RS Vfgh 1987/3/11 V77/86

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Veröffentlicht am 11.03.1987
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Index

L3 Finanzrecht
L3800 Verwaltungsabgaben

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art7 Abs1 / Verordnung
B-VG Art18 Abs1
B-VG Art139 Abs4
B-VG Art139 Abs6 zweiter Satz
Wr VerwaltungsabgabenV. LGBl 11/1982 Tarif I. Tarifpost 36 litb
Wr VerwaltungsabgabenG. LGBl 50/1925 idF der Nov LGBl 30/1979 §2

Leitsatz

Wr. VerwaltungsabgabenG 1925 idF LGBl. 30/1979; Wr. VerwaltungsabgabenV 1982 Tarif I Post 36 litb; das G genügt in Bezug auf die Höhe der Abgabe dem Art18 B-VG; Verwaltungsabgabe stellt nach überkommenem Verständnis die Gegenleistung für die behördliche Amtshandlung dar; verfassungskonforme Interpretation des G; Abgabepflicht, die allein an die Erteilung einer Ausnahmebewilligung anknüpfte, ohne durch den Aufwand der Behörde oder den Wert der Amtshandlung für den Interessenten im Hinblick auf einen ihm vor anderen zukommenden Vorteil beschränkt zu sein, würde die Lasten unsachlich verteilen; Gebietskörperschaft benützt hier eine behördliche Amtshandlung zur Ersatzleistung einer gleichsam dauernder Einnahmequelle - keine Gegenleistung für die Amtshandlung, sondern Gegenleistung für das bewilligte Verhalten selbst; Regelung geht über das der Amtshandlung selbst Angemessene im Wert offenkundig hinaus; Feststellung der Gesetzwidrigkeit des Tarifs I Post 36 litb Wr. VerwaltungsabgabenV; gem. Art139 Abs6 B-VG Ausschluß der Anwendung aufgehobenen Bestimmung auch auf andere Tatbestände

Rechtssatz

Der Verfassungsgerichtshof hält an der im Prüfungsbeschluß dargelegten Auffassung fest, daß das Wr VerwAbgG, LGBl. 1925/50, idF der Novelle LGBl. 1979/30 in bezug auf die Höhe der Abgabe dem Bestimmtheitserfordernis des Art18 B-VG genügt, weil sich der Gesetzgeber am überkommenen Begriff der Verwaltungsabgabe orientiert hat und daher im Rahmen der Höchstgrenze einerseits der Aufwand der Behörde, andererseits der Wert der Amtshandlung für den Interessenten, insbesondere der Vorteil maßgebend ist, den dieser durch die Amtshandlung vor anderen erlangt, wobei auch seine durchschnittliche Belastbarkeit zu berücksichtigen ist.

Amtswegige Prüfung der Worte "je angefangenen Monat" im Tarif I der Wr VerwAbgV, LGBl. 1982/11, Tarifpost 36 litb.

Der Vorwurf einer Gesetzwidrigkeit wäre unberechtigt, wenn schon das Gesetz selbst die Höhe der Verwaltungsabgabe nach dem Maß der Bewilligungsdauer bemessen würde. Eine solche Bestimmung enthält aber das geltende Gesetz (Wr VerwAbgG, LGBl. 1925/50, idF der Novelle LGBl. 1979/30) nicht.

Es darf auch nicht im Sinne der ihm vorangegangenen Vorschriften verstanden werden. Im Prüfungsbeschluß ist der Verfassungsgerichtshof davon ausgegangen, daß die Verwaltungsabgabe nach überkommenem Verständnis die Gegenleistung für die behördliche Amtshandlung darstellt. Sie ist deshalb wohl nicht auf die Deckung der Kosten der Amtshandlung beschränkt. Im Erk. VfSlg. 1411/1931 hat der Gerichtshof klargestellt, daß die Verwaltungsabgabe auch Erträgnisse abwerfen darf. Das Problem von Tarifen der in Prüfung stehenden Art liegt aber nicht darin, daß die Gebietskörperschaft sich mit der Abgabe eine Einnahme verschafft, sondern daß sie die Gelegenheit einer behördlichen Amtshandlung zur Erschließung einer gleichsam dauernden Einnahmequelle benutzt. Läuft doch die gewählte Technik im wesentlichen auf ein Ergebnis hinaus, wie es auch einträte, wenn die Amtshandlung eine regelmäßig fortlaufende Zahlungspflicht auslöste; bloß eben daß dieser Betrag gleich zur Gänze fällig wird. Das verschiebt den Akzent der Abgabe insgesamt von einer Gegenleistung für die Amtshandlung hin zu einer Gegenleistung für das bewilligte Verhalten selbst. Eine solche Technik wäre nur dann unbedenklich, wenn sie ein bloßer Berechnungsmodus bliebe, dessen Ergebnis den Wert der Amtshandlung gemessen an den Abgaben für andere Amtshandlungen nicht wesentlich überschritte.

