erworbenen Pfandrechtes die seither eingetretene Verjährung des Rechtes auf Einforderung der Beiträge nicht geltend gemacht werden."

Unter einer Maßnahme gemäß § 68 Abs. 1 ASVG ist jede nach außen hin in Erscheinung tretende und den Beitragsschuldner zur Kenntnis gebrachte Tätigkeit des Versicherungsträgers zu verstehen, die der Feststellung der Beitragsschulden dient. Die Unterbrechung setzt somit eine Maßnahme der Behörde voraus, die objektiv dem Ziel dient, die Verpflichtung zur Beitragszahlung festzustellen und somit - dem Regelungszweck des § 68 Abs. 1 ASVG entsprechend - eine Maßnahme darstellt (vgl. das Erkenntnis vom 19. Oktober 2005, Zl. 2003/08/0140).

Als verjährungsunterbrechende Maßnahme im Sinne des § 68 Abs. 2 ASVG ist jede Maßnahme anzusehen, die objektiv mit dem Zweck der Hereinbringung der offenen Forderung in Einklang gebracht werden kann, mit anderen Worten, diesem Zwecke - unmittelbar oder mittelbar - dient. Dient eine Maßnahme dem Zweck der Hereinbringung, dann ist zu vermuten, dass sie zu diesem Zwecke getroffen wurde. Voraussetzung ist lediglich, dass die Behörde eindeutig zu erkennen gibt, dass sie eine Maßnahme in bezug auf die konkrete Forderung gegen den Zahlungspflichtigen setzen wollte, mit anderen Worten, die Setzung einer solchen konkreten Maßnahme auch später noch nach der Aktenlage nachvollziehbar ist. Ob eine Maßnahme der Hereinbringung einer offenen Forderung dient, hängt von der Beurteilung im Einzelfall ab (vgl. das Erkenntnis vom 22. Dezember 2004, Zl. 2004/08/0099).

Es kann im Beschwerdefall dahinstehen, ob die Beitragsschulden im Jahre 2001 im Sinne des § 68 Abs. 2 ASVG schon "festgestellt" worden sind, weil die Verjährung der vorliegenden Beitragsschuld auch nach § 68 Abs. 1 ASVG eingetreten ist: Die Fälligkeit des Anspruches ist nämlich spätestens mit der Vorschreibung des Zusatzbeitrages im Jahr 2001 eingetreten. Die Stornierung der Vorschreibung am 10. Dezember 2002 war im Sinne der zitierten Judikatur jedenfalls keine Maßnahme nach § 68 Abs. 1 und 2 ASVG, weil die Stornierung nicht dazu gedient hat, den Anspruch festzustellen bzw. durchzusetzen. Ebensowenig ist in der (wenn auch irrtümlichen) Rücküberweisung des vom Beschwerdeführer bereits bezahlten Zusatzbeitrages eine solche Maßnahme zu sehen.

Geht man von einer Fälligkeit des Anspruches spätestens Ende 2001 aus, ist mangels einer Unterbrechung oder Hemmung die dreijährige Verjährungsfrist Ende 2004 abgelaufen gewesen. Die mit Bescheid vom 9. September 2005 erfolgte bescheidmäßige Vorschreibung des Zusatzbeitrages erfolgte somit nach Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist.

Selbst wenn man - wie die belangte Behörde - in der Überweisung des Zusatzbeitrages im Jahre 2001 ein zivilrechtliches Anerkenntnis durch den Beschwerdeführer sieht, führte dieses nicht zu einer Unterbrechung der Verjährung, weil einerseits § 68 ASVG einen solchen Unterbrechungsgrund für die Verjährung nicht vorsieht und andererseits ein Anerkenntnis im Beschwerdefall keine anspruchsbegründende, somit keine die Verjährung unterbrechende Wirkung, gehabt hätte; eine im öffentlichen Recht begründete Verpflichtung ist nämlich durch privatrechtliches Handeln nicht gestaltbar (vgl. das Erkenntnis vom 24. Jänner 1977, Zl. 1454/76).

Andere Unterbrechungsmaßnahmen oder Hemmungsgründe wurden nicht behauptet und sind auch den Verwaltungsakten nicht zu entnehmen. Die Beitragsforderung ist daher verjährt.

Der angefochtene Bescheid war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 43 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333

Wien, am 19. Dezember 2007

Schlagworte

Rechtsgrundsätze Allgemein Anwendbarkeit zivilrechtlicher Bestimmungen Verträge und Vereinbarungen im öffentlichen Recht VwRallg6/1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2006080164.X00

Im RIS seit

01.02.2008

Zuletzt aktualisiert am

03.12.2012
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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