TE Vfgh Beschluss 2003/12/4 V110/03 ua - V112/03 ua, V114/03 ua

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Veröffentlicht am 04.12.2003
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8000 Raumordnung

Norm

B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
Flächenwidmungsplan der Gemeinde Erl. Ve1-2-510/2-1
Örtliches Raumordnungskonzept der Gemeinde Erl
Tir BauO 2001 §26
Tir RaumOG 2001 §35 Abs1
VfGG §57 Abs1

Leitsatz

Zurückweisung des Individualantrags auf Aufhebung eines Flächenwidmungsplans hinsichtlich der Umwidmung von Grundstücken von Bauland in Freiland mangels Darlegung eines Eingriffes in die Rechtssphäre des Antragstellers; bloß wirtschaftliche Reflexwirkungen; Zurückweisung des Individualantrags auf Aufhebung von Teilen des örtlichen Raumordnungskonzeptes mangels unmittelbarer Betroffenheit des Antragstellers

Spruch

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. 1. Der Antragsteller begehrt mit zwei auf Art139 B-VG gestützten Individualanträgen,

"1. den in Geltung stehenden, mit Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 08.05.2003, Ve1-2-510/2-1, aufsichtsbehördlich genehmigten Flächenwidmungsplan im Umfang der für Gst 78 und 125 je KG Erl getroffenen Festlegung 'Freiland' aufzuheben;"

sowie

"2. die dem bezeichneten Flächenwidmungsplan zugrunde liegenden §4 Abs1, Abs2 litf und g, Abs4 und 5 sowie §8 Abs2 lita und Abs4 litc der in Geltung stehenden Verordnung über das örtliche Raumordnungskonzept aufzuheben;".

2. Der Antragsteller bringt dazu vor, er sei bücherlicher Eigentümer der Grundstücke Nrn. 78 und 125, KG Erl, für die vor der bekämpften Flächenwidmungsplanänderung der Gemeinde Erl die Widmung "Bauland" festgelegt gewesen sei. Auf den bezeichneten Grundstücken hafte eine Höchstbetragshypothek in näher genannter Höhe. Der Beschwerdeführer sei wirtschaftlich darauf angewiesen, dass ihm die in Rede stehenden Grundstücke und der in ihnen verkörperte Wert zur Besicherung dieser Darlehen uneingeschränkt zur Verfügung stünden.

Zur Frage der Antragslegitimation bringt der Antragsteller Folgendes vor:

"A) Rechtsqualität der bekämpften Normen

Der in Beschwerde gezogene[n] Flächenwidmungsplan bzw dessen Änderung - ist eine Verordnung im Sinne der Artikel 18 Abs2 und 139 B-VG. Die genannten Rechtsvorschriften wurden gemäß den Bestimmungen des §67 Abs1 TROG 2001 kundgemacht und stehen in Geltung.

B) Betroffene Rechtssphäre des Beschwerdeführers:

1. Existenz

Der Beschwerdeführer hat einen Rechtsanspruch auf fehlerfreie Erlassung von Durchführungsverordnungen; dies umso mehr dann, wenn durch diese in sein verfassungsgesetzlich geschütztes Eigentum eingegriffen wird.

Insbesondere hat der Beschwerdeführer aufgrund der Rechtsordnung einen Anspruch auf Achtung seines Eigentums und sorgfältige Abwägung tatsächlicher öffentlicher Interessen einerseits und geschützter Grundrechtspositionen - insbesondere des Eigentumsschutzes und des Gleichbehandlungsgrundsatzes - andererseits.

2. Eingriff

Die bezeichneten Raumplanungen greifen im bekämpften Umfang in die Rechtssphäre des Beschwerdeführers ein, indem mit ihnen ohne sachliche Rechtfertigung Eingriffe in sein verfassungsgesetzlich geschütztes Eigentum - die Liegenschaften Gst 78 und 125 - vorgenommen werden (vgl VfSlg 10.395 mwN).

3. Unmittelbarkeit

Der Eingriff durch den Flächenwidmungsplan ist unmittelbar, weil er nach Art und Ausmaß eindeutig bestimmt ist und keiner weiteren Konkretisierung mehr bedarf; der Beschwerdeführer wird als Grundeigentümer bereits durch die betreffenden Festlegungen allein in der Ausübung seines Eigentumsrechtes beschränkt.

4. Aktualität

Der Eingriff ist aktuell und nicht bloß potentiell:

VfSlg 11.685; 12.331; 13.168; 13.635; 14.591; 9100 ua.

Das Grundrecht auf Unverletzlichkeit des Liegenschaftseigentums umfasst überhaupt jede Nutzung und Verfügung über den Eigentumsgegenstand, insbesondere auch dessen Verpfändung (vgl §§354, 362 ABGB). Die Pfandgläubigerin hat bereits angekündigt, vom Beschwerdeführer Ersatzsicherheiten zu verlangen. Nachdem ihm solche nicht zur Verfügung stehen, muss er jederzeit mit der Fälligstellung der Darlehen rechnen. Es ist ihm nicht zuzumuten, mit der Bekämpfung der für rechtswidrig erachteten behördlichen Maßnahme etwa bis zu einer Zwangsvollstreckung in sein Vermögen zuzuwarten.

