TE Vwgh Erkenntnis 2008/2/28 2006/21/0237

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.02.2008
beobachten
merken

Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs6;
FrPolG 2005 §66;
VwGG §38 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 lita;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des A, vertreten durch Dr. Wolfgang Vacarescu, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Jakominiplatz 16/II, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 7. Juli 2006, Zl. 2 F 783-2005, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der kinderlose Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Marokko, reiste anfangs 2000 in das Bundesgebiet ein, meldete sich am 6. April 2000 in Leoben polizeilich an und begann einen Vorstudienlehrgang an der dort situierten Montanuniversität. Ihm wurden wiederholt Aufenthaltstitel, zuletzt am 22. Mai 2003 ein bis zum 21. Mai 2013 geltender Niederlassungsnachweis, erteilt.

Am 5. April 2001 heiratete der Beschwerdeführer die österreichische Staatsangehörige X. Die Ehe wurde mit Beschluss des Bezirksgerichtes Leoben vom 11. Oktober 2005 einvernehmlich geschieden. Danach hatte der Beschwerdeführer keine im Inland aufhältigen Angehörigen.

Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 7. Juli 2006 erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 sowie den §§ 61, 63 und 66 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.

Begründend verwies sie darauf, dass der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 8. September 2005 wegen "Par 28/2 (2.4. Fall) u 3 (1. Fall) 27/1 (1.2. Fall) SuchtmittelG" zu einer 12-monatigen Freiheitsstrafe (davon acht Monate bedingt nachgesehen) verurteilt worden sei. Der Beschwerdeführer habe "im Zeitraum 2002 bis 2003" gemeinsam mit einem Mittäter in Holland ca. 3.000 Stück Ecstasy-Tabletten und ca. 500 g "Speed" um ca.  EUR 2.800,-- erworben, die Suchtmittel nach Österreich verbracht und in der Folge ca. 700 Stück Ecstasy-Tabletten zum Stückpreis von EUR 4,-- Gewinn bringend verkauft. Im weiterer Folge habe er in Abständen von ca. drei Wochen zweimal je 300 Ecstasy-Tabletten nach Graz geliefert und dort um EUR 4,-- Stückpreis an einen bekannten Abnehmer verkauft sowie bei zwei weiteren Verkäufen in Bruck/Mur und Leoben zusammen ca. 700 Ecstasy-Tabletten an den selben Abnehmer Gewinn bringend verkauft. Er habe somit "als Mitglied einer nordafrikanischen Drogenzelle ... gewerbsmäßig mit Drogen gehandelt".

Infolge dieser Verurteilung zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe durch ein inländisches Gericht sei der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG erfüllt. Der vom Strafgericht ausgesprochenen bedingten Strafnachsicht komme für das fremdenpolizeiliche Verfahren keine Relevanz zu, weil die Behörde ihre Entscheidung frei von jeglicher Bindung eigenständig und ausschließlich aus dem Blickwinkel der von ihr anzuwendenden fremdenrechtlichen Normen zu treffen habe.

Das Aufenthaltsverbot bewirke einen relevanten Eingriff in das "Privat- und Familienleben" des Beschwerdeführers, jedoch werde "die für die Integration wesentliche soziale Komponente" durch die von ihm begangenen Straftaten erheblich beeinträchtigt. Angesichts der mit der Suchtgiftkriminalität verbundenen erheblichen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit sei diese Maßnahme auch bei ansonsten völliger sozialer Integration nicht als rechtswidrig zu erkennen. Die "familiäre Situation" des Beschwerdeführers sei erst kurz vor Erlassung des Aufenthaltsverbotes und überdies zu einem Zeitpunkt geschaffen worden, zu dem er sich unerlaubt im Bundesgebiet aufgehalten habe, sodass "die familiären Interessen nicht mit großem Gewicht veranschlagt werden" könnten. Weiters werde das Gewicht der familiären Beziehungen zu den Angehörigen dadurch relativiert, dass er bereits erwachsen sein. Durch das Aufenthaltsverbot werde die Kontaktnahme zwischen Vater und Kindern zweifellos erschwert, doch wäre es möglich, diese Kontakte durch Besuche der Gattin und der Kinder im Ausland zumindest in einem eingeschränkten Umfang aufrecht zu erhalten. Unterhaltszahlungen - etwa an das gemeinsame Kind - könnten auch aus dem Ausland geleistet werden.

Die Art und Weise der vom Beschwerdeführer begangenen gerichtlichen Straftaten lasse ein Charakterbild erkennen, das den Schluss rechtfertige, er sei gegenüber den zum Schutz der Gesundheit anderer Personen bzw. der Volksgesundheit erlassenen Vorschriften bzw. der österreichischen Rechtsordnung überhaupt negativ eingestellt und bilde eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Es sei daher eine negative Prognosebeurteilung geboten. Auch eine Ermessensübung nach § 60 Abs. 1 FPG zu Gunsten des Beschwerdeführers komme nicht in Betracht.

Der Beschwerdeführer habe in seiner Berufungsschrift ausgeführt, dass er den Unrechtsgehalt seiner Tat eingesehen und "diese keine kriminogenen Züge" aufgewiesen habe. Dazu habe er ein Sachverständigengutachten (des Facharztes für Psychiatrie und Neurologie Dr. H vom 29. Mai 2006) vorgelegt. Auch habe er auf die zum Teil bedingte Strafnachsicht und darauf verwiesen, dass ihm in einem Schreiben der Bundespolizeidirektion Leoben gratuliert worden sei, weil er durch die tatkräftige Unterstützung von einschreitenden Sicherheitswachebeamten (am 22. Mai 2001) den Selbstmordversuch eines Mannes habe verhindern können, der sich von der Südbahnbrücke stürzen wollte.

