TE Vwgh Erkenntnis 2008/12/10 2008/22/0843

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Veröffentlicht am 10.12.2008
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
19/05 Menschenrechte;
24/01 Strafgesetzbuch;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrPolG 2005 §56 Abs1;
FrPolG 2005 §56 Abs2 Z1 erster Fall;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
MRK Art8;
StGB §233 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl sowie die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des R V in N, vertreten durch Dr. Peter Lechenauer und Dr. Margrit Swozil, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Hubert-Sattler-Gasse 10, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg vom 20. August 2008, Zl. Fr-374/08, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg (die belangte Behörde) gegen den Beschwerdeführer, einen serbischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 iVm § 63 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein unbefristetes Aufenthaltsverbot.

Die belangte Behörde legte ihre Entscheidung die Feststellungen zugrunde, dass der Beschwerdeführer durch das Landesgericht Klagenfurt am 20. Dezember 2007 wegen des Verbrechens der versuchten Bestimmung zur Weitergabe und des Besitzes nachgemachten oder verfälschten Geldes nach den §§ 12 (zweite Alternative), 15, 233 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden sei. Der Beschwerdeführer habe in der Zeit vom 14. Juni 2007 bis 11. Juli 2007 in Salzburg und Villach im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit einem Mittäter versucht, weitere Täter dazu zu bestimmen, nachgemachtes Geld im Nennwert von EUR 20 Mio. nach Österreich einzuführen, in Österreich zu einem über Vermittlung des Beschwerdeführers vereinbarten Treffpunkt zu befördern und dort an einen verdeckten Ermittler zu übergeben; dabei habe der Beschwerdeführer in der Absicht gehandelt, dass das nachgemachte Geld als echt und unverfälscht ausgegeben werde.

Der Beschwerdeführer sei im September 1979 (somit im Alter von knapp 23 Jahren) nach Österreich eingereist und halte sich seither langjährig rechtmäßig im österreichischen Bundesgebiet auf. Bis zum Jahr 1996 sei er einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit nachgegangen und habe dann bis August 2005 Arbeitslosengeld bezogen. Seit diesem Zeitpunkt erhalte er einen Pensionsvorschuss.

Er bewohne gemeinsam mit seiner Ehefrau, die ebenfalls serbische Staatsangehörige sei, eine Eigentumswohnung in Salzburg; wegen deren Ankaufs sei er mit rund EUR 160.000,-- verschuldet. Der Beschwerdeführer und seine Ehefrau hätten einen Antrag auf Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitspension gestellt; die beiden seien gesundheitlich beeinträchtigt (nach den Feststellungen des Erstbescheides "schwerst beeinträchtigt"). Ihre beiden erwachsenen Kinder, die österreichische Staatsbürger seien, lebten ebenfalls in Salzburg.

In rechtlicher Hinsicht erachtete die belangte Behörde aufgrund der Verurteilung des Beschwerdeführers den Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG als verwirklicht und erstellte für dessen zukünftiges Verhalten eine negative Prognose derart, dass sein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährde. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei zum Schutz des wirtschaftlichen Wohls der Republik Österreich und zur Verhinderung strafbarer Handlungen - somit zur Erreichung von in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen - dringend geboten.

Durch seine Verurteilung habe der Beschwerdeführer seine besondere Gefährlichkeit für die Gesellschaft deutlich zum Ausdruck gebracht; diese Gefährlichkeit berühre zweifellos auch ein Grundinteresse der Gemeinschaft insoweit, als "der Fälschungssicherheit des sich in Österreich befindlichen Geldes oberste Priorität einzuräumen" sei. Präventive Maßnahmen für eine Sicherstellung der Echtheit der in Österreich sich im Umlauf befindlichen Banknoten sowie die Verhinderung von Handlungen zum "In-den-Umlauf-Bringen" von verfälschten Banknoten seien von oberster Priorität; allfällige Zuwiderhandlungen seien rigoros zu ahnden.

Nur durch die Beendigung des Aufenthalts des Beschwerdeführers in Österreich sei gesichert, dass von diesem zukünftig keine ähnlich gelagerten Straftaten im Bundesgebiet begangen würden und somit die öffentliche Ordnung und Sicherheit gemäß § 60 Abs. 1 FPG von ihm nicht mehr gestört werde. Eine positive Zukunftsprognose könne für den Beschwerdeführer aufgrund des von ihm gezeigten Verhaltens in Österreich nicht erstellt werden. Ein etwaiger Rückfall bzw. die Wiederholung einer derartigen Tatbegehung sei mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu befürchten, weil der Beschwerdeführer aufgrund des Erwerbs seiner Eigentumswohnung hoch verschuldet sei und bei derartigen Geldfälschungsdelikten ein sehr hoher Gewinn erzielt werden könne.

In Hinblick auf die rechtskräftige Verurteilung wegen eines Verbrechens sei die "Anwendbarkeit des § 55 Abs. 3 Z. 1 FPG ausgeschlossen". § 61 Z. 4 FPG stehe der Erlassung des Aufenthaltsverbots nicht entgegen, weil der Beschwerdeführer nicht von klein auf im Inland aufgewachsen sei.

