TE Vwgh Erkenntnis 2008/10/14 2008/22/0547

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Veröffentlicht am 14.10.2008
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Index

E000 EU- Recht allgemein;
E2A Assoziierung Türkei;
E2A E02401013;
E2A E11401020;
E2D Assoziierung Türkei;
E2D E02401013;
E2D E05204000;
E2D E11401020;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

21970A1123(01) ZusProt AssAbk Türkei Art41;
ARB1/80 Art7;
B-VG Art130 Abs2;
EURallg;
FrG 1997 §21 Abs3;
FrG 1997 §34 Abs1 Z2;
FrG 1997 §34;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl sowie die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des ÜY in L, geboren am 7. April 1986, vertreten durch Mag. Michael-Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13/II, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 21. Oktober 2005, Zl. 2 F/455/2005, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der in der Türkei befindliche Beschwerdeführer stellte am 20. August 2001 einen Erstantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft" mit seinem bereits jahrelang in Österreich aufhältigen und hier erwerbstätigen Vater. Dieser wurde am 31. Jänner 2002 von der erstinstanzlichen Behörde vernommen und gab dabei an, dass seine Ehefrau und seine Kinder - darunter der Beschwerdeführer - im August 2001 Niederlassungsbewilligungen beantragt hätten. Dem Vater des Beschwerdeführers wurde dabei laut Protokoll zur Kenntnis gebracht, dass eine Familienzusammenführung mit dem Beschwerdeführer nicht mehr möglich sei, da dieser das 15. Lebensjahr bereits vollendet habe.

Auf Grund dieser Rechtsbelehrung stellte der Beschwerdeführer am 15. Juli 2002 einen Erstantrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für den Aufenthaltszweck "Student" und gab dabei an, ein "Bundesgymnasium und Bundesrealgym." besuchen zu wollen. Weiters wurde im Antrag auf den hier befindlichen Vater des Beschwerdeführers und seine 1997 und 1999 geborenen Geschwister hingewiesen. Hierauf wurde dem Beschwerdeführer eine Aufenthaltserlaubnis mit Gültigkeit bis 31. Dezember 2002 erteilt. Er stellte am 5. Dezember 2002 einen diesbezüglichen Verlängerungsantrag und brachte dabei vor, dass er sich seit 23. September 2002 in Österreich aufhalte. In der Folge wurden ihm Aufenthaltserlaubnisse zum Zweck "Ausbildung, § 7 Abs. 4 Z 1 FrG", zuletzt mit Gültigkeit bis 20. Jänner 2005, ausgestellt. Am 20. Dezember 2004 stellte er einen Verlängerungsantrag für den Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft, § 20 Abs. 1 FrG".

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer im Instanzenzug gemäß § 34 Abs. 1 Z 2 iVm § 10 Abs. 2 Z 1 und 2, § 12 Abs. 2a und § 37 des (bis 31. Dezember 2005 in Geltung gestandenen) Fremdengesetzes 1997 - FrG aus.

Zur Begründung verwies sie auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Bescheid vom 21. Juli 2005 (auf die im Folgenden noch zurück zu kommen sein wird) und schloss sich ausdrücklich der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides an. Ergänzend führte sie lediglich aus, dass das vom Beschwerdeführer geschilderte Krankheitsbild seines Vaters zwar bedauerlich sei, er jedoch seinen Vater vom Ausland aus finanziell unterstützen könne. Da sich auch die Mutter und die Geschwister des Beschwerdeführers im Bundesgebiet aufhielten, komme es durch die Ausweisung zu einem relevanten Eingriff in sein Familienleben, der jedoch dadurch relativiert werde, dass "auch" diese Familienmitglieder nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig seien, weshalb ein Ausweisungsverfahren in erster Instanz eingeleitet worden sei. Als einziger seiner Familie befinde sich der Vater legal in Österreich und leide unter starker Depression, weshalb er nach dem Berufungsvorbringen in Therapie stehe. Die belangte Behörde vertrete die Ansicht, dass der Vater bis zur Legalisierung des Aufenthaltes seiner Familie mit dieser ausreisen könnte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten seitens der belangten Behörde erwogen:

