TE Vfgh Erkenntnis 2004/3/10 G140/03 ua

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Veröffentlicht am 10.03.2004
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Index

55 Wirtschaftslenkung
55/01 Wirtschaftslenkung

Norm

B-VG Art10 Abs1 Z5
B-VG Art12 Abs1 Z5
B-VG Art140 Abs3 zweiter Satz
ElWOG §22
EnergieliberalisierungsG Art9
VerrechnungsstellenG §3, §4, §9

Leitsatz

Kompetenzwidrigkeit der Regelungen des Verrechnungsstellengesetzes über die Organisation und die Aufgaben der Verrechnungsstelle zur Aufrechterhaltung der Stromversorgung; keine Angelegenheit der alleinigen Bundesgesetzgebung, sondern der Grundsatzgesetzgebung des Bundes und der Ausführungsgesetzgebung der Länder; keine Einrichtung einer Börse durch Errichtung der Verrechnungsstelle

Spruch

Die §§3, 4 und 9 des Bundesgesetzes, mit dem die Ausübungsvoraussetzungen, die Aufgaben und die Befugnisse der Verrechnungsstellen für Transaktionen und Preisbildung für die Ausgleichsenergie geregelt werden, Art9 des Energieliberalisierungsgesetzes, BGBl. I Nr. 121/2000, werden als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 30. Juni 2005 in Kraft.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist eine Beschwerde der Energy Balancing AG (EBAG) gegen die Bescheide des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit vom 4. April 2001, Zl. 551.355/5-VIII/1/01 und Zl. 551.355/29-VIII/1/01, anhängig, mit denen der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit der APCS Power Clearing and Settlement AG (APCS) gemäß §3 iVm §4 des Verrechnungsstellengesetzes die Konzession für den Betrieb einer Verrechnungsstelle für Transaktionen und Preisbildung für die Ausgleichsenergie für jenen Regelzonenbereich, der durch den vom Übertragungsnetz der Austrian Power Grid Gmbh abgedeckten Netzbereich gebildet ist, erteilte und den Antrag der EBAG auf Erteilung einer gleichartigen Konzession gemäß §3 iVm §4 des Verrechnungsstellengesetzes abwies.

2. Diesen Bescheiden liegt folgende Rechtslage zugrunde:

Die §§1 bis 4, 9 und 10 des Bundesgesetzes, mit dem die Ausübungsvoraussetzungen, die Aufgaben und die Befugnisse der Verrechnungsstellen für Transaktionen und Preisbildung für die Ausgleichsenergie geregelt werden, Art9 des Energieliberalisierungsgesetzes, BGBl. I Nr. 121/2000, in der Folge Verrechnungsstellengesetz, lauten (die aufzuhebenden Bestimmungen sind hervorgehoben):

"Anwendungsbereich

§1. (1) Dieses Bundesgesetz regelt die Ausübungsvoraussetzungen, die Tätigkeit und Organisation von Verrechnungsstellen für Transaktionen und Preisbildung für die Ausgleichsenergie.

(2) Verrechnungsstellen für Transaktionen und Preisbildung für die Ausgleichsenergie im Sinne dieses Bundesgesetzes sind Einrichtungen, die anhand der von Netzbetreibern und Marktteilnehmern zur Verfügung gestellten Daten, die Berechnung der für die einzelnen Marktteilnehmer und Netzbetreiber anfallende Ausgleichsenergie vornimmt, auf Basis von Angeboten von Stromerzeugern eine Rangfolge für den Abruf von Kraftwerken zur Aufbringung von Ausgleichsenergie erstellt und die Preise für Ausgleichsenergie ermittelt sowie Bilanzgruppen in organisatorischer und abrechnungstechnischer Hinsicht verwaltet.

Bilanzgruppenkoordinator

§2. Wer eine Verrechnungsstelle für Transaktionen und Preisbildung für die Ausgleichsenergie betreibt, ist ein Bilanzgruppenkoordinator. Insoweit ein Bilanzgruppenkoordinator nach diesem Bundesgesetz als beliehenes Unternehmen handelt, hat es die ihm übertragenen Aufgaben unter Bedachtnahme auf das volkswirtschaftliche Interesse an einem funktionsfähigen Clearing und Settlement (§3 Abs1) zu besorgen.

Ausübungsvoraussetzungen

§3. (1) Der Betrieb einer Verrechnungsstelle für Transaktionen und Preisbildung für die Ausgleichsenergie bedarf einer Konzession des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit. Eine Konzession wird in der Regel nur für eine Regelzone erteilt. Aus Gründen der Zweckmäßigkeit und Kostenersparnis ist jedoch die Erteilung der Konzession für zwei Regelbereiche möglich.

(2) Die Konzession ist schriftlich zu erteilen und kann mit den zur Sicherstellung der Aufgaben erforderlichen Bedingungen und Auflagen versehen werden.

(3) Der Antragsteller hat dem Antrag auf Erteilung einer Konzession folgende Unterlagen anzuschließen:

1.

Angaben über den Sitz und die Rechtsform;

2.

die Satzung oder den Gesellschaftsvertrag;

3.

den Geschäftsplan, aus dem der organisatorische Aufbau des Unternehmens und die internen Kontrollverfahren hervorgehen; weiters hat der Geschäftsplan eine Budgetvorschau für die ersten drei Geschäftsjahre zu enthalten;

4.

eine Beschreibung des zur Verfügung stehenden Verrechnungs- und Preisbildungssystems für die Ausgleichsenergie in technischer und

organisatorischer Hinsicht;

5.

die Höhe des den Geschäftsführern im Inland unbeschränkt und ohne Belastung zur freien Verfügung stehenden Anfangskapitals;

6.

die Identität und die Höhe des Beteiligungsbetrages der Eigentümer, die eine qualifizierte Beteiligung am Unternehmen halten, sowie die Angabe der Konzernstruktur, sofern diese Eigentümer einem Konzern angehören;

7.

die Namen der vorgesehenen Geschäftsführer und deren Qualifikation zum Betrieb des Unternehmens.

