TE Vfgh Erkenntnis 2003/11/24 B756/01

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Veröffentlicht am 24.11.2003
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Index

80 Land-und Forstwirtschaft
80/01 Organisationsrecht

Norm

B-VG Art12 Abs2
EMRK Art6 Abs1 / civil rights
EMRK Art6 Abs1 / Tribunal
AgrBehG §5 Abs2, §6 Abs2
AVG §52

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Tribunal durch die Betrauung eines stimmführenden Mitgliedes des Agrarsenates mit der Erstattung eines Gutachtens in einem - zivilrechtliche Ansprüche betreffenden - Sonderteilungsverfahren bezüglich Ausscheidung eines Gutes aus einer Agrargemeinschaft; Erweckung von Zweifeln an Unbefangenheit und Neutralität der Mitglieder der belangten Behörde

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in seinem durch Art6 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteilichen Tribunal verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Das Land Salzburg ist verpflichtet, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit € 2.143,85 bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer P ist Eigentümer der Liegenschaft S, zu der folgende Einforstungsrechte gehören: ein Holzbezugs- und ein Streubezugsrecht sowie zwei Schafweiderechte. Im Zuge des durch Antrag Ps auf Ablöse der Nutzungsrechte in Grund eingeleiteten Servitutenverfahrens gemäß dem Salzburger Einforstungsrechtegesetz (EFRG) begehrte die FS Familienstiftung als Eigentümerin der verpflichteten Liegenschaft die Feststellung der Entbehrlichkeit der Nutzungsrechte für das berechtigte Gut und stellte den Antrag auf Ablöse in Geld. Mit erstinstanzlichem Bescheid wurde die Ablöse der Nutzungsrechte in Geld festgelegt. Der Salzburger Landesagrarsenat (LAS) wies die dagegen eingebrachte Berufung als unbegründet ab, der angerufene Verwaltungsgerichtshof behob jedoch den Berufungsbescheid. In Entsprechung dieses Erkenntnisses hat die belangte Behörde die Angelegenheit an die Agrarbehörde erster Instanz zurückverwiesen. Mit Bescheid der Agrarbehörde erster Instanz wurden die Einforstungsrechte neuerlich in Geld abgelöst und der Antrag auf Ablöse in Grund abgewiesen. Anläßlich der Berufung gegen diesen Bescheid erteilte der Vorsitzende des Salzburger LAS dem landwirtschaftlichen Sachverständigen DI. J, Mitglied des in dieser Sache erkennenden Senats, den Auftrag, ein Gutachten darüber zu erstellen, ob die vorliegenden Einforstungsrechte für die berechtigte Liegenschaft dauernd entbehrlich geworden sind. Mit Bescheid des LAS vom 20. Oktober 2000 wurde die Berufung des Beschwerdeführers als unbegründet abgewiesen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Unverletzlichkeit des Eigentums und auf Erwerbsausübungsfreiheit sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, nämlich des Salzburger EFRG, geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.

Der Beschwerdeführer brachte vor, die in §32 Abs1 Z2 Salzburger EFRG für zulässig erklärte Ablöse der Nutzungsrechte in Geld, wenn und insoweit sie für das berechtigte Gut dauernd entbehrlich sind, widerspreche der Textierung der Regulierungsurkunde Nr. 312, die ihm die Einforstungsrechte für immerwährende Zeiten garantiere. Die dessen ungeachtet gegen seinen Willen erfolgte Ablöse in Geld komme einer Enteignung gleich, die sein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht auf Eigentum verletze. Hilfsweise stütze er seine Ausführungen auch noch auf die Verletzung der Art6 Abs1 und Art7 StGG. Er führt weiter aus, die ihm zustehenden Rechte seien nicht entbehrlich, da er das Holz zum Heizen benötige und er durch das angefochtene Erkenntnis gezwungen sei, seine landwirtschaftlichen Tätigkeiten zur Gänze einzustellen und somit seine Erwerbstätigkeit aufzugeben. Aus der Tatsache, daß §32 Abs1 Z2 Salzburger EFRG die Ablöse der Einforstungsrechte in Geld bei dauernder Entbehrlichkeit für zulässig erkläre, ergäben sich verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Bestimmung in Zusammenhalt mit den §§33, 34 und 35 sowie 24 Abs1 und 4, §25 Abs1 Salzburger EFRG. Weiters wurden gemeinschaftsrechtliche Bedenken vorgebracht.

II. 1. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen. Sie führt hinsichtlich der zitierten Bestimmungen des Salzburger EFRG aus, daß diese im wesentlichen auf die entsprechenden Bestimmungen des Grundsatzgesetzes aufbauten, sodaß, wenn die Bestimmungen des Salzburger EFRG verfassungswidrig wären, auch das Grundsatzgesetz nicht verfassungskonform wäre. Der Beschwerdeführer irre über die Rechtsnatur von Einforstungsrechten. Es handle sich um öffentliche Rechte, die einer Enteignung, wie der Beschwerdeführer sie annimmt, nicht zugänglich seien. Im konkreten Fall würden die Einforstungsrechte in eine Geldleistung umgewandelt, womit aber der Nutzen aus dem Einforstungsrecht nicht geschmälert werde. Aus dem Gutachten des landwirtschaftlichen Sachverständigen sei schlüssig erkennbar, daß das Recht auf Dauer entbehrlich geworden sei.

2. Die FS Familienstiftung als Beteiligte beantragte in ihrer Äußerung, die Beschwerde abzuweisen und dem Beschwerdeführer den Ersatz ihrer Kosten aufzuerlegen. Sie führt aus, der Beschwerdeführer übersehe, daß die Einforstungsrechte von Lehre und Rechtsprechung ausschließlich dem öffentlichen Recht zugeordnet würden und daher eine Verletzung des Art5 StGG nicht gegeben sein könne, weil durch die angefochtene Entscheidung kein Privatrecht verletzt werde. Auch würde das Grundrecht auf Freiheit der Erwerbstätigkeit in keiner Weise berührt.

III. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Der Verfassungsgerichtshof ist bei der Entscheidung über Beschwerden nach Art144 B-VG nicht an die Beschwerdebehauptungen gebunden, soweit damit die Verletzung bestimmter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte geltend gemacht werden; vielmehr hat er zu untersuchen, ob der Beschwerdeführer in irgendeinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt wurde (vgl. zB VfSlg. 4062/1961, 12166/1989 und 14772/1997).

2. Im vorliegenden Fall hält der Verfassungsgerichtshof es für zweckmäßig, zunächst zu prüfen, ob der Beschwerdeführer im - von ihm nicht geltend gemachten - durch Art6 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Tribunal verletzt worden ist.

Gemäß Art12 Abs2 B-VG steht in den Angelegenheiten der Bodenreform die Entscheidung in oberster Instanz und in der Landesinstanz Senaten zu, "die aus dem Vorsitzenden und aus Richtern, Verwaltungsbeamten und Sachverständigen als Mitglieder bestehen".

Gemäß §5 Abs2 Agrarbehördengesetz 1950 idF BGBl. I 191/1999 gehören den Landesagrarsenaten als stimmberechtigte Mitglieder an:

"1. Ein rechtskundiger Landesbeamter als Vorsitzender,

2. drei Richter,

3. ein in der Angelegenheit der Bodenreform erfahrener rechtskundiger Landesbeamter als Berichterstatter,

4. ein in agrartechnischen Angelegenheiten erfahrener Landesbeamter des höheren Dienstes,

5. ein in forstrechtlichen Angelegenheiten erfahrener Landesbeamter des höheren Dienstes,

6. ein landwirtschaftlicher Sachverständiger im Sinne des §52 AVG 1950."

Art 12 Abs2 B-VG sieht die Mitwirkung von "Sachverständigen" als stimmberechtigte Mitglieder der Agrarsenate ausdrücklich vor. Die Heranziehung von "Sachverständigen" als sachkundige stimmberechtigte Mitglieder von Landesagrarsenaten ist daher verfassungsrechtlich nicht nur unbedenklich, sondern geradezu geboten (s. VfSlg. 8544/1979; vgl. VfSlg. 8796/1980, 9120/1981). Durch die Bestellung von sachkundigen, als "Sachverständige" bezeichneten Personen als Mitglieder eines Kollegialorgans wird jedoch nicht bewirkt, daß sie dadurch im Kollegialorgan als Sachverständige im Sinne des §52 AVG tätig werden. Die Sachverständigenqualität bildet zwar eine Voraussetzung für die Mitgliedschaft zum Landesagrarsenat; damit ist aber nicht die Stellung als Amtssachverständiger verbunden, sodaß sich die Annahme einer "Doppelfunktion" verbietet.

Sinn und Zweck des Ablöseverfahrens nach dem Salzburger EFRG ist es, bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen einer Ablöse von Nutzungsrechten (Einforstungsrechte) die adäquate Entschädigung des bisher Berechtigten durch Leistung des bisher Verpflichteten in Form der Abtretung von Grund oder der Zahlung eines Ablösekapitals (Geld) zu gewährleisten. Das Verfahren über die Ablöse von Einforstungsrechten betrifft sohin nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zivilrechtliche Ansprüche im Sinne der EMRK.

Art 6 EMRK verlangt, daß in Angelegenheiten, die als "civil rights" zu qualifizieren sind, ein unabhängiges und unparteiisches Tribunal tätig wird. Der Verfassungsgerichtshof hat dazu in Kongruenz mit der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte mehrfach ausgesprochen, daß ein Tribunal derart zusammengesetzt sein muß, daß keine berechtigten Zweifel an der Unabhängigkeit seiner Mitglieder entstehen; bei dieser Beurteilung ist auch der äußere Anschein von Bedeutung (vgl. VfSlg. 15507/1999, 15668/1999).

Wie sich aus den Verwaltungsakten ergibt, hat im Auftrag des Vorsitzenden des Landesagrarsenates ein fachkundiges Mitglied des Senats als Sachverständiger (im Sinne des §52 AVG) ein Gutachten erstellt. Hierbei handelt es sich um ein Gutachten im technischen Sinn und nicht nur um eine fachkundige, schriftlich niedergelegte Meinung. So hat der Sachverständige ein landwirtschaftliches Gutachten darüber abgegeben, "ob es sich bei der bestehenden Liegenschaft um einen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb handelt oder ob die Nutzungsrechte entbehrlich geworden sind". Das angefochtene Erkenntnis stützt sich in seiner Begründung auf die Schlüssigkeit dieses Gutachtens.

Die Betrauung eines sachkundigen stimmführenden Mitgliedes des Agrarsenates mit der Aufgabe, im Verfahren ein Gutachten in seiner Eigenschaft als Sachverständiger (im Sinne des AVG) zu erstatten, ist jedenfalls geeignet, einerseits an der Neutralität dieses Mitgliedes als Sachverständiger (vgl. VfSlg. 10701/1985), andererseits an seiner Unbefangenheit als Entscheidungsträger - zu dessen Aufgaben es unter anderem gehört, die Schlüssigkeit der eingeholten Sachverständigengutachten zu beurteilen - Zweifel aufkommen zu lassen, aber auch an der Unbefangenheit der übrigen Mitglieder des Landesagrarsenates, die ihre Entscheidung auf Gutachten von Mitgliedern ihres Senates gestützt haben.

Angesichts dieser Umstände konnten - insbesondere aufgrund der Doppelfunktion eines Mitgliedes des erkennenden Landesagrarsenats sowohl als Gutachter als auch als Entscheidungsträger in ein und demselben Verfahren - zumindest nach dem äußeren Anschein Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Landesagrarsenats als Tribunal im Sinne des Art6 EMRK entstehen. Bereits der äußere Anschein reicht aus, um eine Verletzung des Art6 EMRK zu bewirken.

Der Beschwerdeführer wurde durch den angefochtenen Bescheid in seinem aus Art6 EMRK abzuleitenden Recht auf ein faires Verfahren vor einem unparteiischen Tribunal verletzt; der Bescheid war daher aufzuheben, ohne daß zu prüfen war, ob dieser auch aus anderen Gründen mit Verfassungswidrigkeiten behaftet ist.

IV. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 327,03 sowie Eingabegebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 181,68 enthalten.

V. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z2 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Agrarbehörden, Agrarverfahren, Landesagrarsenat, Kollegialbehörde, Verwaltungsverfahren, Sachverständige, Amtspartei

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2003:B756.2001

Dokumentnummer

JFT_09968876_01B00756_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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