RS Vfgh 1987/3/19 G147/86, G148/86, G149/86, G150/86, G151/86, G152/86, G153/86, G154/86, G155/86, G

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 19.03.1987
beobachten
merken

Index

16 Medienrecht
16/01 Medien, Presseförderung

Norm

B-VG Art140 Abs1
B-VG Art140 Abs5
MRK Art10 Abs2
MedienG §47 Abs1

Leitsatz

Präjudizialität der Worte "und, sofern es der Verfügungsberechtigte nicht untersagt, an anderen öffentlichen Orten" in §47 Abs1 - kein untrennbarer Zusammenhang mit dem übrigen Text; Verbreitungsverbot in §47 Abs1 ausschließlich an die Tatsache der Untersagung durch den Verfügungsberechtigten geknüpft ohne Unterscheidung nach der Art des öffentlichen Ortes und dem Untersagungsgrund; keine Gewährleistung, daß in jenen Fällen die Schranken des Art10 Abs2 MRK beachtet werden können, in denen Rechte anderer nicht betroffen sind; Verstoß der Regelung gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung; keine Fristsetzung für das Außerkrafttreten

Rechtssatz

Keine Prüfung des gesamten §47 Abs1 MedienG.

Die Worte "sowohl von einem festen Standort aus als auch auf der Straße" und "jedoch nicht von Haus zu Haus" sind in den Anlaßbeschwerdeverfahren nicht präjudiziell. Sie stehen mit der in Prüfung gezogenen Wortfolge ("und, sofern es der Verfügungsberechtigte nicht untersagt, an anderen öffentlichen Orten" im §47 Abs1 MedienG) auch in keinem untrennbaren Zusammenhang. Der Sinn des verbleibenden Textes würde durch die Aufhebung des in Prüfung stehenden Teiles nicht entscheidend verändert. Es ist zwar richtig, daß sich aus der Formulierung "... anderen öffentlichen Orten" deutlich ergibt, daß auch unter "Straße" nur eine öffentliche Straße gemeint ist. Doch würde der Wegfall dieser Formulierung an diesem Ergebnis deshalb nichts ändern, weil kein Grund bestünde, den verbleibenden - für sich gesehen allenfalls mehrdeutigen - Text anders zu verstehen, als er ursprünglich gemeint war und allgemein verstanden wurde. Soll also einerseits nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden werden als Voraussetzung für die Anlaßfälle ist und andrerseits der verbleibende Text keine Änderung der Bedeutung erfahren, muß in Kauf genommen werden, daß Zweifel über die Bedeutung des Wortes "Straße" entstehen, die erst bei entstehungsgeschichtlicher Auslegung in Verbindung mit dem Zweck der Vorschrift und den Gründen des aufhebenden Erk. beseitigt werden können. Eine solche Erschwernis beim Verständnis des Gesetzes muß gegenüber den weiterreichenden Folgen einer Aufhebung des ganzen §47 Abs1 in den Hintergrund treten.

Soweit nach §47 Abs1 MedienG der Vertrieb periodischer Druckschriften ("unbeschadet der sich aus anderen Rechtsvorschriften ergebenden Beschränkungen") nicht verboten ist, bleiben etwaige Verfügungsrechte über die in Frage stehenden Örtlichkeiten unberührt. Solche Verfügungsrechte können sich sowohl aus Privatrechten (insbesondere dem Eigentumsrecht) als auch aus öffentlich-rechtlichen Stellungen (insbesondere der Widmung zum Gemeingebrauch) ergeben. Das Recht des Eigentümers, die Einrichtung eines festen Standortes zur Verbreitung periodischer Druckwerke durch einen anderen auf seinem Grund und Boden zu verhindern, wird durch §47 MedienG ebensowenig eingeschränkt wie das Recht des über einen öffentlichen Ort (Kirche, Museum, Theater, Kaufhaus oder Gaststätte) Verfügungsberechtigten, den Vertrieb an diesen Orten zu untersagen. Nur bei öffentlichen Straßen schließt das Gesetz - wie der Vergleich mit der Regelung für andere öffentliche Orte zeigt - eine Untersagung durch den Verfügungsberechtigten aus. Mit dem Gemeingebrauch an öffentlichen Straßen erachtet der Gesetzgeber ein solches Verbot zurecht für unvereinbar.