(4) Liegen für einen Regelbereich mehrere Anträge auf Konzessionserteilung vor, ist die Konzession dem Konzessionswerber zu erteilen, der den Konzessionsvoraussetzungen und dem volkswirtschaftlichen Interesse an einem funktionierenden Strommarkt bestmöglich entspricht.

Konzessionsvoraussetzungen

§4. (1) Eine Konzession gemäß §3 darf nur erteilt werden, wenn

1.

der Konzessionswerber die im §9 angeführten Aufgaben kostengünstig und sicher zu erfüllen vermag;

2.

für den Regelbereich, für den die Konzession beantragt wird, keine Konzession für eine Verrechnungsstelle vergeben wurde;

3.

die Personen, die eine qualifizierte Beteiligung am Unternehmen halten, den im Interesse einer soliden und umsichtigen Führung des Unternehmens zu stellenden Ansprüche genügen;

4.

durch enge Verbindungen des Unternehmens mit anderen natürlichen oder juristischen Personen die Aufsichtsbehörden an der ordnungsgemäßen Erfüllung ihrer Aufsichtspflicht nicht gehindert werden;

5.

Rechts- und Verwaltungsvorschriften eines Drittlandes, denen eine mit dem Unternehmen in enger Verbindung stehende natürliche oder juristische Person unterliegt, oder Schwierigkeiten bei der Anwendung dieser Vorschriften die Aufsichtsbehörden nicht an der ordnungsgemäßen Erfüllung ihrer Überwachungspflicht hindern;

6.

das Anfangskapital mindestens 30 Millionen Schilling beträgt und den Geschäftsführern unbeschränkt und ohne Belastung zur freien Verfügung steht und die materielle und personelle Ausstattung des Unternehmens die Leitung und Verwaltung der Verrechnungsstelle bestmöglich gewährleistet ist;

7.

bei keinem der Geschäftsführer ein Ausschließungsgrund im Sinne des §13 Abs1 bis 6 GewO 1994 vorliegt;

8.

gegen keinen Geschäftsführer eine gerichtliche Voruntersuchung wegen einer vorsätzlichen, mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedrohten Handlung eingeleitet worden ist, bis zu der Rechtskraft der Entscheidung, die das Strafverfahren beendet;

9.

die Geschäftsführer auf Grund ihrer Vorbildung fachlich geeignet sind und die für den Betrieb des Unternehmens erforderlichen Eigenschaften und Erfahrungen haben. Die fachliche Eignung eines Geschäftsführers setzt voraus, dass dieser in ausreichendem Maße theoretische und praktische Kenntnisse in der Abrechnung von Ausgleichsenergie sowie Leitungserfahrung hat; die fachliche Eignung für die Leitung einer Verrechnungsstelle ist anzunehmen, wenn eine zumindest dreijährige leitende Tätigkeit auf dem Gebiet der Tarifierung oder des Rechnungswesens nachgewiesen wird;

10.

mindestens ein Geschäftsführer den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen in Österreich hat;

11.

das Unternehmen mindestes zwei Geschäftsführer hat und in der Satzung die Einzelvertretungsmacht, eine Einzelprokura oder eine Einzelhandlungsvollmacht für den gesamten Geschäftsbetrieb ausgeschlossen ist;

12.

kein Geschäftsführer einen anderen Hauptberuf außerhalb des Unternehmens ausübt, der geeignet ist, Interessenskonflikte hervorzurufen;

13.

der Sitz und die Hauptverwaltung im Inland liegen;

14.

wenn das zur Verfügung stehende Abwicklungssystem den Anforderungen eines zeitgemäßen Abrechnungssystems genügt;

15.

die Neutralität, Unabhängigkeit und die Datenvertraulichkeit gegenüber Marktteilnehmern gewährleistet ist.

(2) Ein Bilanzgruppenkoordinator darf als Firma nur dann in das Firmenbuch eingetragen werden, wenn die entsprechenden rechtskräftigen Bescheide in Urschrift oder beglaubigter Abschrift (Kopie) vorliegen. Das zuständige Gericht hat Beschlüsse über solche Firmenbucheintragungen auch dem Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit als oberster Elektrizitätsbehörde und der Elektrizitäts-Control GmbH als Aufsichtsbehörde zuzustellen.

[...]

Aufgaben

§9. (1) Aufgaben der Verrechnungsstellen für Transaktionen und Preisbildung für die Ausgleichsenergie sind:

1.

die Verwaltung der Bilanzgruppen in organisatorischer und abrechnungstechnischer Hinsicht;

2.

die Berechnung und Zuordnung der Ausgleichsenergie;

3.

der Abschluss von Verträgen

a)

mit Bilanzgruppenverantwortlichen, Regelzonenführern, Netzbetreibern und Stromlieferanten (Erzeugern und Händlern);

b)

mit Einrichtungen zum Zwecke des Datenaustausches zur Erstellung eines Indexes;

c)

mit Strombörsen über die Weitergabe von Daten;

d)

mit Lieferanten (Erzeugern und Stromhändlern) über die Weitergabe von Daten.