Über das der Amtshandlung selbst Angemessene geht die in Prüfung stehende Regelung offenkundig weit hinaus. Für eine Gesamtdauer von drei Jahren erreicht sie (bei zwei Bewilligungsakten) bereits das gesetzliche Höchstausmaß, das sonst nur für die Bewilligung von Großprojekten oder Privilegien vorgesehen ist, bei welchen der Aufwand der Behörde oder der Nutzen des Berechtigten schon außer jedem Verhältnis zum Höchstausmaß der Abgabe steht. Daß das Gesetz (Wr VerwAbgG, Tarif I der Verordnung der Wiener Landesregierung vom 9.3.1982 über Verwaltungsabgaben, Kommissionsgebühren und Überwachungsgebühren, LBGl. Nr. 11, Tarifpost 36 litb) diese Möglichkeit eröffnet, kann der Verfassungsgerichtshof ihm nicht unterstellen, weil es dann selbst unsachlich und damit verfassungsrechtlich bedenklich würde.

Unsachlich wäre eine solche Gesetzesauslegung deshalb, weil die behördliche Amtshandlung dann nicht mehr Grund und Grenze der Abgabe, sondern nur noch der Anlaß wäre, das bewilligte Verhalten selbst zu besteuern. Ein Verhalten aber nur deshalb zu besteuern, weil dafür eine behördliche Bewilligung erforderlich ist, würde jeder sachlichen Rechtfertigung entbehren. Das Erfordernis einer behördlichen Bewilligung zeigt nicht an, daß sich das bewilligte Verhalten als unerwünscht oder gar sozialschädlich von anderen Verhaltensweisen abhebt.

Hätte das Gesetz den von der Wiener Landesregierung unterstellten Inhalt (Zulässigkeit von Abgaben nach dem Maß der Bewilligungsdauer), verstieße es aber auch deshalb gegen den Gleichheitssatz, weil es dann die Bewilligung von Ausnahmen von Verkehrsgeboten und -verboten ohne einleuchtenden Grund erheblich höher besteuern würde als vergleichbare andere behördliche Amtshandlungen. Für die in Rede stehende Bewilligung ist nämlich - mit Rücksicht auf die Notwendigkeit einer neuen Bewilligung spätestens nach Ablauf von zwei Jahren (§45 Abs2 Satz 2 StVO) - auf einen Zeitraum von drei Jahren hinaus die Höchstsumme zu bezahlen, die sonst für die Bewilligung von Sonderbestattungsanlagen (TP22), bau- oder naturschutzrechtliche Genehmigungen für Großvorhaben (TP45, 48 und 51 bzw 131 und 141) oder für die Bewilligung zur Führung des Stadtwappens für Erwerbsunternehmen (TP122) vorgesehen ist. Für dieses Mißverhältnis kann der Verfassungsgerichtshof keine Rechtfertigung finden.

