TE Vfgh Erkenntnis 2004/3/13 B959/03

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Veröffentlicht am 13.03.2004
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Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall

Spruch

Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerin für Gesundheit und Frauen) ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit EUR 1962,-- bestimmten Prozesskosten binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die beschwerdeführende Oberösterreichische Gebietskrankenkasse stellte mit - an den Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen gerichtetem - Schreiben vom 3. April 2003 den Antrag, der Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen möge gemäß §416 ASVG entscheiden, dass die Zahlungspflicht der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse zum Ausgleichsfonds der Krankenversicherungsträger per 1. April 2003 nicht zu Recht besteht.

Gemäß §447a Abs3 ASVG haben ua. die Gebietskrankenkassen jährlich einen Beitrag im Ausmaß von 2 vH der Beitragseinnahmen an den Ausgleichsfonds der Krankenversicherungsträger zu überweisen, und zwar in zwei gleich hohen Teilbeträgen jeweils am 1. April und am 1. Oktober jedes Kalenderjahres. Für die Geschäftsjahre 2003 und 2004 ist diese Bestimmung so anzuwenden, dass an die Stelle von 2 vH ein Prozentsatz von 4 vH tritt (§600 Abs10 erster Satz ASVG idF der 60. Novelle zum ASVG, BGBl. I Nr. 140/2002).

2. Die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde richtet sich gegen den im Verfahren gemäß §416 ASVG (idF des Budgetbegleitgesetzes 2003, BGBl. I Nr. 71/2003) ergangenen Bescheid der nunmehr zuständigen Bundesministerin für Gesundheit und Frauen vom 26. Mai 2003, mit dem diese ausgesprochen hat, dass die Oberösterreichische Gebietskrankenkasse gemäß "§447a Abs3 und §600 Abs10 ASVG" verpflichtet war, am 1. April 2003 einen Beitrag in Höhe von 22,129 Millionen Euro an den Ausgleichsfonds der Krankenversicherungsträger beim Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger zu überweisen, sowie auf Grund derselben Bestimmungen verpflichtet sei, diesem Ausgleichsfonds am 1. Oktober 2003 einen weiteren, etwa gleich hohen Beitrag zu überweisen.

Die Beschwerde behauptet die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte sowie in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, worin die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides verteidigt und die kostenpflichtige Beschwerdeabweisung beantragt wird.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Mit Erkenntnis vom 13. März 2004, G279/02 ua. Zlen., hat der Verfassungsgerichtshof ua. die Bestimmung des §600 Abs10 erster Satz ASVG idF der 60. Novelle zum ASVG, BGBl. I Nr. 140/2002, als verfassungswidrig aufgehoben.

2. Gemäß Art140 Abs7 zweiter Satz B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die für verfassungswidrig erkannte Norm bereits zu dem Zeitpunkt, in dem sich der dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende Lebenssachverhalt verwirklicht hat, nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.

Dem in Art140 Abs7 zweiter Satz B-VG genannten Anlassfall (im engeren Sinn), anlässlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, stehen jene Beschwerden gleich, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren bzw. bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (zB VfSlg. 10.616/1985).

Die öffentliche mündliche Verhandlung in den zu G 279,294,333,335/02 sowie G13 und 23/03 geführten Gesetzesprüfungsverfahren fand am 1. März 2004 statt. Die vorliegende Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof am 10. Juli 2003 eingelangt, war also bei Beginn der Verhandlung schon anhängig. Der ihr zugrunde liegende Fall ist somit einem Anlassfall des zu G279/02 ua. Zlen. geführten Verfahrens gleichzuhalten.

3. Die Behörde hat somit bei Erlassung des angefochtenen Bescheides ein als verfassungswidrig erkanntes Gesetz angewendet. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, dass die Anwendung dieses Gesetzes für die Rechtsstellung der beschwerdeführenden Partei nachteilig war.

Die beschwerdeführende Partei wurde also durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt (zB VfSlg. 10.736/1985).

Der Bescheid war daher aufzuheben.

4. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von EUR 327,-- enthalten. Ein Ersatz der entrichteten Eingabengebühr war wegen der bestehenden persönlichen Abgabenfreiheit (§109 ASVG) nicht zuzusprechen.

5. Dies konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

VfGH / Anlaßfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2004:B959.2003

Dokumentnummer

JFT_09959687_03B00959_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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