(2) Die Verwaltung der Bilanzgruppe in organisatorischer und abrechnungstechnischer Hinsicht umfasst insbesondere

1.

die Vergabe von Identifikationsnummern der Bilanzgruppen;

2.

die Bereitstellung von Schnittstellen im Bereich Informationstechnologie;

3.

die Verwaltung der Fahrpläne zwischen Bilanzgruppen;

4.

die Übernahme der von den Netzbetreibern in vorgegebener Form übermittelten Messdaten, deren Auswertung und Weitergabe an die betroffenen Marktteilnehmer und anderen Bilanzgruppenverantwortlichen entsprechend den in den Verträgen enthaltenen Vorgaben;

5.

die Übernahme von Fahrplänen der Bilanzgruppenverantwortlichen und die Weitergabe an die betroffenen Marktteilnehmer (andere Bilanzgruppenverantwortliche) entsprechend den in den Verträgen enthaltenen Vorgaben;

6.

die Bonitätsprüfung der Bilanzgruppenverantwortlichen;

7.

die Mitarbeit bei der Ausarbeitung und Adaptierung von Regelungen im Bereich Kundenwechsel, Abwicklung und Abrechnung;

8.

die Abrechnung und organisatorische Maßnahmen bei Auflösung von Bilanzgruppen;

9.

die Aufteilung und Zuweisung der sich auf Grund der Verwendung von standardisierten Lastprofilen ergebenden Differenz auf die am Netz eines Netzbetreibers angeschlossenen Marktteilnehmer nach Vorliegen der Messwerte nach transparenten Kriterien;

10.

die Verrechnung der Gebühren gemäß §12 an die Bilanzgruppenverantwortlichen.

(3) Im Rahmen der Berechnung und Zuweisung der Ausgleichsenergie sind - sofern nicht besondere Regelungen im Rahmen von Verträgen gemäß §70 Abs2 ElWOG bestehen - jedenfalls

1.

Angebote für Ausgleichsenergie einzuholen, zu übernehmen und eine Abrufreihenfolge als Vorgabe für Regelzonenführer zu erstellen;

2.

die Differenz von Fahrplänen zu Messdaten zu übernehmen und daraus Ausgleichsenergie zu errechnen;

3.

die Preise für Ausgleichsenergie entsprechend dem im §10 beschriebenen Verfahren zu ermitteln und in geeigneter Form ständig zu veröffentlichen;

4.

die Entgelte für Ausgleichsenergie zu berechnen und den Bilanzgruppenverantwortlichen und Regelzonenführer mitzuteilen;

5.

besondere Maßnahmen zu ergreifen, wenn keine Angebote für Ausgleichsenergie vorliegen;

6.

die verwendeten standardisierten Lastprofile zu verzeichnen, zu archivieren und in geeigneter Form zu veröffentlichen.

Verfahren zur Ermittlung des Preises für Ausgleichsenergie

§10. (1) Preise für Ausgleichsenergie sind unter Zugrundelegung des in Abs2 und 3 vorgesehenen Verfahrens zu ermitteln.

(2) Die Preise für Ausgleichsenergie sind aus den Angeboten der für Ausgleichsenergielieferungen in Frage kommenden Kraftwerken (Bieterkurve) und der nachgefragten Ausgleichsenergie (Nachfragekurve) je Ausgleichsperiode zu bestimmen.

(3) Die Preise für die Ausgleichsenergie sind unter Zugrundelegung eines marktorientierten Modells zu ermitteln. Dieses Modell ist von der Verrechnungsstelle zu erarbeiten und bedarf der Genehmigung der Regulierungsbehörde.

(4) Der Preis für die Ausgleichsenergie in der Regelzone Vorarlberg richtet sich nach den Preisen im Regelblock der Energie Baden-Württemberg AG."

3. Aus Anlass dieser Beschwerde sind Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der §§3, 4 und 9 Verrechnungsstellengesetz entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher am 13. Juni 2003 zu Zlen. B772, 773/01 beschlossen, gemäß Art140 B-VG die Verfassungsmäßigkeit der genannten Bestimmungen von Amts wegen zu prüfen.

II. 1. In seinem Prüfungsbeschluss ging der Verfassungsgerichtshof vorläufig davon aus, dass die Beschwerde gegen beide Bescheide zulässig ist, die belangte Behörde die in Prüfung gezogenen Bestimmungen bei ihren Entscheidungen angewendet hat und auch der Verfassungsgerichtshof sie bei seiner Entscheidung anzuwenden hätte. Er führte dazu im Prüfungsbeschluss Folgendes aus:

"1.1. Zur vorläufigen Beurteilung der Zulässigkeit der Beschwerde:

'1.1.1. Die beschwerdeführende Gesellschaft bekämpft mit der auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde nicht nur den ihren Konzessionsantrag abweisenden Bescheid sondern auch den Bescheid, mit dem die Konzession für den Betrieb einer Verrechnungsstelle für Transaktionen und Preisbildung für die Ausgleichsenergie für jenen Regelzonenbereich, der durch den vom Übertragungsnetz der Austrian Power Grid GmbH abgedeckten Netzbereich gebildet ist, an den Mitbewerber APCS erteilt wurde.

Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, dass die Beschwerde gegen beide Bescheide zulässig ist.

Das Verrechnungsstellengesetz regelt die Parteistellung im Verfahren zur Erteilung der Konzession gemäß §3 leg. cit. nicht ausdrücklich, scheint aber auch nicht ausdrücklich auszuschließen, dass dem nicht zum Zuge gekommenen Mitbewerber um eine Konzession Parteistellung im Verfahren zur Verleihung einer Konzession an einen anderen Mitbewerber zukommt.

