TE Vwgh Beschluss 2008/4/29 2007/21/0090

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Veröffentlicht am 29.04.2008
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Index

E1E;
E3L E02100000;
E3L E05100000;
E3L E19100000;
E6J;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
59/04 EU - EWR;

Norm

11997E234 EG Art234;
32004L0038 Unionsbürger-RL;
62002CJ0200 Zhu und Chen VORAB;
AVG §38;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z1;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z11 idF 2005/I/157;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z8;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §86 Abs2;
FrPolG 2005 §9 Abs1;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §21 Abs2;
NAG 2005 §47;
NAG 2005 §51 Z1;
NAG 2005 §51 Z2;
NAG 2005 §51 Z3;
NAG 2005 §51;
NAG 2005 §52;
NAG 2005 §54;
NAG 2005 §55 Abs1;
NAG 2005 §57;
VwGG §38b;
VwGG §62 Abs1;

Beachte

Vorabentscheidungsverfahren:* Vorabentscheidungsantrag des VwGH oder eines anderen Tribunals:2007/21/0271 B 22. November 2007 Vorabentscheidungsverfahren:* Ausgesetztes Verfahren: 2007/21/0271 B 22. November 2007 * EuGH-Entscheidung: EuGH 62007CO0551 19. Dezember 2008

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, in der Beschwerdesache des U, vertreten durch Mag. Peterpaul Suntinger, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Pfarrplatz 17, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion Kärnten vom 19. Februar 2007, Zl. 2Fr-346/06, betreffend Ausweisung, den Beschluss gefasst:

Spruch

Das Beschwerdeverfahren wird bis zur Vorabentscheidung des in der hg. Beschwerdesache Zl. 2007/21/0271 angerufenen Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften ausgesetzt.

Begründung

1. Der Beschwerdeführer ist nigerianischer Staatsangehöriger und reiste am 14. Juli 2003 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein. Am 17. Dezember 2005 heiratete er eine österreichische Staatsbürgerin und beantragte im Hinblick darauf per 3. Jänner 2006 die Erteilung eines Aufenthaltstitels.

2. Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG aus dem Bundesgebiet aus. Dies begründete sie im Wesentlichen damit, dass dem erwähnten Antrag des Beschwerdeführers vom 3. Jänner 2006 mit Bescheid vom 9. Juli 2006 gemäß § 21 Abs. 1 und 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG nicht stattgegeben worden sei. Zur Antragstellung im Inland seien (nämlich) gemäß § 21 Abs. 2 NAG Familienangehörige von Österreichern, EWR-Bürgern und Schweizer Bürgern, die in Österreich dauernd wohnhaft seien und denen das Recht auf Freizügigkeit nicht zukomme, (nur) nach rechtmäßiger Einreise und während des rechtmäßigen Aufenthaltes berechtigt. "Aus all diesen Gründen" halte sich der Beschwerdeführer seit 4. Jänner 2006 (Zurückziehung seiner Berufung im Asylverfahren) unrechtmäßig im Bundesgebiet auf.

3. Mit hg. Beschluss vom 22. November 2007, Zl. 2007/21/0271, (EU 2007/0009), wurden dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) gemäß Art. 234 EG u.a. folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

"1. a) Sind die Art. 3 Abs. 1, Art 6 Abs. 2 sowie Art. 7 Abs. 1 lit. d und Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG - im Folgenden RL - so auszulegen, dass sie auch jene Familienangehörigen im Sinn von Art. 2 Nr. 2 der RL erfassen, die unabhängig vom Unionsbürger in den Aufnahmemitgliedstaat (Art. 2 Nr. 3 der RL) gelangt sind und erst dort die Angehörigeneigenschaft oder das Familienleben mit dem Unionsbürger begründet haben?

b) Wenn dies der Fall ist, kommt es ergänzend

darauf an, dass sich der Familienangehörige im Zeitpunkt der Begründung der Angehörigeneigenschaft oder des Familienlebens rechtmäßig im Aufnahmemitgliedstaat aufhält? Wenn ja, genügt es für einen rechtmäßigen Aufenthalt, dass der Familienangehörige lediglich kraft seiner Stellung als Asylwerber zum Aufenthalt berechtigt ist?"

4.1. Unter der Überschrift "Ausweisung Fremder ohne Aufenthaltstitel" ordnet § 53 Abs. 1 FPG, auf den die in Beschwerde gezogene Ausweisung gestützt wurde, an, dass Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden können, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. In seinem 10. Hauptstück enthält das FPG "Sonderbestimmungen für freizügigkeitsberechtigte EWR-Bürger und Schweizer Bürger sowie für begünstigte Drittstaatsangehörige und Familienangehörige von nicht freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürgern, Schweizern und Österreichern". Eine in diesem Hauptstück normierte "Sonderbestimmung" für Ausweisungen von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen stellt § 86 Abs. 2 FPG dar. Diese Personen sind dann auszuweisen, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 1 NAG das Niederlassungsrecht fehlt. Dem Charakter dieser Vorschrift als lex specialis entsprechend, die auf das sich aus den §§ 51, 52 und 54 NAG ergebende Niederlassungsrecht Bedacht nimmt, kommt eine Ausweisung der von § 86 Abs. 2 FPG erfassten Personen nur unter der dort genannten Voraussetzung in Betracht (Riel/Schrefler-König/Szymanski/Wollner, FPG § 86 Anm. 3.); § 53 Abs. 1 FPG kann insofern keine Grundlage für eine Ausweisung bilden.

