TE Vwgh Erkenntnis 2007/12/19 2005/20/0321

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Veröffentlicht am 19.12.2007
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §27 Abs3;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak sowie den Hofrat Dr. Berger, die Hofrätin Dr. Pollak und die Hofräte Dr. Doblinger und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Thurin, über die Beschwerde der S, vertreten durch Mag.Dr. Bernhard Glawitsch, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Graben 9, gegen den am 4. März 2005 mündlich verkündeten und am 14. April 2005 schriftlich ausgefertigten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 239.110/6-II/04/05, betreffend §§ 7, 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Mongolei, gelangte am 4. Jänner 2003 in das Bundesgebiet und beantragte - nach den Feststellungen im angefochtenen Bescheid - am selben Tag Asyl.

Bei ihren Einvernahmen vor dem Bundesasylamt am

5. und 10. Juni 2003 begründete die Beschwerdeführerin ihren Asylantrag zusammengefasst damit, sie sei als Volksschullehrerin eines bei einem Verkehrsunfall getöteten Kindes von dessen Vater beschuldigt worden, an seinem Tod schuldig zu sein, "weil ich von der falschen (christlichen) Religion ihm erzählt habe"; von diesem Mann sei sie bedroht und körperlich angegriffen worden. Außerdem habe ihr trunksüchtiger Mann sie misshandelt und sie einmal "aus dem Fenster geworfen". Sie habe auf eine Anklageerhebung gegen ihren Mann verzichtet. Sie sei zwar geschieden, werde aber von ihrem Mann ebenso wie vom Vater des getöteten Kindes "belästigt".

Die Einvernahmen wurden nach den vorliegenden Niederschriften zum Teil durch einen männlichen Mitarbeiter des Bundesasylamtes, zum Teil durch eine weibliche Referentin der Behörde geführt, als Dolmetscher fungierte eine Frau.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag der Beschwerdeführerin mit Bescheid vom 16. Juni 2003 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 in der Fassung vor der AsylG-Novelle 2003 (AsylG) ab und erklärte ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Mongolei gemäß § 8 AsylG für zulässig. Das Bundesasylamt begründete den Bescheid damit, dass die Probleme mit dem Ehemann, die nach der Scheidung im Jahr 1998 geendet hätten, in keinem zeitlichen Zusammenhang mit der Ausreise stünden; die übrigen Angaben der Beschwerdeführerin, wonach sie durch den Vater eines verunglückten Schülers - auch im Zusammenhang mit ihrem christlichen Glauben - bedroht würde, qualifizierte das Bundesasylamt als unglaubwürdig.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung, in der sie u.a. ausführte, sie sei als Frau in der Mongolei von Gewalt seitens ihres Ehemannes betroffen gewesen; die Polizei hätte sie nicht ausreichend geschützt.

Vor dem Termin der Berufungsverhandlung wurde mit einem Schreiben einer Beratungsstelle der Caritas mitgeteilt, dass die Beschwerdeführerin "massive sexuelle Übergriffe durch ihren Bruder seit ihrem fünften Lebensjahr geschildert" habe und dass sie ihr alkoholkranker Mann "ebenfalls misshandelt" habe. Es wurde ausdrücklich darum ersucht, "die Sache an ein weibliches Senatsmitglied zu übergeben".

Mit dem angefochtenen, am 4. März 2005 - nach Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung - verkündeten Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid des Bundesasylamtes "gemäß den §§ 7, 8 AsylG" ab.

Nach der Begründung des angefochtenen Bescheides habe die Beschwerdeführerin in der Berufungsverhandlung eingestanden, dass ihr bisheriges Vorbringen unrichtig gewesen sei, habe aber sodann ein geändertes Gefährdungsvorbringen erstattet, welches jedoch ebenfalls nicht der Wahrheit entsprochen habe. Dabei habe sie "an wesentlichen Elementen des ursprünglichen (in seiner konkreten Gestalt widerlegten) Vorbringens festgehalten", etwa hinsichtlich der Behauptung, als Volksschullehrerin tätig gewesen zu sein. Die in der Berufungsverhandlung von der Beschwerdeführerin aufgestellte "(bloße) Behauptung (...), sie sei 'sexuell missbraucht' worden", habe das zuständige (männliche) Senatsmitglied - ausgehend davon, dass die Beschwerdeführerin "nicht aufgehört habe, unzutreffende Angaben zu erstatten" - nicht dazu veranlassen können anzunehmen, es sei aufgrund des § 27 Abs. 3 dritter Satz AsylG im Sinne des Art. 4 der Geschäftsverteilung des unabhängigen Bundesasylsenates rechtlich verhindert. Das entsprechende Vorbringen der Beschwerdeführerin (diese hatte in der Berufungsverhandlung ausgesagt, dass sie "von einer Person sexuell missbraucht wurde"; sie sei von ihrem Mann noch nicht "offiziell geschieden" und habe mit ihm nach einer mehrjährigen Trennung wieder bis zu ihrer Ausreise in der Ehewohnung zusammengelebt; ihr Mann habe sie misshandelt und verletzt) habe keinen "glaubhaften Kern" aufgewiesen. "Lediglich der Vollständigkeit halber" wies die belangte Behörde im Hinblick auf die behaupteten (auch sexuellen) Übergriffe ihres Ehegatten auch darauf hin, dass die mongolische Polizei insofern schutzfähig sei, sodass die Beschwerdeführerin nichts mehr von ihrem Gatten zu befürchten hätte.