Der Betrieb einer Verrechnungsstelle für Transaktionen und Preisbildung für die Ausgleichsenergie bedarf einer Konzession des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit (§3 Abs1 Verrechnungsstellengesetz). Liegen für einen Regelbereich mehrere Anträge auf Konzessionserteilung vor, ist die Konzession gemäß §3 Abs4 leg. cit. dem Konzessionswerber zu erteilen, der den Konzessionsvoraussetzungen und dem volkswirtschaftlichen Interesse an einem funktionierenden Strommarkt bestmöglich entspricht. Daraus ergibt sich, dass für jede Regelzone nur eine Konzession erteilt werden darf.

Auf Grund der im Verrechnungsstellengesetz enthaltenen Regelung, wonach für einen Regelbereich nur eine Konzession erteilt werden kann, dürfte trotz zweier Bescheide von einem einheitlichen Konzessionsverleihungsverfahren auszugehen sein, in dem die vorliegenden Anträge insgesamt zu beurteilen waren, gegeneinander abgewogen werden mussten und insoweit ein umfassendes Gesamtverfahren von der Behörde abzuführen war. Die Erteilung der Konzession an einen Bewerber dürfte zwangsweise als untrennbare Folge zur Abweisung anderer Anträge auf Erteilung der Konzession führen. Die beiden Konzessionswerber dürften demnach eine 'Verwaltungsverfahrensgemeinschaft' bilden (vgl. VfSlg. 12.014/1989, 13.329/1993 und 15.926/2000; vgl. auch Stolzlechner, 'Formen und Instrumente des Konkurrenzschutzes im öffentlichen Wirtschaftsrecht', ÖZW 1982, 109; VwGH, 29. August 2001, AW 2001/05/0024 mwH).

Es dürfte mit dem rechtsstaatlichen Prinzip unvereinbar sein, den von der Behörde nicht berücksichtigten Mitbewerber um eine Konzession lediglich darauf zu verweisen, dass bereits eine Konzession an einen anderen Mitbewerber erteilt wurde und die Erteilung einer zweiten Konzession für dieselbe Regelzone im Gesetz nicht gedeckt sei. Vielmehr scheint es erforderlich, dem nicht zum Zuge gekommenen Bewerber eine verfahrensrechtliche Stellung einzuräumen, die ihn in die Lage versetzt, die gemäß §3 Abs4 Verrechnungsstellengesetz vorgesehene Auswahlentscheidung überprüfen zu lassen (vgl. auch VwSlg. 14.103 A/1990).

Gleiches dürfte aber auch für den Fall gelten, dass der Antrag auf Erteilung der Konzession an den nicht zum Zuge gekommenen Mitbewerber wegen Nichterfüllung der Konzessionsvoraussetzungen abgewiesen wird. Bliebe die Parteistellung des Bewerbers um eine Konzession auf das Verfahren betreffend die Erteilung seiner eigenen Konzession beschränkt, so könnte dem nicht zum Zuge gekommenen Bewerber - selbst wenn sich nachträglich herausstellt, er habe die Konzessionsvoraussetzungen erfüllt - die Rechtskraft der an den anderen Mitbewerber erteilten Konzession entgegen gehalten werden.

Da der beschwerdeführenden Gesellschaft sohin sowohl im Verfahren, das zur Abweisung ihres Konzessionsantrages führte, als auch im Verfahren zur Verleihung der Konzession an den Mitbewerber Parteistellung zukommen dürfte, erscheint sie gemäß Art144 B-VG zur Erhebung der Beschwerde gegen die eingangs genannten Bescheide legitimiert.

1.1.2. Die mitbeteiligte Partei wendet ein, die beschwerdeführende Gesellschaft habe nicht ausreichend dargetan, in welchen Rechten sie verletzt zu sein behauptet. Daher sei die Beschwerde unzulässig. Dieses Vorbringen dürfte aus folgenden Gründen nicht zutreffen:

§3 Verrechnungsstellengesetz sieht mit der Erteilung der Konzession die Verleihung einer Rechtsposition, nämlich die ausschließliche Berechtigung zum Betrieb einer Verrechnungsstelle für Transaktionen und Preisbildung für Ausgleichsenergie für eine bestimmte Regelzone vor. Es scheint keiner näheren Begründung zu bedürfen, dass ein auf einem verfassungswidrigen Gesetz beruhender Bescheid, mit dem der Antrag auf Verleihung einer Rechtsposition abgewiesen wird oder mit dem einem Mitbewerber eine Rechtsposition verliehen wird, eine Verletzung in Rechten durch Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm bedeutet.

1.2. Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, dass die belangte Behörde in dem den Konzessionsantrag abweisenden Bescheid nicht nur §3 und §4 Z12 und 15, sondern auch §3 und §4 Verrechnungsstellengesetz zur Gänze angewendet hat; jedenfalls dürfte sie aber in dem die Konzession für den Betrieb einer Verrechnungsstelle für Transaktionen und Preisbildung für die Ausgleichsenergie für jenen Regelzonenbereich, der durch den vom Übertragungsnetz der Austrian Power Grid GmbH abgedeckten Netzbereich gebildet ist, an den Mitbewerber APCS erteilenden Bescheid die in Prüfung gezogenen Bestimmungen zur Gänze angewendet haben.

