TE Vfgh Beschluss 2003/11/25 V87/03

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Veröffentlicht am 25.11.2003
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Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
ASVG §340a
ASVG §344, §345
Verordnung des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger "Einheitliche Grundsätze gemäß §340a ASVG über die EDV-Abrechnung der Vertragsärzte" vom 20.12.02

Leitsatz

Zurückweisung des Individualantrags mehrerer Zahnärzte auf Aufhebung einer Verordnung betreffend elektronische Abrechnungen von Vertragsärzten der Sozialversicherungsträger mangels Legitimation; Anrufung der Schiedskommission zumutbar

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. 1. Die Antragsteller, Fachärzte für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde mit Sitz in Niederösterreich, stehen seit Jahren in einem Vertragsverhältnis zur Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse.

Mit Schriftsatz vom 14. Juli 2003 begehren sie die Aufhebung näher bezeichneter Teile der Verordnung des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger "Einheitliche Grundsätze gemäß §340a ASVG über die EDV-Abrechnung der Vertragsärzte" vom 20. Dezember 2002, Verlautbarung Nr. 148/2002 (www.avsv.at), sowie der darin bezogenen Kundmachungen "Datensatzaufbau für Vertragsärzte. Formale und logische Prüfung" (www.sozialversicherung.at) und "Datensatzaufbau für Vertragsärzte. Codeverzeichnis" (www.sozialversicherung.at) als gesetzwidrig.

§340a ASVG (idF des Bundesgesetzes, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz geändert wird - 59. Novelle zum ASVG, BGBl. I Nr. 1/2002) lautet samt Überschrift wie folgt:

"Elektronische Abrechnung

§340a. Die Vertragsärzte sind verpflichtet, spätestens ab 1. Jänner 2003 die für die Versicherten (Angehörigen) erbrachten Leistungen mit den Versicherungsträgern nach einheitlichen Grundsätzen elektronisch abzurechnen. Diese Grundsätze sind bis 30. Juni 2002 vom Hauptverband festzulegen."

2. Der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger sowie der - als zuständige Aufsichtsbehörde (vgl. §448 Abs1 ASVG idF des Art73 des Budgetbegleitgesetzes 2003, BGBl. I Nr. 71/2003) am Verfahren beteiligte - Bundesminister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz haben jeweils eine schriftliche Äußerung zum Gegenstand erstattet, worin sie beantragen, den Antrag zurück-, in eventu abzuweisen.

II. 1.1. Gemäß Art139 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung und ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg. 8009/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung dargelegt hat, setzt die Antragslegitimation daher voraus, dass die Verordnung in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie - im Fall ihrer Gesetzwidrigkeit - verletzt. Hiebei hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art139 Abs1 letzter Satz B-VG als Voraussetzung der Antragslegitimation verlangt (vgl. zB VfSlg. 8594/1979, 10.353/1985, 11.730/1988).

1.2. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch die Verordnung selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteter Weise - rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg. 8009/1977, 8187/1977, 9260/1981 uva.).

2. Die im vorliegenden Zusammenhang maßgebenden Bestimmungen des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955 idgF, lauten auszugsweise:

"Gesamtverträge

§341. (1) Die Beziehungen zwischen den Trägern der Krankenversicherung und den freiberuflich tätigen Ärzten sowie den Gruppenpraxen werden jeweils durch Gesamtverträge geregelt. Diese sind für die Träger der Krankenversicherung durch den Hauptverband mit den örtlich zuständigen Ärztekammern abzuschließen. Die Gesamtverträge bedürfen der Zustimmung des Trägers der Krankenversicherung, für den der Gesamtvertrag abgeschlossen wird. Die Österreichische Ärztekammer kann mit Zustimmung der beteiligten Ärztekammer den Gesamtvertrag mit Wirkung für diese abschließen.

(2) [aufgehoben]

(3) Der Inhalt des Gesamtvertrages ist auch Inhalt des zwischen dem Träger der Krankenversicherung und dem Arzt oder der Gruppenpraxis abzuschließenden Einzelvertrages. Vereinbarungen zwischen dem Träger der Krankenversicherung und dem Arzt oder der Gruppenpraxis im Einzelvertrag sind rechtsunwirksam, insoweit sie gegen den Inhalt eines für den Niederlassungsort des Arztes oder für den Sitz der Gruppenpraxis geltenden Gesamtvertrages verstoßen.

(4) ...

...

Paritätische Schiedskommission

§344. (1) Zur Schlichtung und Entscheidung von Streitigkeiten, die in rechtlichem oder tatsächlichem Zusammenhang mit dem Einzelvertrag stehen, ist im Einzelfall in jedem Land eine paritätische Schiedskommission zu errichten. Antragsberechtigt im Verfahren vor dieser Behörde sind die Parteien des Einzelvertrages.

(2) Die paritätische Schiedskommission besteht aus vier Mitgliedern, von denen zwei von der zuständigen Ärztekammer und zwei vom Krankenversicherungsträger, der Partei des Einzelvertrages ist, bestellt werden.

(3) Die paritätische Schiedskommission ist verpflichtet, über einen Antrag ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach dessen Einlangen, mit Bescheid zu entscheiden. Wird der Bescheid dem Antragsteller innerhalb dieser Frist nicht zugestellt oder wird dem Antragsteller schriftlich mitgeteilt, daß wegen Stimmengleichheit keine Entscheidung zustande kommt, geht auf schriftliches Verlangen einer der Parteien die Zuständigkeit zur Entscheidung an die Landesberufungskommission über. Ein solches Verlangen ist unmittelbar bei der Landesberufungskommission einzubringen. Das Verlangen ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf Stimmengleichheit oder nicht ausschließlich auf ein Verschulden der Behörde (§73 AVG 1950) zurückzuführen ist.