In einem an die belangte Behörde gerichteten Schriftsatz vom 16. März 2005 brachte die Beschwerdeführerin nach Verkündung des angefochtenen (am 14. April 2005 schriftlich ausgefertigten) Bescheides vor, dass sie seit ihrem sechsten Lebensjahr "von Angehörigen meiner Familie sexuell missbraucht und später von meinem Ehemann misshandelt" worden sei. Sie sei nun "aufgrund psychischer Beschwerden" und "akuter Selbstmordgefährdung" in stationärer Spitalsbehandlung.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin in der Berufungsverhandlung vor dem unabhängigen Bundesasylsenat angegeben, ihre Furcht vor Verfolgung gründe sich darauf, dass sie "sexuell missbraucht" und von ihrem Ehemann auch körperlich misshandelt und verletzt worden sei. Dass das Verlassen ihres Heimatlandes mit derartigen Umständen im Zusammenhang stehe, wurde auch schon im Schreiben der Caritas vom 1. März 2005 zum Ausdruck gebracht.

Damit ergab sich gemäß § 27 Abs. 3 letzter Satz AsylG - in der hier anzuwendenden Fassung vor der Novelle 2003 - die Notwendigkeit, die Beschwerdeführerin durch eine Person weiblichen Geschlechts einzuvernehmen, wobei auch ein weiblicher Dolmetscher zugezogen werden musste.

Die belangte Behörde führte die Befragung (auch) hinsichtlich des behaupteten Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung der Beschwerdeführerin in der Berufungsverhandlung jedoch durch einen männlichen Verhandlungsleiter (sowie einen männlichen Dolmetscher) durch.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in den Erkenntnissen vom 3. Dezember 2003, Zl. 2001/01/0402, und vom 20. September 2004, Zl. 2004/01/0067, dargelegt hat, hatte die belangte Behörde im Berufungsverfahren (auch) die Bestimmung des § 27 Abs. 3 letzter Satz AsylG zu beachten. Gemäß § 43 Abs. 2 VwGG wird in dieser Hinsicht auf die Begründung der genannten Erkenntnisse verwiesen. Der mit der vorliegenden Rechtssache betraute männliche Organwalter der belangten Behörde konnte dem Erfordernis der genannten Gesetzesbestimmung nicht entsprechen.

Dass dem in Rede stehenden Erfordernis der Einvernahme durch Organwalter des Geschlechtes der Asylwerberin nur dann zu entsprechen wäre, wenn dem Vorbringen in Bezug auf Eingriffe in die sexuelle Selbstbestimmung ein "glaubhafter Kern" zukomme, kann der Bestimmung des § 27 Abs. 3 letzter Satz AsylG nicht entnommen werden. Nach dem im Erkenntnis vom 3. Dezember 2003 dargelegten Zweck dieser - internationalen Beschlüssen Rechnung tragenden - Bestimmung soll die Einvernahme durch eine (im vorliegenden Fall) weibliche Organwalterin den Abbau von Hemmschwellen bei der Schilderung von Eingriffen in die sexuelle Selbstbestimmung bewirken. Da davon auszugehen ist, dass erst dadurch eine gegenüber einem männlichen Organwalter bestehende Hemmung, über das Erlebte näher zu berichten, abgebaut wird, ist ab dem Zeitpunkt, in dem sexuelle Übergriffe als Fluchtgrund geltend gemacht werden, die Notwendigkeit gegeben, die Asylwerberin durch eine Person weiblichen Geschlechts einzuvernehmen. Eine in einem solchen Fall durch einen männlichen Organwalter vorgenommene Beweiswürdigung - auch wenn sie nur die Frage beträfe, ob dem diesbezüglichen Vorbringen zumindest ein "glaubhafter Kern" zukomme - ist mit dem in § 27 Abs. 3 letzter Satz AsylG aufgestellten Erfordernis daher nicht in Einklang zu bringen.

Nach dem Vorgesagten hat die belangte Behörde in Bezug auf die Anwendung des § 27 Abs. 3 letzter Satz AsylG die Rechtslage verkannt und den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet. Der von der belangten Behörde nur "der Vollständigkeit halber" gemachte Hinweis auf eine gegebene Schutzfähigkeit der mongolischen Behörden vermag an diesem Ergebnis nichts zu ändern, weil infolge der unrichtigen Auslegung des § 27 Abs. 3 letzter Satz AsylG nicht feststeht, ob die Beschwerdeführerin ausreichend Gelegenheit zur Darlegung ihrer unter diese Gesetzesbestimmung fallenden Fluchtgründe hatte. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 19. Dezember 2007

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2005200321.X00

Im RIS seit

11.02.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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