TE Vwgh Erkenntnis 2008/9/18 2008/21/0087

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Veröffentlicht am 18.09.2008
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
19/05 Menschenrechte;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrPolG 2005 §31 Abs1;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
MRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des M, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 10. August 2007, Zl. St. 197/07, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der im Oktober 1982 geborene Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste am 22. Dezember 2000 illegal nach Österreich ein und stellte noch am selben Tag einen Asylantrag. Das darüber geführte Verfahren wurde mit Wirkung vom 20. Februar 2006 - infolge Zurückziehung der gegen den erstinstanzlichen, den Asylantrag abweisenden und die Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei feststellenden Bescheid des Bundesasylamtes vom 14. März 2002 erhobenen Berufung -

rechtskräftig negativ beendet.

Der Beschwerdeführer wurde sodann mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land vom 22. Mai 2007 gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG aus dem Bundesgebiet ausgewiesen. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 10. August 2007 keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid bestätigt.

In der Begründung gab die belangte Behörde zunächst die Sachverhaltsfeststellungen der Erstbehörde wieder, stellte den Inhalt der Berufung dar und zitierte die maßgeblichen Rechtsvorschriften. Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führte sie dann anknüpfend an die Beendigung des Asylverfahrens weiter aus, der Beschwerdeführer halte sich seit 20. Februar 2006 unrechtmäßig im Bundesgebiet auf. Angesichts der bisherigen Aufenthaltsdauer und in Anbetracht der Tatsache, dass die "gesamte Verwandtschaft" des Beschwerdeführers, einschließlich seines die österreichische Staatsbürgerschaft besitzenden Vaters, in Österreich lebe, werde - so die belangte Behörde unter dem Gesichtspunkt des § 66 Abs. 1 FPG - durch die Ausweisung "sicherlich in erheblichem Ausmaß" in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers eingegriffen. Das Gewicht der aus der Aufenthaltsdauer ableitbaren Integration werde jedoch dadurch erheblich gemindert, dass der Aufenthalt während des Asylverfahrens aufgrund eines letztlich unbegründeten Antrages nur temporär berechtigt gewesen sei. Im Übrigen halte sich der Beschwerdeführer seit etwa eineinhalb Jahren illegal in Österreich auf. Die öffentliche Ordnung werde aber schwerwiegend beeinträchtigt, wenn sich einwanderungswillige Fremde unerlaubt nach Österreich begeben, um damit die inländischen Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen. Das gelte auch dann, wenn Fremde nach Auslaufen einer Aufenthaltsberechtigung bzw. nach Abschluss eines Asylverfahrens das Bundesgebiet nicht rechtzeitig verlassen. Die Ausweisung sei in solchen Fällen erforderlich, um jenen Zustand herzustellen, der bestünde, wenn sich der Fremde gesetzestreu verhalten hätte. Vor diesem Hintergrund sei auch das Ermessen nicht zugunsten des Beschwerdeführers zu üben, insbesondere weil das dem Beschwerdeführer vorwerfbare (Fehl-)Verhalten (mehrmonatiger illegaler Aufenthalt trotz abgeschlossenen Asylverfahrens) im Verhältnis zu der vom Beschwerdeführer geltend gemachten, allerdings (wie erwähnt) erheblich zu relativierenden Integration überwiege und weil auch sonst keine besonderen, für eine Ermessensübung zugunsten des Beschwerdeführers sprechenden Umstände ersichtlich seien.

Darüber hinaus finden sich im angefochtenen Bescheid noch - mit Beziehung auf die schlepperunterstützte Einreise des Beschwerdeführers vorgenommene - Ausführungen der belangten Behörde, dass es im Interesse der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens "unumgänglich" sei, dass auch gegen Personen "vorgegangen" werde, die bei ihrer Einreise die Dienste von Schlepperorganisationen bloß in Anspruch nähmen, weil diese Personen "die Basis für das kriminelle Handeln von Schlepperorganisationen bildeten".

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 5. Dezember 2007, B 1640/07-7, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof mit gesondertem Beschluss vom 30. Jänner 2008 zur Entscheidung abtrat. Über die sodann ergänzte Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Unter der Überschrift "Ausweisung Fremder ohne Aufenthaltstitel" ordnet § 53 Abs. 1 FPG an, dass Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden können, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. In der Beschwerde wird zugestanden, dass das Asylverfahren des Beschwerdeführers rechtskräftig beendet ist. Ihr sind auch keine Behauptungen zu entnehmen, dass eine der Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 31 Abs. 1 FPG - insbesondere die Erteilung eines Aufenthaltstitels - beim Beschwerdeführer vorläge. Dafür bestehen nach der Aktenlage auch keine Anhaltspunkte, sodass keine Bedenken gegen die behördliche Annahme bestehen, der Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG sei im vorliegenden Fall verwirklicht. Dem stand auch nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer gegen die Versagung einer Niederlassungsbewilligung eine (damals) noch nicht erledigte Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof eingebracht hat.

Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei einer Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt.