Dem vorgelegten Gutachten käme jedoch - wie der zum Teil bedingten Strafnachsicht - für das fremdenpolizeiliche Verfahren keine Relevanz zu, weil die Behörde bei ihrer Entscheidung hieran nicht gebunden sei und eine "Wohlverhaltensprognose eigenständig und ausschließlich aus dem Blickwinkel der von ihr anzuwendenden fremdenrechtlichen Normen zu treffen" habe. Der Beschwerdeführer sei "als Mitglied einer nordafrikanischen Drogenzelle in den Jahren 2002 bis 2003, von der 35 Bandenmitglieder ausgeforscht ... und 27 Mitglieder verhaftet wurden, im Bereich des gewerbsmäßigen Suchtmittelhandels tätig" gewesen, wobei er größere Mengen an Ecstasy-Tabletten und auch "Speed" an bekannte Abnehmer Gewinn bringend verkauft habe. Auf Grund der dem gewerbsmäßigen Handel mit Suchtmitteln innewohnenden großen Wiederholungsgefahr und der Tatsache, dass sich nach wie vor zahlreiche Mitglieder dieser nordafrikanischen Drogenzelle im Bundesgebiet aufhielten, sei die Wiederholungsgefahr und Gefahr eines Rückfalls sowie der Aufnahme von Kontakten "zu den seinerzeitigen Mitgliedern der Drogenbande ... keinesfalls zur Gänze ausgeschlossen", sodass vom Beschwerdeführer nach wie vor eine Gefahr für die Gesundheit von Menschen bzw. für die Volksgesundheit ausgehe. Auch sei der seit der genannten Verurteilung vergangene Zeitraum noch zu kurz, um von einer "positiven Zukunftsprognose" ausgehen zu können. Ein Wegfall dieser Gefahr sei nicht vor Ablauf von zehn Jahren anzunehmen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe (in dem vor der belangten Behörde abgeführten Berufungsverfahren) ein Gutachten des Sachverständigen für Psychiatrie und Neurologie Dr. H. vom 29. Mai 2006 vorgelegt, in dem dieser - näher begründet - eine Wohlverhaltensprognose diagnostiziert habe. Die belangte Behörde habe dies zur Kenntnis genommen, jedoch nach eigenem Ermessen ohne ausreichende Begründung gegenteilig entschieden.

Damit zeigt der Beschwerdeführer insoweit eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens auf, als die belangte Behörde zu Unrecht der Beurteilung des Sachverständigen Dr. H. (die im Übrigen mit der freiwilligen Beendigung des strafbaren Verhaltens durch den erst am 2. Mai 2005 verhafteten Beschwerdeführer bereits im Jahr 2003 und der aus dem Verwaltungsakt hervorgehenden nervenfachärztlichen Einschätzung des Dr. U. vom 1. Dezember 2005 im Einklang steht) jede Relevanz abgesprochen und eine Auseinandersetzung mit diesen Ausführungen unterlassen hat. Dadurch hat sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet.

Dieser kann schon deshalb Relevanz für den Ausgang des Verfahrens zukommen, weil die belangte Behörde dadurch - sowie durch die aktenwidrige Unterstellung des Fehlens jeglicher Berechtigung des Beschwerdeführers zum Aufenthalt im Bundesgebiet -

nicht in der Lage war, eine § 60 Abs. 6 und § 66 FPG entsprechende Interessenabwägung gesetzmäßig vorzunehmen.

Dazu kommt, dass die belangte Behörde in diesem Zusammenhang damit argumentiert, der Beschwerdeführer sei Teil eines (international als Bande tätig werdenden) Drogenringes gewesen. Das wird in der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof in Abrede gestellt; der Beschwerdeführer macht geltend, von einem gegen ihn erhobenen Vorwurf der Teilnahme an einer verbrecherischen Bande rechtskräftig freigesprochen worden zu sein. Den vorgelegten Verwaltungsakten kann eine Widerlegung dieses Beschwerdevorbringens nicht zweifelsfrei entnommen werden (§ 38 Abs. 2 Satz 2 VwGG).

Schließlich bringt der Beschwerdeführer - im Einklang mit den vorgelegten Verwaltungsakten - vor, im Bundesgebiet über keinerlei familiäre Beziehungen zu verfügen. Er wirft der belangten Behörde - soweit sie vom gegenteiligen Sachverhalt ausgeht - (grundsätzlich zutreffend) Aktenwidrigkeit vor. Dieser kann allerdings keine Relevanz für den Ausgang des vorliegenden Verfahrens zukommen, ist doch nicht ersichtlich, inwieweit die (wenn auch aktenwidrige) Unterstellung familiärer Bindungen in Österreich für den Beschwerdeführer nachteilig geworden sein könnte.

Auf Grund der eingangs aufgezeigten Verfahrensmängel war der angefochtene Bescheid jedoch gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. a, b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG unterbleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 28. Februar 2008

Schlagworte

Begründung BegründungsmangelBesondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2006210237.X00

Im RIS seit

09.04.2008

Zuletzt aktualisiert am

31.07.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten