RS Vfgh 1987/6/15 B108/86

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Veröffentlicht am 15.06.1987
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10 Verfassungsrecht
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
StGG Art8
VersammlungsG §14 Abs1
VersammlungsG §19
VStG §35 litc
VfGG §88

Leitsatz

Unvertretbare Annahme einer Verwaltungsübertretung nach §14 Abs1 iVm §19 VersG - Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit durch Festnahme nach §35 litc VStG 1950 und nachfolgende Anhaltung außerhalb des Demonstrationsbereichs und vor Auflösung der Versammlung mangelnder Nachweis für (behauptete) zwangsweise Löschung eines (Ton)Kassettenbandes - kein tauglicher Beschwerdegegenstand; keine Zuständigkeit des VfGH zur Zuerkennung einer Entschädigung für rechtswidrige Haftanhaltung; teilweise Kostenzuspruch

Rechtssatz

Gemäß Art144 Abs1 Satz 2 B-VG idF der Novelle BGBl. 1975/302 erkennt der Verfassungsgerichtshof über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person. Darunter fallen Verwaltungsakte, die bis zum Inkrafttreten der B-VG-Novelle 1975, BGBl. 302, nach ständiger verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung als sogenannte faktische Amtshandlungen (mit individuell-normativem Inhalt) bekämpfbar waren, wie dies für die Festnehmung und anschließende Verwahrung zutrifft (zB VfSlg. 7252/1974, 7829/1976, 8145/1977, 9860/1983, 10321/1985; VfGH 8.6.1984 B288/80 (teilveröffentlicht zu VfSlg. 10019/1984), 26.9.1986 B502/85).

Festnahme gemäß §35 litc VStG wegen Verdachtes der Übertretung des §14 VersG 1953 und anschließende Anhaltung in Polizeihaft.

Der Verfassungsgerichtshof folgt in den hier streitentscheidenden Fragen - d.s. Ort und Zeitpunkt der bekämpften Festnahme - der den konkreten Umständen nach glaubhaften Schilderung des Beschwerdeführer und mehrerer Zeugen. Danach steht fest, daß der Beschwerdeführer sowohl außerhalb des Demonstrationsbereichs (d.i. diesseits der Absperrung) als auch - zeitlich gesehen - vor Auflösung der Versammlung festgenommen wurde.

Aus einem Funkprotokoll der BPD Wien über den Polizeieinsatz ergibt sich, daß es zur Auflösung der Versammlung zwar erst um 12 Uhr 40 kam (so auch die Anzeige), die Beamten mit dieser Auflösung aber schon 10 Minuten früher "begonnen" hatten. In einem weiteren polizeilichen Funkprotokoll ist darüber hinaus festgehalten, daß der Leiter der Einsatzgruppe den Versammlungsort bereits um 12 Uhr 31 "räumen" ließ. Angesichts dieser objektiven Beweisgrundlagen kann es darum nicht zweifelhaft sein, daß polizeiliche Befehls- und Zwangsgewalt (in welchem Umfang immer) hier auch schon zu einer Zeit ausgeübt wurde, als für die Versammlungsteilnehmer eine Verpflichtung zum Verlassen des Versammlungsortes, wie sie §14 VersG bei sonstiger Straffolge statuiert, überhaupt noch nicht bestand.

Die Aussage des Mag. Z hingegen vermag den Standpunkt der belangten Behörde nicht zu stützen, weil dieser Zeuge den Beschwerdeführer selbst an Ort und Stelle nicht wahrgenommen hatte. Insgesamt nicht anders zu beurteilen sind auch die Depositionen der Wachleute S und F, die den Festnahmehergang ebenfalls nicht hinlänglich beobachten konnten. Den Angaben des (Augen-)Zeugen E wieder fehlt in den hier maßgebenden Punkten volle Überzeugungskraft, wenn bedacht wird, daß er bei seiner Einvernahme nicht mehr alle Vorgänge in Erinnerung hatte; auch räumte er als möglich ein, daß die Festnahme 20-30 m entfernt von einer nahe dem Versammlungsort (in einem Lageplan) bezeichneten, dh. an einer mit der Ortsangabe des Beschwerdeführers in Einklang zu bringenden Stelle stattfand, wohingegen er in der Anzeige sagte, der Beschwerdeführer habe sich "unter den Demonstranten vor dem Versammlungsort" befunden.

Angesichts dieses Sachverhalts konnte das einschreitende Behördenorgan keinesfalls mit gutem Grund der Auffassung anhängen, daß der Beschwerdeführer sich tatsächlich der Verwaltungsübertretung nach §14 Abs1 iVm §19 VersG schuldig gemacht habe. Denn ein derartiger Tatverdacht hätte sowohl eine Teilnahme des Beschwerdeführers an der Versammlung als auch ein Verbleiben an Ort und Stelle nach Auflösung dieser Veranstaltung vorausgesetzt. Beides war hier im Zeitpunkt der Festnahme nicht der Fall.

Ungerechtfertigte Festnahme gemäß §35 litc VStG wegen Verdachtes der Übertretung des §14 VersG 1953 und anschließende Anhaltung in Polizeihaft.

Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit.

Der Verfassungsgerichtshof sieht sich in Prüfung und Würdigung aller Verfahrensergebnisse nicht in der Lage, die in der Beschwerdeschrift behauptete behördlich (zwangsweise) Löschung des - dem Beschwerdeführer bei Einlieferung in den Arrest abgenommenen - Kassettenbandes als erwiesen anzunehmen. Zu verweisen ist in diesem Zusammenhang vor allem auf die Zeugenaussagen der die Gerätabnahme besorgenden bzw. beobachtenden Sicherheitswachebeamten S und O, die keine konkreten Anhaltspunkte für die Richtigkeit des einschlägigen Beschwerdevorbringens lieferten. Da also der behauptete Zwangsakt nicht eindeutig feststeht, fehlt es hier an einem tauglichen Beschwerdegegenstand.

Diesbezüglich Zurückweisung der Beschwerde.

Die Kostenentscheidung fußt auf §88 VfGG 1953. Angesichts des Gesamtergebnisses des Beschwerdeverfahrens (teils Zurückweisung, teils Stattgebung) wurden dem Beschwerdeführer bloß 2/3 der Kosten des Verfahrens zuerkannt (vgl. dazu VfGH 28.11.1986 B301/84, 27.9.1985 B643/82).

Entscheidungstexte

Schlagworte

VfGH / Kosten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1987:B108.1986

Zuletzt aktualisiert am

21.07.2008
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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