In diesem Zusammenhang verweist der Beschwerdeführer neuerlich auf seinen Aufenthalt in Österreich seit Dezember 2000 und darauf, dass hier sein die österreichische Staatsbürgerschaft besitzender Vater und seine "gesamte Verwandtschaft" - nach der Aktenlage sind damit u.a. auch die über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt-EG" verfügende Mutter des Beschwerdeführers und sein um ein Jahr älterer Bruder gemeint - lebe. Weiters betont der Beschwerdeführer seine seit Dezember 2001 weitgehend ununterbrochene Beschäftigung bei demselben Arbeitgeber aufgrund einer entsprechenden Bewilligung. Er habe daher seinen Unterhalt stets selbst finanziert und sich auch nie strafbar gemacht. Außerdem spreche er sehr gut Deutsch. Es könne somit von einer bestens gelungenen Integration ausgegangen werden, weshalb die Ausweisung einen unzulässigen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers darstelle.

Mit diesen Ausführungen zeigt der Beschwerdeführer insofern einen relevanten Begründungsmangel auf, als dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen ist, dass die belangte Behörde auf die fallbezogenen Besonderheiten ausreichend Bedacht genommen hätte. Einerseits kann der Beschwerdeführer nämlich auf eine mittlerweile doch sehr lange Aufenthaltsdauer in Österreich von (bis zum Bescheiderlassungszeitpunkt am 21. August 2007) sechs Jahren und acht Monaten verweisen und er war seit Dezember 2001 (somit fast sechs Jahre) im Wesentlichen durchgehend bei demselben Arbeitgeber beschäftigt. Von daher gleicht der Fall weitgehend jenem, der dem hg. Erkenntnis vom 17. Juli 2008, Zl. 2007/21/0074, zugrunde lag. Auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses kann daher insoweit gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen werden.

Darüber hinaus kann der Beschwerdeführer im vorliegenden Fall auch noch auf familiäre Anknüpfungspunkte verweisen, wobei die österreichische Staatsbürgerschaft des Vaters des Beschwerdeführers und der gemeinsame Haushalt mit den Eltern - auch wenn der Beschwerdeführer bereits erwachsen ist - besonders ins Gewicht fallen. Auch diese familiären Bindungen hätten die belangte Behörde veranlassen müssen, sich mit den konkreten Auswirkungen der verfügten Aufenthaltsbeendigung auf das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers eingehender zu befassen. Die nur formelhaft vorgenommene Interessenabwägung wird den Besonderheiten dieses Falles nicht gerecht (vgl. dazu die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes vom 5. März 2008, B 1918/07, und B 61/08, sowie vom 13. März 2008, B 1032/07; siehe zuletzt auch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 25. Juni 2008, B 2369/07).

Anders als die belangte Behörde meint, kommt schließlich auch dem Gesichtspunkt, dass der Beschwerdeführer (bezogen auf den Bescheiderlassungszeitpunkt) vor fast sieben Jahren mit Hilfe eines Schleppers eingereist ist, jedenfalls nach so langer Zeit für die Frage der aktuellen Berechtigung einer Ausweisung keine Bedeutung mehr zu. Die gegenteilige Auffassung der belangten Behörde lässt sich nicht - wie sie im angefochtenen Bescheid formulierte - "unter Berücksichtigung" des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Februar 2005, Zl. 2004/21/0242, vertreten, sondern sie steht vielmehr im ausdrücklichen Widerspruch zu den diesbezüglichen Erwägungen in dem genannten Erkenntnis. Auf die dortigen Entscheidungsgründe kann insoweit gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen werden (vgl. daran anschließend das Erkenntnis vom 15. März 2005, Zl. 2005/21/0011, und das schon zum FPG ergangene hg. Erkenntnis vom 27. März 2007, Zl. 2006/21/0277; idS zuletzt auch das Erkenntnis vom 7. Februar 2008, Zl. 2007/21/0442).

In der Beschwerde wird - wie schon in der Berufung - aber auch noch die Auffassung vertreten, der Beschwerdeführer sei in Österreich "ordnungsgemäß" im Sinne des Art. 6 Abs. 1 ARB Nr. 1/80 beschäftigt. Mit diesem gemeinschaftsrechtlich begründeten Aufenthaltsrecht des Beschwerdeführers als "Assoziationstürke", gegen den nur unter eingeschränkten und hier nicht gegebenen Voraussetzungen die Erlassung einer Ausweisung zulässig sei, habe sich die belangte Behörde überhaupt nicht auseinandergesetzt.

Mit dieser - an sich berechtigten - Kritik, dass sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid insoweit nicht mit dem Berufungsvorbringen befasst habe, wird aber mangels Relevanz eines diesbezüglichen Begründungsmangels keine entscheidungswesentliche Unterlassung aufgezeigt. Entgegen der Beschwerdemeinung ist nämlich - wie zur Klarstellung noch anzumerken ist - schon mangels gesicherter aufenthaltsrechtlicher Position nicht von einer "ordnungsgemäßen Beschäftigung" des Beschwerdeführers im Sinne der genannten Bestimmung des ARB Nr. 1/80 auszugehen (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 16. Jänner 2007, Zl. 2006/18/0402, mit weiteren Nachweisen).

Angesichts der dem angefochtenen Bescheid anhaftenden, bereits oben angesprochenen Begründungsmängel war dieser aber gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 18. September 2008

Schlagworte

Begründung BegründungsmangelBesondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2008210087.X00

Im RIS seit

17.10.2008

Zuletzt aktualisiert am

13.03.2012
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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