1.3. In von Amts wegen eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahren hat der Verfassungsgerichtshof weiters durchwegs den Standpunkt eingenommen, er habe den Umfang der zu prüfenden und allenfalls aufzuhebenden Bestimmungen derart abzugrenzen, dass einerseits nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden werde, als Voraussetzung für den Anlassfall sei, dass aber andererseits der verbleibende Teil keine Veränderung seiner Bedeutung erfahre; da beide Ziele gleichzeitig niemals vollständig erreicht werden können, ist in jedem Einzelfall abzuwägen, ob und inwieweit diesem oder jenem Ziel der Vorrang vor dem anderen gebührt (VfSlg. 7376/1974, 7726/1975, 11.506/1987). Die Grenzen der Aufhebung müssen so gezogen werden, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle in untrennbarem Zusammenhang stehenden Bestimmungen auch erfasst werden; dies treffe sowohl auf von Amts wegen als auch auf auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren zu (VfSlg. 8155/1977, 12.465/1990, 13.140/1992, 13.964/1994).

Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, dass das Vorliegen der Konzessionsvoraussetzungen (vgl. z.B. §4 Abs1 Z1, 9 und 15 Verrechnungsstellengesetz) nur unter Bedachtnahme auf die Erfüllung der Aufgaben der Verrechnungsstelle gemäß §9 leg. cit. überprüft werden kann und die im Folgenden dargestellten Bedenken erst vor dem Hintergrund der Aufgabenstellung der Verrechungsstelle bestehen dürften. Daher scheint die Bestimmung des §9 Verrechnungsstellengesetz in einem untrennbaren Zusammenhang mit §§3 und 4 leg. cit. zu stehen und somit ebenso vorläufig in Prüfung zu ziehen zu sein."

2. Zur Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens haben den Verfassungsgerichtshof folgende Erwägungen veranlasst:

"2.1. Das Bundesgesetz, mit dem die Ausübungsvoraussetzungen, die Aufgaben und die Befugnisse der Verrechnungsstellen für Transaktionen und Preisbildung für die Ausgleichsenergie geregelt werden, wurde als Artikel 9 des Energieliberalisierungsgesetzes, BGBl. I Nr. 121/2000, erlassen und stellt unmittelbar anwendbares Bundesrecht dar.

Die parlamentarischen Materialien (66 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXI. GP in der Fassung der am 14. Juni 2000 von der Bundesregierung gemäß §25 des Geschäftsordnungsgesetzes 1975, BGBl. Nr. 410, beschlossenen Änderung) führen zu Art9 aus:

'Die im Bundesgesetz, mit dem die Ausübungsvoraussetzungen, die Aufgaben und die Befugnisse der Verrechnungsstellen für Transaktionen und Preisbildung für die Ausgleichsenergie geregelt werden, enthaltenen Regelungen stellen sich inhaltlich als Angelegenheiten dar, die den Kompetenztatbeständen des Art10 Abs1 Z5 (Börsewesen, Maß- und Gewichts- und Normenwesen), Z6 (Zivilrechtswesen) und Z8 (Angelegenheiten des Gewerbes) systematisch zuzuordnen sind.'

Zu §1 des Entwurfs eines Verrechnungsstellengesetzes führen die Erläuterungen aus:

'Die Einrichtung von unabhängigen Verrechnungsstellen stellt eine unabdingbare Voraussetzung für das Funktionieren eines vollliberalisierten Elektrizitätsmarktes dar. Die bisher von den integrierten Versorgungsunternehmen wahrgenommene Aufgabe des Ausgleichs von Aufbringung und Bedarf in den von diesen Unternehmungen betriebenen Systemen wird nunmehr vom Regelzonenführer übernommen. Die Funktion der neu einzurichtenden Verrechnungsstellen in der mit der Vollliberalisierung verbundenen virtuellen Zusammenfassung von Erzeugern und Verbrauchern ist, anhand der von den Netzbetreibern und Marktteilnehmern (Bilanzgruppenverantwortlichen) zur Verfügung gestellten Daten die Berechnung der für die einzelnen Bilanzgruppenverantwortlichen anfallenden Ausgleichsenergie vorzunehmen und auf Basis von Angeboten der Stromerzeuger Preise für die Ausgleichsenergie unter Zugrundelegung marktwirtschaftlicher Grundsätze (Angebot und Nachfrage) zu erstellen. Weiters ist auf Basis wirtschaftlicher Gesichtspunkte eine Rangfolge für den Abruf von Kraftwerken zu erstellen, die der Preisbildung für die Ausgleichsenergie zugrunde zu legen ist.'

2.2. Da die Kompetenztatbestände des 'Geld-, Kredit-, Börse- und Bankwesens' (Art10 Abs1 Z5 B-VG), des 'Elektrizitätswesens' (Art12 Abs1 Z5 B-VG), der 'Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie' (Art10 Abs1 Z8 B-VG), der 'Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs' (Art10 Abs1 Z8 B-VG) oder des 'Zivilrechtswesens' (Art10 Abs1 Z6 B-VG) in der Bundesverfassung nicht näher umschrieben sind, sind sie im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zur Auslegung von Kompetenztatbeständen (vgl. VfSlg. 7074/1973, 10.831/1986, 11.777/1988, 12.996/1992, 13.234/1992, 13.237/1992, insbesondere 14.266/1995, S 278 u.v.a.) in der Bedeutung zu verstehen, die ihnen im Zeitpunkt ihres Wirksamwerdens - es war dies der Zeitpunkt des Inkrafttretens der Kompetenzartikel des B-VG am 1.10.1925 (vgl. VfSlg. 4680/1964) - nach dem damaligen Stand der Rechtsordnung zugekommen ist (vgl. etwa auch VfSlg. 7759/1976).