5. Nachteiligkeit

Der Eingriff ist nachteilig, weil der[m] Beschwerdeführer durch die bezeichnete Raumplanung unmittelbar erheblichen Vermögensschäden - durch die Kündigung der Kreditlinien infolge des Wegfalls von Sicherheiten - ausgesetzt wird. Der Beschwerdeführer ist damit in seiner verfassungs- und einfachgesetzlich geschützten Rechtssphäre - auch nach objektiven Maßstäben - verletzt.

Ausdrücklich ist darauf hinzuweisen, dass hier keine bloß wirtschaftliche Reflexwirkung vorliegt. Es ist die erkennbar einzige Motivation der Gemeinde Erl, die jeweiligen Liegenschaftseigentümer durch die mit der Rückwidmung verbundene Werteinbuße und grundverkehrsrechtlichen Veräußerungsschranken ihres Liegenschaftsvermögens zu einem bestimmten, von der Gemeinde vorgegebenen Verhalten - um es vorsichtig auszudrücken - zu 'motivieren'. Der mit der Widmung verbundene Eigentumseingriff ist sohin keine unvermeidliche Nebenwirkung einer aus raumplanerischen Gründen für notwendig erachtete[n] Maßnahme, sondern intentional darauf gerichtet, über den Wertverlust einen nicht in den Rahmen der Raumordnung fallenden Verhaltenszwang auszuüben.

6. Unzumutbarkeit eines Umweges

Ein Verwaltungsverfahren, in welchem die Rechtswidrigkeit der dargestellten Raumplanung nach Erschöpfung des Instanzenzuges an den VfGH herangetragen werden könnte, steht offenkundig nicht zur Verfügung. Abgesehen davon, dass eine gerichtliche Auseinandersetzung mit der Pfandgläubigerin dem Beschwerdeführer nicht zumutbar ist (vgl VfSlg 13.659; 13.725), wäre auch im Prozess nichts gewonnen: eine Vorlagepflicht durch ordentliche Gerichte besteht nur hinsichtlich von Verordnungen, die im Rechtsstreit anzuwenden wären. Hier ginge es aber bloß um die Frage der Rückzahlung des Darlehens, also einen völlig anderen Sachverhalt.

Damit ist die Antragslegitimation gegeben."

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

Die Anträge sind unzulässig.

1. Voraussetzung der Antragslegitimation ist einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch die angefochtene Verordnung - im Hinblick auf deren Gesetzwidrigkeit - in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass die Verordnung für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides, wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, dass die Verordnung in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese - im Falle ihrer Gesetzwidrigkeit - verletzt.

Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, dass die Verordnung selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch die Verordnung selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteterweise - rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg. 11.726/1988, 13.944/1994).

Hiebei hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art139 Abs1 letzter Satz B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl. zB VfSlg. 8594/1979, 8974/1980, 10.353/1985, 11.730/1988, 16.140/2001).

1.1. Zu der vom Antragsteller bekämpften Flächenwidmungsplanänderung:

Beurteilt man das Vorbringen des Antragstellers im Lichte der oben dargestellten Vorjudikatur, so muss man zu dem Ergebnis kommen, dass dieser einen unmittelbaren Eingriff in seine Rechtssphäre durch den bekämpften Flächenwidmungsplan der Gemeinde Erl nicht darzutun vermochte. Der Einschreiter verweist lediglich darauf, dass auf den beiden in Rede stehenden Grundstücken eine Höchstbetragshypothek in einer bestimmten Höhe hafte und er mangels verfügbarer Eratzsicherheiten mit der Fälligstellung der aufgenommenen Darlehen rechnen müsse; durch Kündigung der Kreditlinien infolge des Wegfalls von Sicherheiten werde er durch die bekämpfte Verordnung unmittelbar erheblichen Vermögensschäden ausgesetzt.

Mit einem derartigen Vorbringen macht der Antragsteller aber nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes keine rechtliche Betroffenheit, sondern bloß seine wirtschaftlichen Interessen geltend (vgl. zB VfSlg. 9876/1983, 11.128/1986, 15.144/1998). Die rechtliche Betroffenheit eines Grundstückseigentümers durch eine Widmung seines Grundstücks kann nur in einem Verbot (einer bestimmten Art) der Bebauung des Grundstücks bestehen (vgl. z.B. VfSlg. 16.543/2002), wobei auch der bloße Hinweis auf eine Beeinträchtigung der künftigen Bebaubarkeit noch keine aktuelle Betroffenheit dartun würde (z.B. VfSlg. 11.128/1986), sondern konkrete Bauabsichten dargetan werden müssten (z.B. VfSlg. 15.144/1998).

