TE Vfgh Erkenntnis 2003/9/23 B470/03

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Veröffentlicht am 23.09.2003
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
StGG Art6 Abs1 / Niederlassung
EMRK 4. ZP Art2 Abs1
RAO §7a

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Versagung der Genehmigung der Errichtung einer Kanzleiniederlassung für einen Rechtsanwalt; keine Bedenken gegen die neue Regelung über die Errichtung von Filialen in der Rechtsanwaltsordnung; keine Verletzung der Erwerbsausübungsfreiheit und der Niederlassungsfreiheit

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Bescheid des Ausschusses der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer wurde das Ansuchen des Beschwerdeführers "um Genehmigung der Errichtung einer Kanzleiniederlassung an der vormaligen Adresse [es folgen Straße und Hausnummer] in 8010 Graz" abgewiesen. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit Bescheid der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (OBDK) keine Folge gegeben.

Mit Schreiben vom 10. Mai 2001 zeigte der Beschwerdeführer dem Ausschuß der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer die Verlegung seines Kanzleisitzes von Graz nach Leibnitz an und gab gleichzeitig die Eröffnung einer Filialkanzlei an seiner vormaligen Kanzleiadresse in Graz bekannt. Er ergänzte das Schreiben mit dem Hinweis, daß ihm bewußt sei, daß aufgrund der geltenden gesetzlichen Bestimmungen (§7a Abs1 RAO) die Gründung einer Filialkanzlei nur dann zulässig sei, wenn die Leitung dieser Niederlassung einem Rechtsanwalt übertragen werde, der seinen Kanzleisitz an der Adresse der Niederlassung habe. Diese Voraussetzung sei jedoch bei seiner Kanzleiniederlassung in Graz nicht erfüllt. Gleichzeitig wies er darauf hin, daß er eine Überprüfung des §7a Abs1 RAO durch den Verfassungsgerichtshof anstrebe.

2. In der gegen den Bescheid der OBDK erhobenen Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof wird die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Norm (des §7a Abs1 RAO) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt. Der Beschwerdeführer begründet die Verfassungswidrigkeit des §7a Abs1 RAO im wesentlichen wie folgt:

"Aufgrund des derzeitigen technischen Standes der Kommunikationsmöglichkeiten zB per e-mail, Übertragungsmöglichkeiten von Tonaufzeichnungen per e-mail mittels digitaler Technik und weiter fortschreitender technischer Möglichkeiten der Kommunikationsführung ist die Argumentation, dass die Leitung einer Kanzleiniederlassung durch einen anderswo ansässigen Rechtsanwalt im Außenverhältnis sämtlichen Erfordernissen gewissenhafter anwaltlicher Berufsausübung nicht in dem Maße gerecht werden kann, wie dies im Fall der gesetzlich geforderten Kanzleileitung durch einen ortsansässigen Anwalt zu bewerkstelligen sei, nicht mehr haltbar.

Ebenso geht die Argumentation eines im Interesse der Mandantschaft immer präsenten und aus dieser Sicht erhöhten kontaktbereiten Anwalt - durch die Übertragung der Leitung der Kanzleiniederlassung an einen anderen Berufskollegen ebenfalls ins Leere.

Abgesehen davon, dass der Beschwerdeführer seit Bekanntgabe der Führung einer Filialkanzlei per 10.05.2001 an den Ausschuss der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer de facto zwei Kanzleien betreibt, deren Betreuung bis dato äußerst reibungslos und unkompliziert erfolgt ist - nicht zuletzt aufgrund der oben aufgezeigten technischen Möglichkeiten, durchdachter Koordination des Verkehrs mit der Mandantschaft in beiden Kanzleien, stellt sich die Frage, warum es einen reibungslosen Ablauf der Führung von zwei Kanzleien durch den Beschwerdeführer hindern sollte, wenn sich der Beschwerdeführer, welcher im Durchschnitt einen 12-stündigen Arbeitstag bewerkstelligt, sich je 6 Stunden den beiden Kanzleien widmet. Insbesondere aufgrund der örtlichen Nähe der beiden Kanzleien in einer Entfernung von cirka 35 km.

Somit vermag auch die Begründung der OBDK, dass die Einrichtung von Kanzleifilialen von bestimmten Modalitäten ihrer Leitung abhängig gemacht wird, und plausiblen sachlichen Sorgfaltsanforderungen nicht nur an die anwaltliche Berufsausübung selbst, sondern auch deren organisatorische Grundlagen entspricht, nicht zu überzeugen.

...

Jeder Rechtsanwalt hat das Recht, seinen Beruf im ganzen Bundesgebiet frei auszuüben und auch seinen Berufssitz zu bestimmen, ohne dass ihm aber Kraft Gesetzes eine Residenzpflicht (Betriebspflicht) an seinem Berufssitz trifft.

Dies muss auch - im Zeitalter immer fortschreitender technischer Kommunikationsmöglichkeiten - für die Niederlassung gelten.

Darüber hinaus enthält die RAO keine Bestimmung, die den Rechtsanwalt - in zeitlicher Hinsicht - verpflichtet, am Ort seines Berufssitzes eine ausreichende anwaltliche Betreuung zu gewährleisten.

Durch die geltende Gesetzeslage, der Zulassung der Kanzleiniederlassung nur unter bestimmten Voraussetzungen, ergibt sich jedoch jedenfalls eine Beschränkung des Beschwerdeführers, welche das verfassungsgemäße Recht auf freie Niederlassungswahl beeinträchtigen.

