TE Vwgh Beschluss 2008/6/17 2008/22/0099

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Veröffentlicht am 17.06.2008
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Index

E1E;
E3L E02100000;
E3L E05100000;
E3L E19100000;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
59/04 EU - EWR;

Norm

11997E234 EG Art234;
32004L0038 Unionsbürger-RL;
AVG §38;
FrG 1997 §49 Abs1;
FrPolG 2005 §86 Abs2;
NAG 2005 §2 Abs1 Z1;
NAG 2005 §2 Abs1 Z4;
NAG 2005 §47;
NAG 2005 §51 Z1;
NAG 2005 §51 Z2;
NAG 2005 §51 Z3;
NAG 2005 §52 Z1;
NAG 2005 §52;
NAG 2005 §54 Abs1;
NAG 2005 §54;
NAG 2005 §55 Abs1;
NAG 2005 §55 Abs2;
NAG 2005 §55 Abs3;
NAG 2005 §57;
VwGG §38b;
VwGG §62 Abs1;

Beachte

Vorabentscheidungsverfahren:* Vorabentscheidungsantrag des VwGH oder eines anderen Tribunals:2007/21/0271 B 22. November 2007 Vorabentscheidungsverfahren:* Ausgesetztes Verfahren: 2007/21/0271 B 22. November 2007 * EuGH-Entscheidung: EuGH 62007CO0551 19. Dezember 2008

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder sowie die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, in der Beschwerdesache des K, vertreten durch Mag. Banu Kurtulan, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Marc-Aurel-Straße 6, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 13. August 2007, Zl. 147.939/2- III/4/07, betreffend Versagung eines Aufenthaltstitels, den Beschluss gefasst:

Spruch

Das Beschwerdeverfahren wird bis zur Vorabentscheidung des in der hg. Beschwerdesache Zl. 2007/21/0271 (EU 2007/0009) angerufenen Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften ausgesetzt.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger und reiste am 8. Oktober 2004 unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein. Am 10. Oktober 2004 stellte er einen Asylantrag, der im Juni 2005 in erster Instanz rechtskräftig abgewiesen wurde. Eine Ausweisung wurde von der Asylbehörde nicht erlassen. Er heiratete am 12. März 2005 eine österreichische Staatsbürgerin und brachte im Hinblick darauf am 15. September 2005 nach den Vorschriften des (am 31. Dezember 2005 außer Kraft getretenen) Fremdengesetzes 1997 - FrG 1997 einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "begünstigter Drittsta. - Ö, § 49 Abs. 1 FrG" ein.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde, die infolge eines vom Beschwerdeführer eingebrachten Devolutionsantrages zuständig geworden war, den Antrag des Beschwerdeführers, der als Antrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels für den Aufenthaltszweck "Familienangehöriger" gewertet wurde, gemäß § 21 Abs. 1 und Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG ab. Dies begründete sie im Wesentlichen damit, dass über den noch während der Geltung des FrG 1997 eingebrachten Antrag nach den Bestimmungen des am 1. Jänner 2006 in Kraft getretenen NAG zu entscheiden sei. Es stehe eindeutig fest, dass der Beschwerdeführer den Antrag im Inland eingebracht habe und er sich "somit vor, während und nach der Antragstellung im Inland aufgehalten" habe. Der Antrag wäre aber gemäß § 21 Abs. 1 NAG vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen und die Entscheidung im Ausland abzuwarten gewesen. Der Beschwerdeführer habe sich demgegenüber auch nach dem 1. Jänner 2006 weiterhin im Bundesgebiet aufgehalten.

Mit hg. Beschluss vom 22. November 2007, Zl. 2007/21/0271, (EU 2007/0009), wurden dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) gemäß Art. 234 EG u.a. folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

"1. a) Sind die Art. 3 Abs. 1, Art 6 Abs. 2 sowie Art. 7 Abs. 1 lit. d und Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG - im Folgenden RL - so auszulegen, dass sie auch jene Familienangehörigen im Sinn von Art. 2 Nr. 2 der RL erfassen, die unabhängig vom Unionsbürger in den Aufnahmemitgliedstaat (Art. 2 Nr. 3 der RL) gelangt sind und erst dort die Angehörigeneigenschaft oder das Familienleben mit dem Unionsbürger begründet haben?

b) Wenn dies der Fall ist, kommt es ergänzend darauf an, dass sich der Familienangehörige im Zeitpunkt der Begründung der Angehörigeneigenschaft oder des Familienlebens rechtmäßig im Aufnahmemitgliedstaat aufhält? Wenn ja, genügt es für einen rechtmäßigen Aufenthalt, dass der Familienangehörige lediglich kraft seiner Stellung als Asylwerber zum Aufenthalt berechtigt ist?"