Bei der Beurteilung gemäß § 60 Abs. 6 iVm § 66 FPG ging die belangte Behörde zwar angesichts der festgestellten, bereits wiedergegebenen Umstände von einem Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers durch die Erlassung des unbefristeten Aufenthaltsverbotes aus. Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung gemäß § 66 Abs. 2 FPG vertrat die belangte Behörde allerdings die Ansicht, dass die privaten Interessen des Beschwerdeführers aufgrund des gravierenden Urteils relativiert würden; zur strikten Einhaltung der Bestimmungen des Fremdenpolizeiwesens bestehe ein eminent hohes öffentliches Interesse an der Entfernung des Beschwerdeführers aus dem österreichischen Bundesgebiet. Dabei würden die Umstände berücksichtigt, dass mittlerweile Österreich zum Mittelpunkt der Lebensinteressen des Beschwerdeführers geworden sei und dieser zu Serbien keine Kontakte mehr pflege. Auch unter strenger Berücksichtigung des Art. 8 EMRK sei die Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes für das wirtschaftliche Wohl und für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung sowie zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen unabdingbar und auch gesetzlich zulässig.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Gemäß § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z. 1) oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen (diese Konventionsbestimmung nennt die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung, die Verhinderung von strafbaren Handlungen, den Schutz der Gesundheit und der Moral und den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) zuwiderläuft (Z. 2).

In § 60 Abs. 2 FPG sind demonstrativ Sachverhalte angeführt, die als bestimmte Tatsachen im Sinn des § 60 Abs. 1 leg. cit. gelten, bei deren Verwirklichung die dort genannte Annahme gerechtfertigt sein kann. Bei Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und aufgrund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und in Hinblick auf welche Umstände die in § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. August 2008, 2008/22/0652). Gemäß § 56 Abs. 1 FPG dürfen Fremde, die vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtsmäßig niedergelassen waren und über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" oder "Daueraufenthalt - Familienangehöriger" verfügen, nun mehr ausgewiesen werden, wenn ihr weiterer Aufenthalt eine schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.

Als schwere Gefahr in diesem Sinn hat gemäß § 56 Abs 2 Z. 1 erster Fall FPG insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist.

Durch die rechtskräftige Verurteilung des Beschwerdeführers zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zwei Jahren wurde der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 erster Fall FPG verwirklicht. Der Gerichtshof hegt auch keine Bedenken gegen die weitere behördliche Ansicht, dass mit Blick auf das Fehlverhalten des Beschwerdeführers die Gefährlichkeitsprognose im Sinn des § 60 Abs. 1 FPG gerechtfertig ist. Im Übrigen hält das Aufenthaltsverbot auch einer Prüfung nach der hier maßgeblichen - erhöhte Anforderungen verlangenden - Prognose nach § 56 Abs. 1 FPG (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. November 2008, 2008/21/0603) stand, zumal auch der Tatbestand des § 56 Abs. 2 Z. 1 erster Fall FPG erfüllt ist.

Der Verwaltungsgerichtshof vermag sich allerdings der behördlichen Beurteilung nach § 60 Abs. 6 iVm § 66 Abs. 1 und 2 FPG nicht anzuschließen:

Nach diesen Bestimmungen ist die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes - wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen würde - zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Das Aufenthaltsverbot darf jedenfalls nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung, wobei bei dieser Abwägung insbesondere auf die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen sowie auf die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen Bedacht zu nehmen ist.

Der Beschwerdeführer wurde zwar wegen eines tatsächlich erheblichen Vermögensdeliktes nach § 233 Abs. 1 und 2 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Dem steht allerdings ein besonders hohes Ausmaß an privaten und familiären Bindungen des Beschwerdeführers im Bundesgebiet gegenüber: Der zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides knapp 52-jährige Beschwerdeführer hält sich seit fast dreißig Jahren im Bundesgebiet auf und war hier jahrelang berufstätig. Er lebt hier mit seiner Ehefrau in einer Eigentumswohnung; seine zwei erwachsenen Kinder, die österreichische Staatsbürger sind, leben in derselben Stadt. Sowohl der Beschwerdeführer als auch seine Ehefrau sind gesundheitlich beeinträchtigt.

Der Gerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass ein über zehnjähriger (rechtmäßiger) inländischer Aufenthalt im Zusammenhang mit einem durch Art. 8 EMRK geschützten familiären Zusammenleben den persönlichen Interessen des Fremden am Verbleib im Bundesgebiet großes Gewicht verleiht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 2004, 2004/18/0210).

Angesichts des - im vorliegenden Fall gegebenen - fast dreißig Jahre dauernden rechtmäßigen Aufenthalts des Beschwerdeführers in Österreich, dessen beruflicher Integration und maßgeblichen persönlichen Bindungen zu sich im Bundesgebiet rechtmäßig (Gegenteiliges wurde von der belangten Behörde auch in Bezug auf die Ehefrau des Beschwerdeführers nicht festgestellt) aufhaltenden Personen reicht das festgestellte Fehlverhalten - wenn dieses auch in keiner Weise verharmlost werden soll - nicht aus, um die öffentlichen Interessen an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes gleich schwer gewichten zu können wie die persönlichen Interessen des Fremden am Verbleib im Bundesgebiet (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 28. August 2008, 2008/22/0523, sowie vom 2. Oktober 2008, 2007/18/0014).

Da die belangte Behörde insofern die Rechtslage erkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 10. Dezember 2008

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2008220843.X00

Im RIS seit

22.01.2009

Zuletzt aktualisiert am

27.02.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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