Die derzeit geltenden Beschränkungen zur Errichtung einer Kanzleiniederlassung sind weder mit sachlichen Sorgfaltsanforderungen gewissenhafter anwaltlicher Berufsausübung, noch mit Erfordernissen im Mandantenverkehr zu begründen. Auch ein - von der OBDK nicht angezogenes Argument der Zustellung von Gerichtsstücken auch an die Kanzleiniederlassung vermag die Begründung für eine allenfalls nicht klaglose Kanzleileitung nicht zu erhärten.

Durch technische Einrichtungen wie Scanner, Telefax, e-mail, digitale Übermittlung von Sprachaufzeichnungen per e-mail, etc. kann jedenfalls ein reibungsloser und den sachlichen Sorgfaltsanforderungen zur ordnungsgemäßen Kanzleiführung von Kanzleisitz und Kanzleiniederlassung entsprechende Führung einer Kanzleiniederlassung gewährleistet werden.

Ebenso ist der Verkehr mit Mandanten duch geeignete Koordination von Terminen ohne weiteres und ohne jegliche Beeinträchtigung des Mandantenverkehrs zu bewerkstelligen.

Aus all diesen Gründen ist daher der §7a Abs1 RAO als gesetzwidrig [gemeint wohl: verfassungswidrig] aufzuheben."

3. Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie für die Abweisung der Beschwerde eintrat. Zum Regelungszweck des §7a Abs1 RAO führt sie aus, daß diese Bestimmung mit Bundesgesetz BGBl. I 1999/71 deswegen in die RAO Eingang gefunden habe, um die aus Art11 der Richtlinie 98/5/EG geschaffene Möglichkeit von Kanzleiniederlassungen für Rechtsanwälte aus einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union auch österreichischen Rechtsanwälten zu eröffnen. Dies jedoch unter der Voraussetzung, daß deren Leitung einem Rechtsanwalt, der seinen Kanzleisitz an der Adresse der Niederlassung hat, übertragen werde. Dem liege der Schutzzweck zugrunde, "daß im Fall der gesetzlich geforderten Kanzleileitung durch einen ortsansässigen (und deshalb im Interesse der Mandantschaft präsenten und aus dieser Sicht erhöht kontaktbereiten) Anwalt" den - ganz wesentlich auch an unmittelbar persönlicher Kontaktaufnahme zwischen Anwalt und Klienten orientierten - "Erfordernissen gewissenhafter anwaltlicher Berufsausübung" grundsätzlich besser Rechnung getragen werden könne, als dies durch eine ortsfremde Niederlassungsleitung gewährleistet sei.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Mit Bundesgesetz BGBl. I 1999/71 wurde die Errichtung von Kanzleiniederlassungen von Rechtsanwälten unter der Voraussetzung zugelassen, daß die Leitung dieser Niederlassungen einem Rechtsanwalt übertragen wird, der seinen Kanzleisitz an der Adresse der Niederlassung hat. Vor Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes durften Rechtsanwälte neben ihrer Kanzlei keine weitere(n) Filiale(n) errichten. Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zum damaligen Filialverbot (VfSlg. 13876/1994), in dem der Verfassungsgerichtshof gegenüber dieser Regelung weder aus dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes noch aus dem der Freiheit der Erwerbsausübung verfassungsrechtliche Bedenken gehegt hat, vermag der Verfassungsgerichtshof in der weit weniger eingriffsintensiven Bestimmung des §7a Abs1 RAO keine Verletzung dieser verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte zu erkennen.

Wenn der Beschwerdeführer geltend macht, §7a Abs1 RAO verstoße gegen die verfassungsgesetzlich gewährleistete Niederlassungsfreiheit, ist ihm bereits entgegenzuhalten, daß diese Regelung weder in den Schutzbereich des durch Art6 Abs1 StGG noch des durch Art2 Abs1 des 4. ZP zur EMRK garantierten Grundrechts auf Niederlassungsfreiheit eingreift: Es wird nämlich damit weder die durch Art6 Abs1 StGG gewährleistete Berechtigung, "in jedem Ort innerhalb des Staatsgebietes dauernd zu wohnen, sowie sich dortselbst vorübergehend aufzuhalten", berührt (VfSlg. 3248/1957, 7135/1973, 9123/1981; Morscher, Die Niederlassungsfreiheit und die Freiheit des Liegenschaftsverkehrs, in: Machacek/Pahr/Stadler, Grund- und Menschenrechte in Österreich II, 507 ff. [519]), noch jenes durch Art2 Abs1 des 4. ZP zur EMRK gewährleistete Recht beeinträchtigt, wonach jedermann, der sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Staates aufhält, berechtigt ist, sich dort frei zu bewegen und seinen Wohnsitz frei zu wählen.

Der Verfassungsgerichtshof sieht sich angesichts des vorliegenden Beschwerdefalles daher nicht veranlaßt, in eine Gesetzesprüfung des §7a Abs1 RAO einzutreten.

2. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat nicht stattgefunden. Daß der Vollzug mit einem in die Verfassungssphäre reichenden Fehler belastet wäre, wird vom Beschwerdeführer gar nicht behauptet und ist dem Verfassungsgerichtshof auch nicht erkennbar.

Das Verfahren hat aber auch nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder in anderer Weise wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Rechtsanwälte, Berufsrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2003:B470.2003

Dokumentnummer

JFT_09969077_03B00470_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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