RS Vfgh 1988/3/17 G37/88, G38/88, G39/88, G40/88, G41/88, G42/88, G43/88, G44/88, G45/88, G46/88, G4

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Veröffentlicht am 17.03.1988
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Index

32 Steuerrecht
32/02 Steuern vom Einkommen und Ertrag

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs3 erster Satz
AufsichtsratsabgabeG 1934 idF BGBl 587/1983
F-VG 1922
F-VG 1948
R-ÜG. StGBl 6/1945
Verordnung über den Steuerabzug von Aufsichtsratsvergütungen vom 31.03.39
F-VG 1948 §4
F-VG 1948 §6
F-VG 1948 §7
F-VG 1948 §8 Abs3
EStG 1972 §22 Abs1 Z2

Leitsatz

Präjudizialität von Normen, die die Behörde nach Aufhebung eines Bescheides wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm anzuwenden hätte; Qualifizierung selbständiger ehemaliger rechtsdeutscher Verordnung als Gesetz; Überprüfbarkeit der (verfassungskonformen) Einordnung abgabengesetzlicher Bestimmungen in das (wiedereingeführte) System des F-VG 1948 im Einzelfall anhand des Inhalts der Finanzverfassung Zur bundesstaatlichen Kompetenzverteilung auf dem Gebiet des Abgabenwesens - Beteiligung der Gebietskörperschaften an der Ausschöpfung eines bestimmten Besteuerungsgegenstandes; Abgabenerfindungsrecht der Länder - für den Bereich der Bundesabgaben taxative Aufzählung der zulässigen Abgabenformen im §6; keine gleichartige ausschließliche Bundesabgabe von demselben Besteuerungsgegenstand neben einer gemeinschaftlichen Bundesabgabe Gesetz über die Erhebung einer Abgabe der Aufsichtsratsmitglieder vom 28.03.34, DRGBl. I, S 253 idF BGBl. 587/1983; Verordnung des Reichsministers der Finanzen über den Steuerabzug von Aufsichtsratsvergütungen vom 31.03.39, DRGBl. I, S 691; Gleichartigkeit von Aufsichtsratsabgabe und Einkommensteuer verfassungswidrig

Rechtssatz

Prüfung des AufsichtsratsabgabeG 1934 idF BGBl. 587/1983 und der Verordnung über den Steuerabzug von Aufsichtsratsvergütungen vom 31.03.39.

Das Gesetz und die Verordnung gingen durch das österreichische R-ÜG, StGBl. 6/1945, und das sogenannte steuerliche WeitergeltungsG, StGBl. 12/1945, in den österreichischen Rechtsbestand über. Der in einigen Beschwerden herangezogene ideologische Zusammenhang der gesetzlichen Regelung der Aufsichtsratsabgabe mit der schließlich im AktienG 1937 durchgeführten Verankerung des "Grundsatzes des Führertums, der im scharfen Gegensatz zu dem demokratischen Masse- und Mehrheitsprinzip steht" (Hinweis auf Schlegelberger-Quassowski, AktienG, 1937, 2. Auflage, §70 Tz 1), würde - falls er bestünde - als solcher jedenfalls (noch) nicht bewirken, daß die Vorschriften über die Besteuerung von Aufsichtsratsvergütungen - weil iSd §1 Abs1 R-ÜG typisches Gedankengut des Nationalsozialismus enthaltend - nicht Eingang in die österreichische Rechtsordnung gefunden hätten.

Der Verfassungsgerichtshof geht wie der Verwaltungsgerichtshof (VwSlg. 2885 F/1963) davon aus, daß die dem Reichsminister der Finanzen eingeräumte Verordnungsbefugnis weitaus umfangreicher war, als sie einem österreichischen Bundesminister in Art18 Abs2 B-VG eingeräumt ist. Insbesondere konnte der Reichsminister der Finanzen gemäß §12 Abs1 AO nicht bloß zur Durchführung, sondern auch zur Ergänzung der vom Reich erlassenen Gesetze Rechtsverordnungen erlassen. Der Verfassungsgerichtshof zieht daraus die Schlußfolgerung, daß die genannte - gesetzesergänzende - Verordnung im Rang eines Bundesgesetzes Eingang in die österreichische Rechtsordnung gefunden hat (zur Qualifizierung selbständiger ehemaliger reichsdeutscher Verordnungen als Gesetz siehe VfSlg. 5800/1968, S 578 und die dort angeführte Vorjudikatur).