Der Einwand der Landesregierung, die Abgabe habe - auch - den Zweck, Ausnahmen von Verkehrsvorschriften in ihrer Dauer möglichst zu beschränken (und damit diese Vorschriften möglichst wirksam zu lassen), unterstellt eine Zielsetzung, die dem überkommenen Begriff der Verwaltungsabgabe nicht innewohnt und die Abgabe zu einer unsachlichen Maßnahme der Handhabung des Straßenverkehrsrechts machen würde (, deren kompetenzrechtliche Zulässigkeit hier dahingestellt bleiben mag). Gewiß können im Abgabenrecht auch andere als fiskalische Zwecke verfolgt werden. Aber auch Abgabenvorschriften müssen sachlich gerechtfertigt sein. Und es gibt keinen Grund, die Bewilligung von Ausnahmen von Verkehrsvorschriften ganz allgemein stärker einzuschränken, als das in den Verkehrsvorschriften vorgesehen ist. Eine solche Zielsetzung würde nicht berücksichtigen, daß Ausnahmen von Verkehrsgeboten und -verboten häufig durch ein erhebliches persönliches Interesse des Antragstellers gefordert werden und insbesondere dann zu bewilligen sind, wenn sich die ihm obliegenden Aufgaben anders nicht oder nur mit besonderen Erschwernissen durchführen lassen, sodaß - wie der Prüfungsbeschluß betont - Ausnahmebewilligungen häufig nur die Nachteile zu weit gefaßter genereller Normen beseitigen und für den einzelnen erträglich machen. Zurecht weist der Beschwerdeführer des Anlaßverfahrens darauf hin, daß die Notwendigkeit einer Ausnahmebewilligung häufig aus Ge- oder Verboten entsteht, die den Betroffenen übermäßige Nachteile brächten (die sogar ihrerseits eine Entschädigung rechtfertigen würden), wenn sie nicht durch die Ausnahmebewilligung vermieden oder gemildert würden. Dem Wirtschaftstreibenden, der für die Zufahrt zu seinem Betrieb wegen eines Fahrverbotes auf die Erteilung einer Ausnahmebewilligung angewiesen ist, wird durch die gesetzmäßige Erteilung der Bewilligung ebensowenig eine (abzuschöpfende) Begünstigung vor anderen zuteil wie dem Bewohner eines Hauses, der die Bewilligung für eine ihm sonst verwehrte Zulieferung benötigt. Eine Abgabepflicht, die allein an die Erteilung einer Ausnahmebewilligung anknüpfte, ohne durch den Aufwand der Behörde oder den Wert der Amtshandlung für den Interessenten im Hinblick auf einen ihm vor anderen zukommenden Vorteil begrenzt zu sein, würde die Lasten daher unsachlich verteilen.

Im Tarif I der Verordnung der Wiener Landesregierung vom 9.3.1982 über Verwaltungsabgaben, Kommissionsgebühren und Überwachungsgebühren, LBGl. Nr. 11, Tarifpost 36 litb, waren die Worte "je angefangenen Monat" gesetzwidrig.

Diese Worte sind nicht mehr anzuwenden.

Über das der Amtshandlung selbst Angemessene geht die in Prüfung stehende Regelung offenkundig weit hinaus. Für eine Gesamtdauer von drei Jahren erreicht sie (bei zwei Bewilligungsakten) bereits das gesetzliche Höchstausmaß, das sonst nur für die Bewilligung von Großprojekten oder Privilegien vorgesehen ist, bei welchen der Aufwand der Behörde oder der Nutzen des Berechtigten schon außer jedem Verhältnis zum Höchstausmaß der Abgabe steht. Daß das Gesetz (Wr VerwAbgG, LGBl. 1925/50, idF der Novelle LGBl. 1979/30) diese Möglichkeit eröffnet, kann der Verfassungsgerichtshof ihm nicht unterstellen, weil es dann selbst unsachlich und damit verfassungsrechtlich bedenklich würde.

Gemessen an einem verfassungskonform ausgelegten Gesetz erweist sich die in Prüfung gezogene Verordnungsstelle somit als gesetzwidrig.

Mit Verordnung vom 12.2.1985, LGBl. 8, hat die Wiener Landesregierung aufgrund des VerwaltungsabgabenG 1985, LGBl. 1984/49, eine neue VerwaltungsabgabenV erlassen. Deren Inkrafttreten hat die in Prüfung stehende Verordnung LGBl. 1982/11 außer Kraft gesetzt (§9). Es ist daher auszusprechen, daß die in Prüfung gezogene Verordnungsbestimmung gesetzwidrig war (Art139 Abs4 B-VG).

Der Verfassungsgerichtshof findet keinen Grund, die Wirkungen dieses Ausspruchs auf den Anlaßfall beschränkt zu lassen. Er macht daher von der in Art139 Abs6 B-VG eröffneten Möglichkeit Gebrauch, die Anwendung des gesetzwidrigen Normteiles auch auf andere Tatbestände auszuschließen.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Verwaltungsabgaben, Auslegung verfassungskonforme, Straßenpolizei, Verkehrsbeschränkungen, VfGH / Feststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1987:V77.1986

Dokumentnummer

JFR_10129689_86V00077_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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