Das NAG regelt in seinem 4. Hauptstück unter der Überschrift "Gemeinschaftsrechtliches Niederlassungsrecht" die Voraussetzungen zum Aufenthalt im Bundesgebiet für EWR-Bürger, die ihr (gemeinschaftsrechtlich bestehendes) Recht auf Freizügigkeit in Anspruch nehmen, sowie für deren Angehörige, die den EWR-Bürger "begleiten oder zu ihm nachziehen" (§§ 51 bis 56 NAG). Diese Vorschriften sind auch auf Schweizer Bürger, die ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen haben, und auf drittstaatszugehörige Angehörige von österreichischen Staatsbürgern (und Schweizer Bürgern) anzuwenden, sofern letztere ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen haben (§ 57 NAG). Besteht das (gemeinschaftsrechtliche) Niederlassungsrecht wegen Gefährdung der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit oder mangels Nachweises bestimmter Umstände nicht, so ist - unter Information des Antragstellers - die zuständige Fremdenpolizeibehörde zwecks Vornahme einer Aufenthaltsbeendigung zu verständigen (§ 55 Abs. 1 NAG). Unterbleibt eine Aufenthaltbeendigung, so ist die Dokumentation des Aufenthalts- und Niederlassungsrechts unverzüglich vorzunehmen (§ 55 Abs. 2 NAG). Erwächst eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft, ist das Verfahren einzustellen (§ 55 Abs. 3 NAG). Daraus ergibt sich, dass in den Fällen des 4. Hauptstückes des NAG eine Antragsabweisung zu unterbleiben hat.

§ 51 NAG lautet im Einzelnen (samt Überschrift) wie folgt:

"Niederlassungsrecht für EWR-Bürger

§ 51. EWR-Bürger, die ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch nehmen und sich länger als drei Monate im Bundesgebiet aufhalten, sind zur Niederlassung berechtigt, wenn sie

1.

in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;

2.

für sich und ihre Familienangehörigen über eine ausreichende Krankenversicherung verfügen und nachweisen, dass sie über ausreichende Existenzmittel zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes verfügen, so dass sie während ihrer Niederlassung keine Sozialhilfeleistungen in Anspruch nehmen müssen, oder

              3.              eine Ausbildung bei einer rechtlich anerkannten öffentlichen oder privaten Schule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen."

Gemäß § 54 Abs. 1 iVm § 52 Z 1 NAG ist ein Ehegatte eines freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürgers (iSd § 51 NAG), der selbst nicht EWR-Bürger ist, zur Niederlassung berechtigt, wenn er den EWR-Bürger begleitet oder zu ihm nachzieht.

Ein Drittstaatsangehöriger, der erst in Österreich einen EWR-Bürger oder einen Schweizer Bürger geheiratet hat, entspricht - orientierte man sich strikt am Wortlaut des § 52 NAG - dem Erfordernis des "Begleitens oder Nachziehens" nicht. Er könnte daher bei einer solchen Auslegung keinesfalls Berechtigter nach § 54 NAG sein und sich damit nicht auf das an diese Stellung anknüpfende spezifische Aufenthaltsrecht berufen. Sollte sich nach Beantwortung des erwähnten Vorabentscheidungsersuchens durch den EuGH allerdings ein weiteres Verständnis des Begriffspaares "begleiten oder zu ihm nachziehen" ergeben (siehe zur Problematik im Detail die oben zitierten Fragen 1.a) und 1.b)), so käme ihm hingegen dann die Stellung als Berechtigter iSd § 54 NAG zu, wenn sein Ehegatte sein "Recht auf Freizügigkeit" in Anspruch genommen hätte. Dafür genügte es, dass der Ehegatte als EWR-Bürger oder als Schweizer Bürger in Österreich niedergelassen wäre und hier die in § 51 Z 1 bis 3 NAG genannten - alternativen - Voraussetzungen erfüllte (vgl. nur Kutscher/Poschalko/Schmalzl, Niederlassungs- und Aufenthaltsrecht (2006), 42). Das erforderliche grenzüberschreitende Moment läge allein in der nichtösterreichischen Staatsbürgerschaft dieses Ehegatten; auch im Falle einer Niederlassung in Österreich von Geburt an (ohne jegliche Reisebewegung) wäre er demnach - unter der Bedingung des Vorliegens einer der Tatbestände des § 51 Z 1 bis 3 NAG - EWR-Bürger (oder Schweizer Bürger), der sein "Recht auf Freizügigkeit" in Anspruch genommen hat (in diesem Sinn auch der Bundesminister für Inneres in seiner an den Verfassungsgerichtshof im Verfahren B 1462/06 erstatteten Gegenschrift; siehe die Wiedergabe im Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 13. Oktober 2007). Auch dem Vorabentscheidungsersuchen vom 22. November 2007 liegt diese Auffassung - unter Berufung auf das Urteil des EuGH vom 19. Oktober 2004, Rechtssache C-200/02, "Zhu und Chen", Randnr. 18 f - zugrunde.