Zu der Auffassung, den Bestimmungen über die Aufsichtsratsabgabe sei durch spätere (österreichische) finanzverfassungsgesetzliche Regelungen derogiert worden, genügt der Hinweis, daß - selbst wenn man dieser Auffassung folgen würde - Invalidation, aber nicht Derogation vorläge.

Der Verfassungsgerichtshof hat bei Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Bescheide über die Rückerstattung der Aufsichtsratsabgabe und die nichtvorgenommene Anrechnung der Aufsichtsratsabgabe auf die Einkommensteuer die Vorschriften des Gesetzes vom 28.03.34 in der nunmehr geltenden Fassung sowie jene der Verordnung vom 31.03.39 anzuwenden, sodaß diese Vorschriften - schon auf Grund ihres weitgehend untrennbaren Zusammenhanges - insgesamt präjudiziell sind.

Die Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmung ist - abgesehen von ihrem engen Zusammenhang - hinsichtlich aller Anlaßfälle deshalb gegeben, weil auch in den die Nichtanrechnung der Aufsichtsratsabgabe auf die Einkommensteuer betreffenden Fällen nach Wegfall des Anrechnungsverbotes (§8 Abs3 der Verordnung vom 31.03.39) die übrigen Bestimmungen über die Aufsichtsratsabgabe anzuwenden wären (vgl. hiezu die Ausführungen über die Präjudizialität von Normen, welche die Behörde nach Aufhebung eines Bescheides wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm anzuwenden hätte in VfSlg. 10617/1985, S 362).

Aufsichtsratsabgabe, Zinsertragsteuer

Die Bundesregierung bringt vor, für sich betrachtet entspräche sowohl die betreffende ausschließlich als auch die gemeinschaftliche Bundesabgabe jeweils einer Abgabenform des §6 F-VG. Diesem Argument ist der Verfassungsgerichtshof schon in VfSlg. 7995/1977 nicht gefolgt. Es liegt im Wesen der gleichartigen Abgabe von demselben Besteuerungsgegenstand (§6 Z2 litc, Z4 litc F-VG), daß jede der beiden einander gleichartigen Abgaben für sich betrachtet einer der anderen Abgabenformen entspricht. Aus der Tatsache, daß die Finanzverfassung die Kombination gleichartiger Abgaben nur im Verhältnis Bund - Länder (Gemeinden) bzw. Länder - Gemeinden vorsieht, läßt sich schließen, daß der Verfassungsgesetzgeber andere Kombinationen nicht zulassen wollte.

Die Bundesregierung meint, §6 F-VG habe lediglich die Aufgabe, die Befugnisse von Bund und Ländern gegeneinander abzugrenzen, nicht aber Schranken für den Bund innerhalb seines Bereiches vorzusehen. Es sei also denkbar, daß §6 F-VG zwar die Kombination von gleichartigen Bundes- und Landes(Gemeinde)abgaben (abschließend) regle, nicht aber die von mehreren Bundesabgaben.

Die im FAG aufgezählten ausschließlichen Landes(Gemeinde)abgaben sind auch im Fall ihrer Gleichartigkeit mit Bundesabgaben verfassungsrechtlich unbedenklich, weil durch die Anführung ausschließlicher Landes(Gemeinde)abgaben im FAG den Ländern die nach §8 Abs3 F-VG erforderliche Ermächtigung zur Erhebung dieser Abgaben erteilt wurde (zuletzt VfSlg. 9804/1983). Der Verfassungsgerichtshof hat außerdem in ständiger Judikatur die Auffassung vertreten, daß den Ländern finanzverfassungsrechtlich die Befugnis eingeräumt ist, in den Schranken des F-VG neue Steuern zu erheben (VfSlg. 3742/1960; 5859/1968; 9804/1983). Eine wesentliche Grenze dieses Abgabenerfindungsrechtes liegt dort, wo die neue Abgabe einer bestehenden Bundesabgabe gleichartig ist. In diesem Fall bedarf die Steuererhebung einer bundesgesetzlichen Ermächtigung, wie sich aus §8 Abs3 F-VG ergibt.