(4) Gegen einen Bescheid der paritätischen Schiedskommission kann Berufung an die Landesberufungskommission erhoben werden.

Landesberufungskommission

§345. (1) Für jedes Land ist auf Dauer eine Landesberufungskommission zu errichten. Diese besteht aus einem Richter als Vorsitzendem und vier Beisitzern. Der Vorsitzende ist vom Bundesminister für Justiz zu bestellen; der Vorsitzende muss ein Richter sein, der im Zeitpunkt seiner Bestellung bei einem Gerichtshof in Arbeits- und Sozialrechtssachen tätig ist. Je zwei Beisitzer sind vom Bundesminister für Justiz auf Vorschlag der Österreichischen Ärztekammer und des Hauptverbandes zu bestellen. Versicherungsvertreter(innen) und Arbeitnehmer(innen) jenes Versicherungsträgers sowie Angehörige und Arbeitnehmer(innen) jener Ärztekammer, die Vertragsparteien des Gesamtvertrages sind, auf dem der streitgegenständliche Einzelvertrag beruht, dürfen im jeweiligen Verfahren nicht Beisitzer sein.

(2) Die Landesberufungskommission ist zuständig:

1. zur Entscheidung über Berufungen gegen Bescheide der paritätischen Schiedskommission und

2. zur Entscheidung auf Grund von Devolutionsanträgen gemäß §344 Abs3.

(3) ..."

3. Die Antragsteller begründen ihre Legitimation zur Stellung des vorliegenden Antrags wie folgt:

Durch die angefochtene Verordnung sei unmittelbar in die Rechtssphäre der Antragsteller eingegriffen worden; diese seien nämlich seit 1. Jänner 2003 - ohne dass es eines Urteils oder eines Bescheides bedürfte - verpflichtet, ihre vertragsärztlichen Leistungen mit EDV abzurechnen.

Den Antragstellern sei auch nicht zumutbar, ihre Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit des bekämpften Verordnungsaktes in anderer Weise an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen. Mangels Vorliegens einer "Streitigkeit aus einem Einzelvertrag" könne die paritätische Schiedskommission nämlich nicht befasst werden. Im Fall der Weigerung der Antragsteller, die erbrachten Leistungen mit EDV abzurechnen, würde das von ihnen verrechnete Honorar nicht ausbezahlt werden; |berdies sei die Kündigung ihrer Einzelverträge zu gewärtigen.

III. Der Antrag ist unzulässig:

1. Die Antragsteller begründen selbst den Eingriff in ihre Rechtssphäre damit, dass die angefochtene Verordnung in ihr - zivilrechtliches - Vertragsverhältnis zur Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse eingreift, mit der sie einen Einzelvertrag geschlossen haben. Die paritätische Schiedskommission und im Instanzenzug die Landesberufungskommission sind zur "Schlichtung und Entscheidung von Streitigkeiten, die in rechtlichem oder tatsächlichem Zusammenhang mit dem Einzelvertrag stehen", zuständig (§§344, 345 ASVG). Die Zuständigkeit der genannten Kommissionen setzt demnach nicht voraus, dass es sich um einen Streit aus einem Einzelvertrag handelt, es genügt vielmehr ein (rechtlicher oder tatsächlicher) Zusammenhang mit diesem Vertrag (vgl. VfSlg. 15.560/1999, 15.776/2000 mwN).

Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis VfSlg. 15.178/1998 klargestellt hat, ist §344 ASVG weit auszulegen:

In die Zuständigkeit der paritätischen Schiedskommission fallen demnach sowohl Streitigkeiten unmittelbar aus dem Einzelvertrag als auch jene über das gültige Bestehen oder Nichtbestehen eines Einzelvertrages einschließlich seiner Nachwirkungen (vgl. auch VfSlg. 15.804/2000).

Unter diesem Gesichtspunkt steht aber der Anrufung der paritätischen Schiedskommission sowie, in weiterer Folge, der Landesberufungskommission zur Klärung der Frage der Verpflichtung der beschwerdeführenden Ärzte zur EDV-gestützten Abrechnung nichts entgegen. Nach Erschöpfung des insoweit gegebenen administrativen Instanzenzugs bliebe es den Antragstellern unbenommen, die Frage der Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Verordnung - durch Erhebung einer Beschwerde gemäß Art144 B-VG - an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen.

Dabei ist auch nicht erforderlich, dass die angerufene paritätische Schiedskommission (Landesberufungskommission) selbst die Gesetzmäßigkeit der Verordnung (in der Hauptsache) zu beurteilen hätte. Es genügt vielmehr, dass sie bei Erlassung ihres Bescheides diese Verordnung anzuwenden hätte.

Da somit ein - den Antragstellern auch zumutbarer - Weg besteht, die Frage der Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Verordnung an den Verfassungsgerichtshof anders als mit einem (als bloß subsidiären Rechtsbehelf gestalteten) sogenannten Individualantrag heranzutragen, war der Antrag - schon deshalb - als unzulässig zurückzuweisen.

2. Dies konnte ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden (§19 Abs3 Z2 lite VfGG).

Schlagworte

Sozialversicherung, Ärzte, VfGH / Individualantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2003:V87.2003

Dokumentnummer

JFT_09968875_03V00087_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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