TE Vfgh Erkenntnis 2004/3/13 B686/03

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Veröffentlicht am 13.03.2004
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Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall

Spruch

Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerin für Gesundheit und Frauen) ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit EUR 1962,-- bestimmten Prozesskosten binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die beschwerdeführende Versicherungsanstalt der österreichischen Eisenbahnen stellte mit - an den Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen gerichtetem - Schreiben vom 17. Februar 2003 den Antrag, gemäß §416 ASVG eine zwischen dieser Versicherungsanstalt und dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger (im Folgenden kurz: Hauptverband) entstandene Streitigkeit zu entscheiden.

Begründend wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, die Versicherungsanstalt habe dem Hauptverband mit Schreiben vom 13. Jänner 2003 mitgeteilt, die Einbeziehung dieser Versicherungsanstalt in den Ausgleichsfonds der Krankenversicherungsträger auf Grund des §447a ASVG idF der 60. Novelle zum ASVG, BGBl. I Nr. 140/2002, als verfassungswidrig zu beurteilen. Eine aus dieser Einbeziehung resultierende Zahlungsverpflichtung der Versicherungsanstalt sei daher ebenfalls als verfassungswidrig anzusehen und bestehe nicht zu Recht. Mit Schreiben vom 30. Jänner 2003 habe der Hauptverband erklärt, diese Rechtsansicht nicht zu teilen.

2. Die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde richtet sich gegen den im Verfahren gemäß §416 ASVG (idF vor dem Budgetbegleitgesetz 2003, BGBl. I Nr. 71/2003) ergangenen Bescheid des damals zuständigen Bundesministers für soziale Sicherheit und Generationen vom 21. März 2003, mit dem der Antrag der Versicherungsanstalt auf Entscheidung der genannten Streitigkeit mit dem Hauptverband abgewiesen worden ist.

Die Beschwerde behauptet die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte sowie in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes (nämlich - unter anderem - der die Einbeziehung der Versicherungsanstalt in den Ausgleichsfonds der Krankenversicherungsträger begründenden Wortfolgen in §447a ASVG idF der 60. Novelle zum ASVG) und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

3. Die nunmehr zuständige Bundesministerin für Gesundheit und Frauen hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, worin die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides verteidigt und die kostenpflichtige Beschwerdeabweisung beantragt wird.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Mit Erkenntnis vom 13. März 2004, G279/02 ua. Zlen., hat der Verfassungsgerichtshof ua. die Wortfolge ", der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, der Sozialversicherungsanstalt der Bauern, der Versicherungsanstalt der österreichischen Eisenbahnen und der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter" in §447a Abs1 ASVG sowie die Wortfolgen ", die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, die Sozialversicherungsanstalt der Bauern, die Versicherungsanstalt der österreichischen Eisenbahnen und die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter" und ", der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, der Sozialversicherungsanstalt der Bauern, der Versicherungsanstalt der österreichischen Eisenbahnen und der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter" in §447a Abs3 erster Satz ASVG, jeweils idF der 60. Novelle zum ASVG, BGBl. I Nr. 140/2002, als verfassungswidrig aufgehoben.

2. Gemäß Art140 Abs7 zweiter Satz B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die für verfassungswidrig erkannte Norm bereits zu dem Zeitpunkt, in dem sich der dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende Lebenssachverhalt verwirklicht hat, nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.

Dem in Art140 Abs7 zweiter Satz B-VG genannten Anlassfall (im engeren Sinn), anlässlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, stehen jene Beschwerden gleich, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren bzw. bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (zB VfSlg. 10.616/1985).

Die öffentliche mündliche Verhandlung in den zu G 279, 294, 333, 335/02 sowie G13 und 23/03 geführten Gesetzesprüfungsverfahren fand am 1. März 2004 statt. Die vorliegende Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof am 7. März 2003 eingelangt, war also bei Beginn der Verhandlung schon anhängig. Der ihr zugrunde liegende Fall ist somit einem Anlassfall des zu G279/02 ua. Zlen. geführten Verfahrens gleichzuhalten.

3. Die Behörde hat somit bei Erlassung des angefochtenen Bescheides ein als verfassungswidrig erkanntes Gesetz angewendet. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, dass die Anwendung dieses Gesetzes für die Rechtsstellung der beschwerdeführenden Partei nachteilig war.

Die beschwerdeführende Partei wurde also durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt (zB VfSlg. 10.736/1985).

Der Bescheid war daher aufzuheben.

4. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von EUR 327,-- enthalten. Ein Ersatz der entrichteten Eingabengebühr war wegen der bestehenden persönlichen Abgabenfreiheit (§109 ASVG) nicht zuzusprechen.

5. Dies konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

VfGH / Anlaßfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2004:B686.2003

Dokumentnummer

JFT_09959687_03B00686_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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