TE Vfgh Erkenntnis 2004/6/9 B1338/03

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Veröffentlicht am 09.06.2004
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Index

82 Gesundheitsrecht
82/03 Ärzte, sonstiges Sanitätspersonal

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
ÄrzteG 1998 §53, §136
ASVG §341, §342
Richtlinie "Arzt und Öffentlichkeit" der Österreichischen Ärztekammer Art1, Art2

Leitsatz

Keine Verletzung im Gleichheitsrecht durch Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Arzt wegen Anführung einer zweiten Ordination mit dem Vermerk "Alle Kassen" auf seiner Homepage; vertretbare Annahme der gezielten Verbreitung wahrheitswidriger Sachinformationen; keine denkunmögliche Gesetzesanwendung durch bloßen Zitierfehler im angefochtenen Bescheid

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Der Beschwerdeführer ist seit 1983 als Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten tätig; für seine Ordination in Wien steht er in einem Vertragsverhältnis zu sämtlichen in Betracht kommenden Sozialversicherungsträgern. Im Jahr 1992 errichtete er in Wiesen eine Zweitordination, für die er keine Kassenverträge besitzt.

Am 15. März 2000 füllte er ein "Fax-Datenblatt" aus, mit dem er die Einrichtung einer Homepage in Auftrag gab. Dabei trug er in der Spalte "Anschrift" die Adressen beider Ordinationen ein. In der Rubrik "Kassenverträge" kreuzte er sämtliche Positionen an, was dazu führte, dass auch die Homepage für die Zweitordination in Wiesen den Zusatz "Alle Kassen" aufwies. Dieser Zusatz wurde im November 2000 aufgrund einer Beanstandung durch die Ärztekammer gelöscht.

Den (unbestrittenen) Sachverhaltsfeststellungen der belangten Behörde zufolge hat der Beschwerdeführer die von ihm erbrachten ärztlichen Leistungen auch hinsichtlich jener Patienten, die er in seiner Zweitordination in Wiesen behandelt hatte, über seine Ordination in Wien abgerechnet. (Die Sozialversicherungsanstalt der Bauern und die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft seien damit einverstanden gewesen; die Burgenländische Gebietskrankenkasse und auch die Ärztekammer für Burgenland haben diese Vorgangsweise im Interesse der im Raum Mattersburg ärztlich nicht ausreichend versorgten Bevölkerung bis zur Einrichtung einer Vertragsfacharztstelle toleriert; die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter habe diese Form der Honorarabrechnung untersagt. Nach Installierung einer Planstelle auf Vertragsbasis mit allen Kassen per 1. Jänner 1999 habe die Burgenländische Gebietskrankenkasse dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 15. März 2000 mitgeteilt, dass die zuvor tolerierte Abrechnungspraxis nicht länger gebilligt werde. Mit Schreiben vom 20. August 2000 habe sie dem Beschwerdeführer die Weiterbehandlung bisheriger Patienten in Wiesen zugebilligt, hinsichtlich neuer Patienten allerdings deren ausdrückliche Information darüber aufgetragen, dass sie nicht auf Kassenkosten behandelt würden.)

1.2. Mit Bescheid des Disziplinarrates der Österreichischen Ärztekammer, Disziplinarkommission für Wien, Niederösterreich und Burgenland, vom 16. Oktober 2002 wurde der Beschwerdeführer zur Disziplinarstrafe des schriftlichen Verweises sowie zum Ersatz der Kosten des Disziplinarverfahrens verurteilt, weil er im Jahr 2000 eine Homepage-Einschaltung mit dem (auch) seine Zweitordination in Wiesen betreffenden Vermerk "Alle Kassen" veranlasste, obwohl er für diesen Ordinationsstandort keine Kassenverträge aufzuweisen hatte. Er habe dadurch gegen Art1 und 2 der Richtlinie "Arzt und Öffentlichkeit" und damit gegen seine Berufspflicht gemäß §53 Abs1 ÄrzteG 1998 verstoßen, sohin ein Disziplinarvergehen gemäß §136 Abs1 Z1 ÄrzteG 1998 begangen.

1.3. Der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung gab der Disziplinarsenat der Österreichischen Ärztekammer beim Bundesministerium für Gesundheit und Frauen mit Bescheid vom 19. Mai 2003 keine Folge.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde gemäß Art144 B-VG, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung verfassungswidriger Gesetzesbestimmungen behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides beantragt wird.

3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie dem Beschwerdevorbringen entgegentritt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. §53 und §136 Ärztegesetz 1998, BGBl. I Nr. 169/1998 idF BGBl. I Nr. 110/2001, lauten auszugsweise:

"Werbebeschränkung und Provisionsverbot

§53. (1) Der Arzt hat sich jeder unsachlichen, unwahren oder das Standesansehen beeinträchtigenden Information im Zusammenhang mit der Ausübung seines Berufes zu enthalten.

(2) - (3) …

(4) Die Österreichische Ärztekammer kann nähere Vorschriften über die Art und Form der im Abs1 genannten Informationen erlassen."

"2. Abschnitt

Disziplinarvergehen

§136. (1) Ärzte machen sich eines Disziplinarvergehens schuldig, wenn sie im Inland oder im Ausland

1. das Ansehen der in Österreich tätigen Ärzteschaft durch ihr Verhalten der Gemeinschaft, den Patienten oder den Kollegen gegenüber beeinträchtigen oder

2. die Berufspflichten verletzen, zu deren Einhaltung sie sich anläßlich der Promotion zum Doctor medicinae universae oder zum Doctor medicinae dentalis verpflichtet haben oder zu deren Einhaltung sie nach diesem Bundesgesetz oder nach anderen Vorschriften verpflichtet sind.