Es liegt auf der Hand, daß ein gesetzliches Verbot der Verbreitung periodischer Druckschriften an allen anderen öffentlichen Orten (außer Straßen) mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung ebenso unvereinbar wäre wie eine generelle, die Wünsche des Verfügungsberechtigten schlechthin mißachtende Erlaubnis ähnlich der für öffentliche Straßen mit dem Eigentumsrecht. Der Verfassungsgerichtshof pflichtet der Bundesregierung darin bei, daß eine Differenzierung zwischen Straßen und anderen öffentlichen Orten nicht nur sachlich gerechtfertigt, sondern - im Grundsatz - geradezu geboten ist. Entgegen der Meinung der Bundesregierung sieht der Verfassungsgerichtshof jedoch seine Bedenken bestätigt, daß §47 Abs1 MedienG diese Differenzierung gegenwärtig in einer Weise vornimmt, die auf das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf freie Meinungsäußerung unzureichend Bedacht nimmt. Das Gesetz verbietet nämlich die Verbreitung an öffentlichen Orten (außer Straßen) immer schon dann (unter Strafdrohung), wenn der Verfügungsberechtigte die Verbreitung untersagt. Es enthält keinen Anhaltspunkt für die Behauptung der Bundesregierung, daß ihm nur das Recht zustehe, "eine mit der jeweiligen Zweckwidmung nicht vereinbare Nutzung zu untersagen", so zwar, daß das Untersagungsrecht (nach §47 Abs1 MedienG) "immer dann ausgeschlossen (wäre), wenn die privatrechtliche Zweckwidmung des betreffenden öffentlichen Ortes der Verbreitung periodischer Druckschriften nicht entgegensteht" und auf diese Art"implizit sehr wohl nach der Art des öffentlichen Ortes und nach den Gründen für die Untersagung determiniert" wäre. Es ist vielmehr geradezu der Zweck dieses Teiles des §47 Abs1 MedienG, das medienrechtliche Verbot und die Strafbarkeit des Verhaltens ausschließlich an die Untersagung durch den Verfügungsberechtigten zu knüpfen und schwierige Abwägungen im Einzelfall entbehrlich zu machen. Das Gesetz spricht nicht etwa bloß die medienrechtliche Zulässigkeit der Verbreitung periodischer Druckschriften unbeschadet allfälliger Untersagungsrechte aus, sondern stellt ausschließlich auf die Tatsache der Untersagung durch den - wie immer - Verfügungsberechtigten ab. Die Möglichkeit der Untersagung iSd §47 MedienG mit der in §49 angedrohten Straffolge ist also im Gegensatz zum Untersagungsrecht auf Grund der jeweiligen Verfügungsberechtigung unbeschränkt.

Hinsichtlich der Untersagungsmöglichkeit des Verfügungsberechtigten nach §47 Abs1 MedienG müßte nicht nur eine Unterscheidung nach der Art des öffentlichen Ortes und den Gründen für die Untersagung möglich, sondern insbesondere auch gewährleistet sein, daß in jenen Fällen die Schranken des Art10 Abs2 MRK beachtet werden können, in denen Rechte anderer nicht betroffen sind. Hat eine Privatperson oder eine nicht als staatlich zu wertende juristische Person eine Liegenschaft öffentlichem Zwecken gewidmet, so wird sie Inhalt und Umfang der Widmung auch unter dem Blickwinkel des Art10 Abs2 MRK in aller Regel selbst und nach freiem Gutdünken festlegen dürfen. Es ist sogar zweifelhaft - wenngleich hier nicht zu prüfen -, ob die Unzulässigkeit der Verbreitung beliebiger periodischer Druckschriften ohne Rücksicht auf die Widmung an allen öffentlichen Orten (zB auch in Kirchen) von einer besonderen Untersagung durch den Verfügungsberechtigten abhängig gemacht werden darf. An öffentlichen Orten aber, über welche die öffentliche Hand in der für sie typischen Weise verfügt, darf diese Art der Meinungsäußerung nur aus Gründen eingeschränkt oder unterbunden werden, die als solche vor Art10 Abs2 MRK Bestand haben. Gewiß darf - und muß - das Urteil über das Vorliegen solcher Gründe zunächst dem Verfügungsberechtigten im Einzelfall überlassen bleiben. Doch sind die den Verfügungsberechtigten der öffentlichen Hand bindenden Schranken andere als jene, die auch Private treffen.