4.2. Der erwähnte § 51 NAG lautet (samt Überschrift) wie folgt:

"Niederlassungsrecht für EWR-Bürger

§ 51. EWR-Bürger, die ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch nehmen und sich länger als drei Monate im Bundesgebiet aufhalten, sind zur Niederlassung berechtigt, wenn sie

1.

in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;

2.

für sich und ihre Familienangehörigen über eine ausreichende Krankenversicherung verfügen und nachweisen, dass sie über ausreichende Existenzmittel zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes verfügen, so dass sie während ihrer Niederlassung keine Sozialhilfeleistungen in Anspruch nehmen müssen, oder

              3.              eine Ausbildung bei einer rechtlich anerkannten öffentlichen oder privaten Schule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen."

5.1. Der - insbesondere - in § 86 Abs. 2 FPG verwendete Begriff "begünstigter Drittstaatsangehöriger" wird in § 2 Abs. 4 Z 11 FPG definiert. Demnach ist darunter u.a. (§ 2 Abs. 4 Z 11 FPG idF der Novelle BGBl. I Nr. 157/2005) der Ehegatte eines EWR-Bürgers oder Schweizer Bürgers oder Österreichers, die ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen haben, zu verstehen. Weitere Voraussetzung ist, dass dieser Drittstaatsangehörige den freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, von dem sich seine gemeinschaftsrechtliche Begünstigung herleitet, begleitet oder ihm nachzieht.

Der Verwaltungsgerichtshof geht davon aus, dass die Wortfolge "begleitet oder ihm nachzieht", an die § 2 Abs. 4 Z 11 FPG (u.a.) die Eigenschaft als begünstigter Drittstaatsangehöriger knüpft, ebenso wie dieselbe, den Anlass für das erwähnte Vorabentscheidungsersuchen bildende Wendung in § 52 letzter Satz NAG gemäß der RL 2004/38/EG auszulegen ist.

5.2. Ein Drittstaatsangehöriger, der erst in Österreich einen EWR-Bürger oder einen Schweizer Bürger geheiratet hat, entspricht - orientierte man sich strikt am Wortlaut des zuvor umschriebenen § 2 Abs. 4 Z 11 FPG - dem Erfordernis des "Begleitens oder Nachziehens" nicht. Er könnte daher bei einer solchen Auslegung keinesfalls begünstigter Drittstaatsangehöriger sein und sich damit nicht auf das an diese Stellung anknüpfende spezifische Aufenthaltsrecht (§ 54 NAG) berufen. Sollte sich nach Beantwortung des erwähnten Vorabentscheidungsersuchens durch den EuGH allerdings ein weiteres Verständnis des Begriffspaares "begleiten oder nachziehen" ergeben (siehe zur Problematik im Detail die oben zitierten Fragen 1.a) und 1.b)), so käme ihm hingegen dann die Stellung als begünstigter Drittstaatsangehöriger zu, wenn sein Ehegatte sein "Recht auf Freizügigkeit" in Anspruch genommen hätte. Dafür genügte es, dass der Ehegatte als EWR-Bürger oder als Schweizer Bürger in Österreich niedergelassen wäre und hier die in § 51 Z 1 bis 3 NAG genannten - alternativen - Voraussetzungen erfüllte (vgl. nur Kutscher/Poschalko/Schmalzl, Niederlassungs- und Aufenthaltsrecht (2006), 42). Das erforderliche grenzüberschreitende Moment läge allein in der nichtösterreichischen Staatsbürgerschaft dieses Ehegatten; auch im Falle einer Niederlassung in Österreich von Geburt an (ohne jegliche Reisebewegung) wäre er demnach - unter der Bedingung des Vorliegens einer der Tatbestände des § 51 Z 1 bis 3 NAG - EWR-Bürger (oder Schweizer Bürger), der sein "Recht auf Freizügigkeit" in Anspruch genommen hat (in diesem Sinn auch der Bundesminister für Inneres in seiner an den Verfassungsgerichtshof im Verfahren B 1462/06 erstatteten Gegenschrift; siehe die Wiedergabe im Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 13. Oktober 2007). Auch dem Vorabentscheidungsersuchen vom 22. November 2007 liegt diese Auffassung - unter Berufung auf das Urteil des EuGH vom 19. Oktober 2004, Rechtssache C-200/02 "Zhu und Chen", Randnr. 18 f - zugrunde.