Es ist demnach nunmehr zu untersuchen, wie sich die unterverfassungsrechtliche Rechtslage am 1. Oktober 1925 dargestellt hat und welche Schlüsse aus ihr auf das so genannte entstehungszeitliche Begriffsverständnis des Bundes-Verfassungsgesetzgebers zu ziehen sind. Dabei ist - wie der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung betont - nicht so vorzugehen, dass man den Umfang des Kompetenzbegriffs, also hier etwa der Begriffe des 'Börsewesens', der 'Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie', des 'unlauteren Wettbewerbs', des 'Zivilrechtswesens' oder des 'Elektrizitätswesens' im Bestand an einschlägigen Regelungen (also hier im Bestand an den sich kraft Bezeichnung oder Sachzusammenhang als börserechtliche, gewerberechtliche, wettbewerbsrechtliche, elektrizitätsrechtliche oder zivilrechtliche Vorschriften auszeichnenden Bestimmungen) erschöpft sieht. Der Inhalt der Kompetenzartikel ist, wie der Verfassungsgerichtshof in dem gleichfalls für viele Entscheidungen repräsentativen Erkenntnis VfSlg. 3670/1960 sagt, 'nach dem Stande der einfachen Gesetzgebung im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Kompetenzverteilung zu ermitteln. Das bedeutet aber nicht, daß sich der Inhalt des Kompetenzartikels in der Gesamtheit der am Tage seines Wirksamwerdens geltenden Gesetze erschöpft, denn es sind auch Neuregelungen zulässig, sofern sie nur nach ihrem Inhalt systematisch dem Kompetenzgrund angehören' (vgl. ferner VfSlg. 3393/1958, 4117/1961, 4883/1964, 5748/1968, 6137/1970, 10.831/1986).

2.2.1.1. Die unterverfassungsrechtliche Rechtslage zum Kompetenzbegriff des 'Börsewesens' (Art10 Abs1 Z5 B-VG) beginnend mit dem 1. Oktober 1925 stellt sich wie folgt dar:

Auf dem Gebiete des 'Börsewesens' dürfte in diesem Zusammenhang das Gesetz vom 1. April 1875, RGBl. Nr. 67/1875, betreffend die Organisirung der Börsen, in der Fassung des Gesetzes vom 4. Jänner 1903, mit welchem einige abändernde und ergänzende Bestimmungen zu dem Gesetze vom 1. April 1875, RGBl. Nr. 67/1875, betreffend die Organisirung der Börsen, erlassen werden (im Folgenden als Börsegesetz 1875 bezeichnet), von Bedeutung sein.

Gemäß §8 des Börsegesetzes 1875 hat die 'ämtliche Ausmittlung der Course (Preise) der an der Börse umgesetzten Verkehrsgegenstände [hat] an jedem Börsetage nach dem Schlusse der Börse auf Grund der von den Handelsmäklern während der Börse abgeschlossenen Geschäfte und der den Mäklern in Ausübung ihres Amtes bekannt gewordenen Daten unter Aufsicht des Börsecommissärs von Mitgliedern der Börseleitung zu geschehen. Das amtliche Coursblatt (Preisliste) ist ohne Verzug durch die Börseleitung zu veröffentlichen'. [Als Börsegeschäfte sind gemäß §12 des Börsegesetzes 1875 jene Geschäfte anzusehen, die 'im öffentlichen Börselocale in der festgesetzten Börsezeit (§3) über solche Verkehrsgegenstände geschlossen worden sind, welche an der betreffenden Börse gehandelt und notiert werden dürfen'.]

Mit dem [noch in Geltung stehenden] Gesetz vom 4. Jänner 1903, RGBl. Nr. 10/1903, mit welchem einige abändernde und ergänzende Bestimmungen zu dem Gesetze vom 1. April 1875, RGBl. Nr. 67/1875, betreffend die Organisirung der Börsen, erlassen werden, wurden Regelungen über landwirtschaftliche Börsen erlassen.

Gemäß §1 Abs1 des Börsegesetzes 1989, BGBl. Nr. 555/1989, sind Börsen im Sinne dieses Bundesgesetzes Wertpapierbörsen und allgemeine Warenbörsen.

Daraus dürfte sich ergeben, dass Hauptzweck einer Börse die Zurverfügungstellung eines Systems zum Abschluss von Geschäften ist und die laufende Erstellung von Kursen für vertretbare Sachen auf Grund von Angebot und Nachfrage ein zentrales Element der Tätigkeit der Börsen darstellt.

Der Begriff der Börse im Sinne des Kompetenztatbestandes war im Börsegesetz 1875 nicht definiert, sondern wurde offenbar als gegeben vorausgesetzt. Mayerhofer/Pace umschreiben im Handbuch für den politischen Verwaltungsdienst, Bd 6, 5. Auflage, 1900, S. 1151 f, den Begriff der Börse folgendermaßen:

'Die Börsen sind autonome, unter staatlicher Aufsicht stehende Institutionen, welche den Zweck verfolgen, den Verkehr zu concentrieren, dadurch zu erleichtern und zu regeln, und zu ermöglichen, dass die für die Acte der öffentlichen Verwaltung, wie für die außerhalb der Börse stehenden Handelskreise und für das effectenbesitzende Publicum wichtigen, wahren Course constatiert werden.'