Diesen Erfordernissen trägt die in Prüfung stehende Regelung nicht Rechnung.

Die Wortfolge "und, sofern es der Verfügungsberechtigte nicht untersagt, an anderen öffentlichen Orten" im §47 Abs1 des MedienG, BGBl. 1981/314, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Das Gesetz spricht nicht etwa bloß die medienrechtliche Zulässigkeit der Verbreitung periodischer Druckschriften unbeschadet allfälliger Untersagungsrechte aus, sondern stellt ausschließlich auf die Tatsache der Untersagung durch den - wie immer - Verfügungsberechtigten ab. Die Möglichkeit der Untersagung iSd §47 MedienG mit der in §49 angedrohten Straffolge ist also im Gegensatz zum Untersagungsrecht auf Grund der jeweiligen Verfügungsberechtigung unbeschränkt.

In dieser Frage müßte nicht nur eine Unterscheidung nach der Art des öffentlichen Ortes und den Gründen für die Untersagung möglich, sondern insbesondere auch gewährleistet sein, daß in jenen Fällen die Schranken des Art10 Abs2 MRK beachtet werden können, in denen Rechte anderer nicht betroffen sind.

Verstoß der Wortfolge "und, sofern es der Verfügungsberechtigte nicht untersagt, an anderen öffentlichen Orten" im §47 Abs1 MedienG gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung.

Hinsichtlich der Untersagungsmöglichkeit des Verfügungsberechtigten nach §47 Abs1 MedienG müßte nicht nur eine Unterscheidung nach der Art des öffentlichen Ortes und den Gründen für die Untersagung möglich, sondern insbesondere auch gewährleistet sein, daß in jenen Fällen die Schranken des Art10 Abs2 MRK beachtet werden können, in denen Rechte anderer nicht betroffen sind.

Zur Setzung einer Frist für das Außerkrafttreten der Aufhebung sieht der Verfassungsgerichtshof keinen Anlaß. Er geht davon aus, daß die Beseitigung der in Prüfung gezogenen Wortfolge nur das medienrechtliche Verbot und die damit verbundene Strafbarkeit des Verhaltens aufhebt, keineswegs aber den Wegfall des aus der jeweiligen Verfügungsberechtigung fließenden Untersagungsrechtes zur Folge hat. Der Berechtigte bleibt allerdings auf die ihm auch sonst gegen widmungswidrigen Gebrauch zustehenden (privatrechtlichen) Behelfe beschränkt. Ein Gegenschluß auf die völlige Unzulässigkeit der Verbreitung periodischer Druckschriften an öffentlichen Orten (außer Straßen) kann aus der Zulassung des Vertriebes auf Straßen schon deshalb nicht gezogen werden, weil andrerseits auch nur der Vertrieb von Haus zu Haus verboten ist und die Entstehungsgeschichte der bereinigten Fassung, der Zweck der Bestimmung und die Gründe des aufhebenden Erk. im Lichte der verfassungsrechtlich gewährleisteten Meinungsäußerungsfreiheit klar erkennen lassen, daß die Verbreitung an öffentlichen Orten medienrechtlich nicht verboten ist. Bei dieser Lage besteht kein Bedürfnis, die verfassungswidrige Bestimmung bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber aufrecht zu erhalten.

Entscheidungstexte

  • G 147-160/86
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 19.03.1987 G 147-160/86

Schlagworte

VfGH / Präjudizialität, Meinungsäußerungsfreiheit, Pressefreiheit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1987:G147.1986

Dokumentnummer

JFR_10129681_86G00147_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten