RS Vfgh 1988/6/22 V139/87, V140/87

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Veröffentlicht am 22.06.1988
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Index

55 Wirtschaftslenkung
55/01 Wirtschaftslenkung

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art139 Abs1 / Sachentscheidung
V des geschäftsführenden Ausschusses des Milchwirtschaftsfonds vom 22.03.83 betreffend den Übergang der Einzelrichtmenge auf einen anderen Betrieb im Falle der Verpachtung oder der Eigentumsübertragung von Futterflächen, kundgemacht im amtlichen Teil der "Österreichischen Milchwirtschaft" vom 07.04.83. Beilage 4 (zu Heft 7., S 41 f
MOG 1967 §50 Abs2
MOG 1985 §59 Abs2
AVG §68 Abs1
MOG 1985 §76 Abs1

Leitsatz

Verordnung des Geschäftsführenden Ausschusses des Milchwirtschaftsfonds vom 22.03.83 betreffend den Übergang der Einzelrichtmenge auf einen anderen Betrieb im Falle der Verpachtung oder der Eigentumsübertragung von Futterflächen; zur Berücksichtigung von Umständen früherer Wirtschaftsjahre bei Festsetzung von Einzelrichtmengen nach §76 Abs1 MOG; Rechtsfolgen auch für Verträge, deren Abschluß vor Wirksamwerden der Verordnung liegt - mangelnde gesetzliche Deckung dieser Rückwirkung, Feststellung der Gesetzwidrigkeit

Rechtssatz

Bei der Festsetzung von Einzelrichtmengen nach §76 Abs1 MOG 1985 sind jedenfalls Umstände früherer Wirtschaftsjahre zu berücksichtigen, wenn in diesen jeweils nur Mitteilungen der Einzelrichtmenge durch den Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetrieb erfolgt sind.

Daraus folgt, daß der Geschäftsführer des Milchwirtschaftsfonds bei Erlassung des zu B849/86 angefochtenen Bescheides auch zu prüfen gehabt hätte, ob es im Wirtschaftsjahr 1983/84 zu einer Veränderung der Einzelrichtmenge auf Grund der vom Erstbeschwerdeführer abgeschlossenen Verträge gekommen ist. Zur Beurteilung dieser Frage hätte die belangte Behörde die in Prüfung gezogene Verordnung anzuwenden gehabt. Die Verordnung des geschäftsführenden Ausschusses des Milchwirtschaftsfonds vom 22.03.83 betreffend den Übergang der Einzelrichtmenge auf einen anderen Betrieb im Falle der Verpachtung oder der Eigentumsübertragung von Futterflächen, kundgemacht im amtlichen Teil der "Österreichischen Milchwirtschaft" vom 07.04.83, Beilage 4 (zu Heft 7), S 41 f, ist für das den Erstbeschwerdeführer betreffende Verfahren präjudiziell.

Nicht nur solche Normen sind präjudiziell, die die Behörde bei Erlassung eines Bescheides tatsächlich angewendet hat. Eine Verordnung ist auch dann präjudiziell, wenn sie die Behörde bei Erlassung eines Bescheides anzuwenden gehabt hätte (vgl. zB VfSlg. 10617/1985, S 362).

Soferne die belangte Behörde ungeachtet des Vorliegens von Feststellungsbescheiden für frühere Wirtschaftsjahre bei Erlassung des vom Zweitbeschwerdeführer angefochtenen Bescheides Umstände des Wirtschaftsjahres 1983/84 zu berücksichtigen gehabt hätte, die von der Rechtskraft der Feststellungsbescheide früherer Wirtschaftsjahre nicht erfaßt wurden, wäre die angefochtene Verordnung des geschäftsführenden Ausschusses des Milchwirtschaftsfonds vom 22.03.83 betreffend den Übergang der Einzelrichtmenge auf einen anderen Betrieb im Falle der Verpachtung oder der Eigentumsübertragung von Futterflächen, kundgemacht im amtlichen Teil der "Österreichischen Milchwirtschaft" vom 07.04.83, Beilage 4 (zu Heft 7), S 41 f, auch für das Verfahren B850/86 präjudiziell.

Dies ist auch der Fall. Der Verfassungsgerichtshof teilt zwar die Rechtsauffassung des geschäftsführenden Ausschusses des Milchwirtschaftsfonds, allgemein hätten Feststellungsbescheide nach §76 MOG 1985 bindende Wirkung auch für die Zukunft. Dies gilt aber nur für den Fall, daß nach dem erkennbaren Willen der Behörde alle für die Bestimmung der Einzelrichtmenge des betreffenden Wirtschaftsjahres maßgebenden Umstände berücksichtigt und bewertet werden sollten.

Der Umfang der Rechtskraft eines Bescheides ergibt sich nämlich nicht nur aus dem Spruch, sondern auch aus dem den Spruch des Bescheides tragenden Teil der Begründung, soweit sich aus ihm der der Entscheidung zugrundegelegte Sachverhalt ergibt.

Der Begründung für den Bescheid betreffend das Wirtschaftsjahr 1983/84 (in dem das erste Mal über die hier in Rede stehende, vom Zweitbeschwerdeführer begehrte Erhöhung abgesprochen hätte werden können) ist keineswegs zu entnehmen, daß der Milchwirtschaftsfonds nicht nur die rechnerische Richtigkeit der vom zuständigen Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetrieb mitgeteilten Einzelrichtmenge überprüft, sondern auch über alle Fragen abgesprochen hätte, die sich aus den vom Zweitbeschwerdeführer abgeschlossenen Verträgen zur Erlangung einer zusätzlichen Einzelrichtmenge ergeben, wie sie im zugrundeliegenden Antrag des Zweitbeschwerdeführers dargelegt worden waren. Der Umfang der Rechtskraft dieses Feststellungsbescheides erstreckt sich daher nur auf die rechnerische Richtigkeit der im Spruch festgestellten Höhe der Einzelrichtmenge für das Jahr 1983/84.

Richtigerweise hätte also der Geschäftsführer des Milchwirtschaftsfonds über das Vorbringen des Beschwerdeführers, durch die von ihm abgeschlossenen Verträge sei es im Wirtschaftsjahr 1983/84 zu einer Erhöhung seiner Einzelrichtmenge gekommen, (auch) im angefochtenen Bescheid betreffend das Wirtschaftsjahr 1986/87 absprechen müssen. Bei der Lösung dieser Frage wäre die in Prüfung gezogene Verordnung anzuwenden gewesen, sodaß sie auch für das den Zweitbeschwerdeführer betreffende Verfahren präjudiziell ist.

Die Auswirkungen einer Aufhebung sind weder für die Präjudizialität einer Verordnung noch für die Beurteilung ihrer Gesetzmäßigkeit maßgeblich.

Der Umfang der Rechtskraft eines Bescheides ergibt sich nämlich nicht nur aus dem Spruch, sondern auch aus dem den Spruch des Bescheides tragenden Teil der Begründung, soweit sich aus ihm der der Entscheidung zugrundegelegte Sachverhalt ergibt.

Eine Verordnung mit rückwirkender Kraft liegt nicht erst dann vor, wenn sämtliche Tatbestandselemente, an die die Verordnung ihre Anwendung knüpft, in der Vergangenheit liegen, sondern schon dann, wenn ein wesentliches Element vor dem Zeitpunkt der Erlassung der Verordnung liegt. Dies trifft im vorliegenden Fall deswegen zu, weil die Verordnung Rechtsfolgen auch an Verträge knüpft, deren Abschluß vor ihrem Wirksamwerden liegt.

Daß eine solche Rückwirkung durchaus beabsichtigt war, zeigt auch die Äußerung des geschäftsführenden Ausschusses des Milchwirtschaftsfonds, daß er "verpflichtet war, die zweite Durchführungsverordnung zu erlassen, um dem Willen des Gesetzgebers zu entsprechen und die kurz nach der ersten Durchführungsverordnung aufgetretenen Versuche der Handelsfähigkeit (von Einzelrichtmengen) zu verhindern".

Da diese Rückwirkung von keiner gesetzlichen Bestimmung gedeckt ist, ist die Gesetzwidrigkeit der - bereits außer Kraft getretenen - Bestimmung der Z4 der Verordnung des geschäftsführenden Ausschusses des Milchwirtschaftsfonds vom 22.03.83 betreffend den Übergang der Einzelrichtmenge auf einen anderen Betrieb im Falle der Verpachtung oder der Eigentumsübertragung von Futterflächen, kundgemacht im amtlichen Teil der "Österreichischen Milchwirtschaft" vom 07.04.83, Beilage 4 (zu Heft 7), S 41 f, festzustellen.

Rückwirkende Verordnungen sind nur dann zulässig, wenn das Gesetz hiezu ermächtigt (vgl. VfSlg. 8875/1980).

Eine Verordnung mit rückwirkender Kraft liegt nicht erst dann vor, wenn sämtliche Tatbestandselemente, an die die Verordnung ihre Anwendung knüpft, in der Vergangenheit liegen, sondern schon dann, wenn ein wesentliches Element vor dem Zeitpunkt der Erlassung der Verordnung liegt. Dies trifft im vorliegenden Fall deswegen zu, weil die Verordnung Rechtsfolgen auch an Verträge knüpft, deren Abschluß vor ihrem Wirksamwerden liegt.

Entscheidungstexte

  • V 139,140/87
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 22.06.1988 V 139,140/87

Schlagworte

Marktordnung, VfGH / Präjudizialität, Rechtskraft Bescheid

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1988:V139.1987

Dokumentnummer

JFR_10119378_87V00139_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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