In Mischler/Ulbrich, Österreichisches Staatswörterbuch, Bd 1,

2. Auflage, 1905, S. 611 f, stellt Hammerschlag den Begriff der Börse folgendermaßen dar:

'Börse nennt man die regelmäßig an bestimmten Orten und zu bestimmten Zeiten stattfindenden Zusammenkünfte von Kaufleuten zum Zwecke des Abschlusses von Handelsgeschäften in Wertpapieren oder vertretbaren Waren. Das unterscheidende Merkmal zwischen Börsen und anderen Märkten liegt darin, daß auf den letzteren individuell bestimmte Waren den Gegenstand des Umsatzes bilden, während im Börse-Verkehre Waren und Wertpapiere ihres individuellen Charakters vollkommen entkleidet werden (Struck); der Börsen-Handel ist somit Handel mit generell bestimmten Wertpapieren und typenmäßig bestimmten Waren. Die Geschäftsabschlüsse können daher erfolgen, ohne daß die gehandelten Wertpapiere oder Waren zur Stelle sind, wodurch die Negoziabilität der letzteren überaus gesteigert wird. Eine Folge der eben charakterisierten Eigenart des Börsen-Handels ist die Möglichkeit der Kursbildung. Allerdings kommen auch börsemäßige Abschlüsse vor, welche nicht auf Grund allgemeiner Gattungsbezeichnungen stattfinden, sondern bei welchen das Object indvidualisiert wird, wie z.B. bei dem Handel mit Wechseln, doch entspringt ein solcher Börsen-Handel nur aus seinem naturgemäßen Zusammenhange mit denjenigen Geschäften, welche den prinzipiellen Grundlagen des Börse-Verkehres entsprechen. Ebenso treten an Börsen Versicherungs-, Speditions-, Einlagerungsgeschäfte, Handel und Verleihen von Emballagen, Fässern und Säcken als Nebengeschäfte auf.

Als weiteres Merkmal des Börse-Verkehres ist auszuführen, daß die Geschäfte in der Regel unter Zugrundelegung bestimmter Quantitäts- (Schluß-) Einheiten abgeschlossen werden.

Man unterscheidet gewöhnliche Fonds- oder Effektenbörsen, welche dem Verkehre in Zahlungsmitteln und in Effekten, und Warenbörsen, welche dem Verkehre in vertretbaren Waren dienen, doch ist diese Trennung keine notwendige; so werden an den Börsen in Wien, Prag und Triest Effekten u. Waren gehandelt.'

Gemäß §1 Abs1 des Börsegesetzes 1989, BGBl. Nr. 555/1989, sind Börsen im Sinne dieses Bundesgesetzes Wertpapierbörsen und allgemeine Warenbörsen. Wertpapierbörsen sind Börsen, an denen Wertpapiere, ausländische Zahlungsmittel, Münzen und Edelmetalle, Optionen und Finanzterminkontrakte gehandelt und die damit in Verbindung stehenden Hilfsgeschäfte getätigt werden (§1 Abs2). Allgemeine Warenbörsen sind Börsen, an denen alle zum börsemäßigen Handel geeigneten Waren, die nicht ausdrücklich den Wertpapierbörsen oder den [im Gesetz RGBl. Nr. 10/1903 geregelten] landwirtschaftlichen Produktenbörsen zum Handel zugewiesen sind, gehandelt sowie die mit dem Warenhandel in Verbindung stehenden Hilfsgeschäfte getätigt werden.

2.2.1.2. Es wird nicht verkannt, dass der Wortlaut des §2 Verrechnungsstellengesetz dem §2 Abs1 Börsegesetz 1989, BGBl. Nr. 555/1989 idF BGBl. I Nr. 11/1998, nachgebildet ist, wonach ein Börseunternehmen die ihm übertragenen Aufgaben unter Bedachtnahme auf das volkswirtschaftliche Interesse an einem funktionsfähigen Börsewesen und auf die schutzwürdigen Interessen des anlagesuchenden Publikums zu besorgen hat. Dies allein dürfte jedoch nicht ausreichen, um die Regelungen des Verrechnungsstellengesetzes dem Kompetenztatbestand 'Börsewesen' unterstellen zu können. Es dürfte vielmehr bei der kompetenzrechtlichen Beurteilung der Regelungen des Verrechnungsstellengesetzes vom Aufgabenkatalog der Verrechnungsstellen auszugehen sein.

Von den Aufgaben der Verrechnungsstelle, die selbst keinen organisierten, zu festgesetzten Zeiten, an einem bestimmten Ort stattfindenden Markt zum Kauf und Verkauf von Ausgleichsenergie darstellen dürfte, mögen allenfalls Teile der in §9 Abs3 Z1 und 3 genannten Aufgaben, nämlich Angebote für Ausgleichsenergie einzuholen oder Preise für Ausgleichsenergie entsprechend dem in §10 beschriebenen Verfahren zu ermitteln und zu veröffentlichen, börseähnliche Tätigkeiten darstellen. Bei einer Gesamtbetrachtung dürfte die Verrechnungsstelle für Ausgleichsenergie jedoch zum Setzen energielenkender Maßnahmen eingerichtet und ihre Aufgaben daher aus folgenden Gründen dem Kompetenztatbestand des Art12 Abs1 Z5 B-VG (Elektrizitätswesen, soweit es nicht unter Art10 B-VG fällt) zu unterstellen sein:

2.2.2.1. Der Kompetenzbegriff des 'Elektrizitätswesens' (Art12 Abs1 Z5 B-VG) stellt sich wie folgt dar:

Das Elektrizitätswesen ist in der Kompetenzfrage einmal nach Art10 Abs1 Z10 B-VG und im Übrigen nach Art12 Abs1 Z5 B-VG zu beurteilen. Aber auch der Kompetenztatbestand des Art10 Abs1 Z15 B-VG ('aus Anlaß eines Krieges oder im Gefolge eines solchen zur Sicherung der einheitlichen Führung der Wirtschaft notwendig erscheinende Maßnahmen, insbesondere auch hinsichtlich der Versorgung der Bevölkerung mit Bedarfsgegenständen') kommt in Betracht.