Ergibt daher die Beantwortung des erwähnten Vorabentscheidungsersuchens, dass die Begründung der Angehörigeneigenschaft oder des Familienlebens mit dem EWR-Bürger erst in Österreich (allenfalls unter der weiteren in der zitierten Frage zu 1. b) genannten Voraussetzung) genügt, dann käme einem Drittstaatsangehörigen in der Position des Beschwerdeführers die Stellung als Berechtigten nach § 52 Z 1 iVm § 54 NAG und damit ein Aufenthaltsrecht nach § 54 NAG zu, wenn er mit einer EWR-Bürgerin, die die Voraussetzungen nach § 51 Z 1, 2 oder 3 NAG erfüllt, verheiratet wäre. Er dürfte nur unter den Bedingungen des § 86 Abs. 2 FPG (vgl. dazu den hg. Beschluss vom 29. April 2008, Zl. 2007/21/0090) aus dem Bundesgebiet ausgewiesen werden; ein nach dem NAG gestellter Antrag dürfte nicht abgewiesen, sondern "nur" die Aufenthaltsbeendigung unter den Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 NAG veranlasst werden.

Der Beschwerdeführer ist aber nicht mit einer EWR-Bürgerin im Sinn des NAG (vgl. dazu § 2 Abs. 1 Z 1 iVm Z 4 NAG) verheiratet, sondern mit einer österreichischen Staatsbürgerin. Diese hat den Feststellungen im angefochtenen Bescheid zufolge keinen grenzüberschreitenden Sachverhalt verwirklicht, weshalb sie ungeachtet der allfälligen Erfüllung der Voraussetzungen des § 51 Z 1, 2 oder 3 NAG - die belangte Behörde hat dies allerdings nicht geprüft - nicht als Bezugsperson in Betracht kommt, die im Sinne des NAG oder des FPG ihr "Recht auf Freizügigkeit" in Anspruch genommen hat. Im Ergebnis ist der Beschwerdeführer damit aber - bei Beantwortung des Vorabentscheidungsersuchens im oben dargestellten Sinn - allein deshalb kein nach dem 4. Hauptstück des NAG Berechtigter, weil seine Ehegattin die "falsche" Staatsbürgerschaft hat, nämlich die österreichische und nicht die eines sonstigen EWR-Mitgliedstaates.

Dies erweckt unter Bedachtnahme auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 17. Juni 1997, B 592/96, VfSlg. 14.863, nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes verfassungsrechtliche Bedenken, mit denen sich der Verfassungsgerichtshof bisher noch nicht beschäftigt hat (in seinem oben erwähnten, die §§ 47 und 57 NAG behandelnden Erkenntnis vom 13. Oktober 2007, B 1462/06, war nur die unterschiedliche Behandlung von Angehörigen verschiedener Kategorien von Österreichern Thema).

Wie diesen Bedenken hier Rechnung zu tragen wäre, braucht vorderhand nicht geklärt zu werden. Primär kommt es nämlich zunächst, wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt, auf die Beantwortung der eingangs zitierten Fragen an, weil erst dann feststeht, ob sich die hier gegenständliche Problematik überhaupt stellt. Mithin bilden diese Fragen aber auch im gegenständlichen Beschwerdefall eine Vorfrage, die zufolge des Auslegungsmonopols des EuGH in Angelegenheiten des (primären oder sekundären) Gemeinschaftsrechts von diesem Gerichtshof zu entscheiden sind.

Da das entsprechende Verfahren zur Einholung einer Vorabentscheidung bereits anhängig gemacht wurde, liegen die Voraussetzungen des gemäß § 62 Abs. 1 VwGG auch vom Verwaltungsgerichtshof anzuwendenden § 38 AVG vor, sodass mit einer Aussetzung des gegenständlichen Verfahrens vorgegangen werden konnte (vgl. etwa den ein Ausweisungsverfahren betreffenden hg. Beschluss vom 29. April 2008, Zl. 2007/21/0090).

Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass diese Entscheidung angesichts ihres noch nicht verfahrensabschließenden Charakters ungeachtet scheinbar entgegenstehender Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 13. November 2007, Zl. 2007/18/0751) ohne Befassung eines

verstärkten Senates ergehen konnte (vgl. dazu ebenfalls den bereits erwähnten hg. Beschluss vom 29. April 2008, Zl. 2007/21/0090, mwH).

Wien, am 17. Juni 2008

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2008220099.X00

Im RIS seit

22.09.2008

Zuletzt aktualisiert am

03.05.2012
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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