Nach Meinung des Antragstellers handle es sich im vorliegenden Fall nicht bloß um eine wirtschaftliche Reflexwirkung, da die Widmungsmaßnahme der Gemeinde Erl "intentional darauf gerichtet" sei, "über den Wertverlust einen nicht in den Rahmen der Raumordnung fallenden Verhaltenszwang auszuüben"; auch in Anbetracht der gegebenen Fallkonstellation und den vom Antragsteller näher erläuterten Beweggründen der Gemeinde Erl betreffend die Erlassung der in Rede stehenden Flächenwidmungsplanänderung sieht sich der Gerichtshof jedoch nicht veranlasst, von seiner oben beschriebenen Rechtsprechung zur Zulässigkeit von Individualanträgen hinsichtlich der Anfechtung eines Flächenwidmungsplanes abzugehen: Die vom Einschreiter vorgebrachten Wirkungen der Flächenwidmungsplanänderung sind, wie bereits oben dargestellt, wirtschaftlicher Natur und betreffen nicht die Frage der dem Eigentumsrecht innewohnenden Verfügungsmacht. Der Verfassungsgerichtshof bleibt daher dabei, dass sich das Vorbringen des Antragstellers insgesamt nicht als geeignet erweist, einen Eingriff in seine Rechtssphäre durch die bekämpfte Verordnung der Gemeinde Erl darzutun.

1.2. Zum Antrag auf Aufhebung von Teilen des örtlichen Raumordnungskonzeptes:

Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. z. B. VfSlg. 16.234/2001) entfaltet eine derartige Verordnung gegenüber dem Antragsteller grundsätzlich keine unmittelbaren Auswirkungen auf seine Rechtssphäre:

Gemäß §29 Tiroler Raumordnungsgesetz 2001, LGBl. Nr. 93/2001 (idF TROG 2001) hat jede Gemeinde durch Verordnung ein örtliches Raumordnungskonzept, einen Flächenwidmungsplan, allgemeine Bebauungspläne und ergänzende Bebauungspläne zu erlassen. Gemäß §31 TROG 2001 sind im örtlichen Raumordnungskonzept grundsätzliche Festlegungen über die geordnete räumliche Entwicklung der Gemeinde im Sinne der Ziele der örtlichen Raumordnung zu treffen. Jedenfalls sind gemäß Abs1 litb) dieser Bestimmung Festlegungen betreffend die angestrebte Bevölkerungs- und Haushaltsentwicklung in der Gemeinde unter Bedachtnahme auf den vorhandenen Siedlungsraum zu treffen. Der Flächenwidmungsplan ist zwar insbesondere unter Berücksichtigung der Ziele des örtlichen Raumordnungskonzeptes zu erstellen; insoweit entfaltet also das örtliche Raumordnungskonzept Bindungswirkungen (nur) gegenüber der Gemeinde. Die Festlegung des Verwendungszweckes für alle Grundflächen hat jedoch gemäß §35 Abs1 leg. cit. erst im Flächenwidmungsplan zu erfolgen, weshalb der Antragsteller durch ein örtliches Raumordnungskonzept im Regelfall nicht unmittelbar in seiner Rechtssphäre betroffen sein kann.

Dies zeigt auch §26 Tiroler Bauordnung 2001, LGBl. Nr. 94/2001 (idF TBO 2001), aus dem abzuleiten ist, dass eine Baubewilligung nicht schon deswegen versagt werden darf, weil das Bauvorhaben dem örtlichen Raumordnungskonzept widerspricht. Zur Versagung der Baubewilligung kommt es vielmehr erst dann, wenn die bauliche Maßnahme der durch den Flächenwidmungsplan festgelegten Widmung oder den Festlegungen eines Bebauungsplans oder örtlichen Bauvorschriften (§26 Abs3 lita) TBO 2001) widerspricht.

Ein etwaiges Vorliegen außergewöhnlicher Gründe, warum das vom Antragsteller bekämpfte örtliche Raumordnungskonzept der Gemeinde Erl im vorliegenden Fall - abweichend von der ständigen Judikatur des Gerichtshofes - unmittelbar - und aktuell - Auswirkungen auf dessen Rechtssphäre entfalten sollte, legt der Antragsteller nicht dar, sodass auf diese Frage bereits wegen des fehlenden Antragsvorbringens nicht weiter einzugehen ist.

2. Im Ergebnis waren daher sowohl der Verordnungsprüfungsantrag auf Aufhebung von Teilen des Flächenwidmungsplanes als auch der Antrag auf Aufhebung näher bezeichneter Teile des örtlichen Raumordnungskonzeptes der Gemeinde Erl wegen Fehlens der Antragsberechtigung als unzulässig zurückzuweisen.

3. Dieser Beschluss konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG in nichtöffentlicher Sitzung ohne vorangegangene mündliche Verhandlung gefasst werden.

Schlagworte

Baurecht, Raumordnung, Flächenwidmungsplan, VfGH / Formerfordernisse, VfGH / Individualantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2003:V110.2003

Dokumentnummer

JFT_09968796_03V00110_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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