Wenn nun aber die Finanzverfassung den Ländern ermöglicht, mit Einverständnis des Bundesgesetzgebers weitere gleichartige Abgaben einzuführen (und überdies nicht gleichartige Abgaben zu erfinden, vgl. auch hiezu VfSlg. 9804/1983), dann ist daraus noch nicht der Schluß zu ziehen, daß auch der Bund - über die ihm in der Finanzverfassung ohnehin eingeräumten weitgehenden Möglichkeiten hinaus - gleichartige Bundesabgaben kombinieren kann.

Der Bund hat es zwar angesichts der ihm im §7 Abs1 und 2 F-VG eingeräumten Befugnisse in der Hand, das von ihm gewünschte Ergebnis auf andere Weise herbeizuführen, indem er etwa die betreffende ausschließliche Bundesabgabe in die gemeinschaftliche Bundesabgabe einbezieht und den Anteil, den er sich daraus zuwendet, erhöht. Dies kann der Bund in verfassungskonformer Weise nur tun, wenn er iSd Überlegungen in VfSlg. 7995/1977 gemäß §4 F-VG vorgeht und die Ertragshoheit über die Abgaben iSd §6 F-VG zwischen Bund und Ländern entsprechend der Verteilung der Lasten der öffentlichen Verwaltung insgesamt bedenkt und dementsprechend regelt. Es ist daher unter dem Aspekt der von der Finanzverfassung besorgten bundesstaatlichen Kompetenzverteilung auf dem Gebiet des Abgabenwesens durchaus sinnvoll, wenn die Finanzverfassung eine klare Gliederung der Abgaben vorsieht, weil dann deutlich wird, in welchem Ausmaß die einzelnen Gebietskörperschaften an der Ausschöpfung eines bestimmten Besteuerungsgegenstandes beteiligt werden. Diese Übersichtlichkeit ginge verloren, wenn es dem Bund über die ohnedies bestehenden Möglichkeiten hinaus gestattet wäre, alle möglichen Kombinationen von Steuerformen zu erfinden.

Vorbringen der Bundesregierung, bereits beim Wirksamwerden der Finanzverfassung 1948 (ebenso wie beim Wirksamwerden der Finanzverfassung 1922) habe das gleichzeitig in Kraft getretene einfache Gesetz eine Kombination gemeinschaftlicher und gleichartiger ausschließlicher Bundesabgaben von demselben Besteuerungsgegenstand vorgesehen.

Die auf die Finanzverfassung 1922 gestützte Argumentation greift schon deswegen nicht, weil §14 des F-VG 1922, BGBl. 124 als Übergangsbestimmung ausdrücklich vorsah, daß Bundes- oder Landesgesetze oder einzelne Bestimmungen solcher Gesetze, die mit dem F-VG im Widerspruch stehen, binnen drei Monaten nach Inkrafttreten des F-VG außer Wirksamkeit zu setzen sind. (Für den Fall, daß dies nicht geschah, regelte diese Übergangsbestimmung die Möglichkeit der Anfechtung dieser gesetzlichen Bestimmung beim Verfassungsgerichtshof.) Der Verfassungsgesetzgeber rechnete also sehr wohl damit, daß die von ihm vorgefundene (oder gleichzeitig in Kraft gesetzte) einfache Gesetzeslage mit dem eingeführten finanzverfassungsgesetzlichen System zum Teil in Widerspruch stand, hat diese also keinesfalls als durch die neue Verfassungslage saniert verstanden.

Eine große Anzahl abgabengesetzlicher Bestimmungen verschiedener (auch fremder) Rechtskreise war in ein wieder eingeführtes finanzverfassungsgesetzliches System einzuordnen. Nach dem Konzept der österreichischen Finanzverfassung geschah dies durch eine umfangreiche Wechselwirkung von verfassungsgesetzlichen und einfachgesetzlichen Bestimmungen.

Es ist hiebei durchaus denkbar, daß im Einzelfall die einfachgesetzliche Rechtslage mit der Verfassungslage nicht in Einklang steht.