(2) - (6) …

(7) Soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, genügt für die Strafbarkeit fahrlässiges Verhalten (§6 StGB).

(8) Ein Disziplinarvergehen ist vom Disziplinarrat nicht zu verfolgen, wenn die Schuld des Arztes gering ist und sein Verhalten keine oder nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat."

Art 1 und Art2 der auf §53 Abs4 ÄrzteG 1998 beruhenden Richtlinie "Arzt und Öffentlichkeit" der Österreichischen Ärztekammer idF der Kundmachung in der Österreichischen Ärztezeitung vom 28.6.2000 lauten:

"Artikel 1

Dem Arzt ist jede unsachliche, unwahre, das Standesansehen beeinträchtigende Information untersagt.

Artikel 2

Unsachlich ist eine Information, wenn sie sich nicht auf medizinische Inhalte bezieht, die gebotene medizinische Objektivität und Erfahrung nicht gewahrt ist, oder wenn sie nach Form und Inhalt dem Informationsbedürfnis von Arzt und Patient nicht angemessen entspricht. Unwahr ist eine Information, wenn sie den Tatsachen nicht entspricht."

III. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.1. Der Beschwerdeführer behauptet zunächst eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz infolge Willkür, weil er durch den bekämpften Bescheid für ein Verhalten eines Dritten zur Verantwortung gezogen werde, ohne dass ihn selbst ein Verschulden treffe. Das Fax-Datenblatt enthalte keine unwahren Informationen; es sei für ihn nicht erkennbar gewesen, dass zwei Homepages - eine für die Ordination in Wien und eine für jene in Wiesen - eingerichtet würden. Die belangte Behörde habe auch zu Unrecht die Anwendbarkeit des §136 Abs8 ÄrzteG 1998 - wonach ein Disziplinarvergehen nicht zu verfolgen ist, wenn die Schuld des Arztes gering ist und sein Verhalten keine oder nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat - verneint.

1.2. Die belangte Behörde ging jedoch in vertretbarer Weise davon aus, dass angesichts der Angabe beider Ordinationsadressen auf dem Fax-Datenblatt auch in der Spalte "Kassenverträge" eine Differenzierung zwischen den beiden Ordinationssitzen notwendig gewesen wäre. Das diesbezügliche Unterlassen des Beschwerdeführers habe nämlich dazu geführt, dass der allein für die Ordination in Wien zutreffende Hinweis "Alle Kassen" unrichtigerweise auch die Ordination in Wiesen mit einschloss (weshalb es insofern auch nicht maßgeblich ist, ob eine oder zwei Homepages eingerichtet wurden). Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist der Behörde auch insoweit nicht entgegenzutreten, als sie mit Blick auf die vom Beschwerdeführer gepflogenen Abrechnungsmodalitäten - der Abrechnung der in der Ordination in Wiesen erbrachten ärztlichen Leistungen über die Ordination in Wien - zum Schluss gelangte, der Beschwerdeführer habe gezielt wahrheitswidrige Sachinformation an potentielle Patienten verbreitet, weshalb auch nicht bloß geringe Schuld iSd. §136 Abs8 ÄrzteG 1998 vorliege.

2.1. Der Beschwerdeführer bringt weiters vor, dass er - ausgehend von der festgestellten Berufspflichtverletzung gemäß §53 Abs1 ÄrzteG 1998 - unrichtigerweise nach §136 Abs1 Z1 anstatt nach §136 Abs1 Z2 ÄrzteG 1998 für schuldig erkannt worden sei. Dies stelle eine denkunmögliche Gesetzesanwendung dar, zumal die belangte Behörde nicht geprüft habe, inwieweit der Beschwerdeführer iSd. §136 Abs1 Z1 leg. cit. "das Ansehen der in Österreich tätigen Ärzteschaft […] der Gemeinschaft, den Patienten oder den Kollegen gegenüber" beeinträchtigt habe.

2.2. Da die Feststellung des Vorliegens einer Berufspflichtverletzung gemäß §53 Abs1 ÄrzteG 1998 aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden ist (s. oben Pkt. 1.2.) und sich ein Arzt gemäß §136 Abs1 Z2 leg. cit. eines Disziplinarvergehens schuldig macht, wenn er seine Berufspflichten verletzt, stellt die im bekämpften Bescheid erfolgte Bezugnahme auf §136 Abs1 Z1 ÄrzteG 1998 einen bloßen Zitierfehler dar. Eine denkunmögliche Gesetzesanwendung ist darin nicht zu erblicken.

3. Soweit der Beschwerdeführer die Verfassungswidrigkeit der §§341 und 342 ASVG betreffend die (zwischen dem Hauptverband der Sozialversicherungsträger und den Ärztekammern abzuschließenden) Gesamtverträge rügt, ist ihm schon die mangelnde Präjudizialität dieser Bestimmungen entgegenzuhalten. Die behauptete Verfassungswidrigkeit der §§53 Abs1, 136 Abs1 Z1 und 136 Abs8 ÄrzteG 1998 ist in der Beschwerde nicht näher begründet; Bedenken gegen diese Bestimmungen sind beim Verfassungsgerichtshof nicht entstanden.

4. Die behaupteten Rechtsverletzungen liegen somit nicht vor. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, dass er in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde. Ob der angefochtene Bescheid aber in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. VfSlg. 9454/1982, 12.697/1991, 15.473/1999).

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

5. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Ärzte, Disziplinarrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2004:B1338.2003

Dokumentnummer

JFT_09959391_03B01338_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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