5.3. Ergibt daher die Beantwortung des erwähnten Vorabentscheidungsersuchens, dass die Begründung der Angehörigeneigenschaft oder des Familienlebens mit dem EWR-Bürger erst in Österreich während des rechtmäßigen Aufenthalts des ohne den EWR-Bürger hierher gekommenen Drittstaatsangehörigen als Asylwerber genügt, dann käme einem Drittstaatsangehörigen in der Position des Beschwerdeführers die Stellung als "begünstigter Drittstaatsangehöriger" und damit ein Aufenthaltsrecht nach § 54 NAG zu, wenn er mit einer EWR-Bürgerin, die die Voraussetzungen nach § 51 Z 1, 2 oder 3 NAG erfüllt, verheiratet wäre. Er dürfte nur unter den Bedingungen des § 86 Abs. 2 FPG aus dem Bundesgebiet ausgewiesen werden.

6.1. Der Beschwerdeführer ist aber nicht mit einer EWR-Bürgerin im Sinn des FPG (vgl. dazu § 2 Abs. 4 Z 1 iVm Z 8 FPG) verheiratet, sondern mit einer österreichischen Staatsbürgerin. Diese hat offenkundig keinen grenzüberschreitenden Sachverhalt verwirklicht, weshalb sie ungeachtet der allfälligen Erfüllung der Voraussetzungen des § 51 Z 1, 2 oder 3 NAG - die belangte Behörde hat das allerdings nicht geprüft - nicht als Bezugsperson in Betracht kommt, die im Sinn des FPG oder des NAG ihr "Recht auf Freizügigkeit" in Anspruch genommen hat. Im Ergebnis ist der Beschwerdeführer damit aber - bei Beantwortung des Vorabentscheidungsersuchens im oben (Punkt 5.3.) dargestellten Sinn - allein deshalb kein begünstigter Drittstaatsangehöriger, weil seine Ehegattin die "falsche" Staatsbürgerschaft hat, nämlich die österreichische und nicht die eines sonstigen EWR-Mitgliedstaates.

6.2. Soweit sich an die Stellung als begünstigter Drittstaatsangehöriger kraft einfachgesetzlicher Anordnung besondere Rechtspositionen knüpfen (vgl. demgegenüber die Verfassungsbestimmung des § 9 Abs. 1 FPG), erweckt dies unter Bedachtnahme auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 17. Juni 1997, B 592/96, VfSlg. 14.863, nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes verfassungsrechtliche Bedenken, mit denen sich der Verfassungsgerichtshof bisher noch nicht beschäftigt hat (in seinem oben erwähnten, die §§ 47 und 57 NAG behandelnden Erkenntnis vom 13. Oktober 2007, B 1462/06, war nur die unterschiedliche Behandlung von Angehörigen verschiedener Kategorien von Österreichern Thema).

6.3. Wie diesen Bedenken hier Rechnung zu tragen wäre, braucht vorderhand nicht geklärt zu werden. Primär kommt es nämlich zunächst, wie sich aus dem Obigen ergibt, auf die Beantwortung der eingangs zitierten Fragen an, weil erst dann feststeht, ob sich die hier gegenständliche Problematik (Ausweisung des Ehegatten einer Österreicherin, die ihr "Recht auf Freizügigkeit" nicht in Anspruch genommen hat, die aber - allenfalls - einen der drei in § 51 NAG normierten Tatbestände verwirklicht, nur unter den für begünstigte Drittstaatsangehörige geltenden und an das gemeinschaftsrechtliche Niederlassungsrecht anknüpfenden Voraussetzungen?) überhaupt stellt. Mithin bilden diese Fragen aber auch im gegenständlichen Beschwerdefall eine Vorfrage, die zufolge des Auslegungsmonopols des EuGH in Angelegenheiten des (primären oder sekundären) Gemeinschaftsrechts von diesem Gerichtshof zu entscheiden sind.

7.1. Da das entsprechende Verfahren zur Einholung einer Vorabentscheidung bereits anhängig gemacht wurde, liegen die Voraussetzungen des gemäß § 62 Abs. 1 VwGG auch vom Verwaltungsgerichtshof anzuwendenden § 38 AVG vor, sodass mit einer Aussetzung des gegenständlichen Verfahrens vorgegangen werden konnte (vgl. etwa den hg. Beschluss vom 26. Februar 2004, Zl. 2003/21/0209).

7.2. Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass diese Entscheidung angesichts ihres noch nicht verfahrensabschließenden Charakters ungeachtet scheinbar entgegenstehender Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 25. September 2007, Zl. 2007/18/0372) ohne Befassung eines verstärkten Senates ergehen konnte (in diesem Sinn Puck, Zuständigkeit des verstärkten Senats, des Dreiersenats und des Einzelrichters, in Holoubek/Lang, Das verwaltungsgerichtliche Verfahren in Steuersachen, 28 (38 f), zum vergleichbaren Fall eines Anfechtungsantrages an den Verfassungsgerichtshof).

Wien, am 29. April 2008

Gerichtsentscheidung

EuGH 62002CJ0200 Zhu und Chen VORAB

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2007210090.X00

Im RIS seit

01.07.2008

Zuletzt aktualisiert am

03.05.2012
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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