Auch wenn der Verfassungsgerichtshof in der von der Bundesregierung zitierten Judikatur (VfSlg. 5978/1969, 9280/1981) zum Ausdruck gebracht hat, es könne nicht angenommen werden, daß der Nationalrat eine einfachgesetzliche Regelung ohne Bedachtnahme auf die am selben Tag beschlossene Kompetenzregelung erlassen hat, kann daraus nicht geschlossen werden, daß eine eine unter solchen Voraussetzungen ergangene Gesetzeslage unter allen Umständen verfassungskonform und damit "gleichsam verfassungsrechtlich unanfechtbar" ist. Aus einem Detail des einfachen Gesetzes (zB der Anführung der Aufsichtsratsabgabe als ausschließliche Bundesabgabe im FAG 1948) können keinesfalls Schlußfolgerungen gezogen werden, die den aus der Finanzverfassung selbst deutbaren Inhalt der Finanzverfassung in Frage stellen. Vielmehr ist hier der Schluß zu ziehen, daß der Finanzausgleichsgesetzgeber des Jahres 1948 einer unrichtigen Einschätzung unterlegen ist, ob die Aufsichtsratsabgabe mit der Einkommensteuer gleichartig ist. In diesem Zusammenhang darf nicht außer Acht gelassen werden, daß die Gleichartigkeit von Abgaben keineswegs von vornherein auf der Hand liegt und daß deren Beurteilung sowie die dabei anzustellende vergleichende Betrachtung oft weitgehende Überlegungen erfordert, über deren Resultat durchaus verschiedene Meinungen auftreten können.

Aufhebung des Gesetzes über die Erhebung einer Abgabe der Aufsichtsratsmitglieder vom 28.03.34, DRGBl. I, S 253, idF des Bundesgesetzes BGBl. 587/1983, und der Verordnung des Reichsministers der Finanzen über den Steuerabzug von Aufsichtsratsvergütungen vom 31.03.39, DRGBl. I, S 691.

Der Verfassungsgerichtshof meint, wie schon in VfSlg. 7995/1977 ausgedrückt, daß §6 F-VG für den Bereich der Bundesabgaben eine taxative Aufzählung der zulässigen Abgabenformen enthält und daher neben einer gemeinschaftlichen Bundesabgabe eine gleichartige ausschließliche Bundesabgabe von demselben Besteuerungsgegenstand nicht vorgesehen werden darf.

Vergütungen iSd §1 Abs1 des Gesetzes über die Erhebung einer Abgabe der Aufsichtsratsmitglieder vom 28.03.34 sowie iSd §1 Abs1 der Verordnung über den Steuerabzug von Aufsichtsratsvergütungen vom 31.03.39 sind zugleich der Einkommensteuer unterliegende Einkünfte aus selbständiger Arbeit gemäß §22 Abs1 Z2 EStG. Der in den genannten Vorschriften vom 28.03.34 und vom 31.03.39 festgelegte Besteuerungsgegenstand (Aufsichtsratsvergütungen) ist somit ein Ausschnitt der Einkünfte iSd EStG. Die Aufsichtsratsabgabe ist historisch und systematisch ein Zuschlag zur Einkommensteuer. Die für die Beurteilung der Gleichartigkeit der Aufsichtsratsabgabe mit der Einkommensteuer maßgebliche Rechtslage ist weitgehend mit jener im Verhältnis zwischen Zinsertragsteuer und Einkommensteuer identisch, welche den Verfassungsgerichtshof im E v 14.03.86, B371/85, zur Schlußfolgerung geführt hat, daß die Zinsertragsteuer in Wahrheit nicht eine von der Einkommensteuer verschiedene Objektsteuer darstellt. Jedenfalls liegen keine Abweichungen zwischen Aufsichtsratsabgabe und Einkommensteuer vor, welche das von der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes geforderte Gesamtbild der wesentlichen Gleichartigkeit beeinträchtigen würden, wobei Unterschieden in der Erhebungsform lediglich untergeordnete Bedeutung zukommt.

Da diese Verfassungswidrigkeit ihren Sitz in der in Prüfung gezogenen Regelung als Gesamtheit hat, ist das Gesetz insgesamt als verfassungswidrig aufzuheben.

Entscheidungstexte

  • G 37-61/88
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 17.03.1988 G 37-61/88

Schlagworte

Rechtsüberleitung, Verordnung, RechtsV, VerwaltungsV, Geltungsbereich eines Gesetz, VfGH / Prüfungsgegenstand, VfGH / Präjudizialität, Finanzverfassung, Abgabenwesen, Einkommensteuer, Einkunftsarten Arbeit selbständige, VfGH / Prüfungsumfang

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1988:G37.1988

Dokumentnummer

JFR_10119683_88G00037_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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