Die §§ 34, 10 und 12 FrG lauten (auszugsweise) mit Überschrift:

"Ausweisung Fremder mit Aufenthaltstitel

§ 34. (1) Fremde, die sich auf Grund eines Aufenthaltstitels oder während eines Verfahrens zur Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels im Bundesgebiet aufhalten, können mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn

1. nachträglich ein Versagungsgrund eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre oder

2. der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund entgegensteht oder

3. der Aufenthaltstitel einem Fremden erteilt wurde, weil er sich auf eine Ehe berufen hat, obwohl er ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK nicht geführt hat.

...

Versagung eines Einreise- oder Aufenthaltstitels

§ 10. (1) ...

(2) Die Erteilung eines Einreise- oder Aufenthaltstitels kann wegen Gefährdung öffentlicher Interessen (§ 8 Abs. 3 Z 2) insbesondere versagt werden, wenn

1. der Fremde nicht über einen alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt oder im Gesundheitszeugnis gemäß § 8 Abs. 6 und 7 eine schwerwiegende Erkrankung aufweist oder nicht über ausreichende eigene Mittel zu seinem Unterhalt oder - bei der Erteilung eines Einreise- oder befristeten Aufenthaltstitels - für die Wiederausreise verfügt;

2. der Aufenthalt des Fremden zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte, es sei denn, diese Belastung ergäbe sich aus der Erfüllung eines gesetzlichen Anspruches;

3. ...

Versagung eines Aufenthaltstitels

§12. ...

(2a) Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für einen ausschließlich dem Zweck eines Studiums oder einer Schulausbildung dienenden Aufenthalt ist nicht zu versagen, wenn für den Betroffenen für eine dem Ausländerbeschäftigungsgesetz unterliegende Erwerbstätigkeit eine Beschäftigungsbewilligung oder eine Bestätigung der Anzeige einer Beschäftigung als Volontär ausgestellt wurde, sofern die Erwerbstätigkeit nicht der überwiegenden Deckung des Unterhalts des Betroffenen dient. Dasselbe gilt in Bezug auf eine selbständige Erwerbstätigkeit des Betroffenen auf Werkvertragsbasis."

Die erstinstanzliche Behörde hat in ihrem Bescheid ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer eine Beschäftigungsbewilligung (in einer Pizzeria) mit einer Gültigkeit vom 18. September 2004 bis 20. Jänner 2005 erteilt worden sei, dies jedoch nur für eine geringfügige Beschäftigung. Anlässlich einer Kontrolle dieses Lokals durch das Zollamt Graz sei am 3. März 2005 festgestellt worden, dass der Beschwerdeführer im Zeitraum vom 21. Jänner 2005 bis 3. März 2005 illegal beschäftigt gewesen sei. Der Vater des Beschwerdeführers sei im Besitz einer unbefristeten Niederlassungsbewilligung und beziehe Sozialhilfe. Die Mutter sowie die Geschwister des Beschwerdeführers seien im Besitz von Niederlassungsbewilligungen als Familienangehörige und es seien gegen sie mit Bescheiden vom 23. Februar 2005 Ausweisungen erlassen worden, welche noch nicht rechtskräftig seien.

Rechtlich folgerte die erstinstanzliche Behörde, dass der Beschwerdeführer in der Pizzeria mit 150 bis 160 Stunden monatlich voll beschäftigt sei und damit sein Aufenthalt in Österreich entgegen § 12 Abs. 2a FrG zum überwiegenden Teil nicht dem Schulbesuch, sondern der Erwerbstätigkeit dienen würde. Zum anderen sei der Unterhalt des Beschwerdeführers in Österreich nicht gesichert, weil seinem Vater Sozialhilfe gewährt worden sei.

Die belangte Behörde traf im angefochtenen Bescheid keine Feststellungen, sondern folgerte bei ihrer Beurteilung nach § 37 FrG, dass der mit der Ausweisung verbundene Eingriff in das Familienleben des Beschwerdeführers dadurch relativiert werde, dass seine Mutter und seine Geschwister nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig seien, weshalb ein Ausweisungsverfahren "eingeleitet" worden sei. Demgegenüber hatte die erstinstanzliche Behörde festgestellt, dass bereits - nicht rechtskräftige - Ausweisungen erlassen worden seien.

Der belangten Behörde ist vorzuwerfen, dass sie keine Begründung dafür abgab, warum sie das ihr nach § 34 FrG eingeräumte Ermessen zu Ungunsten des Beschwerdeführers ausgeübt hat. Dieser Verfahrensmangel ist relevant, ist doch im Fall des Beschwerdeführers zu berücksichtigen, dass er auf Grund einer unrichtigen Auskunft der erstinstanzlichen Behörde den ursprünglich gestellten Antrag auf Familienzusammenführung durch einen solchen auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ersetzt hat. Die Einschränkung des Familiennachzugs für Kinder eines türkischen Zusammenführenden auf ein Alter vor Vollendung des 15. Lebensjahres stellt nämlich einen Verstoß gegen Art. 41 ("Verbot neuer Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit") des Zusatzprotokolls vom 23. November 1970 zum Assoziationsabkommen EWG-Türkei dar (vgl. näher das hg. Erkenntnis vom 18. Dezember 2003, 2002/12/0093) und es fallen unter den Begriff "Familienangehörige" im Sinn des Art. 7 des Beschlusses des - durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichteten - Assoziationsrates vom 19. September 1980, Nr. 1/80, über die Entwicklung der Assoziation (ARB), neben Ehegatten auch Kinder, die das 21. Lebensjahr noch nicht erreicht haben und darüber hinaus, wenn sie Unterhalt erhalten (so auch Akyürek, Das Assoziationsabkommen EWG-Türkei (2005), Seite 94 f). Der Familiennachzug wurde dem Beschwerdeführer allein unter Hinweis auf § 21 Abs. 3 FrG und sein Alter - somit rechtsirrtümlich - verwehrt; andernfalls hätte er bereits eine Rechtsstellung nach Art. 7 ARB erreicht und demnach eine Beschäftigung in Österreich ausüben dürfen. Damit wäre beiden von der belangten Behörde herangezogenen Versagungsgründen (unzulässige Erwerbstätigkeit statt Studium; Fehlen der - legalen - Unterhaltsmittel) für die Verlängerung seiner Aufenthaltsberechtigung der Boden entzogen gewesen. Diese Überlegung hätte in die mit einer Ausweisung verbundene Ermessensentscheidung einbezogen werden müssen.

Bei einer Beurteilung nunmehr nach § 66 iVm § 60 Abs. 6 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG wird die belangte Behörde auf den Stand bzw. das Ergebnis der Ausweisungsverfahren der Familienangehörigen des Beschwerdeführers Bedacht zu nehmen haben. Mit hg. Erkenntnis vom 28. Februar 2006, 2005/21/0432 bis 0434, wurden nämlich die diese betreffenden Ausweisungsbescheide wegen Rechtswidrigkeit ihrer Inhalte aufgehoben, weil den Familienangehörigen Niederlassungsbewilligungen zum Familiennachzug erteilt wurden, diese Angehörigen somit bereits Berechtigungen nach Art. 7 ARB erlangt haben dürften und daher die Überlegungen im hg. Erkenntnis vom 8. September 2005, 2005/21/0113, 0114, zutreffen.

Da nach dem Gesagten der belangten Behörde ein relevanter Verfahrensmangel vorzuwerfen ist, war der Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 14. Oktober 2008

Schlagworte

Ermessen besondere RechtsgebieteErmessen VwRallg8Begründung BegründungsmangelVerfahrensbestimmungen ErmessenGemeinschaftsrecht Auslegung des Mitgliedstaatenrechtes EURallg2Besondere RechtsgebieteAuslegung unbestimmter Begriffe VwRallg3/4Gemeinschaftsrecht Auslegung Allgemein EURallg3

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2008220547.X00

Im RIS seit

13.11.2008

Zuletzt aktualisiert am

08.09.2015
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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