Die unterverfassungsrechtliche Rechtslage betreffend die Organisation der Elektrizitätswirtschaft am 1. Oktober 1925 stellt sich wie folgt dar (Art12 Abs1 Z5 B-VG entsprach idF BGBl. Nr. 367/1925 Art12 Abs1 Z8):

Auf dem Gebiete des 'Elektrizitätswesens' dürfte am 1. Oktober 1925 nur das 'Bundesgesetz vom 7. Juni 1922, betreffend elektrische Anlagen (Elektrizitätswegegesetz)', BGBl. Nr. 348/1922 von Bedeutung sein. Dieses Gesetz dürfte keine mit einer 'Ausgleichsorganisation' im weitesten Sinne im Zusammenhang stehenden Bestimmungen enthalten haben. Regelungen über den 'Ausgleich zwischen Erzeugung und Bedarf' unter Bedachtnahme auf 'die günstigste wirtschaftliche Verwendung des zur Verfügung stehenden Stroms' und der gleichmäßigen Belastung der 'Erzeugung mit unvermeidbaren Stromüberschüssen' dürfte erstmals das 2. Verstaatlichungsgesetz, BGBl. Nr. 81/1947 (außer Kraft getreten gem. §4 Abs2 Bundesverfassungsgesetz, mit dem die Eigentumsverhältnisse an den Unternehmen der österreichischen Elektrizitätswirtschaft geregelt werden, BGBl. I Nr. 143/1998, mit Ablauf des 18. Februar 1999) mit der gemäß §5 Abs4 litb leg. cit. an die Verbundgesellschaft übertragenen Aufgabe enthalten haben.

Im Erkenntnis VfSlg. 4570/1963 führte der Verfassungsgerichtshof zur Kompetenz betreffend das 2. Verstaatlichungsgesetz aus, dass die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Kompetenztatbestandes des Art10 Abs1 Z15 B-VG zwar seit dem Inkrafttreten des Staatsvertrages von Wien, BGBl. Nr. 152/1955, am 27. Juli 1955 zur Gänze weggefallen sind; dieser Wegfall könne aber keine Umwandlung eines aufgrund des Art10 Abs1 Z15 B-VG erlassenen Bundesgesetzes in ein Bundesgrundsatzgesetz bewirken. Dieses Erkenntnis scheint es offen zu lassen, ob ein Gesetz mit dem Inhalt des 2. Verstaatlichungsgesetzes (§5 Abs4 litb), nun auf den Kompetenztatbestand des Art12 Abs1 Z5 B-VG gestützt werden müsste. Der Verfassungsgerichtshof stellte jedoch fest, dass der Bundesgesetzgeber aufgrund des Kompetenztatbestandes des Art10 Abs1 Z15 B-VG künftig keine Gesetze in verfassungsmäßiger Weise erlassen könnte (VfSlg. 4939/1965).

2.2.2.2. Ausgleichsenergie ist gemäß §7 Z1 Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz, BGBl. I Nr. 143/1998 idF BGBl. I Nr. 121/2000, in der Folge: ElWOG, die Differenz zwischen dem vereinbarten Fahrplanwert und dem tatsächlichen Bezug oder der tatsächlichen Lieferung der Bilanzgruppe je definierter Messperiode, wobei die Energie je Messperiode tatsächlich erfasst oder rechnerisch ermittelt werden kann. Die Ausführungsgesetze der Länder haben gemäß §47 Abs1 Z1 ElWOG den Bilanzgruppenverantwortlichen (= Vertreter der Bilanzgruppe) die Aufgabe der Erstellung von Fahrplänen und deren Übermittlung an die Verrechnungsstelle und die betroffenen Regelzonenführer, das sind gemäß §7 Z35 ElWOG diejenigen, die für die Leistungs-Frequenzregelungen in einer Regelzone verantwortlich sind, zuzuweisen. Die Ausführungsgesetze haben zwar gemäß §22 Abs2 Z6 ElWOG dem Regelzonenführer die Pflicht zum Abruf der Kraftwerke zur Aufbringung von Ausgleichsenergie entsprechend der Bieterkurve im Zusammenwirken mit dem Bilanzgruppenkoordinator, das ist gemäß §7 Z3 ElWOG eine Person, die eine Verrechnungsstelle auf Grund einer Konzession betreibt, auferlegt. Die Vorsorge dafür, dass zu jedem Zeitpunkt die Abweichung zwischen der geplanten und der tatsächlichen Energieentnahme ausgeglichen wird und die Erhaltung des Frequenz-Sollwertes gewährleistet bleibt, dass also rechtzeitig fehlende Energie zu einem möglichst günstigen Preis besorgt und überschüssige Energie zu einem möglichst hohen Preis abgegeben werden kann, dürfte zu den zentralen Aufgaben der Verrechnungsstelle zählen. Damit dürfte die Verrechnungsstelle der Organisation der Elektrizitätswirtschaft dienliche, energielenkende Maßnahmen besorgen, die im vollliberalisierten Elektrizitätsmarkt erforderlich sein dürften. Regelungen betreffend die Einrichtung einer Stelle, die Aufgaben der Energielenkung zu besorgen hat, dürften nicht dem Kompetenztatbestand 'Börsewesen' sondern jenem des 'Elektrizitätswesens' zuzuordnen sein und daher nur bezüglich der Grundsatzgesetzgebung gemäß Art12 Abs1 Z5 B-VG in die Zuständigkeit des Bundes fallen.

Gleiches scheint auch für die in §9 Abs2 Verrechnungsstellengesetz enthaltenen Aufgaben der Verwaltung der Bilanzgruppen in organisatorischer und abrechnungstech

Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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